Geschichte der Stadt Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen
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'''Die Landeshauptstadt Erfurt | '''Die Landeshauptstadt Erfurt ist seit jeher "das Haupt des Thüringer Landes". Im Mittelalter zählte sie zu den glanzvollen Metropolen des Reiches mit der ältesten Universität Deutschlands und den Prägestätten Martin Luthers.''' | ||
[[Datei:ErfurtStadtwappen.jpeg| | [[Datei:ErfurtStadtwappen.jpeg|200px|right]]Hartmann Schedel hat in seiner berühmten Weltchronik von 1493 Erfurt als das „Haupt des Thüringer Landes“ bezeichnet. Diese Stellung zieht sich wie ein roter Faden durch die Erfurter Geschichte – von den bedeutenden Funden aus der Zeit des Thüringer Königreiches im 6. Jahrhundert bis hin zur heutigen '''[[Landeshauptstadt Erfurt|Landeshauptstadt]]''' des Freistaates '''[[Geschichte Thüringens|Thüringen]]'''. Darüber hinaus gehörte Erfurt im Mittelalter zu den großen Metropolen des Reiches. Noch immer ist dies in seiner weitgehend erhaltenen '''[[Altstadt]]''' mit ihren zahlreichen Kulturdenkmalen nachvollziehbar. Mit den dreizehn Jahrhunderten schriftlich verbriefter Geschichte - die Kulturgeschichte im weiteren Sinne reicht bis zum ersten '''[[Faustkeil]]''' 30.000 Jahre zurück - sind viele bedeutende Ereignisse und Persönlichkeiten verbunden. | ||
Die '''[[Erfurt | Die '''[[Mittelaltermetropole Erfurt|Mittelaltermetropole]]''' tritt zunächst als ein königlicher Zentralort ins Licht der Geschichte. Hier fanden wichtige Reichstage wie die Unterwerfung Heinrichs des Löwen unter '''[[Barbarossa_Kniefall_Heinrich_der_Löwe_Erfurt_1181|Barbarossa]]''' 1181 statt. 742 von '''[[Bonifatius]]''' zum Sitz eines Bistums bestimmt, blieb es trotz der Angliederung an das '''[[Historische Beziehungen Erfurt Mainz|Bistum Mainz]]''' das kirchliche Zentrum Thüringens. Um 1000 rückte der Mainzer Erzbischof zwar auch zum weltlichen Stadtherrn auf, doch seit dem 13. Jahrhundert erlangte Erfurt reichsstadtähnliche Autonomie. Symbolort jener kommunalen Selbstständigkeit war das '''[[Altes_Rathaus_Erfurt|Rathaus]]''' am Fischmarkt. Mit der '''[[Wasserburg Kapellendorf]]''' verfügte Erfurt sogar über ein Reichslehen, hinzu kamen zahlreiche Besitzungen im Umland wie das '''[[Forsthaus Willrode]]'''. Die Handels- und Kulturmetropole sowie '''[[Kleine Geschichte der Hanse|Hansestadt]]''' an der '''[[Via regia]]''', umgeben von zwei mächtigen '''[[Stadtmauern Erfurt|Mauerringen]]''' und der '''[[Cyriaksburg_Erfurt_Ausstellung|Cyriaksburg]]''' sowie überstrahlt von den Stadtkronen '''[[Dom Erfurt|Dom]]''' und '''[[Visionen_Peterskirche_Stadtkrone_Buga|Peterskirche]]''', blühte v.a. dank des Blaufärbemittels '''[[Waid]]''' auf. Mit rund 20.000 '''[[Bevölkerungsentwicklung in Erfurt|Einwohnern]]''' zählte sie zu den größten Städten des Reiches und verfügte mit dem '''[[Geschichte_Bruehl_Erfurt|Brühl]]''' über ein ausgedehntes Gartenland innerhalb der Stadtmauern. | ||
1379 erhielt Erfurt das Privileg für die älteste '''[[Universität Erfurt|Universität]]''' im heutigen Deutschland, deren bekanntester Student und Lehrer '''[[Martin Luther]]''' war. Mit dessen Eintritt ins Erfurter '''[[Augustinerkloster Erfurt|Augustinerkloster]]''' 1505 begann das Ringen um die Grundeinsichten der '''[[Orte der Reformation Erfurt|Reformation]]'''. Luthers Kirchenerneuerung fiel hier auf fruchtbaren Boden und wurde besonders von '''[[Johannes Lang]]''', dem "Reformator Erfurts", getragen. Der Erfurter Humanistenkreis in der '''[[Engelsburg Erfurt|Engelsburg]]''' um "Poetenkönig" '''[[Helius Eobanus Hessus]]''', aus dessen Reihen die legendären '''[[Dunkelmännerbriefe Erfurter Humanistenkreis|Dunkelmännerbriefe]]''' mit hervor gingen, trug ebenfalls zur kulturellen Blüte bei. Zuvor wirkten bereits bedeutende Denker des Mittelalters wie '''[[Meister_Eckhart_Denkmal_Erfurt|Meister Eckhart]]''' in Erfurt, das wegen seiner zahlreichen '''[[Kirchen]]''' als "Rom des Nordens" galt. Auch die '''[[Juedisches_Erbe_Erfurt|jüdische Gemeinde]]''' hat u.a. mit der ältesten erhaltenen '''[[Alte_Synagoge_Erfurt|Synagoge]]''' Mitteleuropas beeindruckende Spuren hinterlassen, die zum '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Weltkulturerbe]]''' zählen. | |||
An der Schwelle zur Neuzeit war der | An der Schwelle zur Neuzeit war der Zenit allerdings überschritten, was sich im '''[[Tolles_Jahr_von_Erfurt_1509/10|Tollen Jahr von Erfurt]]''' 1509/10 andeutete. 1664 folgte die '''[[Mainzer_Reduktion_1664|Unterwerfung]]''' unter '''[[Historische Beziehungen Erfurt Mainz|Mainz]]''', wofür symbolisch die '''[[Ausstellung_Kommandantenhaus_Geschichte_Petersberg_Erfurt|Zitadelle Petersberg]]''' steht. Aus jener Zeit leuchtet die Statthalterschaft '''[[Karl Theodor von Dalberg|Karl Theodor von Dalbergs]]''' hervor, zu dessen Kreis auch '''[[Johann Wolfgang von Goethe|Goethe]]''', '''[[Friedrich Schiller|Schiller]]''', '''[[Christoph Martin Wieland|Wieland]]''', '''[[Wilhelm_von_Humboldt|Humboldt]]''' und Herder zählten, eng verbunden mit dem '''[[Haus Dacheröden]]'''. Zugleich wurzelt in dieser Epoche der Aufschwung des Gartenbaus. Dieser brachte Erfurt später den weltweiten Ruf einer '''[[Blumenstadt Erfurt|Blumenstadt]]''' ein, deren Herzstück heute der 1961 als Internationale Gartenbauausstellung '''[[Iga_/_egapark_Erfurt|iga]]''' gegründete '''[[Iga_/_egapark_Erfurt|egapark]]''' bildet. Auch als '''[[Johann Sebastian Bach|Bachstadt]]''' darf sich Erfurt bezeichnen. Die 800-jährige Bindung an Mainz endete 1802 mit dem Übergang an '''[[Preussen Erfurt|Preußen]]''', kurz unterbrochen von der "Franzosenzeit" 1806-1814 mit Napoleons '''[[Erfurter Fuerstenkongress 1808|Erfurter Fürstenkongress]]''' 1808. In Folge der '''[[Revolution 1848 Erfurt|Revolution]]''' 1848 rückte die Stadt mit dem '''[[Erfurter Unionsparlament 1850|Erfurter Unionsparlament]]''' 1850 in den Fokus des demokratischen Einigungsprozesses in Deutschland. Nach den Reichseinigungskriegen mit der nahen '''[[Schlacht_Langensalza_1866|Schlacht bei Langensalza]]''' 1866 und der Reichseinigung 1871 unter '''[[Bismarck|Otto von Bismarck]]''' stieg Erfurt zur modernen '''[[Industriegrossstadt_Erfurt|Industriegroßstadt]]''' auf, in der die '''[[SPD Erfurt|SPD]]''' 1891 ihr wegweisendes '''[[Erfurter Parteitag der SPD 1891|Erfurter Programm]]''' verabschiedete. Ein Impulsgeber hierfür war der Anschluss an die '''[[Erfurt_Verkehrsgeschichte_ICE_Berlin_München_2017|Eisenbahn]]''' 1847. Zugleich bauten die Preußen die '''[[Stadtmauern_Erfurt|Festung]]''' und '''[[Militär in Erfurt|Garnison]]''' mit der gewaltigen '''[[Zitadelle Petersberg]]''' großzügig aus. Aus dem '''[[Koloniales Erbe in Erfurt|kolonialen Erbe]]''' jener Zeit ragt die '''[[Erfurter Südseesammlung]]''' heraus. | ||
''' | Im 20. Jahrhundert folgte das "Zeitalter der Extreme" mit zwei Weltkriegen und Diktaturen. Auslöser war der '''[[Erster Weltkrieg|Erste Weltkrieg]]''' 1914/18, auf den nach der '''[[Novemberrevolution Erfurt|Novemberrevolution]]''' die kurzlebige '''[[Weimarer Republik]]''' folgte. Während der Republik erlebte Erfurt sowohl blutigen Bürgerkrieg, gipfelnd im '''[[Kapp-Putsch Erfurt 1920|Kapp-Putsch]]''' 1920, als auch einen kulturellen und städtbaulichen Aufschwung in den "Goldenen Zwanzigern". Hieran erinnern etwa die zahlreichen Bauwerke im '''[[Bauhaus Erfurt|Bauhaus-Stil]]''' und der '''[[Angermuseum_Erfurt_Expressionismus|Expressionismus]]''' im Angermuseum. Für reichsweite Furore sorgte der Besuch des "falschen Prinzen" '''[[Der falsche Prinz Harry Domela|Harry Domela]]''' im Spitzenhotel '''[[Erfurter Hof]]''' 1926. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 setzten über den Umweg des Antisemiten '''[[Adolf Schmalix]]''' die '''[[Wahlen Hitler|Wahlerfolge]]''' der NSDAP ein, die 1932 zur stärksten Kraft aufstieg. Für die Verstrickung von Wirtschaft und Gesellschaft in die Verbrechen des '''[[Erfurt_im_Nationalsozialismus|Nationalsozialismus]]''' 1933-1945 steht die Firma '''[[Topf_und_Söhne_Erfurt|Topf & Söhne]]''', Hersteller der Öfen für Auschwitz. Dank relativ geringer Zerstörungen durch '''[[Erfurt im Luftkrieg|Luftangriffe]]''' konnte Erfurt sein historisches Stadtbild im Zweiten Weltkrieg weitgehend bewahren. | ||
''' | Nach amerikanischer Befreiung und raschem '''[[Besatzerwechsel_Amerikaner_Russen_1945|Besatzerwechsel]]''' gehörte die Stadt seit 1945/49 zur Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR. Im neuen, bis 1952 bestehenden Land Thüringen übernahm Erfurt kurzzeitig die Hauptstadtrolle von Weimar, woran das heutige '''[[Landtagshochhaus Erfurt Eierkiste|Landtagshochhaus]]''' erinnert. Am '''[[17. Juni 1953 in Erfurt|17. Juni 1953]]''' kam es zum Aufstand gegen die SED-Herrschaft; das erste deutsch-deutsche '''[[Erfurter Gipfeltreffen|Gipfeltreffen]]''' 1970 im '''[[Erfurter Hof]]''' mit dem Jubel der Erfurter für Willy Brandt wies bereits auf die '''[[Friedliche_Revolution_und_Landesgründung_in_Thüringen_1989/90|Friedliche Revolution]]''' und deutsche Wiedervereinigung 1989/90 voraus. International auf die Blumenstadt aufmerksam machte auch die Gartenschau '''[[Iga / egapark Erfurt|iga]]''' 1961, der heutige '''[[Iga / egapark Erfurt|egapark]]''', neben dem '''[[Zoopark Erfurt|Zoopark]]''' (1959) die wichtigste neue Freizeiteinrichtung der DDR-Zeit. Zugleich konnte sich Erfurt als '''[[Sportstadt Erfurt|Sportstadt]]''' profilieren und mit dem heutigen '''[[FC Rot Weiss Erfurt|FC Rot-Weiß Erfurt]]''' 1954 und 1955 die DDR-Meisterschaft im Fußball erringen. Mit der ersten '''[[Stasi_Besetzung_Erfurt_4._Dezember_1989|Besetzung einer Stasi-Bezirksverwaltung]]''' am 4. Dezember 1989 und dem überwältigenden Empfang von Bundeskanzler '''[[Helmut-Kohl-Strasse Rassloff|Helmut Kohl]]''' am 20. Februar 1990 hatte Erfurt DDR-weite Signale gesetzt. Dank der "Wende" konnte auch die 1988 geschlossene Städtepartnerschaft mit '''[[Städtepartnerschaft Erfurt Mainz|Mainz]]''' mit Leben erfüllt werden. | ||
''' | Heute ist Erfurt eine Großstadt von 216.000 '''[[Bevölkerungsentwicklung in Erfurt|Einwohnern]]''' mit beschaulicher Lebensqualität. Als '''[[Dom Erfurt|Domstadt]]''', '''[[Martin Luther|Lutherstadt]]''' und '''[[Blumenstadt Erfurt|Blumenstadt]]''' inmitten des '''[[Thueringen_das_Gruene_Herz_Deutschlands|Grünen Herzen Deutschlands]]''', des Landes der '''[[Thueringer_Kloesse_Rostbratwurst|Bratwurst und Klöße]]''', zieht es viele Touristen an. Einen besonderen Charakter verleiht Erfurt, wenngleich der '''[[Stadtumbau_DDR-Zeit_Plattenbau|DDR-Städtebau]]''' nicht spurlos an ihm vorbeigegangen ist, seine weitgehend erhaltene '''[[Altstadt]]'''. Mit dem jüdischen Erbe erlangte es 2023 sogar den Status als '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Weltkulturerbe]]'''. Die Umstrukturierung von der Industriestadt zur Dienstleistungs- und Verwaltungsstadt ist weitgehend vollzogen, neue Wirtschaftszweige weisen in die Zukunft. Dies gilt auch für den '''[[Bernd das Brot KIKA|Kindermedienstandort]]''', die 1994 wiedergegründete '''[[Universität Erfurt|Universität]]''' und die '''[[Fachhochschule Erfurt|Fachhochschule]]''', das '''[[Bundesarbeitsgericht]]''' und die traditionsreiche '''[[Sportstadt Erfurt|Sportstadt]]'''. Zudem fand die alte Rolle Erfurts als „heimliche Hauptstadt“ Thüringens 1990 ihre Umwandlung zur offiziellen '''[[Landeshauptstadt Erfurt|Landeshauptstadt]]'''. Große Entwicklungsimpulse verliehen in jüngster Zeit das '''[[Erfurt_Verkehrsgeschichte_ICE_Berlin_München_2017|ICE-Drehkreuz]]''' 2017, die '''[[Bundesgartenschau Erfurt 2021|Bundesgartenschau]]''' 2021 und der Status '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Weltkulturerbe]]''' für das Mittelalerlich-Jüdische Erbe Erfurts 2023. | ||
('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''') | |||
''' | '''Lesetipps:''' | ||
Steffen Raßloff: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt Rassloff|Geschichte der Stadt Erfurt]].''' Tübingen 2012 (6. Auflage 2024). | |||
''' | Steffen Raßloff: '''[[Kleine Geschichte der Stadt Erfurt]]'''. Ilmenau 2016 (3. Auflage 2024). | ||
''' | Steffen Raßloff: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. | ||
''' | Siehe auch: '''[[Literatur Geschichte Erfurt|Lesetipps]]''', '''[[Stadtmuseum Erfurt|Stadtmuseum]]''', '''[[ErfurterGeschichtsverein|Geschichtsverein]]''', '''[[Denkmale in Erfurt|Denkmale]]''', '''[[Strassennamen Geschichte Erfurt|Straßennamen]]''', '''[[Wissenschaftliche Stadtgeschichte Erfurt|Projekt wissenschaftliche Stadtgeschichte]]''' |
Aktuelle Version vom 4. November 2024, 09:43 Uhr
Geschichte der Stadt Erfurt
Die Landeshauptstadt Erfurt ist seit jeher "das Haupt des Thüringer Landes". Im Mittelalter zählte sie zu den glanzvollen Metropolen des Reiches mit der ältesten Universität Deutschlands und den Prägestätten Martin Luthers.
Hartmann Schedel hat in seiner berühmten Weltchronik von 1493 Erfurt als das „Haupt des Thüringer Landes“ bezeichnet. Diese Stellung zieht sich wie ein roter Faden durch die Erfurter Geschichte – von den bedeutenden Funden aus der Zeit des Thüringer Königreiches im 6. Jahrhundert bis hin zur heutigen Landeshauptstadt des Freistaates Thüringen. Darüber hinaus gehörte Erfurt im Mittelalter zu den großen Metropolen des Reiches. Noch immer ist dies in seiner weitgehend erhaltenen Altstadt mit ihren zahlreichen Kulturdenkmalen nachvollziehbar. Mit den dreizehn Jahrhunderten schriftlich verbriefter Geschichte - die Kulturgeschichte im weiteren Sinne reicht bis zum ersten Faustkeil 30.000 Jahre zurück - sind viele bedeutende Ereignisse und Persönlichkeiten verbunden.
Die Mittelaltermetropole tritt zunächst als ein königlicher Zentralort ins Licht der Geschichte. Hier fanden wichtige Reichstage wie die Unterwerfung Heinrichs des Löwen unter Barbarossa 1181 statt. 742 von Bonifatius zum Sitz eines Bistums bestimmt, blieb es trotz der Angliederung an das Bistum Mainz das kirchliche Zentrum Thüringens. Um 1000 rückte der Mainzer Erzbischof zwar auch zum weltlichen Stadtherrn auf, doch seit dem 13. Jahrhundert erlangte Erfurt reichsstadtähnliche Autonomie. Symbolort jener kommunalen Selbstständigkeit war das Rathaus am Fischmarkt. Mit der Wasserburg Kapellendorf verfügte Erfurt sogar über ein Reichslehen, hinzu kamen zahlreiche Besitzungen im Umland wie das Forsthaus Willrode. Die Handels- und Kulturmetropole sowie Hansestadt an der Via regia, umgeben von zwei mächtigen Mauerringen und der Cyriaksburg sowie überstrahlt von den Stadtkronen Dom und Peterskirche, blühte v.a. dank des Blaufärbemittels Waid auf. Mit rund 20.000 Einwohnern zählte sie zu den größten Städten des Reiches und verfügte mit dem Brühl über ein ausgedehntes Gartenland innerhalb der Stadtmauern.
1379 erhielt Erfurt das Privileg für die älteste Universität im heutigen Deutschland, deren bekanntester Student und Lehrer Martin Luther war. Mit dessen Eintritt ins Erfurter Augustinerkloster 1505 begann das Ringen um die Grundeinsichten der Reformation. Luthers Kirchenerneuerung fiel hier auf fruchtbaren Boden und wurde besonders von Johannes Lang, dem "Reformator Erfurts", getragen. Der Erfurter Humanistenkreis in der Engelsburg um "Poetenkönig" Helius Eobanus Hessus, aus dessen Reihen die legendären Dunkelmännerbriefe mit hervor gingen, trug ebenfalls zur kulturellen Blüte bei. Zuvor wirkten bereits bedeutende Denker des Mittelalters wie Meister Eckhart in Erfurt, das wegen seiner zahlreichen Kirchen als "Rom des Nordens" galt. Auch die jüdische Gemeinde hat u.a. mit der ältesten erhaltenen Synagoge Mitteleuropas beeindruckende Spuren hinterlassen, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen.
An der Schwelle zur Neuzeit war der Zenit allerdings überschritten, was sich im Tollen Jahr von Erfurt 1509/10 andeutete. 1664 folgte die Unterwerfung unter Mainz, wofür symbolisch die Zitadelle Petersberg steht. Aus jener Zeit leuchtet die Statthalterschaft Karl Theodor von Dalbergs hervor, zu dessen Kreis auch Goethe, Schiller, Wieland, Humboldt und Herder zählten, eng verbunden mit dem Haus Dacheröden. Zugleich wurzelt in dieser Epoche der Aufschwung des Gartenbaus. Dieser brachte Erfurt später den weltweiten Ruf einer Blumenstadt ein, deren Herzstück heute der 1961 als Internationale Gartenbauausstellung iga gegründete egapark bildet. Auch als Bachstadt darf sich Erfurt bezeichnen. Die 800-jährige Bindung an Mainz endete 1802 mit dem Übergang an Preußen, kurz unterbrochen von der "Franzosenzeit" 1806-1814 mit Napoleons Erfurter Fürstenkongress 1808. In Folge der Revolution 1848 rückte die Stadt mit dem Erfurter Unionsparlament 1850 in den Fokus des demokratischen Einigungsprozesses in Deutschland. Nach den Reichseinigungskriegen mit der nahen Schlacht bei Langensalza 1866 und der Reichseinigung 1871 unter Otto von Bismarck stieg Erfurt zur modernen Industriegroßstadt auf, in der die SPD 1891 ihr wegweisendes Erfurter Programm verabschiedete. Ein Impulsgeber hierfür war der Anschluss an die Eisenbahn 1847. Zugleich bauten die Preußen die Festung und Garnison mit der gewaltigen Zitadelle Petersberg großzügig aus. Aus dem kolonialen Erbe jener Zeit ragt die Erfurter Südseesammlung heraus.
Im 20. Jahrhundert folgte das "Zeitalter der Extreme" mit zwei Weltkriegen und Diktaturen. Auslöser war der Erste Weltkrieg 1914/18, auf den nach der Novemberrevolution die kurzlebige Weimarer Republik folgte. Während der Republik erlebte Erfurt sowohl blutigen Bürgerkrieg, gipfelnd im Kapp-Putsch 1920, als auch einen kulturellen und städtbaulichen Aufschwung in den "Goldenen Zwanzigern". Hieran erinnern etwa die zahlreichen Bauwerke im Bauhaus-Stil und der Expressionismus im Angermuseum. Für reichsweite Furore sorgte der Besuch des "falschen Prinzen" Harry Domela im Spitzenhotel Erfurter Hof 1926. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 setzten über den Umweg des Antisemiten Adolf Schmalix die Wahlerfolge der NSDAP ein, die 1932 zur stärksten Kraft aufstieg. Für die Verstrickung von Wirtschaft und Gesellschaft in die Verbrechen des Nationalsozialismus 1933-1945 steht die Firma Topf & Söhne, Hersteller der Öfen für Auschwitz. Dank relativ geringer Zerstörungen durch Luftangriffe konnte Erfurt sein historisches Stadtbild im Zweiten Weltkrieg weitgehend bewahren.
Nach amerikanischer Befreiung und raschem Besatzerwechsel gehörte die Stadt seit 1945/49 zur Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR. Im neuen, bis 1952 bestehenden Land Thüringen übernahm Erfurt kurzzeitig die Hauptstadtrolle von Weimar, woran das heutige Landtagshochhaus erinnert. Am 17. Juni 1953 kam es zum Aufstand gegen die SED-Herrschaft; das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen 1970 im Erfurter Hof mit dem Jubel der Erfurter für Willy Brandt wies bereits auf die Friedliche Revolution und deutsche Wiedervereinigung 1989/90 voraus. International auf die Blumenstadt aufmerksam machte auch die Gartenschau iga 1961, der heutige egapark, neben dem Zoopark (1959) die wichtigste neue Freizeiteinrichtung der DDR-Zeit. Zugleich konnte sich Erfurt als Sportstadt profilieren und mit dem heutigen FC Rot-Weiß Erfurt 1954 und 1955 die DDR-Meisterschaft im Fußball erringen. Mit der ersten Besetzung einer Stasi-Bezirksverwaltung am 4. Dezember 1989 und dem überwältigenden Empfang von Bundeskanzler Helmut Kohl am 20. Februar 1990 hatte Erfurt DDR-weite Signale gesetzt. Dank der "Wende" konnte auch die 1988 geschlossene Städtepartnerschaft mit Mainz mit Leben erfüllt werden.
Heute ist Erfurt eine Großstadt von 216.000 Einwohnern mit beschaulicher Lebensqualität. Als Domstadt, Lutherstadt und Blumenstadt inmitten des Grünen Herzen Deutschlands, des Landes der Bratwurst und Klöße, zieht es viele Touristen an. Einen besonderen Charakter verleiht Erfurt, wenngleich der DDR-Städtebau nicht spurlos an ihm vorbeigegangen ist, seine weitgehend erhaltene Altstadt. Mit dem jüdischen Erbe erlangte es 2023 sogar den Status als UNESCO-Weltkulturerbe. Die Umstrukturierung von der Industriestadt zur Dienstleistungs- und Verwaltungsstadt ist weitgehend vollzogen, neue Wirtschaftszweige weisen in die Zukunft. Dies gilt auch für den Kindermedienstandort, die 1994 wiedergegründete Universität und die Fachhochschule, das Bundesarbeitsgericht und die traditionsreiche Sportstadt. Zudem fand die alte Rolle Erfurts als „heimliche Hauptstadt“ Thüringens 1990 ihre Umwandlung zur offiziellen Landeshauptstadt. Große Entwicklungsimpulse verliehen in jüngster Zeit das ICE-Drehkreuz 2017, die Bundesgartenschau 2021 und der Status UNESCO-Weltkulturerbe für das Mittelalerlich-Jüdische Erbe Erfurts 2023.
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Geschichte der Stadt Erfurt. Tübingen 2012 (6. Auflage 2024).
Steffen Raßloff: Kleine Geschichte der Stadt Erfurt. Ilmenau 2016 (3. Auflage 2024).
Steffen Raßloff: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021.
Siehe auch: Lesetipps, Stadtmuseum, Geschichtsverein, Denkmale, Straßennamen, Projekt wissenschaftliche Stadtgeschichte