Koloniales Erbe in Erfurt

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Koloniales Erbe in Erfurt

Erfurt verfügt über ein koloniales Erbe, aus dem die Erfurter Südseesammlung von Konsul Wilhelm Knappe heraus ragt. Dieses bedeutende Kulturerbe soll wissenschaftlich aufgearbeitet und öffentlich zugänglich gemacht werden.


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Die Diskussion über das koloniale Erbe wurde 2019 durch die Ausstellung "Kolonialismus in Erfurt" von Studenten der Universität Erfurt neu angestoßen. Deren plakative Form mit heftigen Vorwürfen gegen städtische und private Einrichtungen hat jedoch für viel Kritik gesorgt, worauf eine Präsentation in kommunalen Räumlichkeiten ablehnt wurde. Besonders deutlich zeigt sich dies beim bedeutendsten Erbe des Kolonialzeitalters, der Erfurter Südseesammlung von Konsul Wilhelm Knappe im Benaryspeicher (Foto: Dirk Urban). Hier hat man die viel beachtete Sonderausstellung Reisen ins Paradies (2005), für die die Sammlung erstmals restauriert und wissenschaftlich aufgearbeitet worden war, als Verharmlosung und Beschönigung des Kolonialismus kritisiert.

Weiterhin wurden die "Tropennächte" des Zooparks als "entwürdigende Inszenierungen" in der Tradition rassistischer "Völkerschauen" kritisiert. Für die Mohren-Apotheke forderte man eine Umbenennung, obwohl diese vor das Kolonialzeitalter zurückreicht und "viele 'Mohren-Apotheken' nicht deshalb diesen Namen (erhielten), weil man Menschen herabwürdigen wollte. Im Gegenteil: Wissen und Waren aus dem Orient und Nordafrika waren in Europa und Deutschland von großem Wert", so Historiker Dr. André Postert vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung (Cicero, 09.08.2020). Der Verein Decolonize Erfurt um Philosoph Dr. Urs Lindner, einer der Betreuer der Kolonialismus-Ausstellung, forderte in diesem Kontext auch die Umbenennung des Nettelbeckufers und der Mohrengasse, was jedoch vom Stadtrat nach mehrjähriger Debatte abgelehnt wurde.

Gleichwohl rückte die Ausstellung 2019 das Thema in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Stadtrat hat hierauf 2021 beschlossen, das koloniale Erbe wissenschaftlich aufzuarbeiten und zu präsentieren. Dabei sollte nicht jene aggressive "Cancel Culture" dominieren, mit der "Anhänger einer radikalen Identitätspolitik immer öfter zur Stigmatisierung von Politikern, Publizisten und Wissenschaftlern" übergehen, um "diese mundtot zu machen", so MDR-Korrespondent Tim Herden (MDR Aktuell, 21.03.2021). Auch Professoren der Universität Erfurt plädieren im Netzwerk Wissenschaftsfreiheit für "eine plurale von Sachargumenten und gegenseitigem Respekt geprägte Debattenkultur". So könnte die Stadtgeschichtsforschung wichtige Impulse erhalten. Erste Schritte hierzu wurden etwa mit der Präsentation einer Gedenkmedaille im Stadtmuseum 2022 gemacht, die den historischen Kontext des Kolonialkriegs in Südwestafrika erhellt.

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Marina Moritz/Kai Uwe Schierz (Hg.): Reisen ins Paradies. Die Erfurter Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst. Erfurt 2005.

Steffen Raßloff: Wilhelm Knappe (1855-1910). Staatsmann und Völkerkundler im Blickpunkt deutscher Weltpolitik. Jena 2005.

Horst Gründer/Hermann Hiery (Hg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick. Berlin 2022 (3. Auflage).

Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien. Paderborn 2017 (7. Auflage).


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt


Amtsblatt Nr. 10 vom 04.06.2021

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