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Version vom 10. Dezember 2021, 10:13 Uhr
Geschichte der Stadt Erfurt
Die Landeshauptstadt Erfurt war seit jeher der Zentralort Thüringens und im Mittelalter eine der glanzvollen Metropolen des Reiches.
Hartmann Schedel hat in seiner berühmten Weltchronik von 1493 Erfurt als das „Haupt des Thüringer Landes“ bezeichnet. Diese Stellung zieht sich wie ein roter Faden durch die Erfurter Geschichte – von den bedeutenden Funden aus der Zeit des Thüringer Königreiches im 6. Jahrhundert bis hin zur heutigen Landeshauptstadt des Freistaates Thüringen. Darüber hinaus gehörte Erfurt im Mittelalter zu den großen Metropolen des Reiches. Noch immer ist dies in seiner Altstadt mit ihren zahlreichen Kulturdenkmalen nachvollziehbar. Mit den dreizehn Jahrhunderten schriftlich verbriefter Geschichte - die Kulturgeschichte im weiteren Sinne reicht bis zum ersten Faustkeil 30.000 Jahre zurück - sind viele bedeutende Ereignisse und Persönlichkeiten verbunden.
Die Mittelaltermetropole tritt zunächst als ein königlicher Zentralort ins Licht der Geschichte, in dem wichtige Reichstage stattfanden. 742 von Bonifatius zum Sitz eines Bistums bestimmt, blieb es trotz der Angliederung an das Bistum Mainz das kirchliche Zentrum Thüringens. Um 1000 rückte der Mainzer Erzbischof zwar auch zum weltlichen Stadtherrn auf, doch seit dem 13. Jahrhundert erlangte Erfurt reichsstadtähnliche Autonomie. Symbolort jener kommunalen Selbstständigkeit war das Rathaus am Fischmarkt. Mit der Wasserburg Kapellendorf verfügte Erfurt sogar über ein Reichslehen, hinzu kamen zahlreiche Besitzungen im Umland wie das Forsthaus Willrode. Die Handels- und Kulturmetropole sowie Hansestadt an der Via regia, umgeben von zwei mächtigen Mauerringen und der Cyriaksburg sowie überstrahlt von den Stadtkronen Dom und Peterskirche, blühte v.a. dank des Blaufärbemittels Waid auf. Mit rund 20.000 Einwohnern zählte sie zu den größten Städten des Reiches.
1379 erhielt Erfurt das Privileg für die älteste Universität im heutigen Deutschland, deren bekanntester Student und Lehrer Martin Luther war. Mit dessen Eintritt ins Erfurter Augustinerkloster 1505 begann das Ringen um die Grundeinsichten der Reformation. Luthers Kirchenerneuerung fiel hier auf fruchtbaren Boden und wurde besonders von Johannes Lang, dem "Reformator Erfurts", getragen. Der Erfurter Humanistenkreis in der Engelsburg um "Poetenkönig" Helius Eobanus Hessus, aus dessen Reihen die legendären Dunkelmännerbriefe mit hervor gingen, trug ebenfalls zur kulturellen Blüte bei. Zuvor wirkten bereits bedeutende Denker des Mittelalters wie Meister Eckhart in Erfurt, das wegen seiner zahlreichen Kirchen als "Rom des Nordens" galt. Auch die jüdische Gemeinde hat u.a. mit der ältesten erhaltenen Synagoge Mitteleuropas beeindruckende Spuren hinterlassen.
An der Schwelle zur Neuzeit war der Zenit allerdings überschritten, was sich im Tollen Jahr von Erfurt 1509/10 andeutete. 1664 folgte die Unterwerfung unter Mainz, wofür symbolisch die Zitadelle Petersberg steht. Aus jener Zeit leuchtet die Statthalterschaft Karl Theodor von Dalbergs hervor, zu dessen Kreis auch Goethe, Schiller, Wieland, Humboldt und Herder zählten, eng verbunden mit dem Haus Dacheröden. Zugleich wurzelt in dieser Epoche der Aufschwung des Gartenbaus. Dieser brachte Erfurt später den weltweiten Ruf einer Blumenstadt ein, deren Herzstück heute der 1961 als Internationale Gartenbauausstellung iga gegründete egapark bildet. Auch als Bachstadt darf sich Erfurt bezeichnen. Die 800-jährige Bindung an Mainz endete 1802 mit dem Übergang an Preußen, kurz unterbrochen von der "Franzosenzeit" 1806-1814 mit Napoleons Erfurter Fürstenkongress 1808. In Folge der Revolution 1848 rückte die Stadt mit dem Erfurter Unionsparlament 1850 in den Fokus des demokratischen Einigungsprozesses in Deutschland. Nach den Reichseinigungskriegen mit der nahen Schlacht bei Langensalza 1866 und der Reichseinigung 1871 unter Otto von Bismarck stieg Erfurt zur modernen Industriegroßstadt auf, in der die SPD 1891 ihr wegweisendes Erfurter Programm verabschiedete. Ein Impulsgeber hierfür war der Anschluss an die Eisenbahn 1847. Zugleich bauten die Preußen die Festung und Garnison mit der gewaltigen Zitadelle Petersberg großzügig aus. Aus dem kolonialen Erbe jener Zeit ragt die Erfurter Südseesammlung heraus.
Im 20. Jahrhundert folgte das "Zeitalter der Extreme" mit zwei Weltkriegen und Diktaturen. Auslöser war der Erste Weltkrieg 1914/18, auf den nach der Novemberrevolution die kurzlebige Weimarer Republik folgte. Während der Republik erlebte Erfurt sowohl blutigen Bürgerkrieg, gipfelnd im Kapp-Putsch 1920, als auch einen kulturellen und städtbaulichen Aufschwung. Hieran erinnern etwa die zahlreichen Bauwerke im Bauhaus-Stil und der Expressionismus im Angermuseum. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 setzten über den Umweg des Antisemiten Adolf Schmalix die Wahlerfolge der NSDAP ein, die 1932 zur stärksten Kraft aufstieg. Für die Verstrickung von Wirtschaft und Gesellschaft in die Verbrechen des Nationalsozialismus 1933-1945 steht die Firma Topf & Söhne, Hersteller der Öfen für Auschwitz. Dank relativ geringer Zerstörungen durch Luftangriffe konnte Erfurt sein historisches Stadtbild im Zweiten Weltkrieg weitgehend bewahren.
Nach amerikanischer Befreiung und raschem Besatzerwechsel gehörte die Stadt seit 1945/49 zur Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR. Im neuen, bis 1952 bestehenden Land Thüringen übernahm Erfurt kurzzeitig die Hauptstadtrolle von Weimar, woran das heutige Landtagshochhaus erinnert. Am 17. Juni 1953 kam es zum Aufstand gegen die SED-Herrschaft; das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen 1970 im Erfurter Hof mit dem Jubel der Erfurter für Willy Brandt wies bereits auf die Friedliche Revolution und deutsche Wiedervereinigung 1989/90 voraus. Mit der ersten Besetzung einer Stasi-Bezirksverwaltung am 4. Dezember 1989 hatte Erfurt ein DDR-weites Signal gesetzt. Dank der "Wende" konnte auch die 1988 geschlossene Städtepartnerschaft mit Mainz mit Leben erfüllt werden.
Heute ist Erfurt eine Großstadt von 215.000 Einwohnern mit beschaulicher Lebensqualität. Als Domstadt, Lutherstadt und Blumenstadt inmitten des Grünen Herzen Deutschlands, des Landes der Bratwurst und Klöße, zieht es viele Touristen an. Einen besonderen Charakter verleiht Erfurt, wenngleich der DDR-Städtebau nicht spurlos an ihm vorbeigegangen ist, seine weitgehend erhaltene Altstadt. Mit dem jüdischen Erbe ist es sogar für die Aufnahme auf die UNESCO-Welterbeliste vorgeschlagen. Die Umstrukturierung von der Industriestadt zur Dienstleistungs- und Verwaltungsstadt ist weitgehend vollzogen, neue Wirtschaftszweige weisen in die Zukunft. Dies gilt auch für den Kindermedienstandort, die 1994 wiedergegründete Universität und die Fachhochschule, das Bundesarbeitsgericht und die traditionsreiche Sportstadt. Zudem fand die alte Rolle Erfurts als „heimliche Hauptstadt“ Thüringens 1990 ihre Umwandlung zur Landeshauptstadt. Große Impulse verliehen das 2017 eingeweihte ICE-Drehkreuz Erfurt und die Bundesgartenschau 2021.
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Geschichte der Stadt Erfurt. Erfurt 2012 (5. Auflage 2019).
Steffen Raßloff: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021.
Siehe auch: Projekt Wissenschaftliche Stadtgeschichte, Lesetipps, Presseserien, Stadtmuseum, Museen, Geschichtsverein, Denkmale, Straßennamen, Stadtführungen