Erfurt und Preussen
Erfurt und Preußen
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (2015)
„Seit dich beschirmt das mächtige Zollernhaus“
ERFURT UND DIE PREUßEN (1): Vor 200 Jahren wurde der Wiener Kongress 1815 abgeschlossen, der Erfurt endgültig Preußen zusprach (13.06.2015)
Vor gut hundert Jahren herrschte in großen Teilen der Erfurter Bürgerschaft ein ausgesprochen preußischer Patriotismus. Besonders deutlich wurde dies bei der Preußen-Jahrhundertfeier am 21. August 1902, die an die Besitzergreifung der Stadt 1802 erinnerte. Ein umfangreiches Festprogramm bis hin zum kostümierten Umzug hielt die Stadt in Atem. Die immer wieder beschworene „alte Preußen-Treue“ schlug sich auch im lokalen Geschichtsbild deutlich nieder. In der Festzeitschrift heißt es in erhabenen Reimen: „Im Herzen Deutschlands pulste dein Bürgerfleiß, / Und aus dem Keim schoß schwellend das schönste Reis, / Da Handel und Gewerb` im Bunde / Dich schuf zum Vorort auf deutschem Grunde. / Dann kam der Frost, der arg deine Kraft versehrt: / Voll auszureifen wurde dir nicht beschert; / Bis endlich, spät dein Leid zu sühnen, / Wieder dir wurde ein neues Grünen. / Das brach aus alten Trieben von frischem aus, / Seit dich beschirmt das mächtige Zollernhaus.“
Weniger poetisch gesagt: Auf die mittelalterliche Blütezeit Erfurts folgte der frostige Niedergang als kurmainzische Provinzstadt ab 1664, worauf wiederum mit dem Übergang an Preußen 1802 herrliche Zeiten des Wachstums folgten. Besonders das Bürgertum sah in dem Anschluss an die aufstrebende deutsche Großmacht unter den Hohenzollern-Königen, die 1871 auch deutsche Kaiser wurden, eine wesentliche Voraussetzung für den Aufstieg Erfurts zur modernen Industriegroßstadt. Sicher ist das nicht ganz falsch, wenngleich man heute die Rolle Preußens durchaus differenzierter betrachtet. Eine wichtige Zäsur der Stadtgeschichte an der Schwelle zur Moderne ist der Übergang an den Hohenzollern-Staat auf jeden Fall.
Allerdings war der Start der erst 1945 endenden „Preußenzeit“ etwas holprig. Kurz nachdem seit Sommer 1802 preußische Soldaten und Beamte keineswegs immer zur Begeisterung der Bevölkerung die neue Landesherrschaft zu errichten begonnen hatten, war Selbige auch schon wieder vorbei. Nach der Schlacht von Jena und Auerstedt 1806 rückten Napoleons siegreiche Truppen ein. Bis 1814 firmierte die Stadt nun als „Kaiserliche Domäne“ unter französischer Besatzung. Nach der Niederlage des Kaisers der Franzosen wurde auf dem Wiener Kongress 1814/15 Europa neu geordnet. Mit der Unterzeichnung der Kongressakte in Wien am 9. Juni 1815 jährt sich dieses auch für Erfurt wichtige historische Ereignis nun zum 200. Male.
Die Stadt fiel erneut an Preußen, das zu den großen Gewinnern der europäischen Friedensreglungen zählte. Dabei musste es sich allerdings mit dem Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach einigen, das ebenfalls ein Auge auf Erfurt geworfen hatte. Als Kompromiss fielen große Teile des ehemaligen Erfurter Landgebietes an den Großherzog im benachbarten Weimar. Die verstreuten preußischen Gebiete in Thüringen von Nordhausen und dem Eichsfeld bis Schleusingen und Ziegenrück wurden zum Regierungsbezirk Erfurt zusammengefasst, der seinen Sitz in der heutigen Staatskanzlei am Hirschgarten erhielt. Hieran erinnert noch der Name Regierungsstraße. (Foto: preußisches Wappen an der Neuen Hauptwache auf dem Petersberg, Alexander Raßloff)
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Lesetipps:
Steffen Raßloff: Unterm mächtigen Zollernhaus. Das preußische Erfurt. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 68 f.
Steffen Raßloff: Landesbewusstsein und Geschichtsbild im preußischen Thüringen. Das Erfurter Bürgertum 1871-1918. In: Mathias Werner (Hg.): Im Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik. 150 Jahre Landesgeschichtsforschung in Thüringen. Köln/Weimar/Wien 2005. S. 45-64.
Siehe auch: Erfurt und Preußen, Geschichte der Stadt Erfurt
Thüringer Allgemeine vom 30.04.2020 (zum Lesen anklicken)