Bevölkerungsentwicklung in Erfurt
Bevölkerungsentwicklung in Erfurt
Erfurts Einwohnerzahl und deren ethnisch-kulturelle Zusammensetzung hat sich in Laufe der Jahrhunderte immer wieder gewandelt. Allerdings gab es dabei keineswegs nur einen kontinuierlichen Wachstumsprozess.
Es geht wieder bergauf mit der Einwohnerzahl in Erfurt. Damit wird auch der Wohnraum zunehmend knapper, während man noch vor wenigen Jahren ganze Straßenzüge in den Plattenbaugebieten abgerissen hat. Hier zeigt sich eine demographische Kehrtwende, wie es sie schon oft in der Geschichte unserer Stadt gegeben hat. Zwar leben heute etwa zehnmal so viele Menschen in Erfurt wie im Mittelalter. Dies ist aber keineswegs das Ergebnis eines geradlinigen Prozesses. Die Entwicklung war vielmehr gekennzeichnet von Perioden des Wachsens und des Schrumpfens.
Dass Erfurt immer schon die größte und wichtigste Stadt Thüringens war, lässt bereits bei seiner ersten urkundlichen Erwähnung durch den Missionar Bonifatius 742 erkennen. Dieser wollte in der „Stadt heidnischer Bauern“ den Sitz eines neuen Bistums ansiedeln, was auf den Zentralortcharakter hinweist. Wie viele Einwohner „Erphesfurt“ damals hatte, lässt sich nicht sagen. Wir wissen aber, dass sich die „Metropolis Thuringiae“ zu einer der größten Städte des Mittelalters in Deutschland entwickelte. Mit knapp 20.000 Einwohnern war sie eine echte mittelalterliche Großstadt, die nur wenige Metropolen wie Nürnberg, Köln oder Lübeck übertrafen. Doch konnten v.a. Krankheiten wie die Pestepidemien um die Mitte des 14. Jahrhunderts die Bevölkerung zeitweise deutlich schrumpfen lassen.
Ein Einschnitt war der Verlust der Autonomie durch den Mainzer Erzbischof 1664. Zudem halbierte die Pest die Einwohnerzahl 1683 auf 7000. Die kurmainzische Provinzstadt sollte sich hiervon nur langsam erholen. Sie zählte am Ende des 18. Jahrhunderts gerade wieder 17.000 Seelen. Im 19. Jahrhundert ging es nach dem Landeswechsel an Preußen zunächst allmählich, dann aber mit der Industrialisierung rasant voran. Der nächste entscheidende Impuls war die Aufhebung der Festung 1873. Bis dahin hatte sich das Leben der Menschen über Jahrhunderte innerhalb des Mauergürtels abgespielt. Das nun in alle Himmelsrichtungen wachsende Erfurt erreichte 1906 den Status einer Großstadt mit 100.000 Einwohnern.
Auch im 20. Jahrhundert hielt, nur kurz durch die Folgen der Weltkriege gehemmt, das Wachstum an. 1972 erblickte der Bürger Nummer 200.000 das Licht der Welt. Die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 schien nun diese Entwicklung wie fast überall im Osten dramatisch umzukehren. Abwanderung, Geburtenrückgang und Abzug ins Umland ließen die Einwohnerzahl von 220.000 erstmals im Jahre 2002 auf unter 200.000 fallen. Aber auch dieser scheinbar unaufhaltsame, von Experten in beängstigender Form prognostizierte Schrumpfungsprozess hat sich langsam, aber deutlich umgekehrt. Aktuell zählt Erfurt, maßgeblich auch durch den Zuzug von Migranten aus aller Welt (s.u.), wieder rund 215.000 Einwohner.
Wie war es in all der Zeit um die ethnisch-kulturelle Beschaffenheit der Erfurter Bevölkerung bestellt? Schaut man genauer hin, so finden sich immer wieder Schübe von Zuwanderungen aus dem thüringischen Umfeld, aus anderen Teilen Deutschlands, aber auch aus dem Ausland. Schon die Urgeschichte war ein großer Migrationsprozess. Später folgten Kelten, Germanen, Thüringer und Franken aufeinander oder verbanden sich zu neuer Einheit. Über Jahrhunderte lebten auch Slawen im Raum Erfurt. Hieran erinnern Ortsnamen wie Windischholzhausen, der auf die Wenden zurückgeht. Weitgehend friedlich vermischte sich der slawische Bevölkerungsteil schließlich mit den Deutschen. Bildhaften Ausdruck gefunden hat dies in Großbrembach nordöstlich von Erfurt. Dort erinnert ein zeitgenössisches Relief an den Zusammenschluss der slawischen und deutschen Gemeinde 1579. Es zeigt einen dunkel- und hellhaarigen Mann, die beide buchstäblich unter einen Hut gebracht wurden.
Die Lehmannsbrücke ist ein weiterer Hinweis auf frühe Mitbürger mit Migrationshintergrund. Sie gilt als älteste Brücke Erfurts, auch wenn man dies dem Neubau von 1977 nicht ansieht. Der Sage nach soll sie ein Schäfer Lehmann errichtet haben. Tatsächlich aber verweist die 1108 erstmals erwähnte „Liepwinisbrucca“ wohl auf den Heiligen Lebuin von Deventer. Hieraus hat man auf die Ansiedlung friesischer Kaufleute aus den heutigen Niederlanden geschlossen, die auch Knowhow in Sachen Wasser- und Gartenbau besaßen. Überhaupt war der Erzbischof von Mainz als Stadtherr sehr am Zuzug von Neubürgern „ungeachtet ihrer Herkunft und ihres Standes“ interessiert. Sie brachten die Entwicklung Erfurts zur Mittelaltermetropole mit voran. Ähnliches gilt auch für die jüdische Gemeinde, die bis zum blutigen Pogrom von 1349 zu den größten des Reiches zählte. Ihre Hinterlassenschaften rund um die Alte Synagoge sind so bedeutend, dass sie Erfurt bald auf die UNESCO-Welterbeliste bringen könnten. Später wäre etwa die rasante Entwicklung zur Industriegroßstadt um 1900 ohne zahlreiche Neubürger nicht möglich gewesen.
Zu den Zuwanderern gehörten auch Kriegsflüchtlinge im Zweiten Weltkrieg 1939-1945. Heimatvertriebene aus den deutschen Ostgebieten jenseits von Oder und Neiße sowie aus dem Sudetenland und Südosteuropa lebten seit 1945 teils über Jahre unter primitiven Verhältnissen; eines der großen Lager in der Defensionskaserne auf dem Petersberg bestand bis 1949. Laut Sozialamt durchliefen rund 670.000 Menschen diese Notunterkünfte. Dabei ging es nicht ohne Spannungen ab, aber letztlich fanden alle Flüchtlinge ihren Platz. Für einige von ihnen sollte Erfurt zur neuen Heimat werden. Darunter waren auch Katholiken, wie der Schlesier Joachim Wanke, späterer Bischof von Erfurt. Seit den 1990er-Jahren ließen sich zahlreiche deutschstämmige Spätaussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion nieder; auch meist gut integrierte Vertragsarbeiter der DDR-Zeit unter anderem aus Vietnam und Kuba blieben im Lande.
Trotz alledem stellt die jüngste Massenzuwanderung aus Westasien und Afrika eine singuläre Entwicklung dar, die die bisher ethnisch-kulturell weitgehend homogene Bevölkerung zunehmend verändert. Der Ausländeranteil unter den 214.174 Einwohnern (2020) hat sich von 2010 (6.338 / 3,2%) über 2015 (12.739 / 6%) bis 2020 (20.007 / 9,3%) mehr als verdreifacht (www.erfurt.de). In einigen Stadtteilen ist er noch deutlich höher; so leben im Rieth 27,8% Ausländer. Die Herausbildung von orientalisch-muslimischen Parallelgesellschaften lässt sich im Stadtbild bereits deutlich erkennen. Symbol hierfür ist auch die Errichtung der ersten repräsentativen Moschee Thüringens durch die Ahmadiyya-Gemeinde in Marbach im Rahmen eines „100-Moscheen-Projektes“ für Deutschland. Jene rasanten Entwicklungen werden von Teilen der indigenen deutschen Mehrheitsbevölkerung durchaus mit Sorge betrachtet. Zudem ist in Erfurt "jeder fünfte Tatverdächtige Ausländer" (Thüringer Allgemeine vom 07.04.2021). Das Vertrauen in den Rechtsstaat wird auch durch die Abschiebepraxis unterhöhlt. So wurden 2021 lediglich 210 ausreisepflichtige Menschen aus Thüringen abgeschoben, während 760 Abschiebungen erfolglos abgebrochen und zahlreiche weitere ausgesetzt wurden (Thüringer Allgemeine vom 30.12.2021).
Einwohnerentwicklung im Überblick:
1250 18.000 | 1500 18.000 | 1600 18.000 | 1648 13.000 | 1684 7000 | 1700 14.000 | 1750 16.000 | 1800 17.000 | 1850 33.000 | 1871 44.000 | 1906 100.000 | 1950 190.000 | 1972 200.000 | 1989 220.000 | 2000 200.000 | 2002 199.900 | 2005 210.000 | 2020 215.000
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Geschichte der Stadt Erfurt. Erfurt 2012 (5. Auflage 2019).
Steffen Raßloff: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Einwohnerentwicklung am Kriegsende 1945