Museen in Erfurt
Museen in Erfurt
Erfurt verfügt über eine seit dem 19. Jahrhundert gewachsene facettenreiche Museumslandschaft, die sich vor allem bürgerschaftlichem Engagement verdankt. Sie gilt als "kulturelles Gedächtnis" der Stadt.
Erfurt hat keinen Louvre, keine Eremitage, kein Grünes Gewölbe, das die Massen aus aller Welt magisch anziehen würde. Auch mit den ehemaligen Residenzstädten im näheren Umfeld, mit deren pompösen Schlössern und Museen kann es nicht konkurrieren. Aber das muss es auch gar nicht. Erfurt hat nämlich eine aus bürgerschaftlichem Engagement heraus gewachsene städtische Museumslandschaft mit Einrichtungen aus allen wichtigen Sparten: ein Kunstmuseum im barockem kurmainzischen Prachtbau (Foto: Alexander Raßloff), ein Geschichtsmuseum und Naturkundemuseum in Waidjunkerhäusern, ein Volkskundemuseum im historischen Hospital und eine Reihe weiterer interessanter Objekte. Ein besonderes Highlight kam erst vor wenigen Jahren mit der Alten Synagoge hinzu, wo der einzigartige Erfurter Schatz präsentiert wird. Sie zählt seit 2023 mit Mikwe und Steinernem Haus zum UNESCO-Weltkulturerbe. Und eine nationale Besonderheit ist natürlich auch das Deutsche Gartenbaumuseum im egapark, 2021 Schauplatz der Bundesgartenschau in der Blumenstadt. Die Erfurter Museen bilden also ein umfassendes kulturelles Gedächtnis der Stadt.
Eine Streiftour kann in der „guten Stube“ der Stadt, auf dem Anger beginnen. Dort befindet sich mitten im größten Trubel der beliebten Einkaufsmeile, an der Kreuzung zur Bahnhofstraße, das Angermuseum Erfurt – Kunstmuseum der Landeshauptstadt. Der 1712 eingeweihte kurmainzische Pack- und Waagehof mit seiner reich verzierten Barockfassade gehört zu den schönsten Bauwerken der Stadt. Hier wurde gewissermaßen als Ursprungsort der Erfurter Museumslandschaft 1886 eine Gemäldegalerie eröffnet. Im Laufe der Zeit wuchsen die Bestände auch aus vielen anderen Sammlungsbereichen so stark an, dass man schrittweise ein eigenes Geschichtsmuseum, Volkskundemuseum und Naturkundemuseum einrichtete. So konnte sich das Angermuseum zu einem klassischen Kunstmuseum entwickeln.
Heute beherbergt es neben regelmäßigen Sonderausstellungen vor allem mittelalterliche Kunst, eine Gemäldegalerie deutscher Landschaftsmalerei, Stillleben und Porträts, Kunsthandwerk und einen umfangreichen Bestand an Grafik und Handzeichnungen. Ein kapellenartiger Raum im Erdgeschoss erinnert an die Blütezeit als Brennpunkt der kulturellen Moderne in den 1920-er Jahren. Der Wandbildzyklus „Lebensstufen“ des Expressionisten Erich Heckel verdankt sich dem Museumsdirektor Walter Kaesbach und der Unterstützung durch den Erfurter Mäzen Alfred Hess. Beide hatten auch wesentlichen Anteil daran, dass in Erfurt eine der bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus mit Werken von Lyonel Feininger, Emil Nolde, Ernst Barlach, Gerhard Marcks, Max Pechstein und vielen anderen entstand. Diese einzigartige Sammlung fiel freilich der NS-Barbarei in der Aktion „Entartete Kunst“ 1937 zum Opfer, was den wohl dramatischsten Verlust der Erfurter Kunstgeschichte darstellt. Zu den Kunstmuseen gehören auch die Kunsthalle Erfurt am Fischmarkt, direkt gegenüber vom Rathaus, das Forum Konkrete Kunst in der Peterskirche und einige weitere Einrichtungen.
Kaum weniger prächtig anzusehen als das Angermuseum ist das nur wenige Gehminuten entfernte Stadtmuseum „Haus zum Stockfisch“ in der Johannesstraße. Es präsentiert die Stadtgeschichte buchstäblich vom ältesten Faustkeil bis ins 20. Jahrhundert. Den Renaissancebau mit seiner charakteristischen Fassade hatte ab 1607 der reiche Waidjunker Paul Ziegler errichtet. Hier war 1974 das Museum für Stadtgeschichte entstanden, das 1994 nach umfassender Neugestaltung als Stadtmuseum erneut seine Pforten öffnete. Im „Stockfisch“ kann man die Mittelaltermetropole, die älteste Universität Deutschlands und geistige Prägestätte Martin Luthers hautnah erleben. Es werden viele Zeugnisse der Blütezeit präsentiert, etwa die Ausstattungsstücke des Alten Rathauses mit dem Ratssilber, die Universitäts-Insignien und Luthers Schreibkasten. Die Ausstellung zeichnet aber auch den Wandel zur Industriegroßstadt nach. Weitere Anziehungspunkte bilden ein multimedialer Film zur Stadtgeschichte, ein Museumskino sowie Modelle zur Stadtbildentwicklung.
Dem Stadtmuseum zugeordnet sind unter anderem das Museum Neue Mühle in der Schlösserstraße und die Wasserburg Kapellendorf bei Weimar, die Erfurt einst als Reichslehen praktisch den Ruf einer Reichsstadt einbrachte. Vom Bartholomäusturm herab, einem der letzten gotischen Baudenkmale am Anger, erklingt regelmäßig ein Carillon. Es wurde zum 30. „Republikgeburtstag“ 1979 stolz als größtes Glockenspiel der DDR eingeweiht. Im ehemaligen Bürohaus eines Erfurter Unternehmens in der Weimarischen Straße befindet sich der Erinnerungsort Topf & Söhne – Die Ofenbauer von Auschwitz“. Dort werden die Verstrickungen der Wirtschaft in die Verbrechen des Holocaust dargestellt. Die Firma „Topf & Söhne“ hatte während des Dritten Reiches mit viel Eigeninitiative die Krematorien für die Konzentrationslager der SS von Buchenwald bis Auschwitz gebaut.
Das 1922 gegründete Naturkundemuseum gehört zu den beliebtesten Einrichtungen in Erfurt. Es war einst im „Haus zum Stockfisch“ beheimatet, musste dort aber für das Geschichtsmuseum weichen. Nach langer Obdachlosigkeit konnte 1995 das heutige Domizil in der Großen Arche bezogen werden. Und der Umzug hat sich gelohnt. Als Symbol des Lebens und Markenzeichen des Museums ragt eine 350-jährige Stiel-Eiche durch die vier Etagen, die den Tieren, Pflanzen und Gesteinen Thüringens gewidmet sind. Bei Jung und Alt besonders gut kommen die aktiven Angebote an, etwa die Möglichkeit Vogelstimmen zu erraten. Neben zahlreichen Nachbildungen von Lebensräumen und täuschend echten Tierpräparaten finden sich auch lebendige Museumsbewohner, die es zu entdecken gilt. Im Keller erwartet den Besucher nach einer glitzernden Mineraliensammlung ein schwankender Schiffskörper, die „Arche Noah“. Passagiere sind wie in der biblischen Erzählung Tiere aus aller Herren Länder, Raubtiere friedlich neben ihrer Beute. Die Arche möchten die Museumsmacher als Symbol für die Bewahrung der Artenvielfalt auf unserer Erde verstanden wissen.
Das 1955 eröffnete Museum für Thüringer Volkskunde ist sehr bemüht, den Ruf einer etwas verstaubten Wissenschaft Lügen zu strafen. Im ehemaligen Herrenhaus des Großen Hospitals am Juri-Gagarin-Ring wird vermittelt, wie „die ‚kleinen Leute‘ im Thüringen der vergangenen 200 Jahre arbeiteten und lebten, wohnten und feierten, sich kleideten, wie sie geboren wurden und starben, was man aß und trank, wem man vertraute oder auch nicht, wonach man sich sehnte“. Als Mitfahrgelegenheit in frühere Tage dient der „Jahrhundertschrank“ mit zahlreichen Schubfächern. Deren Inhalt – Objekte, Klänge, Bilder – führen durch das Haus mit seinen spannenden Ausstellungen und vielfältigen Veranstaltungen.
Für die Bundesgartenschau 2021 wurde im historischen Kommandantenhaus der Zitadelle und in einem modernen Empfangszentrum eine muldimediale Ausstellung zur Geschichte des Petersbergs eröffnet. Auch die Zitadelle Cyriaksburg im egapark erhielt zur Buga eine neue Tafelausstellung zu ihrer Geschichte im Aussichtsturm. Ebenfalls 2021 präsentierte die Agentur actori ein neues Museumskonzept, in das auch die Defensionskaserne auf dem Petersberg einbezogen wurde. Dort sollte aus den Beständen von Stadt- und Volkskundemuseum ein neues Kulturhistorisches Museum entstehen. Stattdessen hat sich jedoch die linke Stadtratsmehrheit 2023 für eine kleine Pop-Up-Ausstellungshalle in der Kaserne entschieden, die ohne eigenes museales Profil Raum für externe Ausstellungsprojekte bieten soll. Damit bleibt die Zukunft von Stadt- und Volkskundemuseum mit Blick auf das künftige Kulturhistorische Museum ungewiss.
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Die Erfurter Museen. Kulturgeschichte im Spannungsfeld von Gesellschaft und Politik. In: Stadt und Geschichte 18 (2003). S. 24 f.
Steffen Raßloff (Hg.): Stadtmuseum "Haus zum Stockfisch". Stadt - Haus - Geschichte. Erfurt 2024.
Siehe auch: Museen auf erfurt.de, Geschichte der Stadt Erfurt