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Version vom 3. Mai 2012, 12:47 Uhr
Bauhausjubiläum 2009 - Erfurt in der Weimarer Republik
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2008/09)
Dramatisch-schillernde Epoche
Bauhausjubiläum 2009: Das kommende Kulturjahr lenkt den Blick auf die Zeit der Weimarer Republik
Erfurt verkörpert beispielhaft jene dramatisch-schillernde Epoche. Zerrissen von Krisen und gesellschaftlichen Spannungen bis hin zum Bürgerkrieg, war es zugleich in den Goldenen Zwanzigern ein Brennpunkt moderner Kultur und städtebaulichen Aufschwungs. Hierauf macht eine neue TA-Serie aufmerksam.
Denkt man die Weimarer Republik, dann kommen einem Straßenkämpfe, Demonstrationen und uniformierte Parteiarmeen ebenso in den Sinn wie moderne Kunst und Architektur, Kinoklassiker oder große Städtebauprojekte. In der 130.000 Einwohner zählenden Industriegroßstadt Erfurt gipfelten Spannungen zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft seit der Novemberrevolution 1918 im blutigen Kapp-Putsch vom März 1920. In den letzten Jahren der Republik gehörten Schlägereien und Straßenschlachten zwischen Nazis und Kommunisten zum Alltag. Nach nicht einmal anderthalb Jahrzehnten ging die erste deutsche Republik 1933 in der NS-Diktatur unter.
Bei so manchem Erfurter verklärte sich in jenen unruhigen Zeiten das 1918 untergegangene Kaiserreich zur “guten, alten Zeit”. Dies war der Nährboden für den Auftritt des „falschen Prinzen“ Harry Domela, der 1926 als Prinz Wilhelm von Preußen im Erfurter Hof logierte. Freilich orientierten sich immer mehr Bürger politisch um. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise seit 1929 kam es zu einer förmlichen Flucht in die nationale Volksgemeinschaft der Nationalsozialisten. Dieser Rechtsruck war im November 1929 erstmals drastisch offenbar geworden. Der vorbestrafte Antisemit und Wochenblatt-Herausgeber Adolf Schmalix hatte die Kommunalwahl gewonnen. „Erfurt begeht moralischen Selbstmord“, vermeldeten die Zeitungen in ganz Deutschland.
Das kommende Kulturjahr wird aber zeigen, dass Erfurt in der Weimarer Republik keineswegs nur für Bürgerkrieg und politischen Radikalismus steht. Vielmehr spielte die vom liberalen Oberbürgermeister Bruno Mann geführte Stadt im Kulturleben jener Zeit eine weithin beachtete Rolle. Erfurt stand nicht nur in engem Austausch mit dem 1919 gegründeten Weimarer Bauhaus, sondern entwickelte sich selbst zu einem nationalen Brennpunkt moderner Kultur. Das heutige Angermuseum konnte unter den Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine der größten und bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus aufbauen.
Auch der Städtebau der Weimarer Republik hat Erfurt bis heute sichtbare Impulse verliehen. Die Vollendung des Nordparks mit dem Nordbad und der Stadion-Komplex waren wegweisende Großvorhaben. Die öffentlichen Bauten und Wohnviertel im Bauhausstil prägen das Stadtbild, das deutlich mehr Bauhaus zu bieten hat als etwa Weimar. Mit dem Flughafen am Roten Berg begann ein neues Kapitel der Verkehrsgeschichte, das Auto wurde zum Massenverkehrsmittel, Busverbindungen rückten das Umland näher an die Stadt heran. Das ausgebaute Kaufhaus Römischer Kaiser am Anger (Anger 1, Abb. Stadtmuseum, Dirk Urban) erzielte in den 1920er Jahren Rekordumsätze, in den Hotels, Restaurants und Varietés herrschte Hochbetrieb, das Leben pulsierte in jenen “Goldenen Zwanzigern”.
(TA vom 15.11.2008)
Die Beiträge:
> Angermuseum Erfurt Expressionismus
> Bauhaus-Architektur in Erfurt
> Stadtmarketing Weimarer Republik
Der gefragteste Stadtrat
Bauhausjubiläum 2009 (8): Stadtbaurat Ludwig Boegl prägte das Baugeschehen in den 1920er Jahren
Kein anderer hat die Stadtentwicklung der Weimarer Republik so geprägt wie Stadtbaurat Ludwig Boegl. Er steht für das reformorientierte “neue Bauen”, leitete viele der wegweisenden Projekte und gab der Bauverwaltung zeitgemäße Strukturen.
Sein ehemaliger Mitarbeiter Otto Stade hat Ludwig Boegl einmal den “meist gefragten Stadtrat” von Erfurt bezeichnet. Er war rastlos bei der Erfüllung seiner Aufgaben im Erfurter Baugeschehen und gab ihm moderne Ämterstrukturen. Kaum ein größeres Bauprojekt, das nicht über seinen Schreibtisch gegangen wäre. Wenn Bürger Rat brauchten, kamen sie zu ihm. 1913 hatte Boegl für Baulustige erstmals eine Beratungsstelle geschaffen, in der Bauanträge für eine erfolgreiche Einreichung fit gemacht werden konnten.
Der Wahl-Erfurter Boegl stammte unverkennbar aus dem Bayrischen. Geboren 1880 in Neumarkt in der Oberpfalz, hatte er an der Technischen Hochschule München studiert. In den Hochbauämtern Nürnberg, Würzburg und Frankfurt/M. sammelte er wichtige Erfahrungen in aufblühenden Großstädten der späten Kaiserzeit. 1906 verschlug es ihn schließlich als Polizeibaumeister nach Erfurt, das sich gerade zur pulsierenden Industriegroßstadt entwickelte und in eben jenem Jahr die 100.000-Einwohner-Grenze überschritt. Eine echte Herausforderung für den jungen Diplomingenieur. Rasch kletterte Boegl auf der Karriereleiter und erreichte 1920 das Amt eines Stadtbaurates mit Sitz und Stimme im Magistratskollegium.
In dieser Position drückte Ludwig Boegl dem Baugeschehen in der Weimarer Republik seinen Stempel auf. Die großen städtebaulichen Projekte wie der Nordpark mit Nordbad und der Komplex um das heutige Steigerwaldstadion entstanden unter seiner Leitung. Markante öffentliche Gebäude wie das Große Hospital am Ring, die Chirurgische Klinik (heute Frau-Mutter-Kind-Zentrum), der Rathaus-Erweiterungsbau mit Sparkasse oder das heutige Heinrich-Mann-Gymnasium Zur Himmelspforte trugen seine Handschrift. Im Angermuseum betreute der künstlerisch-musisch interessierte Ingenieur die wegweisende Freilegung und museale Nutzung der großen Erdgeschosshalle und sorgte für die Wiederherrichtung des historischen Festsaales im Collegium maius der Alten Universität.
Erfurt verdankt Boegl aber nicht nur diese großen Bauvorhaben, sondern auch wichtige Impulse in Sachen Stadtplanung und -erweiterung, für die er eigens ein Amt einrichtete. Die Stadterweiterung im modernen Reformgeist der Zeit fand in ihm einen nachhaltigen Fürsprecher. Eine durchgrünte Stadt, Gartenstadt-Siedlungen, moderner Wohnungsbau im Bauhausstil, aber auch neue Industrieansiedlungen und Verkehrprojekte bis hin zum Flughafen am Roten Berg charakterisieren die Ära Boegl. Freilich musste Boegl auch noch miterleben, wie viele, teils wertvolle historische Bauten seiner Stadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Nach Kriegsende 1945 schied er aus dem Amt, arbeitete aber bis zu seinem Tode 1952 als unverzichtbarer Experte in der Erfurter Bauverwaltung.
(TA vom 17.01.2009)
Blumen-, Luther- und Domstadt
Bauhausjubiläum 2009 (9): Stadtmarketing spielte schon in den 1920ern eine wichtige Rolle
Erfurt als Tourismus- und Kongressstadt zu präsentieren war auch schon in den 1920er Jahren ein wichtiges Anliegen der Stadt. Die Verantwortlichen machten sich dabei noch nicht auf die Suche nach dem einzigen “Alleinstellungsmerkmal”, wie sie heute in zyklischen Abständen von Touristikern und Politikern unternommen wird.
“Erfurt. Blumen-, Luther- und Domstadt” - unter diesem Titel gab das Erfurter Verkehrsamt seit den 1920ern in mehreren Auflagen ein handliches Büchlein heraus, in dem Besuchern der Stadt reich illustrierte Informationen zu Kultur, Geschichte und Sehenswürdigkeiten, aber auch viele praktische Hinweise gegeben wurden. Beigelegt war ein übersichtlicher Stadtplan, der die Orientierung leicht machte. In vielerlei Hinsicht bewegte sich diese Publikation bereits auf dem Niveau heutiger Tourismusbroschüren oder Stadtführer.
Interessant sind die Schwerpunkte der Präsentation Erfurts, die man heute mit den Schlagworten Tourismus und Marketing umschreiben würde. Nicht ohne einen gewissen Überschwang heißt es einleitend: “Die zwölfhundertjährige Blumen-, Luther- und Domstadt ist als eine der interessantesten und schönsten deutschen Fremdenstädte bekannt. Sie bietet eine unendliche Fülle bedeutender und seltener Sehenswürdigkeiten für jeden und die verschiedensten Interessengebiete. Wundervolle Natur und alte Kultur, traditionsreiche Geschichte und vielseitiges neuzeitliches Schaffen verbinden sich zu seltener Harmonie.”
Deutlich wird also im Gegensatz zur heutigen Suche nach dem “Alleinstellungsmerkmal” die Betonung der Vielseitigkeit. Die im Dom symbolisierte Mittelaltermetropole wird ebenso wie die herausragende Rolle im Leben des großen Reformators Luther betont. Hinzu kommt das seinerzeit noch weit präsentere Aushängeschild als Blumenstadt, die nicht nur den Weltmarkt mit beherrschte, sondern auch das Gesicht der Stadt nachhaltig prägte. Im Stadtplan werden “sehenswerte Gärtnereien” und ihre endlosen Blumenfelder mit fetten grünen Kreisen unter den touristischen Anlaufpunkten besonders hervorgehoben. Auch die Anfänge des heutigen egaparkes rund um die Cyriaksburg sind stolz ausgewiesen. Daneben nimmt die Wirtschaft, anders als heute, einen wichtigen Platz in der Präsentation ein. Mit großen Lettern prangt etwa über dem Betriebsgelände von Topf & Söhne das Prädikat “Weltruf”.
Auffällig spricht aus dem Büchlein auch der Stolz der pulsierenden Industriegroßstadt auf die städtebauliche Entwicklung der “Goldenen Zwanziger”. Unter großen Fotos der neuen Komplexe im Hanseviertel und von Bürohäusern wie dem DHV-Haus (Anger Entree) werden “großzügige neuzeitliche Wohnsiedlungen und Geschäftsbauten” angepriesen. Natürlich fehlt der 1925 eröffnete Flughafen als Drehkreuz für ganz “Südmitteldeutschland” nicht. Die Mitteldeutsche Kampfbahn als eines der größten und modernsten Stadien wird ebenso wie das Nordbad als “ausgezeichnete Pflegestätte” des Sports gerühmt. Der bevorstehende Umbau des Steigerwaldstadions und die Sanierung des Nordbades zeigen, welch zukunftsweisende Projekte in jener Zeit umgesetzt wurden. Sie gehören auch heute noch, nicht nur im Bauhausjahr 2009, zum Selbstverständnis der modernen thüringischen Metropole, die sich kaum auf eine Blumen-, Luther- und Domstadt oder gar nur auf eines dieser Prädikate reduzieren lässt.
(TA vom 24.01.2009)
Die verhinderte Erfurter Republik
Bauhausjubiläum 2009 (10): Erfurt bewarb sich 1918 erfolglos als Sitz der Nationalversammlung
Die Weimarer Republik hätte auch eine Erfurter Republik werden können. Die Bewerbung als Sitz der Nationalversammlung nach der Novemberrevolution 1918 scheiterte jedoch. Die Verfassung der ersten deutschen Republik wurde statt dessen im benachbarten Weimar ausgearbeitet.
Das Bauhausjubiläum 2009 rückt auch die Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung vom Juli 1919 in den Fokus der Erinnerungskultur. Dabei sollte man sich eine fast schon vergessene Episode der Erfurter Stadtgeschichte in Erinnerung rufen, die weitreichende Folgen hätte haben können. Sieben Jahrzehnte nach dem Erfurter Unionsparlament von 1850 nahm die “heimliche Hauptstadt” Thüringens noch einmal Anlauf, deutsche Hauptstadt- bzw. Parlamentswürden zu erlangen.
Infolge der Novemberrevolution 1918 galt es, dem Deutschen Reich eine neue Verfassung zu geben. Diese Aufgabe sollte eine Nationalversammlung übernehmen, für die man angesichts der Unruhen in Berlin einen Tagungsort suchte. Eine Reihe von Städten bewarb sich hierfür, darunter auch Erfurt. Am 30. November 1918 bildete die Stadtverordnetenversammlung einen Ausschuss, auf dessen Initiative hin der Magistrat am 5. Dezember einen Brief an den Volksbeauftragten Friedrich Ebert schickte: „Für die Tagung der Nationalversammlung, die nicht in Berlin, sondern in einer Stadt Mitteldeutschlands stattfinden soll, bringen wir Erfurt in Vorschlag. Die Versammlung würde in der hiesigen Predigerkirche stattfinden.“
In einem Schreiben vom selben Tag unterstützte auch der revolutionäre Erfurter Arbeiter- und Soldatenrat das Ansinnen der Stadtväter. Ausdrücklich verwies er „auf die historische Bedeutung Erfurts als Kongressort“, womit man „nicht nur das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie“ von 1891 meinte, sondern „auch sehr wichtige andere Kongresse, den Fürstenkongress im Jahre 1808 und das Vorparlament des Jahres 1848“. In der Folge übersandte der Magistrat Fotos und Pläne des Predigerkloster-Komplexes, skizzierte nötige Umbauarbeiten, listete Unterkunftsmöglichkeiten auf. Kurzzeitig herrschte freudige Erwartungshaltung. Die Lokalpresse griff positive Signale auf, etwa einen Artikel der „Münchener Neuesten Nachrichten“, der Erfurt sogar schon als „Die künftige Hauptstadt Deutschlands“ handelte.
Freilich ließ Berlin auf ein erstes Dankschreiben nichts mehr von sich hören. Daher drängte der Magistrat auf eine Entscheidung, da „die Zeit für die nötigen Bauausführungen kurz bemessen sein“ wird. Am 22. Januar 1919 musste der „Erfurter Allgemeine Anzeiger“ schließlich enttäuscht vermelden: „Weimar Ort der Nationalversammlung“. Wesentlich für die Entscheidung gegen Erfurt dürfte der Charakter als unruhige Großstadt mit einem Heer von Industrieproletariern gewesen sein – gerade davor war man aus Berlin gewichen. Die beschauliche Kultur- und Beamtenstadt Weimar dagegen galt als sicherer Zufluchtsort, und man konnte sich auf den humanistischen „Geist von Weimar“ berufen. So traten vor 90 Jahren, am 6. Februar 1919, die Abgeordneten der Nationalversammlung erstmals im Weimarer Hoftheater zusammen und verabschiedeten im Juli die Verfassung der Weimarer Republik – und nicht der Erfurter Republik.
(TA vom 31.01.2009)
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt in der Weimarer Republik