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Version vom 3. Mai 2012, 12:30 Uhr
Bauhausjubiläum 2009 - Erfurt in der Weimarer Republik
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2008/09)
Dramatisch-schillernde Epoche
Bauhausjubiläum 2009: Das kommende Kulturjahr lenkt den Blick auf die Zeit der Weimarer Republik
Erfurt verkörpert beispielhaft jene dramatisch-schillernde Epoche. Zerrissen von Krisen und gesellschaftlichen Spannungen bis hin zum Bürgerkrieg, war es zugleich in den Goldenen Zwanzigern ein Brennpunkt moderner Kultur und städtebaulichen Aufschwungs. Hierauf macht eine neue TA-Serie aufmerksam.
Denkt man die Weimarer Republik, dann kommen einem Straßenkämpfe, Demonstrationen und uniformierte Parteiarmeen ebenso in den Sinn wie moderne Kunst und Architektur, Kinoklassiker oder große Städtebauprojekte. In der 130.000 Einwohner zählenden Industriegroßstadt Erfurt gipfelten Spannungen zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft seit der Novemberrevolution 1918 im blutigen Kapp-Putsch vom März 1920. In den letzten Jahren der Republik gehörten Schlägereien und Straßenschlachten zwischen Nazis und Kommunisten zum Alltag. Nach nicht einmal anderthalb Jahrzehnten ging die erste deutsche Republik 1933 in der NS-Diktatur unter.
Bei so manchem Erfurter verklärte sich in jenen unruhigen Zeiten das 1918 untergegangene Kaiserreich zur “guten, alten Zeit”. Dies war der Nährboden für den Auftritt des „falschen Prinzen“ Harry Domela, der 1926 als Prinz Wilhelm von Preußen im Erfurter Hof logierte. Freilich orientierten sich immer mehr Bürger politisch um. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise seit 1929 kam es zu einer förmlichen Flucht in die nationale Volksgemeinschaft der Nationalsozialisten. Dieser Rechtsruck war im November 1929 erstmals drastisch offenbar geworden. Der vorbestrafte Antisemit und Wochenblatt-Herausgeber Adolf Schmalix hatte die Kommunalwahl gewonnen. „Erfurt begeht moralischen Selbstmord“, vermeldeten die Zeitungen in ganz Deutschland.
Das kommende Kulturjahr wird aber zeigen, dass Erfurt in der Weimarer Republik keineswegs nur für Bürgerkrieg und politischen Radikalismus steht. Vielmehr spielte die vom liberalen Oberbürgermeister Bruno Mann geführte Stadt im Kulturleben jener Zeit eine weithin beachtete Rolle. Erfurt stand nicht nur in engem Austausch mit dem 1919 gegründeten Weimarer Bauhaus, sondern entwickelte sich selbst zu einem nationalen Brennpunkt moderner Kultur. Das heutige Angermuseum konnte unter den Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine der größten und bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus aufbauen.
Auch der Städtebau der Weimarer Republik hat Erfurt bis heute sichtbare Impulse verliehen. Die Vollendung des Nordparks mit dem Nordbad und der Stadion-Komplex waren wegweisende Großvorhaben. Die öffentlichen Bauten und Wohnviertel im Bauhausstil prägen das Stadtbild, das deutlich mehr Bauhaus zu bieten hat als etwa Weimar. Mit dem Flughafen am Roten Berg begann ein neues Kapitel der Verkehrsgeschichte, das Auto wurde zum Massenverkehrsmittel, Busverbindungen rückten das Umland näher an die Stadt heran. Das ausgebaute Kaufhaus Römischer Kaiser am Anger (Anger 1, Abb. Stadtmuseum, Dirk Urban) erzielte in den 1920er Jahren Rekordumsätze, in den Hotels, Restaurants und Varietés herrschte Hochbetrieb, das Leben pulsierte in jenen “Goldenen Zwanzigern”.
(TA vom 15.11.2008)
Die Beiträge:
> Angermuseum Erfurt Expressionismus
> Bauhaus-Architektur in Erfurt
> Stadtmarketing Weimarer Republik
Traditionsreiches Freizeitparadies
Baushausjubiläum 2009 (5): Das Nordbad ist eines der größten Reform-Volksbäder der Zwanziger Jahre
Das 1925 eröffnete Nordbad war seinerzeit eines der modernsten Freibäder Deutschlands. Zusammen mit dem Nordpark erhöhte es die Lebensqualität im Norden Erfurts. Momentan wird das Freizeitparadies saniert, wobei das 1929 errichtete Eingangsgebäude im Bauhaus-Stil abgerissen wird.
1927 vermeldete eine renommierte Architektur-Fachpublikation, das zwei Jahre zuvor eröffnete Volksbad im Erfurter Nordpark sei „eine Musteranlage“ und eines der „schönsten Freibäder unseres Vaterlandes“. Zugleich war es eines der großzügigsten, was im Vergleich mit den älteren Erfurter Bädern, dem Espach- und Dreienbrunnenbad etwa, sehr deutlich wird. Das Nordbad gehörte zu einem ehrgeizigen städtebaulichen Modernisierungsprogramm, das in der späten Kaiserzeit geplant worden war. Vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges verhindert, konnte der „Kaiser-Wilhelm-Park“ erst nach 1918 als Nordpark realisiert werden. Hierin eingebettet, nutzten 1925 erstmals Badelustige beiderlei Geschlechts das neue Volksbad.
Das Nordbad atmete als weitläufige Anlage mit großem Schwimmbecken beispielhaft den Reformgeist der 1920er Jahre. Es sollte zur „Hebung der Volksgesundheit“ besonders unter den Arbeitern und Kleinbürgern des Nordens der Stadt beitragen. So war es nicht zuletzt den Kindern dieser unterprivilegierten Bevölkerungsgruppen möglich, in den Sommermonaten einer sinnvollen und gesunden Freizeitgestaltung nachzugehen. Es diente aber auch dem Leistungssport als Trainings- und Wettkampfstätte, wie mehrfache nationale und internationale Schwimmmeisterschaften zeigen.
Damit fügt sich das Nordbad in die großen Bau- und Gestaltungsprojekte der Weimarer Republik ein. Das “architektonische Gesamtkunstwerk”, wie es Denkmalpfleger Martin Baumann würdigt, hat dank der modernen, zukunftsweisenden Konzeption über Generationen seine Aufgabe bestens erfüllt. Jedoch in jüngster Vergangenheit zunehmend auf Verschleiß gefahren, musste das Bad 2006 wegen gravierender technischer und baulicher Mängel schließen. Zwischenzeitlich wurde von den Stadtwerken sogar die endgültige Stilllegung erwogen. Erst ein breites bürgerschaftliches Engagement, angeführt vom Nordbad-Förderverein, hat diese Pläne verhindert und die Sanierung erkämpft.
Wenn das traditionsreiche Freizeitparadies in zwei Jahren nach komplexer Rekonstruktion wieder seine Pforten öffnet, wird dies sicher ein Feiertag für die Stadt. Nichts zu feiern gibt es jedoch zuvor beim Bauhausjubiläum 2009. Denn das denkmalgeschützte Eingangsgebäude im Bauhaus-Stil von 1929 ist gerade dem Abriss-Bagger zum Opfer gefallen. Trotz Protesten aus der Bevölkerung, von Denkmalschützern, Architekten und Historikern muss eines der wichtigsten Beispiele des “neuen Bauens” in Erfurt auf Drängen der Investoren und Entscheidungsträger einem schlichten Neubau weichen. Damit verliert das Reform-Volksbad der 1920er Jahre sein authentisches Gesicht und die Stadt ein weiteres Baudenkmal der klassischen Moderne.
(TA vom 20.12.2008)
Siegeszug des Kinos
Bauhausjubiläum 2009 (6): Das Kino wurde in den Goldenen Zwanzigern zum Massenphänomen
Die Zeit der Weimarer Republik erlebte einen stürmischen Aufschwung des Kinos. Innerhalb weniger Jahre explodierten die Besucherzahlen. Dem begegnete man auch in Erfurt mit großzügigen Kino-Neubauten wie dem Alhambra, Union-Kino und UFA-Palast.
Mit den Goldenen Zwanzigern verbindet man unweigerlich den Aufstieg des Kinos zum Massenphänomen, die Anfänge des Tonfilmes und stadtbildprägende Kino-Neubauten. Film-Klassiker wie “Das Kabinett des Dr. Caligari”, “Metropolis” oder “Der blaue Engel” sind nicht nur Kino-Fans noch immer ein Begriff. Die Zahl der Kinos verdoppelte sich in der Weimarer Republik, Mitte der 1920er Jahre gingen täglich ca. zwei Millionen Menschen ins Kino. Es diente dabei nicht nur Unterhaltungszwecken. Die Wochenschauen berichteten über politische, gesellschaftliche und kulturelle Ereignisse. In der Schlussphase der Republik wurde das Kino auch von den Parteien im Wahlkampf genutzt. Es erfüllte damit Aufgaben, die später das Fernsehen übernehmen sollte.
Die Einführung des Tonfilmes 1929 gab diesem Trend einen weiteren kräftigen Schub. Schon 1932 wurden in Deutschland nur noch Tonfilme produziert. Die Zeit der Weimarer Republik hatte in kürzester Frist ein neues Massenmedium hervor gebracht, dem weitere revolutionäre Neuerungen an die Seite traten. Gab es zu Beginn der Republik noch keinen allgemeinen Rundfunkempfang, besaß 1932 bereits jeder vierte deutsche Haushalt ein Radio. Jene atemberaubenden Entwicklungen schlugen sich auch im Erfurter Stadtbild nieder. Die Beliebtheit des Kinos veranlasste die Filmgesellschaften und Betreiber zu großzügigen Neubauten. Es entstanden u.a. das Alhambra-Kino in der Johannesstraße, das Uniontheater am Ilversgehofener Platz und der UFA-Palast in der Bahnhofstraße. Die älteren Kinos genügten nicht mehr den Besucherzahlen und gestiegenen Ansprüchen des Publikums. Dennoch verschwanden sie keineswegs alle. Dem traditionsreichen “Roland-Kino” am Fischmarkt etwa blieben die Besucher treu. Es wurde erst 1979 in die heutige Kunsthalle Erfurt umgewandelt.
Die aufwändig ausgestatteten Film-Tempel der 1920er Jahre verkörperten architektonisch den modernen Bauhaus-Stil. Mit dem 1924 fertig gestellten Alhambra bekam Erfurt laut Presseberichten das “größte und vornehmste Theater Thüringens”. Das 1928 eröffnete Union-Kino erreichte als “Unne” Kultstatus im Norden der Stadt. Der UFA-Palast nahm die unteren Etagen des 1931 errichteten “Phönix-Hauses” in der Bahnhofstraße 41/44 ein. Es stellte laut Architekturführer mit seiner klaren, markanten Fassade ein “zeittypisches Bürohaus” dar.
Union-Kino und UFA-Palast werden jedoch als beispielhafte Bauhaus-Architektur dem Jubiläumsjahr 2009 in Erfurt keine Impulse mehr verleihen können. Das “Unne”, zu DDR-Zeiten als “Theater der Jugend” firmierend, wurde schon vor einigen Jahren abgerissen. Nun soll auf Investorenwunsch auch der UFA-Palast, zwischenzeitlich “Panorama-Palast-Theater”, Bagger und Abrissbirne zum Opfer fallen. Vom Alhambra, heute Sitz einer Krankenkasse, ist nur die Fassade geblieben. So verschwindet mit ihren Baudenkmalen eine wichtige Facette des kulturellen Aufbruchs und der medialen Revolution der Weimarer Republik aus dem Stadtbild.
(TA vom 27.12.2008)
Ein modernes Gotteshaus für den Norden
Bauhausjubiläum 2009 (7): Die Lutherkirche steht als einziger Sakralbau für das “neue Bauen” der 1920er Jahre
Das “neue Bauen” der Weimarer Republik wird besonders durch Geschäftshäuser, Kinos oder Wohnungsbaukomplexe wie im Hanseviertel repräsentiert. Die Lutherkirche im Norden der Stadt stellt hierbei eher die Ausnahme dar. Seit dem späten 19. Jahrhundert war um sie gerungen worden.
Die dynamische Vergrößerung der Industriestadt Erfurt nach der Entfestigung 1873 brachte auch für die Kirchgemeinden Veränderungen mit sich. Sie hatten jetzt eine schnell wachsende Zahl an Mitgliedern jenseits des Altstadtkerns zu betreuen, was bald Pläne für Kirchenneubauten hervorrief. Mit der Thomaskirche in der Schillerstraße bekam zuerst der gutbürgerliche Süden 1902 sein eigenes Gotteshaus. Im einwohnerstarken Norden mit seinen wachsenden Arbeiter- und Kleinbürgerquartieren machte sich das Fehlen einer evangelischen Kirche dagegen immer stärker bemerkbar.
Bereits im Lutherjahr 1883 regte die für den Norden zuständige evangelische Augustinergemeinde einen Kirchenneubau an. Den finanziellen Grundstock stellten die Gelder, die von der Finanzierung des Lutherdenkmals am Anger übrig geblieben waren. Seit 1905 beschleunigte ein “Kirchenbauverein der Johannesvorstadt” das Vorhaben, hatte sich doch die Zahl der Gemeindemitglieder bis zur Jahrhundertwende von 5000 auf 26.000 mehr als verfünffacht. Die Besprechung der fertigen Baupläne im preußischen Kultusministerium war für den 1. August 1914 vorgesehen. Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges, am 31. Juli wurde in Deutschland der Kriegszustand ausgerufen, machte so auch diesem Projekt ähnlich wie beim Nordpark vorerst einen Strich durch die Rechnung.
Nach dem Krieg sorgten Wirtschaftskrise und Inflation für weitere Verzögerungen. Die seit 1921 selbstständige Luthergemeinde mit den Pfarrern Otto Breithaupt und Friedrich Klapproth hielt aber an den Plänen fest. Zunächst erwarb man rechtzeitig vor der völligen Entwertung der Kirchenbaugelder noch die Innenausstattung der aufgehobenen Garnisonkirche in Halle. Nach der Währungsreform im November 1923, die die “Goldenen Zwanziger” einläutete, nahm das Projekt schließlich Gestalt an. Der ausgewählte Entwurf des renommierten Architekten Jürgensen aus Berlin nahm die Anregungen des “neuen Bauens” auf. Der mit einer klaren Fassade versehene Rundbau erhielt zur Straße hin den markanten Glockentrum, der bis heute das Gesicht der Magdeburger Allee prägt.
Als Problem erwies sich zuvor aber noch die stolze Bausumme von 400.000 Mark. Aus Kirchengeldern und Spenden kam nur ein Zehntel der nötigen Summe zusammen. Lediglich die Städtische Sparkasse stellte eine Hypothek von 50.000 Mark zur Verfügung. Pfarrer Breithaupt kam schließlich auf die Idee, mit einer gewissen “Bauspargenossenschaft Gemeinschaft der Freunde in Wüstenrot” die Finanzierung zu sichern. 14 Bausparverträge zu je 25.000 Mark bei der heute sprichwörtlichen Bausparkasse brachten den Durchbruch. Am 7. Juni 1926 feierte die Gemeinde den ersten Spatenstich, bereits am 10. Dezember 1927 konnte Breithaupt seine Festpredigt zur Einweihung halten. Der Name Lutherkirche sollte daran erinnern, dass die eng mit dem Reformator verbundene Augustinerkirche die Rolle einer Mutterkirche gespielt hatte.
(TA vom 10.01.2009)
Der gefragteste Stadtrat
Bauhausjubiläum 2009 (8): Stadtbaurat Ludwig Boegl prägte das Baugeschehen in den 1920er Jahren
Kein anderer hat die Stadtentwicklung der Weimarer Republik so geprägt wie Stadtbaurat Ludwig Boegl. Er steht für das reformorientierte “neue Bauen”, leitete viele der wegweisenden Projekte und gab der Bauverwaltung zeitgemäße Strukturen.
Sein ehemaliger Mitarbeiter Otto Stade hat Ludwig Boegl einmal den “meist gefragten Stadtrat” von Erfurt bezeichnet. Er war rastlos bei der Erfüllung seiner Aufgaben im Erfurter Baugeschehen und gab ihm moderne Ämterstrukturen. Kaum ein größeres Bauprojekt, das nicht über seinen Schreibtisch gegangen wäre. Wenn Bürger Rat brauchten, kamen sie zu ihm. 1913 hatte Boegl für Baulustige erstmals eine Beratungsstelle geschaffen, in der Bauanträge für eine erfolgreiche Einreichung fit gemacht werden konnten.
Der Wahl-Erfurter Boegl stammte unverkennbar aus dem Bayrischen. Geboren 1880 in Neumarkt in der Oberpfalz, hatte er an der Technischen Hochschule München studiert. In den Hochbauämtern Nürnberg, Würzburg und Frankfurt/M. sammelte er wichtige Erfahrungen in aufblühenden Großstädten der späten Kaiserzeit. 1906 verschlug es ihn schließlich als Polizeibaumeister nach Erfurt, das sich gerade zur pulsierenden Industriegroßstadt entwickelte und in eben jenem Jahr die 100.000-Einwohner-Grenze überschritt. Eine echte Herausforderung für den jungen Diplomingenieur. Rasch kletterte Boegl auf der Karriereleiter und erreichte 1920 das Amt eines Stadtbaurates mit Sitz und Stimme im Magistratskollegium.
In dieser Position drückte Ludwig Boegl dem Baugeschehen in der Weimarer Republik seinen Stempel auf. Die großen städtebaulichen Projekte wie der Nordpark mit Nordbad und der Komplex um das heutige Steigerwaldstadion entstanden unter seiner Leitung. Markante öffentliche Gebäude wie das Große Hospital am Ring, die Chirurgische Klinik (heute Frau-Mutter-Kind-Zentrum), der Rathaus-Erweiterungsbau mit Sparkasse oder das heutige Heinrich-Mann-Gymnasium Zur Himmelspforte trugen seine Handschrift. Im Angermuseum betreute der künstlerisch-musisch interessierte Ingenieur die wegweisende Freilegung und museale Nutzung der großen Erdgeschosshalle und sorgte für die Wiederherrichtung des historischen Festsaales im Collegium maius der Alten Universität.
Erfurt verdankt Boegl aber nicht nur diese großen Bauvorhaben, sondern auch wichtige Impulse in Sachen Stadtplanung und -erweiterung, für die er eigens ein Amt einrichtete. Die Stadterweiterung im modernen Reformgeist der Zeit fand in ihm einen nachhaltigen Fürsprecher. Eine durchgrünte Stadt, Gartenstadt-Siedlungen, moderner Wohnungsbau im Bauhausstil, aber auch neue Industrieansiedlungen und Verkehrprojekte bis hin zum Flughafen am Roten Berg charakterisieren die Ära Boegl. Freilich musste Boegl auch noch miterleben, wie viele, teils wertvolle historische Bauten seiner Stadt im Zweiten Weltkrieg zerstört wurden. Nach Kriegsende 1945 schied er aus dem Amt, arbeitete aber bis zu seinem Tode 1952 als unverzichtbarer Experte in der Erfurter Bauverwaltung.
(TA vom 17.01.2009)
Blumen-, Luther- und Domstadt
Bauhausjubiläum 2009 (9): Stadtmarketing spielte schon in den 1920ern eine wichtige Rolle
Erfurt als Tourismus- und Kongressstadt zu präsentieren war auch schon in den 1920er Jahren ein wichtiges Anliegen der Stadt. Die Verantwortlichen machten sich dabei noch nicht auf die Suche nach dem einzigen “Alleinstellungsmerkmal”, wie sie heute in zyklischen Abständen von Touristikern und Politikern unternommen wird.
“Erfurt. Blumen-, Luther- und Domstadt” - unter diesem Titel gab das Erfurter Verkehrsamt seit den 1920ern in mehreren Auflagen ein handliches Büchlein heraus, in dem Besuchern der Stadt reich illustrierte Informationen zu Kultur, Geschichte und Sehenswürdigkeiten, aber auch viele praktische Hinweise gegeben wurden. Beigelegt war ein übersichtlicher Stadtplan, der die Orientierung leicht machte. In vielerlei Hinsicht bewegte sich diese Publikation bereits auf dem Niveau heutiger Tourismusbroschüren oder Stadtführer.
Interessant sind die Schwerpunkte der Präsentation Erfurts, die man heute mit den Schlagworten Tourismus und Marketing umschreiben würde. Nicht ohne einen gewissen Überschwang heißt es einleitend: “Die zwölfhundertjährige Blumen-, Luther- und Domstadt ist als eine der interessantesten und schönsten deutschen Fremdenstädte bekannt. Sie bietet eine unendliche Fülle bedeutender und seltener Sehenswürdigkeiten für jeden und die verschiedensten Interessengebiete. Wundervolle Natur und alte Kultur, traditionsreiche Geschichte und vielseitiges neuzeitliches Schaffen verbinden sich zu seltener Harmonie.”
Deutlich wird also im Gegensatz zur heutigen Suche nach dem “Alleinstellungsmerkmal” die Betonung der Vielseitigkeit. Die im Dom symbolisierte Mittelaltermetropole wird ebenso wie die herausragende Rolle im Leben des großen Reformators Luther betont. Hinzu kommt das seinerzeit noch weit präsentere Aushängeschild als Blumenstadt, die nicht nur den Weltmarkt mit beherrschte, sondern auch das Gesicht der Stadt nachhaltig prägte. Im Stadtplan werden “sehenswerte Gärtnereien” und ihre endlosen Blumenfelder mit fetten grünen Kreisen unter den touristischen Anlaufpunkten besonders hervorgehoben. Auch die Anfänge des heutigen egaparkes rund um die Cyriaksburg sind stolz ausgewiesen. Daneben nimmt die Wirtschaft, anders als heute, einen wichtigen Platz in der Präsentation ein. Mit großen Lettern prangt etwa über dem Betriebsgelände von Topf & Söhne das Prädikat “Weltruf”.
Auffällig spricht aus dem Büchlein auch der Stolz der pulsierenden Industriegroßstadt auf die städtebauliche Entwicklung der “Goldenen Zwanziger”. Unter großen Fotos der neuen Komplexe im Hanseviertel und von Bürohäusern wie dem DHV-Haus (Anger Entree) werden “großzügige neuzeitliche Wohnsiedlungen und Geschäftsbauten” angepriesen. Natürlich fehlt der 1925 eröffnete Flughafen als Drehkreuz für ganz “Südmitteldeutschland” nicht. Die Mitteldeutsche Kampfbahn als eines der größten und modernsten Stadien wird ebenso wie das Nordbad als “ausgezeichnete Pflegestätte” des Sports gerühmt. Der bevorstehende Umbau des Steigerwaldstadions und die Sanierung des Nordbades zeigen, welch zukunftsweisende Projekte in jener Zeit umgesetzt wurden. Sie gehören auch heute noch, nicht nur im Bauhausjahr 2009, zum Selbstverständnis der modernen thüringischen Metropole, die sich kaum auf eine Blumen-, Luther- und Domstadt oder gar nur auf eines dieser Prädikate reduzieren lässt.
(TA vom 24.01.2009)
Die verhinderte Erfurter Republik
Bauhausjubiläum 2009 (10): Erfurt bewarb sich 1918 erfolglos als Sitz der Nationalversammlung
Die Weimarer Republik hätte auch eine Erfurter Republik werden können. Die Bewerbung als Sitz der Nationalversammlung nach der Novemberrevolution 1918 scheiterte jedoch. Die Verfassung der ersten deutschen Republik wurde statt dessen im benachbarten Weimar ausgearbeitet.
Das Bauhausjubiläum 2009 rückt auch die Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung vom Juli 1919 in den Fokus der Erinnerungskultur. Dabei sollte man sich eine fast schon vergessene Episode der Erfurter Stadtgeschichte in Erinnerung rufen, die weitreichende Folgen hätte haben können. Sieben Jahrzehnte nach dem Erfurter Unionsparlament von 1850 nahm die “heimliche Hauptstadt” Thüringens noch einmal Anlauf, deutsche Hauptstadt- bzw. Parlamentswürden zu erlangen.
Infolge der Novemberrevolution 1918 galt es, dem Deutschen Reich eine neue Verfassung zu geben. Diese Aufgabe sollte eine Nationalversammlung übernehmen, für die man angesichts der Unruhen in Berlin einen Tagungsort suchte. Eine Reihe von Städten bewarb sich hierfür, darunter auch Erfurt. Am 30. November 1918 bildete die Stadtverordnetenversammlung einen Ausschuss, auf dessen Initiative hin der Magistrat am 5. Dezember einen Brief an den Volksbeauftragten Friedrich Ebert schickte: „Für die Tagung der Nationalversammlung, die nicht in Berlin, sondern in einer Stadt Mitteldeutschlands stattfinden soll, bringen wir Erfurt in Vorschlag. Die Versammlung würde in der hiesigen Predigerkirche stattfinden.“
In einem Schreiben vom selben Tag unterstützte auch der revolutionäre Erfurter Arbeiter- und Soldatenrat das Ansinnen der Stadtväter. Ausdrücklich verwies er „auf die historische Bedeutung Erfurts als Kongressort“, womit man „nicht nur das Erfurter Programm der deutschen Sozialdemokratie“ von 1891 meinte, sondern „auch sehr wichtige andere Kongresse, den Fürstenkongress im Jahre 1808 und das Vorparlament des Jahres 1848“. In der Folge übersandte der Magistrat Fotos und Pläne des Predigerkloster-Komplexes, skizzierte nötige Umbauarbeiten, listete Unterkunftsmöglichkeiten auf. Kurzzeitig herrschte freudige Erwartungshaltung. Die Lokalpresse griff positive Signale auf, etwa einen Artikel der „Münchener Neuesten Nachrichten“, der Erfurt sogar schon als „Die künftige Hauptstadt Deutschlands“ handelte.
Freilich ließ Berlin auf ein erstes Dankschreiben nichts mehr von sich hören. Daher drängte der Magistrat auf eine Entscheidung, da „die Zeit für die nötigen Bauausführungen kurz bemessen sein“ wird. Am 22. Januar 1919 musste der „Erfurter Allgemeine Anzeiger“ schließlich enttäuscht vermelden: „Weimar Ort der Nationalversammlung“. Wesentlich für die Entscheidung gegen Erfurt dürfte der Charakter als unruhige Großstadt mit einem Heer von Industrieproletariern gewesen sein – gerade davor war man aus Berlin gewichen. Die beschauliche Kultur- und Beamtenstadt Weimar dagegen galt als sicherer Zufluchtsort, und man konnte sich auf den humanistischen „Geist von Weimar“ berufen. So traten vor 90 Jahren, am 6. Februar 1919, die Abgeordneten der Nationalversammlung erstmals im Weimarer Hoftheater zusammen und verabschiedeten im Juli die Verfassung der Weimarer Republik – und nicht der Erfurter Republik.
(TA vom 31.01.2009)
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt in der Weimarer Republik