Mohrengasse: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Bedeutung:''' Die Gasse ist benannt nach dem "Haus zum Mohrenkopf" in der Johannesstraße 168 (Renaissancebau von 1610 auf den Fundamenten eines mittelalterlichen Vorgängerbaus). Vgl. Max Timpel: Straßen, Gassen und Plätze von Alt-Erfurt in Vergangenheit und Gegenwart, in: '''[[Publikationen des Erfurter Geschichtsvereins|Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt]]''' 45 (1929), S. 154.
'''Bedeutung:''' Die Gasse ist benannt nach dem "Haus zum Mohrenkopf" in der Johannesstraße 168, einem Renaissancebau von 1610 auf den Fundamenten eines mittelalterlichen Vorgängerbaus.  


[[Datei:MohrAngermuseum.jpeg|180px|right]]In der Debatte um das '''[[Nettelbeckufer]]''' forderten die Grünen, die Mohrengasse solle als "rassistisches Überbleibsel" umbenannt werden (TA, 17.07.2020). Dieser Vorschlag ist "ein historischer Anachronismus", so Historiker '''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''', da die Gasse nach dem mittelalterlichen "Haus zum Mohrenkopf" benannt wurde (TA, 23.06.2020). Prof. Dr. Karl Heinemeyer, em. Professor für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Erfurt und Vorsitzender des '''[[ErfurterGeschichtsverein|Erfurter Geschichtsvereins]]''', bekräftigt: "Mit Rassismus hat ihr Name nichts zu tun." (TA, 19.08.2020) Es gibt in Europa zahllose Mohren-Namen für Häuser, Gasthöfe, Apotheken usw. Der Mohr ist auch in vielen Kunstwerken zu finden. Oft geht er auf den heiligen Mauritius zurück, dem in Erfurt die Moritzkirche in der Moritzstraße geweiht war. Das Angermuseum verfügt, so Historiker Tim Erthel, über eine eindrucksvolle Holzfigur aus dieser Kirche in voller Rüstung, die die große Verehrung ähnlich wie im Magdeburger Dom spiegelt (Foto: Angermuseum Erfurt, Dirk Urban). Der im christlich-mittelalterlichen Kontext positiv belegte Begriff "Mohr" ist daher vom abschätzigen "Neger" des neuzeitlichen Kolonialzeitalters deutlich zu unterscheiden.  
In der '''[[Nettelbeckufer]]'''-Debatte forderten die Grünen, die Mohrengasse solle als "rassistisches Überbleibsel" umbenannt werden (TA, 17.07.20). Dies ist "ein historischer Anachronismus", so Historiker '''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''', da die Gasse nach dem mittelalterlichen "Haus zum Mohrenkopf" benannt wurde (TA, 23.06.20). Prof. Karl Heinemeyer, Professor für Mittelalterliche Geschichte und Vorsitzender des '''[[ErfurterGeschichtsverein|Erfurter Geschichtsvereins]]''', bekräftigt: "Mit Rassismus hat ihr Name nichts zu tun." (TA, 19.08.20) Es gibt in Europa zahllose Mohren-Namen für Häuser, Gasthöfe, Apotheken usw. Der Mohr ist auch in vielen Kunstwerken zu finden. Oft geht er auf den heiligen Mauritius zurück, dem die Moritzkirche in der Moritzstraße geweiht war. Das Angermuseum verfügt, so Historiker Tim Erthel, über eine eindrucksvolle Holzfigur aus dieser Kirche, die die Verehrung ähnlich wie im Magdeburger Dom spiegelt (Foto: Angermuseum Erfurt, Dirk Urban).  


Der Vorstoß spiegelt den - auch in Erfurt von Vandalismus begleiteten - "neuen Umbennungsfuror", so Sprachwissenschaftler Helmut Glück: "Der 'Mohr' ist altertümlich, aber nicht rassistisch, doch das will eine kleine, aber lautstarke Minderheit nicht wahrhaben." (FAZ, 23.07.2020) So soll der Mohr aus dem Coburger Stadtwappen entfernt werden, obwohl es sich um Mauritius als zentrale identitätsstiftende historische Figur handelt. Die Initiative führt den Antirassismus geradezu ins Absurde, verschwand der Mohr doch schon einmal - aus rassistischen Gründen durch die Nationalsozialisten. MDR-Hauptstadtkorrespondent Tim Herden merkt mit Blick auf die umbenannte Berliner Mohrenstraße an: "Einfach Straßennamen zu tilgen und durch neue zu ersetzen, hat was von Bilderstürmerei und ist meist nur ein Reflex auf den Zeitgeist, statt sich mit dem Geist der Zeit der Namensgeber auseinanderzusetzen." (MDR Aktuell, 06.09.2020) Letzteres hat man in Ulm getan, wo die Forderung nach Umbenennung der dortigen Mohrengasse im September 2020 unter Verweis auf den mit Erfurt vergleichbaren historischen Hintergrund vom Stadtrat abgelehnt wurde. 
Der im mittelalterlichen Kontext positiv belegte Begriff "Mohr" ist daher vom "Neger" des '''[[Koloniales Erbe in Erfurt|Kolonialzeitalters]]''' zu unterscheiden und sollte nicht aus der öffentlichen Erinnerungskultur beseitigt werden. Das gilt auch für die vielen '''[[Mohren-Apotheke|Mohren-Apotheken]]''', wie die in der Erfurter Schlösserstraße. Sie "erhielten nicht deshalb diesen Namen, weil man Menschen herabwürdigen wollte. Im Gegenteil: Wissen und Waren aus dem Orient und Nordafrika waren in Europa und Deutschland von großem Wert", so Historiker Dr. André Postert vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden (Cicero, 09.08.20). Die Vorstöße spiegeln vielmehr einen "neuen Umbennungsfuror", so Sprachwissenschaftler Prof. Helmut Glück: "Der 'Mohr' ist altertümlich, aber nicht rassistisch, doch das will eine kleine, aber lautstarke Minderheit nicht wahrhaben." (FAZ, 23.07.20)  


 
MDR-Korrespondent Tim Herden merkt mit Blick auf die umbenannte Berliner Mohrenstraße an: "Straßennamen zu tilgen und durch neue zu ersetzen, hat etwas von Bilderstürmerei und ist meist nur ein Reflex auf den Zeitgeist, statt sich mit dem Geist der Zeit der Namensgeber auseinanderzusetzen." (MDR, 06.09.20) Im Gegensatz hierzu hat man jüngst in Gotha, Ulm und Radebeul nach gründlicher Abwägung Mohren-Straßennamen beibehalten. Auch in Erfurt trafen die Forderung des Vereins Decolonize Erfurt um Dr. Urs Lindner nach einer "Ächtung" der "M-Symbolik" (UNZ, 15.07.21) und radikale Aktionen wie der Diebstahl des Straßennamensschildes im Juli 2021 auf breite Ablehnung. Im Juli 2023 sorgte die stillschweigende Demontage der Straßenschilder durch die Stadtverwaltung als Kapitulation vor ideologischem Vandalismus für viel Unverständnis, worauf die Schilder wenige Wochen später wieder angebracht wurden (TA, 23.08.23)
Siehe: '''[[Straßen-Geschichte|Geschichte der Erfurter Straßennamen]]''', '''[[Kolonialismus in Erfurt]]''', '''[[HollitzerTrifftRassloff|Podcast HOLLITZER TRIFFT]]''' (25.09.2020)




'''Lesetipps:'''
'''Lesetipps:'''


Karl Heinemeyer: '''Über die Erfurter Mohrengasse'''. In: '''[[Publikationen des Erfurter Geschichtsvereins|Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt]]''' 82 (2021). ''(in Vorbereitung)''
Karl Heinemeyer: '''Über die Erfurter Mohrengasse'''. In: '''[[Publikationen des Erfurter Geschichtsvereins|Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt]]''' 82 (2021). S. 15-29.
 
Steffen Raßloff: '''Der "Coburger Mohr"'''. In: Michael Böhm/ Dorothea Greiner (Hg.): Orte der Reformation. Coburg. Leipzig 2014. S. 24 f.  


Steffen Raßloff: '''[[Debatte Mohrengasse Erfurt 2021|Rassistische Iditoten?]]''' In: Thüringer Allgemeine vom 03.08.2021.


'''''Thüringer Allgemeine vom 23.06.2020 und 19.08.2020''' (zum Lesen anklicken)''


[[Datei:TA-Mohrengasse-23-06-20.jpg|540px|left]]
Siehe auch: '''[[Strassennamen Geschichte Erfurt|Erfurter Straßennamen]]''', '''[[Koloniales Erbe in Erfurt]]'''
[[Datei:TA-Mohrengasse-Heinemeyer-19-8-20.jpg|630px|left]]

Aktuelle Version vom 4. November 2024, 09:44 Uhr

Mohrengasse

MohrAngermuseum.jpeg

Ortsteil: Altstadt

Bezeichnung seit: Mittelalter

vorherige Bezeichnung/en: keine

Bedeutung: Die Gasse ist benannt nach dem "Haus zum Mohrenkopf" in der Johannesstraße 168, einem Renaissancebau von 1610 auf den Fundamenten eines mittelalterlichen Vorgängerbaus.

In der Nettelbeckufer-Debatte forderten die Grünen, die Mohrengasse solle als "rassistisches Überbleibsel" umbenannt werden (TA, 17.07.20). Dies ist "ein historischer Anachronismus", so Historiker Dr. Steffen Raßloff, da die Gasse nach dem mittelalterlichen "Haus zum Mohrenkopf" benannt wurde (TA, 23.06.20). Prof. Karl Heinemeyer, Professor für Mittelalterliche Geschichte und Vorsitzender des Erfurter Geschichtsvereins, bekräftigt: "Mit Rassismus hat ihr Name nichts zu tun." (TA, 19.08.20) Es gibt in Europa zahllose Mohren-Namen für Häuser, Gasthöfe, Apotheken usw. Der Mohr ist auch in vielen Kunstwerken zu finden. Oft geht er auf den heiligen Mauritius zurück, dem die Moritzkirche in der Moritzstraße geweiht war. Das Angermuseum verfügt, so Historiker Tim Erthel, über eine eindrucksvolle Holzfigur aus dieser Kirche, die die Verehrung ähnlich wie im Magdeburger Dom spiegelt (Foto: Angermuseum Erfurt, Dirk Urban).

Der im mittelalterlichen Kontext positiv belegte Begriff "Mohr" ist daher vom "Neger" des Kolonialzeitalters zu unterscheiden und sollte nicht aus der öffentlichen Erinnerungskultur beseitigt werden. Das gilt auch für die vielen Mohren-Apotheken, wie die in der Erfurter Schlösserstraße. Sie "erhielten nicht deshalb diesen Namen, weil man Menschen herabwürdigen wollte. Im Gegenteil: Wissen und Waren aus dem Orient und Nordafrika waren in Europa und Deutschland von großem Wert", so Historiker Dr. André Postert vom Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung an der TU Dresden (Cicero, 09.08.20). Die Vorstöße spiegeln vielmehr einen "neuen Umbennungsfuror", so Sprachwissenschaftler Prof. Helmut Glück: "Der 'Mohr' ist altertümlich, aber nicht rassistisch, doch das will eine kleine, aber lautstarke Minderheit nicht wahrhaben." (FAZ, 23.07.20)

MDR-Korrespondent Tim Herden merkt mit Blick auf die umbenannte Berliner Mohrenstraße an: "Straßennamen zu tilgen und durch neue zu ersetzen, hat etwas von Bilderstürmerei und ist meist nur ein Reflex auf den Zeitgeist, statt sich mit dem Geist der Zeit der Namensgeber auseinanderzusetzen." (MDR, 06.09.20) Im Gegensatz hierzu hat man jüngst in Gotha, Ulm und Radebeul nach gründlicher Abwägung Mohren-Straßennamen beibehalten. Auch in Erfurt trafen die Forderung des Vereins Decolonize Erfurt um Dr. Urs Lindner nach einer "Ächtung" der "M-Symbolik" (UNZ, 15.07.21) und radikale Aktionen wie der Diebstahl des Straßennamensschildes im Juli 2021 auf breite Ablehnung. Im Juli 2023 sorgte die stillschweigende Demontage der Straßenschilder durch die Stadtverwaltung als Kapitulation vor ideologischem Vandalismus für viel Unverständnis, worauf die Schilder wenige Wochen später wieder angebracht wurden (TA, 23.08.23).


Lesetipps:

Karl Heinemeyer: Über die Erfurter Mohrengasse. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 82 (2021). S. 15-29.

Steffen Raßloff: Rassistische Iditoten? In: Thüringer Allgemeine vom 03.08.2021.


Siehe auch: Erfurter Straßennamen, Koloniales Erbe in Erfurt