Juedisches Erbe Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Erfurt verfügt über ein bedeutendes jüdisches Erbe um die Alte Synagoge, das 2022 auf die UNESCO-Welterbeliste gelangen könnte.'''
'''Erfurt verfügt über ein bedeutendes jüdisch-mittelalterliches Erbe um die Alte Synagoge, das seit 2023 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.'''




[[Datei:JüdischerHochzeitsring.jpg|300px|right]]In '''[[Geschichte der Stadt Erfurt|Erfurt]]''' gab es vermutlich bereits seit dem 11. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde. Diese entwickelte sich zu einer der größten und bedeutendsten im Reich. Hiervor zeugt allein schon die '''[[Alte Synagoge Erfurt|Alte Synagoge]]''', deren bauliche Reste bis ins 11. Jahrhundert zurück reichen; sie ist damit die älteste bis unters Dach erhaltene Synagoge Mitteleuropas.  
[[Datei:JüdischerHochzeitsringSynagoge.jpg|230px|right]]In der '''[[Mittelaltermetropole Erfurt|Mittelaltermetropole]]''' Erfurt gab es seit dem 11. Jahrhundert eine der größten und wohlhabendsten jüdischen Gemeinden im Reich. Hiervon zeugt die '''[[Alte Synagoge Erfurt|Alte Synagoge]]''', die älteste erhaltene Synagoge Europas, wo die größte mittelalterliche Bibel und Torarolle zu sehen sind. Noch heute sind alle für eine Gemeinde nötigen Einrichtungen nachvollziehbar: Neben der großen und schmuckvollen Synagoge besonders eine '''[[Mikwe]]''' (Ritualbad) und ein Friedhof in der Ackerhofgasse. Forschungen konnten ein Wohnquartier von der Michaeliskirche bis zum Rathaus rekonstruieren. Juden lebten hier über Jahrhunderte Tür an Tür mit Christen. Ihre Außenseiterstellung gipfelte jedoch im blutigen Pogrom von 1349, der vermutlich die gesamte Gemeinde von bis zu 1000 Menschen auslöschte. Die Synagoge wurde fortan für verschiedenste Zwecke genutzt. Eine neue Gemeinde mit einer nicht mehr existierenden Synagoge gegenüber der heutigen Begegnungsstätte '''[[Begegnungsstätte Kleine Synagoge|Kleine Synagoge]]''' verschwand endgültig 1458 aus der Stadt.  


Noch heute sind alle für eine mittelalterliche Gemeinde nötigen Einrichtungen nachvollziehbar: Neben der außergewöhnlich großen und schmuckvollen Synagoge besonders eine '''[[Mikwe]]''' (Ritualbad) nördlich der Krämerbrücke und ein Friedhof neben dem großen Kornspeicher in der Ackerhofgasse. Neuere Forschungen konnten ein klar umgrenztes jüdisches Wohnquartier von der Michaeliskirche bis zum Bereich östlich des Rathauses rekonstruieren. Juden lebten hier über Jahrhunderte Haus an Haus mit Christen.
Erst um 1800 kamen wieder Juden nach Erfurt, die sich allmählich auch in die bürgerliche Führungsschicht herauf arbeiteten, wie die '''[[Gartenbaudynastie Benary Rassloff|Gartenbauunternehmer Benary]]'''. Sie schuf sich zunächst die '''[[Begegnungsstätte Kleine Synagoge|Kleine Synagoge]]''' als Gotteshaus, ehe 1884 der prächtige Neubau am heutigen Juri-Gagarin-Ring errichtet wurde. In der Cyriakstraße entstand 1811 der '''[[Alter jüdischer Friedhof|Alte jüdische Friedhof]]''', dem 1878 der bis heute bestehende Neue jüdische Friedhof neben der Thüringenhalle folgte. Erneut wurden das jüdische Leben im '''[[Erfurt im Nationalsozialismus|Dritten Reich]]''' 1933/45 nahezu völlig vernichtet ('''[[Denknadeln Erfurt|Denknadeln]]''') und 1938 während der Reichspogromnacht die Große Synagoge zerstört. Nach 1945 fasste wieder eine Gemeinde Fuß und errichtete 1952 die '''[[Neue Synagoge]]'''. Nach 1989 kamen viele jüdische Aussiedler aus der Sowjetunion nach Erfurt.  


Die immer wieder mit Repressalien verbundene Außenseiterstellung der Juden gipfelte jedoch in dem blutigen Pogrom von 1349, der vermutlich die gesamte Gemeinde auslöschte. Die Synagoge wurde fortan für verschiedenste Zwecke genutzt und geriet in Vergessenheit. Eine wenig später neu angesiedelte Gemeinde mit einer nicht mehr existierenden Synagoge gegenüber der heutigen '''[[Begegnungsstätte Kleine Synagoge]]''' hinter dem Rathaus verschwand endgültig 1458 aus der Stadt.  
Die Stadt Erfurt bekennt sich heute stolz zu ihrer jüdischen Geschichte. Diese verfügt mit der seit 2009 museal genutzten Alten Synagoge mit dem „Erfurter Schatz“ (Foto: TLDA, jüdischer Hochzeitsring) sowie der 2011 rekonstruierten Mikwe über international viel beachtete Kulturdenkmale. Darüber hinaus stellt die umfassend erhaltene Struktur der mittelalterlichen Gemeinde, eingebettet in den stadtgeschichtlichen Kontext im '''[[Stadtmuseum Erfurt|Stadtmuseum]]''', eine Besonderheit dar. Der '''[[Erfurter Synagogenabend]]''', 2009 initiiert vom '''[[ErfurterGeschichtsverein|Erfurter Geschichtsverein]]''' und der Stadt Erfurt, gehört heute zu den beliebten Veranstaltungreihen in Erfurt. Mit diesem einzigartigen und lebendigen Erbe gelangte Erfurt 2014 auf die deutsche Vorschlagsliste zum '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Weltkulturerbe]]'''. Nach der Einreichung des finalen Antrags 2020 sollte über diesen bei der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees 2022 im russischen Kasan entschieden werden, die jedoch kriegsbedingt verschoben wurde. Am 17. September 2023 gelangte das jüdisch-mittelalterliche Erbe Erfurts in Riad auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.


Erst um 1800 kamen wieder Juden nach Erfurt, die sich allmählich auch in die bürgerliche Führungsschicht herauf arbeiteten, wie die '''[[Gartenbauunternehmen Ernst Benary|Gartenbauunternehmer Benary]]'''. Sie schuf sich zunächst die '''[[Begegnungsstätte Kleine Synagoge|Kleine Synagoge]]''' als Gotteshaus, ehe der prächtige Neubau am heutigen Juri-Gagarin-Ring 1884 errichtet wurde. In der Cyriakstraße entstand 1811 der '''[[Alter jüdischer Friedhof|Alte jüdische Friedhof]]''', dem 1878 der bis heute bestehende Neue jüdische Friedhof neben der Thüringenhalle folgte. Erneut wurden das jüdische Leben im '''[[Erfurt im Nationalsozialismus|Dritten Reich]]''' 1933-1945 nahezu völlig vernichtet (siehe die '''[[Denknadeln Erfurt|Denknadeln]]''' für NS-Opfer) und 1938 während der Reichspogromnacht die Große Synagoge zerstört.
('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')


Nach 1945 fasste wieder eine jüdische Gemeinde Fuß in der Stadt und errichtete 1952 die heutige '''[[Neue Synagoge]]''' anstelle der 1938 zerstörten. Nach 1989 kamen viele jüdische Aussiedler aus der ehemaligen Sowjetunion nach Erfurt.


Die Stadt Erfurt bekennt sich heute zu ihrer großen jüdischen Geschichte. Das mittelalterlich-jüdische Erbe verfügt mit der seit 2009 museal genutzten Alten Synagoge mit dem „Erfurter Schatz“ (Foto: TLDA, jüdischer Hochzeitsring) sowie der 2011 rekonstruierten Mikwe über international viel beachtete Kulturdenkmale. Darüber hinaus stellt die umfassend erhaltene Struktur der mittelalterlichen Gemeinde eine Besonderheit dar. Mit diesem einzigartigen Erbe gelangte Erfurt 2014 auf die deutsche Vorschlagsliste zum '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Welterbe]]''' und kann diesen Status ab 2020 verliehen bekommen. 
'''Lesetipps:'''


Der '''[[Erfurter Synagogenabend]]''', veranstaltet vom Erfurter Geschichtsverein und der Stadt Erfurt, gehört heute zu den beliebten Veranstaltungreihen in Erfurt.
Veröffentlichungen des Verbundes '''[https://juedisches-leben.erfurt.de/jl/de/service/mediathek/veroeffentlichungen/index.itl Jüdisches Leben Erfurt]'''


('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')
Steffen Raßloff: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt Rassloff|Geschichte der Stadt Erfurt]].''' Tübingen 2012 (6. Auflage 2024).


Steffen Raßloff: '''Jüdisches Erbe von Weltrang. Synagoge, Schatz und Mikwe.''' In: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. S. 32 f.


Siehe auch: '''[http://juedisches-leben.erfurt.de/jl/de/welterbe_werden/index.html Jüdisches Leben Erfurt]''', '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Welterbe in Erfurt]]''', '''[[Antisemitismus in Erfurt]]''', '''[[Antisemitismus in Thüringen]]'''
 
Siehe auch: '''[https://juedisches-leben.erfurt.de/jl/de/index.html Jüdisches Leben Erfurt]''', '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Welterbe in Erfurt]]''', '''[[Antisemitismus in Erfurt]]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Mittelaltermetropole Erfurt]]'''

Aktuelle Version vom 5. Februar 2024, 07:58 Uhr

Jüdisches Erbe in Erfurt

Erfurt verfügt über ein bedeutendes jüdisch-mittelalterliches Erbe um die Alte Synagoge, das seit 2023 zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.


JüdischerHochzeitsringSynagoge.jpg

In der Mittelaltermetropole Erfurt gab es seit dem 11. Jahrhundert eine der größten und wohlhabendsten jüdischen Gemeinden im Reich. Hiervon zeugt die Alte Synagoge, die älteste erhaltene Synagoge Europas, wo die größte mittelalterliche Bibel und Torarolle zu sehen sind. Noch heute sind alle für eine Gemeinde nötigen Einrichtungen nachvollziehbar: Neben der großen und schmuckvollen Synagoge besonders eine Mikwe (Ritualbad) und ein Friedhof in der Ackerhofgasse. Forschungen konnten ein Wohnquartier von der Michaeliskirche bis zum Rathaus rekonstruieren. Juden lebten hier über Jahrhunderte Tür an Tür mit Christen. Ihre Außenseiterstellung gipfelte jedoch im blutigen Pogrom von 1349, der vermutlich die gesamte Gemeinde von bis zu 1000 Menschen auslöschte. Die Synagoge wurde fortan für verschiedenste Zwecke genutzt. Eine neue Gemeinde mit einer nicht mehr existierenden Synagoge gegenüber der heutigen Begegnungsstätte Kleine Synagoge verschwand endgültig 1458 aus der Stadt.

Erst um 1800 kamen wieder Juden nach Erfurt, die sich allmählich auch in die bürgerliche Führungsschicht herauf arbeiteten, wie die Gartenbauunternehmer Benary. Sie schuf sich zunächst die Kleine Synagoge als Gotteshaus, ehe 1884 der prächtige Neubau am heutigen Juri-Gagarin-Ring errichtet wurde. In der Cyriakstraße entstand 1811 der Alte jüdische Friedhof, dem 1878 der bis heute bestehende Neue jüdische Friedhof neben der Thüringenhalle folgte. Erneut wurden das jüdische Leben im Dritten Reich 1933/45 nahezu völlig vernichtet (Denknadeln) und 1938 während der Reichspogromnacht die Große Synagoge zerstört. Nach 1945 fasste wieder eine Gemeinde Fuß und errichtete 1952 die Neue Synagoge. Nach 1989 kamen viele jüdische Aussiedler aus der Sowjetunion nach Erfurt.

Die Stadt Erfurt bekennt sich heute stolz zu ihrer jüdischen Geschichte. Diese verfügt mit der seit 2009 museal genutzten Alten Synagoge mit dem „Erfurter Schatz“ (Foto: TLDA, jüdischer Hochzeitsring) sowie der 2011 rekonstruierten Mikwe über international viel beachtete Kulturdenkmale. Darüber hinaus stellt die umfassend erhaltene Struktur der mittelalterlichen Gemeinde, eingebettet in den stadtgeschichtlichen Kontext im Stadtmuseum, eine Besonderheit dar. Der Erfurter Synagogenabend, 2009 initiiert vom Erfurter Geschichtsverein und der Stadt Erfurt, gehört heute zu den beliebten Veranstaltungreihen in Erfurt. Mit diesem einzigartigen und lebendigen Erbe gelangte Erfurt 2014 auf die deutsche Vorschlagsliste zum UNESCO-Weltkulturerbe. Nach der Einreichung des finalen Antrags 2020 sollte über diesen bei der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees 2022 im russischen Kasan entschieden werden, die jedoch kriegsbedingt verschoben wurde. Am 17. September 2023 gelangte das jüdisch-mittelalterliche Erbe Erfurts in Riad auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes.

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Veröffentlichungen des Verbundes Jüdisches Leben Erfurt

Steffen Raßloff: Geschichte der Stadt Erfurt. Tübingen 2012 (6. Auflage 2024).

Steffen Raßloff: Jüdisches Erbe von Weltrang. Synagoge, Schatz und Mikwe. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 32 f.


Siehe auch: Jüdisches Leben Erfurt, UNESCO-Welterbe in Erfurt, Antisemitismus in Erfurt, Geschichte der Stadt Erfurt, Mittelaltermetropole Erfurt