Industriegrossstadt Erfurt

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Erfurt - Thüringens erste Industriegroßstadt

Erfurt war bis 1990 eine pulsierende Industriestadt, deren Spitzenunternehmen den Weltmarkt mit beherrschten.


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Der Freistaat widmet sich im 100. Gedenkjahr der Novemberrevolution 1918 dem Thema „Industrialisierung, Industriekultur und soziale Bewegungen in Thüringen“. Mit einer Reihe von Veranstaltungen und Ausstellungen soll dieses wichtige Kapitel der Landesgeschichte näher beleuchtet werden. Dabei wird Erfurt natürlich eine wichtige Rolle spielen, die erste und lange Zeit einzige Industriegroßstadt des Landes.

Wichtige Weichenstellungen für den Aufstieg zur modernen Metropole Thüringens waren der Anschluss an das Eisenbahnnetz 1847 und die Entfestigung nach der Reichsgründung ab 1873. Die Stadt dehnte sich nun in alle Himmelrichtungen rasant aus und modernisierte ihre Infrastruktur mit Kanalisation, Wasserleitung, Stromversorgung, Stadtring, Straßenbahn usw. Die Einwohnerzahl wuchs explosionsartig von 30.000 Mitte des 19. Jahrhunderts auf 100.000 im Jahre 1906.

So wurde aus der preußischen Handels- und Beamtenstadt eine pulsierende Industriestadt. Um 1900 besaß Erfurt eine ausgewogene, moderne Wirtschaftsstruktur mit der Metall- und Bekleidungsindustrie an der Spitze. Einige Unternehmen brachten es zu nationalen Führungspositionen oder sogar zu Weltruf, wie der Schuhkonzern Lingel (Abb.: Stadtmuseum Erfurt) und der Maschinenbaukonzern Pels. Dies sicherte zugleich einem weiterhin breiten Mittelstand neue Entwicklungschancen.

Nicht zu vergessen ist die moderne Lebensmittelindustrie. Der Brauereigeschichte wird sich im September das Stadtmuseum mit der Sonderausstellung „Es braut sich was zusammen – Erfurt und das Bier“ widmen. Die Kuratoren Hardy Eidam und Gudrun Noll-Reinhardt möchten damit die Geschichte des Bieres von der Antike über die Biereigen in Erfurt bis hin zur industriellen Produktion im mitteldeutschen Riebeck-Konzern lebendig werden lassen.

Nach 1945 änderte sich an der Erfurter Wirtschaftsstruktur relativ wenig. Zwar brachten Enteignungen und Planwirtschaft eine tiefe Zäsur, die dominierenden Industriezweige blieben aber erhalten. Aus Lingel wurde das Schuhkombinat „Paul Schäfer“, aus Pels das Kombinat Umformtechnik „Herbert Warnke“, im Brühl stellte man jetzt Schreibmaschinen unter der Marke „Optima“ statt „Olympia“ her, aus „Topf & Söhne“ wurde der VEB Erfurter Mälzerei- und Speicherbau (EMS), die Brauereien firmierten unter „Braugold“ usw.

Mit tausenden von Mitarbeitern gehörten die volkseigenen Industriebetriebe Erfurts zu den Schwerpunkten der DDR-Wirtschaft. Einige bewahrten auch ihre internationale Bedeutung. Die Großpressen von Pels/Umformtechnik etwa wurden jetzt zwar im Rahmen des Ostblock-Wirtschaftssystems RGW in großer Zahl an die Sowjetunion und andere sozialistische „Brudervölker“ geliefert, waren aber auch im kapitalistischen Ausland gefragt.

Nach der deutschen Einheit 1990 kam jedoch für einen Großteil der Industrie das Aus. Ganze Branchen mit großer Tradition wie die Schuhproduktion verschwanden völlig von der Bildfläche. Hierfür steht symbolisch der Abriss des großen Lingel-/Paul Schäfer-Komplexes an der Martin-Andersen-Nexö-Straße (siehe Abb.). Andere Bereiche blieben mit erheblich weniger Mitarbeitern zumindest im Kern erhalten, wie die Pressenherstellung von Umformtechnik unter der heutigen Marke Schuler. Wie fragil dabei die ostdeutsche Industrie ohne große Konzernzentralen ist, zeigt das traurige Schicksal des Erfurter Siemens-Generatorenwerks.

(Dr. Steffen Raßloff in Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 13.01.2018)


Siehe auch: Themenjahr Industrialisierung 2018, Industriedenkmale in Erfurt, Geschichte Thüringens, Geschichte der Stadt Erfurt, Stadtmuseum Erfurt