Wandbilder zur Stadtgeschichte im Rathausfestsaal
Die Wandbilder im Erfurter Rathausfestsaal
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2007)
Stadtgeschichte in Bildern
Die Wandbilder im Rathausfestsaal (1)
Der Rathausfestsaal ist die gute Stube Erfurts. Unsere Vorväter ließen diesen repräsentativen Saal mit einem Wandbildzyklus ausstatten, der zentrale Episoden und Wendepunkte der Stadtgeschichte markiert.
Am 3. Juni 1882 feierte ganz Erfurt die offizielle Einweihung des neuen neogotischen Rathauses. Prunkstück war der von Prof. Peter Janssen aus Düsseldorf in über vierjähriger Arbeit mit Wandgemälden ausgeschmückte Festsaal. Diese Bilder sollen auf ihren historischen Hintergrund, das Geschichtsbild der Entstehungszeit und auch daraufhin betrachtet werden, was uns die gewählten Themen und Persönlichkeiten aus aktueller Sicht noch zu sagen haben.
Professor Janssens Parforceritt durch die Stadtgeschichte beginnt mit dem Missionar Bonifatius, der “Erphesfurt” in seinem Papstbrief von 742 ans Licht schriftlich überlieferter Geschichte gehoben hat. Er steht ebenso wie die Heiligen Martin und Elisabeth auf dem zweiten Bild für die bis heute vielfältig wirksamen christlich-abendländischen Traditionen, wenngleich eine deutliche Mehrheit der Erfurter nicht mehr konfessionell gebunden ist. Aber auch schon im späten 19. Jahrhundert haftete den Bildern etwas von einer Beschwörung christlicher Wurzeln und Werte im Zeitalter der Moderne an.
Die wichtige Stellung der autonomen Quasi-Reichsstadt Erfurt wird in den Bildern drei und vier unterstrichen. Die Unterwerfung Heinrichs des Löwen unter Kaiser Friedrich Barbarossa 1181 in der Peterskirche zeugt ebenso wie der Raubritterzug Kaiser Rudolfs mit Unterstützung Erfurter Bürger 1289/90 von der Nähe zur kaiserlichen Zentralgewalt. Auf die kulturelle Ausstrahlung des zu den größten und wohlhabendsten Städten des Alten Reiches zählenden Erfurt verweist das Gemälde mit der symbolischen Darstellung der Universität. Die 1379 privilegierte Alma mater Erfordiensis gehörte zu den angesehensten Hochschulen Europas, ihr bekanntester Student und Lehrer war der abgebildete Reformator Martin Luther.
Mit der Wende zur Neuzeit begann der Abwärtstrend der stolzen Bürgerstadt. Den Beginn markiert das “tolle Jahr” 1509, als der Ruin der Stadtfinanzen zu einem Aufstand der unteren Bürgerschichten führte. Am Ende steht die Unterwerfung unter den Mainzer Kurfürsten 1664. Die kurmainzische Epoche galt als “dunkles Zeitalter” bis zur 1802 mit dem Übergang an Preußen beginnenden “Renaissance”. Im Festgedicht zum Preußen-Jubiläum 1902 wird dieses “neue Grünen” emphatisch besungen: “Das brach aus alten Trieben von frischem aus, / Seit dich beschirmt das mächtige Zollernhaus, / Und schöner, als du`s je erfahren, / Hob sich dein Wohlstand seit hundert Jahren.”
In der Angliederung an Preußen 1802 bzw. endgültig 1814 sahen viele Erfurter einen historischen Glücksfall. Ihr glaubte man den Aufstieg zur modernen Industriemetropole zu verdanken, deren Selbstbewusstsein sich nicht zuletzt im Rathausneubau manifestierte. Zudem haftete dem Königreich der Hohenzollern der Nimbus des “Reichseinigers” von 1871 an. Überdies sah das im Stadtrat vorherrschende Bürgertum in der preußisch-deutschen Monarchie auch ein Bollwerk gegen die Arbeiterbewegung. Ganz in diesem Geiste stellen die letzten Bilder die Huldigung vor König Friedrich Wilhlem III. 1803 und das Ende der “Franzosenzeit” mit der Zerstörung des Napoleonobelisken 1814 dar.
> Bonifatius fällt die Donar-Eiche
> Heiliger Martin Heilige Elisabeth Erfurt
> Barbarossa Kniefall Heinrich der Löwe Erfurt 1181
> Kaiser Rudolf Raubritter Erfurt 1289/90
> Alte Universität Erfurt Rathausfestsaal
> Tolles Jahr von Erfurt 1509/10
> Friedrich Wilhelm III. Huldigung Erfurt 1803
> Zerstörung Napoleonobelisk Erfurt 1814
> Altes Rathaus Ratssitzungssaal
Treue Preußen
Die Wandbilder im Rathausfestsaal (9): Huldigung vor Friedrich Wilhelm III. 1803
1802 endete die jahrhundertelange Zugehörigkeit Erfurts zum Kurfürstentum Mainz. Von nun an verband sich sein Schicksal, kurz unterbrochen von der “Franzosenzeit” 1806-1814, bis 1945 mit Preußen. Viele Erfurter sahen hierin um 1900 einen Glücksfall.
Die große Preußen-Jahrhundertfeier vom 21. August 1902 war eine einzige Huldigung an das Königreich der Hohenzollern. Im Festgedicht wird die mittelalterliche Blütezeit Erfurts ausdrücklich mit der “Preußenzeit” auf eine Stufe gestellt. In der Festzeitschrift erhebt sie Stadtarchivar Alfred Overmann sogar zum Höhepunkt der Stadtgeschichte: “Für Erfurt brach mit der Vereinigung mit dem Königreich Preußen eine neue Geschichte an, segensreicher als alle früheren Zeitläufe, mögen sie noch so glänzend erscheinen.” Die wesentlich durch Preußen herbeigeführte Errichtung des Deutschen Kaiserreiches 1871 hatte dessen Ruhm als “Reichsgründungsmacht” gemehrt. Auch den Aufstieg zur modernen Industriemetropole glaubte man ihm zu verdanken. Overmann: “Gerade Erfurt, mitten in dem klassischen Lande deutscher Kleinstaaterei gelegen, hat erfahren, welch ein Segen es ist, einem großen Staatswesen anzugehören. Wenn es heute mit derselben Berechtigung, wie in den glanzvollen Tagen des Mittelalters, unbestritten als die Hauptstadt Thüringens gilt, so verdankt es das neben der Intelligenz und der Arbeitsamkeit seiner Bewohner der unausgesetzten Fürsorge, die der führende deutsche Staat ihm hat zu Teil werden lassen.” Daher verwundert es nicht, wenn Historienmaler Prof. Peter Janssen in den Festsaalgemälden 1882 die sprichwörtliche Preußentreue der Erfurter aufgreift. Am 8. Mai 1802 war die Stadt durch einen preußisch-französischen Vertrag an die Hohenzollern gelangt, deren Soldaten am 21. August 1802 einmarschierten. Das Bild verweist auf den Huldigungsakt aller neu hinzu gekommenen Provinzen in Hildesheim 1803. Symbolisch verneigen sich Vertreter von Adel, Geistlichkeit, Bürgern und Bauern vor König Friedrich Wilhelm III. und dessen legendärer Gemahlin Luise. Auf die spätere Rolle Preußens als Sieger der Befreiungskriege und Reichseiniger deuten die Jahreszahlen in der rechten Kartusche. Das hinter diesem historistischen Gemälde stehende monarchisch-nationale Geschichtsbild Janssens und großer Teile der Bürgerschaft wurde freilich nicht von allen Erfurtern geteilt. Insbesondere die junge Industriearbeiterschaft, auf dem Bild gar nicht vertreten, sah die Dinge durchaus anders. Ihre Führer prangerten Preußen und das von ihm geprägte Kaiserreich als militaristischen Obrigkeitsstaat an, der seit 1878 die Arbeiterpartei mit dem Sozialistengesetz verfolgte.
Das Ende der “Franzosenzeit”
Die Wandbilder im Rathausfestsaal (10): Zerstörung des Napoleonobelisken 1814
Im Januar 1814 endete für Erfurt die “Franzosenzeit”, die mit der Besetzung durch napoleonische Truppen nach der Schlacht von Jena und Auerstedt 1806 begonnen hatte. Symbolisch hierfür steht die Zerstörung des Napoleon-Obelisken auf dem Anger.
Den Schlusspunkt der 1882 eingeweihten historistischen Galerie im Rathausfestsaal bildet nicht zufällig das Gemälde „Die Zerstörung des Napoleonobelisken auf dem Anger“. Es greift eine Episode am Rande des Einzugs der Preußen am 6. Januar 1814 auf. Noch in der Stadt befindliche französische Soldaten waren mit erbitterten Bürgern aneinander geraten und wurden von diesen entwaffnet und verprügelt. Auf dem Bild ist ein Offizier zu sehen, der den besonderen Unwillen auf sich gezogen hatte und niedergestochen worden war. Anschließend steckte man den hölzernen Obelisken des bisherigen Herren der „Kaiserlichen Domäne“ Erfurt in Brand. Die ganze Szene stellt sich dar als die spontane Entladung einer lange aufgestauten Spannung. Besonders die späte Besatzungszeit mit Hinrichtungen und Hungersnot nach Napoleons gescheitertem Russlandfeldzug 1812 hatte für Verbitterung gesorgt. Dem Bombardement der alliierten Truppen während der Belagerung ab Herbst 1813 fielen das Peterskloster und nördliche Domplatzviertel zum Opfer. So schlug den Preußen als Befreiern die Begeisterung großer Bevölkerungsteile entgegen. Die Fackel am Napoleonobelisken sollte aber auch im Sinne des Malers Prof. Peter Janssen und seiner Auftraggeber hell in die Gegenwart leuchten. Im Geschichtsbild des nationalgesinnten Bürgertums stand das Ende der Napoleonischen Zeit für den Beginn eines Weges, der in der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 sein Ziel gefunden hatte. Jener moderne deutsche Nationalstaat war also nur sieben Jahre vor Beginn von Janssens Arbeiten im Rathausfestsaal aus der Taufe gehoben worden. Zu seinen “Geburtsfehlern” gehörte die vielzitierte „Erbfeindschaft“ zu Frankreich. Das Kaiserreich ging aus einem Krieg mit Frankreich hervor, die Proklamation des preußischen Königs zu Kaiser Wilhelm I. musste ausgerechnet im Spiegelsaal von Versailles erfolgen. Mit der Annektion von Elsass-Lothringen konnte sich die Grande Nation ebenfalls nicht abfinden. Im Gefühl des Sieges von 1870/71 übten sich zudem viele Deutsche in Geringschätzung der westlichen Nachbarn. Selbst die honorige Gesellschaft Ressource, der nahezu alle Erfurter von Rang und Namen angehörten, konnte forsche Töne anschlagen. Mit Blick auf den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 reimte man anlässlich einer Festsitzung zur Reichsgründung: „Und kraucht der Franzmann wieder rum, Wir haun ihn nochmals lahm und krumm!“
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Wandbilder zur Sagenwelt im Rathaus, Bonifatius, Martin Luther