Mohrengasse
Mohrengasse
Ortsteil: Altstadt
Bezeichnung seit: Mittelalter
vorherige Bezeichnung/en: keine
Bedeutung: benannt nach dem "Haus zum Mohrenkopf" in der Johannesstraße 168 (Renaissancebau von 1610 auf den Fundamenten eines mittelalterlichen Vorgängerbaus); Vgl. Max Timpel: Straßen, Gassen und Plätze von Alt-Erfurt in Vergangenheit und Gegenwart, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 45 (1929), S. 154.
Im Rahmen der Debatte um das Nettelbeckufer forderten die Erfurter Grünen, die Mohrengasse solle als "rassistisches Überbleibsel" (Thüringer Allgemeine, 17.07.2020) ebenfalls umbenannt werden. Der mit Rassismus begründete Vorschlag ist jedoch ein historischer Anachronismus. Die Mohrengasse ist nach dem mittelalterlichen "Haus zum Mohrenkopf" benannt. Prof. Dr. Karl Heinemeyer, em. Lehrstuhlinhaber für Mittelalterliche Geschichte und Landesgeschichte an der Universität Erfurt sowie Vorsitzender des Erfurter Geschichtsvereins, hat sich intensiv mit der weit zurückreichenden Tradition beschäftigt und stellt fest: "Mit Rassismus hat ihr Name nichts zu tun." (Thüringer Allgemeine, 19.08.2020)
Es gibt in Europa unzählige solcher weit zurückreichenden Mohren-Namen für Häuser, Geschäfte, Gasthöfe, Brauereien, Apotheken usw., die nichts mit neuzeitlichem Rassismus oder Kolonialismus zu tun haben. Der Mohr ist auch in zahlreichen Kunstwerken zu finden. Oft geht er auf den populären heiligen Mauritius zurück, dem in Erfurt die Moritzkirche in der Moritzstraße geweiht war. Eine der berühmtesten Darstellungen im Madeburger Dom gilt als "markantes Zeichen gegen jede Diskriminierung von Menschen wegen ihrer Hautfarbe und Herkunft" (Glaube und Heimat, 26.07.2020). Dieser im christlich-mittelalterlichen Kontext positiv belegte Begriff ist vom abschätzigen "Neger" des Kolonialzeitalters zu unterscheiden. Das gilt ebenso für jüngere Stereotype wie den Mohren als Werbeträger.
Der Vorgang spiegelt den "neuen Umbennungsfuror", der sich laut Sprachwissenschaftler Helmut Glück vielerorts an den Mohren-Namen festmacht: "Der 'Mohr' ist altertümlich, aber nicht rassistisch, doch das will eine kleine, aber lautstarke Minderheit nicht wahrhaben." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.07.2020) In Erfurt gingen radikale Umbenennungs-Aktivisten am 22.07.2020 sogar soweit, ohne weitere konstruktive Diskussion das bereits zur Möhrengasse verballhornte Straßenschild zu überkleben (siehe Foto, Dr. Steffen Raßloff).
Das Ganze erinnert an die zeitgleiche Initiative, den Mohren aus dem Coburger Stadtwappen zu entfernen. Dabei handelt es sich auch hier nicht um ein Zeugnis der "Kolonialzeit", wie die beiden Berliner Initiatorinnen meinen, sondern um den heiligen Mauritius, der seit dem Mittelalter das Stadtwappen ziert. Dieser gilt als hoch verehrter Stadtpatron und Namensgeber der großen Morizkirche. Die Initiative führt die Ziele der Antirassismusbewegung geradezu ins Absurde, verschwand der Mohr doch schon einmal aus dem Wappen - aus rassistischen Gründen durch die Nationalsozialisten von 1934 bis 1945. (Steffen Raßloff: Der "Coburger Mohr". In: Orte der Reformation - Coburg. Leipzig 2014, S. 24 f.)
Siehe: Geschichte der Erfurter Straßennamen, Nettelbeckufer, Kolonialismus in Erfurt
Thüringer Allgemeine vom 23.06.2020 (zum Lesen anklicken)