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Version vom 27. Februar 2012, 11:07 Uhr
Historische Ausflugsziele in und um Erfurt
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2007)
Historische Ausflugsziele um Erfurt
Dr. Steffen Raßloff
Mit der Entwicklung zur Industriegroßstadt im 19. Jahrhundert wuchs das Bedürfnis vieler Erfurter nach sonn- und feiertäglicher Erholung im Grünen. Zu den traditionellen Ausflugszielen im Steiger kamen weitere im Umland hinzu. Eine TA-Serie wird die beliebtesten vorstellen.
Erholung von den strapaziösen Tagesgeschäften trieb schon Otto von Bismarck in den Steiger. Der konservative Abgeordnete des Erfurter Unionsparlamentes 1850 schrieb seiner Frau von ausgedehnten Spaziergängen durch den Steigerwald, „ein allerliebstes kleines Gebirge 1/4 Meile von der Stadt“. Dort hatte es ihm nicht zuletzt die gute Verpflegung angetan. Nach getaner Parlamentsarbeit ging es voller Freude “zum Kaffee auf den Steiger”, auch die hiesigen Wurstwaren und reichlich genossenen „Steinkruken voll Erfurter Felsenkellerbier“ preist Bismarck ausdrücklich an.
Aber die Erholung in Wald und Flur samt leiblicher Wohltaten war längst kein Privileg der gehobenen Gesellschaftsschichten mehr. Mit der Entwicklung Erfurts zur Industriegroßstadt im 19. Jahrhundert wuchs das Bedürfnis nach Entspannung im Grünen zum Massenphänomen. Der sprichwörtliche Sonntagsausflug führte in der Regel in den Steiger. Eine Vielzahl heute teils noch bestehender, teils längst vergessener Ausflugsziele lud zum Verweilen ein. Mit der Roten (Steigerstraße), Grünen (Schützenhaus) und Braunen Linie (Kavalleriekaserne) der Straßenbahn waren die Ausgangspunkte für eine Steigerwanderung auch für die Bewohner der nördlichen Stadtteile seit dem Jahrhundertende leicht erreichbar. Allerdings trieb es die Unternehmungslustigeren noch weiter hinaus. Eines der beliebtesten Ziele im Umland der Stadt bildet seit 1895 der Riechheimer Berg nahe Hohenfelden. Dort hatte der Thüringerwaldverein das Thüringer Bauernhaus der großen Erfurter Gewerbeausstellung 1894 wieder aufgebaut. Seit 1905 dient es als durchgehend bewirtschafteter Gasthof. Wer nicht ganz so weit gehen wollte, machte am Forsthaus Willrode halt, wo der später ausgestopft im Naturkundemuseum zu bewundernde Hirsch Hansi nicht nur Kinderherzen höher schlagen ließ. Immer wieder zog es die Erfurter auch zur eng mit der Stadtgeschichte verwobenen Drei-Gleichen-Region. Erst in jüngerer Zeit zu einem Massenausflugsziel wurde die Grundmühle bei Tiefthal, die freilich auf eine lange, geheimnisumwitterte Geschichte zurückblicken kann. Mit der Verkürzung der Arbeitszeiten und der Einführung des arbeitsfreien Wochenendes im Mai 1967 erweiterte sich der Spielraum für Freizeitaktivitäten in der DDR-Zeit weiter. Zu den klassischen Ausflugszielen mit Gasthaus kamen nun zudem mit dem Thüringer Zoopark (1959) und der iga (1961) weitere attraktive Anziehungspunkte für die ganze Familie. Durch die Zugverbindungen in den Thüringer Wald, die Durchsetzung des automobilen Zeitalters und das Hinzukommen vieler anderer Freizeitmöglichkeiten haben die stadtnahen Ausflugsziele zwar ein wenig von ihrer beherrschenden Stellung verloren. Dennoch zieht es den Erfurter nach wie vor in den Steiger und ins Umland. Waldcasino, Waldhaus, Bismarckturm, Schützenhaus, Hubertus (siehe Abb.) oder Bachstelzencafe erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit, ebenso wie Forsthaus Willrode, Riechheimer oder Grundmühle. Dieses historisch gewachsene Spektrum an Ausflugsmöglichkeiten trägt wesentlich zur Lebensqualität in unserer Stadt bei.
> Luisenpark und Bachstelzenweg
> Willroder Forst und Haarberg
Historische Ausflugsziele um Erfurt (5): Willroder Forst und Haarberg
Dr. Steffen Raßloff
Die Erfurter eroberten sich seit dem 19. Jahrhundert auf Schusters Rappen ihr weiteres Umland. Über den Steiger hinaus ging es jetzt v.a. in die hügelige Waldlandschaft im Südosten, den Willroder Forst und den Haarberg.
Ein Ausgangspunkt für eine Wanderung Richtung Südosten war der 1938 eingemeindete Vorort Melchendorf. Dabei bedurfte es schon etwas mehr Aufwand als bei Steiger-Wanderungen. Busverbindungen gab es erst seit den 1920er Jahren, die Straßenbahn erreichte das Dorf gar erst 1983 mit der Errichtung der umliegenden Neubaugebiete. Das klassische Ziel in dieser Region war, soweit man nicht den gut 10 Kilometer entfernten “Reichheimer” ansteuerte, das Forsthaus Willroda (auch Willrode). Anders als bei vielen der neu errichteten Ausflugsgaststätten um 1900 handelte es sich dabei um einen sehr geschichtsträchtigen Gebäudekomplex, dessen Entstehung bis ins 11. Jahrhunderts zurück geht. Er gehörte vom 13. bis 15. Jh. dem Erfurter Neuwerkskloster, das zum Schutz Mauer, Wall und Graben im Stile einer kleinen Wasserburg errichtete. Danach fiel das Gut an das Erfurter Bürgergeschlecht von Willröda, 1574 an die Stadt Erfurt, 1664 an Landesherr Kurmainz und schließlich 1803 bis 1945 an Preußen. Im 18. Jahrhundert diente Willroda u.a. auch als Jagdschloss. So entstand im Haupthaus ein prächtiger Jagdsaal mit Stuckdecke. Statthalter Carl Theodor von Dalberg sorgte ab 1772 für den weiteren Innenausbau und beauftragte den Bayreuther Hofmaler Zöllner, den Jagdsaal mit großformatigen Wandgemälden mit Jagdmotiven auszuschmücken. Auch Goethe soll hier zu Gast gewesen sein. Nach der Übernahme durch Preußen wurde Willroda nur noch als Wohnung und Dienstsitz der Försterei genutzt. Der 1992 gegründete “Verein zur Erhaltung und Förderung des Forsthauses Willroda” hat die Anlage mit viel ehrenamtlicher Tätigkeit und dank Fördermitteln wieder auf Vordermann gebracht. 1995 begannen erste Erhaltungsmaßnahmen, 2001 die Generalsanierung. Nach deren Abschluss soll das Forstamt 2008 die unteren Räume beziehen, der Jagdsaal mit den restaurierten Gemälden für kulturelle Veranstaltungen zugänglich bleiben. Beherbergte das Forsthaus auch nie eine Ausflugsgaststätte im engeren Sinne, so zählte es doch zu den beliebtesten Wanderzielen um Erfurt. Eine besondere Attraktion war der zahme Hirsch Hansi, der später ausgestopft im Naturkundemuseum bestaunt werden konnte. Getränke und ein kleiner Imbiss waren in beschaulichem Umfeld immer zu haben. Heute sorgt der Förderverein v.a. an Wochenenden und Feiertagen für leibliches Wohl und kulturelle Umrahmung. Der Willroder Forst bot bis vor wenigen Jahren mit dem Restaurant “Suhlequelle” ein weiteres sehr beliebtes Ausflugsziel, das momentan leider geschlossen ist. Seit dem späten 19. Jahrhundert zog es die Erfurter auch häufig in das östlich angrenzende Waldgebiet um den Haarberg. Neben der gleichnamigen Gaststätte genoss das nahe Lokal “Weidmannsruh” (auch “Storchnest”) einen guten Ruf. Mit der Inbetriebnahme der Reichsautobahn 1940 bekam der “Haarberg” jedoch zunehmend den Charakter einer Kraftfahrer-Gaststätte. Als Wanderziel verlor er dagegen an Attraktivität, das benachbarte Gasthaus Weidmannsruh ist längst Geschichte.
Historische Ausflugsziele um Erfurt (6): Der Riechheimer Berg
Dr. Steffen Raßloff
Im späten 19. Jahrhundert erfasste die Wanderlust der Erfurter zunehmend auch das weitere Umland. Das Gasthaus auf dem Riechheimer Berg bei Hohenfelden wurde dabei zu einem der meist angesteuerten Ziele.
Jeder echte Erfurter kennt die beliebte Ausflugsgaststätte „Riechheimer Berg“. Vier Generationen erholungssuchender Großstädter haben sich auf den gut 10 km langen Weg hinauf auf den 513 m hohen Berg zwischen Riechheim und Hohenfelden gemacht. Das Auto-Zeitalter hat den Zustrom noch verstärkt, zumal mit dem Stausee Hohenfelden (1967) und dem Thüringer Freilichtmuseum (1979) weitere Anziehungspunkte hinzu kamen. Jüngst entstand die Avenida Therme (2001) für ganzjähriges Badevergnügen. Der Riechheimer liegt also inmitten einer Freizeitlandschaft, die aus den Bedürfnissen der städtischen Moderne erwuchs. Alles begann mit dem Wirken natur- und volkskundebegeisterter Erfurter. 1895 hatte der Thüringerwald-Verein das „Thüringer Bauernhaus“, eine der Attraktionen der Erfurter Gewerbeausstellung von 1894, teilweise auf den Reichheimer Berg „versetzt“. Dieser später erweiterte Gebäudekomplex wird seit 1905 ganzjährig als Gasthaus genutzt. Laut Louis Rölls Stadtführer von Erfurt gehörte der Riechheimer Berg schon 1901 zu den beliebtesten Zielen unter der Rubrik “weitere Ausflüge”. Mit angegebenen 4 Stunden Weg bildete er zugleich die weiteste der empfohlenen Tagestouren, wobei mit Willroder Forst (1 ½ Stunden) und Schellroda (1 3/4 Stunden) gute Rastmöglichkeiten auf halber Strecke bestanden. War der Weg zurück gelegt, wurde der Wanderer mit gutbürgerlicher Küche im rustikalen Gastraum oder schattigen Biergarten belohnt. Die Betreiberfamilie Limprecht/Büchner wird dabei seit Generationen den Wünschen ihrer Gäste gerecht. Um 1900 war das genau wie an heutigen schönen Wochenenden oft nicht einfach angesichts der riesigen Schar der Wanderer. Alte Aufnahmen zeigen ganze Vereine mit Kind und Kegel, sogar Theateraufführungen im Freien wurden veranstaltet. Übrigens errichtete der Thüringerwald-Verein 1907 am Riechheimer auch ein Bismarck-Denkmal. Die von Eichen umgebene Natursteinmauer zeigt auf einer Bronzetafel das Porträt des “Eisernen Kanzlers”. Damit konnte der national gesinnte Erfurter nun neben dem Bismarckturm im Steiger auch hier des Nationalhelden gedenken. Dies war nach 1945 nicht mehr gefragt. Das Denkmal blieb jedoch dank der Sicherstellung der Bronzetafel durch die Gasthofbetreiber unbehelligt. Zum 100. Riechheimer-Jubiläum 1995 konnte es wieder eingeweiht werden. Der Riechheimer erfreut sich bei den Erfurtern bis auf den heutigen Tag ungebrochener Beliebtheit. Viele von ihnen reisen zwar mehr oder weniger direkt mit dem Auto an. Aber auch der Fußmarsch ist keineswegs ganz aus der Mode gekommen. So gehört für viele männliche Bewohner der Blumenstadt die feuchtfröhliche Herrentagspartie zu Christi Himmelfahrt zum festen Jahresprogramm.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt