Erfurt Weimarer Republik Rassloff: Unterschied zwischen den Versionen
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Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger – das sind typische Begriffe, die mit der Zeit der Weimarer Republik 1918-1933 in Verbindung gebracht werden. Sie bilden die zwei Pole, die die Widersprüchlichkeit jener gerade einmal anderthalb Jahrzehnte existierenden ersten deutschen Republik markieren. Die Bilder von Straßenkämpfen, Saalschlachten und gewalttätigen Demonstrationen, von Soldaten, Freikorpskämpfern und uniformierten Parteiarmeen wechseln mit Assoziationen von moderner Kunst und Architektur, Kinoklassikern, bahnbrechenden Städtebauprojekten und technischem Fortschritt. | |||
Diese Widersprüchlichkeit erklärt sich zum einen aus den schwierigen historischen Rahmenbedingungen, unter denen die Weimarer Republik ins Leben trat. Ergebnis des verlorenen Ersten Weltkrieges 1914-1918, löste sie das Deutsche Kaiserreich von 1871 ab. Rasch galt die Republik großen Bevölkerungsteilen als aufgezwungene Staatsform der Siegermächte, während sich das glanzvoll-pompöse Kaiserreich als die gute, alte Zeit verklärte. Zugleich ging ein tiefer Riss durch die krisengeschüttelte industrielle Massengesellschaft Deutschlands. Die einen wollten diesen Riss mit der Vision eines klassenlosen Kommunismus, die anderen mit einer nationalen Volksgemeinschaft auf rassischer Grundlage schließen. So blieb „Weimar“ immer eine „Republik ohne Republikaner“, die von links wie rechts angefeindet und in der politischen Mitte oft nur von Vernunftrepublikanern getragen wurde. | |||
Und dennoch hat diese Republik Großes hervorgebracht, gerade im Bereich von Kunst und Kultur. Das Berlin der 1920er Jahre geriet geradezu zur Chiffre der Moderne. Freilich wurde die moderne Kultur, etwa der Expressionismus, von breiten Teilen der Bevölkerung eher mit Skepsis betrachtet. Der avantgardistische Gestus vieler Künstler stieß das in traditionellen Bahnen verharrende Bürgertum ab. Die alten Eliten der Kaiserzeit wurden angesichts der neuen Massenkultur von Kulturpessimismus erfasst. So bescherte der heftige Kampf gegen die „jüdisch-bolschewistische Unkultur“ der Republik den extremen Rechten, allen voran der NSDAP Adolf Hitlers, viele Sympathien. | |||
Die Begriffe Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger markieren aber auch die drei meist unterschiedenen Phasen der Weimarer Republik. Am Anfang stehen Nachkriegskrise und Bürgerkrieg von 1918 bis 1923, gipfelnd im Kapp-Putsch 1920 und den linken und rechten Putschversuchen des Herbst 1923 (Münchener Hitlerputsch). Darauf folgen die vermeintlich goldenen Jahre von 1924 bis 1929 mit relativer Beruhigung der politischen und wirtschaftlich-sozialen Situation. Die dritte, mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise einsetzende turbulente Phase von 1929 bis 1933, erneut von bürgerkriegsähnlichen Exzessen begleitet, endete mit der Errichtung der NS-Diktatur Hitlers. | |||
Die hier skizzierten Phänomene lassen sich anhand der Erfurter Stadtgeschichte beispielhaft nachvollziehen. Wie im Brennspiegel zieht das Geschehen jener so ereignisreichen Jahre in der 130.000 Einwohner zählenden Industriegroßstadt am Betrachter vorbei. Wachsende gesellschaftliche Spannungen zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft kennzeichneten nach der noch unblutigen Novemberrevolution 1918 die Entwicklung. Sie entluden sich im Kapp-Putsch vom März 1920, der über Tage hinweg zu faktischem Kriegszustand führte. Am Ende belief sich die Opferbilanz auf 8 Tote und 79 teils schwer Verletzte. In den letzten Jahren der Republik lebten die Auseinandersetzungen mit öffentlicher Gewalt wieder auf, jetzt v.a. in Form von Schlägereien zwischen Nazis und Kommunisten. | |||
In jenen unruhigen Jahren sehnte sich so mancher Erfurter ins strahlende Kaiserreich der Hohenzollern zurück. Ein weltweit belachtes Schlaglicht auf diesen latenten Monarchismus warf der Auftritt des „falschen Prinzen“ Harry Domela, der 1926 als vermeintlicher Prinz von Preußen in Georg Kossenhaschens Luxushotel Erfurter Hof logierte. Freilich orientierten sich immer größere Teile des Bürgertums politisch um. Dieser Prozess wird in der Darstellung im Vordergrund stehen, bildete er doch eine entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Viele Bürger wandten sich zunächst von den nationalliberalen und konservativen Honoratiorenparteien der Kaiserzeit ab, da diese keine Antworten auf die Probleme der Gegenwart liefern konnten. Neue Interessenvertretungen wie die mittelständische Wirtschaftspartei blieben nur ein Übergangsphänomen. So kam es auf dem Höhepunkt der wirtschaftlich-sozialen Krise seit dem schwarzen Freitag vom Oktober 1929 zu einer förmlichen Flucht in die nationale Volksgemeinschaft der Nationalsozialisten. Auch die Arbeiterschaft war mit der Entwicklung seit 1918 überwiegend unzufrieden, sah in der Novemberrevolution eine steckengebliebene Revolution, die es zu vollenden gelte. Die republiktreue SPD verlor daher an Rückhalt, die radikale KPD konnte zulegen. | |||
Der Rechtsruck, aber auch die verzweifelte Orientierungslosigkeit insbesondere des Kleinbürgertums wurden im November 1929 mit einem politischen Paukenschlag erstmals offenbar. Der mehrfach vorbestrafte Vulgärantisemit und Wochenblatt-Herausgeber Adolf Schmalix hatte die Kommunalwahl gewonnen und zog triumphierend ins Rathaus ein. „Erfurt begeht moralischen Selbstmord“ – so rauschte es durch den Blätterwald der Presse im ganzen Reich. Wenig später war die NSDAP auch in Erfurt v.a. dank des bürgerlichen Mittelstandes zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen. | |||
Erfurt in der Weimarer Republik ist jedoch keineswegs nur Bürgerkrieg und politischer Radikalismus, der in die verhängnisvolle Diktatur Hitlers mündete. Vielmehr spielte die vom liberalen Oberbürgermeister Bruno Mann von 1919 bis 1933 geführte Stadt im Kulturleben jener Zeit eine weithin beachtete Rolle. Erfurt stand nicht nur in engem Austausch mit dem 1919 gegründeten Weimarer Bauhaus, sondern entwickelte sich selbst zu einem nationalen Brennpunkt moderner Kultur. Das heutige Angermuseum konnte unter den Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine der größten und bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus aufbauen. Gleichzeitig verweist die üble Hetze gegen die Museumsleitung und den „jüdischen Kulturbolschewisten“ Hess auf das politische Spannungsfeld, in dem sich moderne Kultur bewegte. | |||
Über den kulturellen Bereich im engeren Sinne hinaus hat auch der Städtebau der Goldenen Zwanziger bleibende Werte geschaffen. Nordbad (1925), Mitteldeutsche Kampfbahn (Steigerwaldstadion, 1931) und eine Reihe von öffentlichen Bauten im Bauhausstil prägen bis heute ebenso das Stadtbild wie die modernen Wohnungsbaukomplexe etwa im Hanse-Viertel. Der 1925 eröffnete Flughafen am Roten Berg läutete ein neues Zeitalter der Mobilität ein, das Auto begann seinen Weg zum Massenverkehrsmittel, Busverbindungen rückten das Umland näher an die Stadt heran. Das ausgebaute Kaufhaus Römischer Kaiser am Anger (Anger 1) verkörperte den modernen Massenkonsum der 1920er Jahre, in den Hotels, Restaurants und Varietés herrschte Hochbetrieb, das Leben pulsierte in der alten Metropole Thüringens. Auch das war Erfurt in der Weimarer Republik. | |||
'''[[Steffen Rassloff|Steffen Raßloff]]: Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik.''' Erfurt 2008. | |||
Siehe auch: '''[[Weimarer Republik|Erfurt in der Weimarer Republik]]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''' | |||
Aktuelle Version vom 6. Oktober 2025, 14:14 Uhr
Erfurt in der Weimarer Republik
Erfurt war in der Weimarer Republik eine pulsierende spannungsgeladene Industriegroßstadt mit großer kultureller Ausstrahlung.
Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger – das sind typische Begriffe, die mit der Zeit der Weimarer Republik 1918-1933 in Verbindung gebracht werden. Sie bilden die zwei Pole, die die Widersprüchlichkeit jener gerade einmal anderthalb Jahrzehnte existierenden ersten deutschen Republik markieren. Die Bilder von Straßenkämpfen, Saalschlachten und gewalttätigen Demonstrationen, von Soldaten, Freikorpskämpfern und uniformierten Parteiarmeen wechseln mit Assoziationen von moderner Kunst und Architektur, Kinoklassikern, bahnbrechenden Städtebauprojekten und technischem Fortschritt.
Diese Widersprüchlichkeit erklärt sich zum einen aus den schwierigen historischen Rahmenbedingungen, unter denen die Weimarer Republik ins Leben trat. Ergebnis des verlorenen Ersten Weltkrieges 1914-1918, löste sie das Deutsche Kaiserreich von 1871 ab. Rasch galt die Republik großen Bevölkerungsteilen als aufgezwungene Staatsform der Siegermächte, während sich das glanzvoll-pompöse Kaiserreich als die gute, alte Zeit verklärte. Zugleich ging ein tiefer Riss durch die krisengeschüttelte industrielle Massengesellschaft Deutschlands. Die einen wollten diesen Riss mit der Vision eines klassenlosen Kommunismus, die anderen mit einer nationalen Volksgemeinschaft auf rassischer Grundlage schließen. So blieb „Weimar“ immer eine „Republik ohne Republikaner“, die von links wie rechts angefeindet und in der politischen Mitte oft nur von Vernunftrepublikanern getragen wurde.
Und dennoch hat diese Republik Großes hervorgebracht, gerade im Bereich von Kunst und Kultur. Das Berlin der 1920er Jahre geriet geradezu zur Chiffre der Moderne. Freilich wurde die moderne Kultur, etwa der Expressionismus, von breiten Teilen der Bevölkerung eher mit Skepsis betrachtet. Der avantgardistische Gestus vieler Künstler stieß das in traditionellen Bahnen verharrende Bürgertum ab. Die alten Eliten der Kaiserzeit wurden angesichts der neuen Massenkultur von Kulturpessimismus erfasst. So bescherte der heftige Kampf gegen die „jüdisch-bolschewistische Unkultur“ der Republik den extremen Rechten, allen voran der NSDAP Adolf Hitlers, viele Sympathien.
Die Begriffe Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger markieren aber auch die drei meist unterschiedenen Phasen der Weimarer Republik. Am Anfang stehen Nachkriegskrise und Bürgerkrieg von 1918 bis 1923, gipfelnd im Kapp-Putsch 1920 und den linken und rechten Putschversuchen des Herbst 1923 (Münchener Hitlerputsch). Darauf folgen die vermeintlich goldenen Jahre von 1924 bis 1929 mit relativer Beruhigung der politischen und wirtschaftlich-sozialen Situation. Die dritte, mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise einsetzende turbulente Phase von 1929 bis 1933, erneut von bürgerkriegsähnlichen Exzessen begleitet, endete mit der Errichtung der NS-Diktatur Hitlers.
Die hier skizzierten Phänomene lassen sich anhand der Erfurter Stadtgeschichte beispielhaft nachvollziehen. Wie im Brennspiegel zieht das Geschehen jener so ereignisreichen Jahre in der 130.000 Einwohner zählenden Industriegroßstadt am Betrachter vorbei. Wachsende gesellschaftliche Spannungen zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft kennzeichneten nach der noch unblutigen Novemberrevolution 1918 die Entwicklung. Sie entluden sich im Kapp-Putsch vom März 1920, der über Tage hinweg zu faktischem Kriegszustand führte. Am Ende belief sich die Opferbilanz auf 8 Tote und 79 teils schwer Verletzte. In den letzten Jahren der Republik lebten die Auseinandersetzungen mit öffentlicher Gewalt wieder auf, jetzt v.a. in Form von Schlägereien zwischen Nazis und Kommunisten.
In jenen unruhigen Jahren sehnte sich so mancher Erfurter ins strahlende Kaiserreich der Hohenzollern zurück. Ein weltweit belachtes Schlaglicht auf diesen latenten Monarchismus warf der Auftritt des „falschen Prinzen“ Harry Domela, der 1926 als vermeintlicher Prinz von Preußen in Georg Kossenhaschens Luxushotel Erfurter Hof logierte. Freilich orientierten sich immer größere Teile des Bürgertums politisch um. Dieser Prozess wird in der Darstellung im Vordergrund stehen, bildete er doch eine entscheidende Voraussetzung für den Aufstieg des Nationalsozialismus. Viele Bürger wandten sich zunächst von den nationalliberalen und konservativen Honoratiorenparteien der Kaiserzeit ab, da diese keine Antworten auf die Probleme der Gegenwart liefern konnten. Neue Interessenvertretungen wie die mittelständische Wirtschaftspartei blieben nur ein Übergangsphänomen. So kam es auf dem Höhepunkt der wirtschaftlich-sozialen Krise seit dem schwarzen Freitag vom Oktober 1929 zu einer förmlichen Flucht in die nationale Volksgemeinschaft der Nationalsozialisten. Auch die Arbeiterschaft war mit der Entwicklung seit 1918 überwiegend unzufrieden, sah in der Novemberrevolution eine steckengebliebene Revolution, die es zu vollenden gelte. Die republiktreue SPD verlor daher an Rückhalt, die radikale KPD konnte zulegen.
Der Rechtsruck, aber auch die verzweifelte Orientierungslosigkeit insbesondere des Kleinbürgertums wurden im November 1929 mit einem politischen Paukenschlag erstmals offenbar. Der mehrfach vorbestrafte Vulgärantisemit und Wochenblatt-Herausgeber Adolf Schmalix hatte die Kommunalwahl gewonnen und zog triumphierend ins Rathaus ein. „Erfurt begeht moralischen Selbstmord“ – so rauschte es durch den Blätterwald der Presse im ganzen Reich. Wenig später war die NSDAP auch in Erfurt v.a. dank des bürgerlichen Mittelstandes zur stärksten politischen Kraft aufgestiegen.
Erfurt in der Weimarer Republik ist jedoch keineswegs nur Bürgerkrieg und politischer Radikalismus, der in die verhängnisvolle Diktatur Hitlers mündete. Vielmehr spielte die vom liberalen Oberbürgermeister Bruno Mann von 1919 bis 1933 geführte Stadt im Kulturleben jener Zeit eine weithin beachtete Rolle. Erfurt stand nicht nur in engem Austausch mit dem 1919 gegründeten Weimarer Bauhaus, sondern entwickelte sich selbst zu einem nationalen Brennpunkt moderner Kultur. Das heutige Angermuseum konnte unter den Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine der größten und bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus aufbauen. Gleichzeitig verweist die üble Hetze gegen die Museumsleitung und den „jüdischen Kulturbolschewisten“ Hess auf das politische Spannungsfeld, in dem sich moderne Kultur bewegte.
Über den kulturellen Bereich im engeren Sinne hinaus hat auch der Städtebau der Goldenen Zwanziger bleibende Werte geschaffen. Nordbad (1925), Mitteldeutsche Kampfbahn (Steigerwaldstadion, 1931) und eine Reihe von öffentlichen Bauten im Bauhausstil prägen bis heute ebenso das Stadtbild wie die modernen Wohnungsbaukomplexe etwa im Hanse-Viertel. Der 1925 eröffnete Flughafen am Roten Berg läutete ein neues Zeitalter der Mobilität ein, das Auto begann seinen Weg zum Massenverkehrsmittel, Busverbindungen rückten das Umland näher an die Stadt heran. Das ausgebaute Kaufhaus Römischer Kaiser am Anger (Anger 1) verkörperte den modernen Massenkonsum der 1920er Jahre, in den Hotels, Restaurants und Varietés herrschte Hochbetrieb, das Leben pulsierte in der alten Metropole Thüringens. Auch das war Erfurt in der Weimarer Republik.
Steffen Raßloff: Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik. Erfurt 2008.
Siehe auch: Erfurt in der Weimarer Republik, Geschichte der Stadt Erfurt