Augustinerkloster Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Datei: | [[Datei:AugustinerklosterA.jpg|400px|right]]Am 17. Juli 1505 wurde im Kloster der Augustinereremiten zu Erfurt Weltgeschichte geschrieben. Allerdings war das den damals Beteiligten noch nicht bewusst. Ein paar Kommilitonen verabschiedeten den Jura-Studenten der '''[[Universität Erfurt|Erfurter Universität]]''' Martinus Ludher an der Pforte in der heutigen Comthurgasse. Dieser hatte sich entschlossen, der Welt zu entsagen und sich ganz einem gottgefälligen Leben als Mönch zu widmen. Bis zuletzt hatten ihm seine Freunde dies auszureden versucht, lag doch vor dem angehenden Juristen eine glänzende Karriere im Dienste eines Fürsten oder einer mächtigen Stadt. Am meisten entsetzt war der Vater, der sich vom Studium seines Sohnes einen weiteren sozialen Aufstieg der Familie aus kleinen Verhältnissen erhofft hatte. | ||
Aber wie war es hierzu gekommen? Am 2. Juli 1505 befand sich der Studiosus zu Fuß auf dem Rückweg von seinen Eltern in Mansfeld. Schon in Sichtweite der Stadt, nahe dem heutigen Vorort '''[[Lutherstein Stotternheim|Stotternheim]]''', überraschte ihn ein schweres Gewitter. Beim Einschlag eines Blitzes tat er in Todesangst den spontanen Schwur „Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!“ Diesen Entschluss setzte '''[[Martin Luther]]''' als göttliche Fügung konsequent um und trat knapp zwei Wochen später in das Augustinerkloster ein. So jedenfalls will es die ältere Geschichtsschreibung. Heute vermuten Historiker und Theologen eher einen längeren Prozess, der zur Hinwendung ins Religiöse führte. Sicher ist aber, dass mit dem Eintritt in das Augustinerkloster die intensive Auseinandersetzung Luthers mit der Frage begann, wie er einen gnädigen Gott bekommen könne. Hier liegen wesentliche Wurzeln seiner Theologie. | |||
Das | Das Augustinerkloster darf also für sich beanspruchen, am Beginn der Entwicklung des großen Reformators zu stehen, dessen entscheidende biographische Zäsur hier stattfand. Symbolisch hierfür mag die bis heute erhaltene '''[[Lutherpforte Augustinerkloster Erfurt|Lutherpforte]]''' stehen. Bis 1511 lebte Luther in Erfurt, dem er zeitlebens eng verbunden blieb. Im Rahmen des '''[[500._Reformationsjubilaeum_Luther_2017|500. Reformationsjubiläum 2017]]''' wurde das Kloster deshalb sogar zur Aufnahme auf die Liste des '''[[UNESCO_Welterbe_Augustinerkloster_juedisches_Erbe|UNESCO-Weltkulturerbes]]''' als Ergänzung zu den Lutherstätten in Eisleben und Wittenberg vorgeschlagen. Die Anfänge des Klosters gehen ins 13. Jahrhundert zurück. Der Orden der Augustinereremiten war nach einem ersten gescheiterten Anlauf '''[[750 Jahre Augustinerkloster|1266]]''' endgültig seit 1277 in Erfurt präsent und baute schrittweise den noch immer erlebbaren Klosterkomplex auf. Herzstück ist die Augustinerkirche, die natürlich auch besonders eng mit Luther verbunden ist. 1507 hielt er hier seine erste Messe und wählte aus den herrlichen Kirchenfenstern ein Motiv für sein persönliches Kennzeichen aus, die berühmte Lutherrose. | ||
Freilich war es auch die von Luther eingeleitete Reformation, die zur endgültigen Aufhebung des Klosters 1559 führte. Wesentlichen Anteil daran hatte der letzte Prior des Klosters. Johannes Lang gilt nicht nur als „Reformator Erfurts“, sondern als wichtiger Mitstreiter Luthers, den er schon in der gemeinsamen Klosterzeit kennengelernt hatte. Angesiedelt waren hier fortan verschiedene Einrichtungen wie das Ratsgymnasium und ein Waisenhaus. Mit dem '''[[Erfurter_Unionsparlament_1850|Erfurter Unionsparlament 1850]]''' rückte das Kloster noch einmal in den Fokus der großen Geschichte. Im Zweiten Weltkrieg ereignete sich hier eine große Tragödie. Der '''[[Ort_der_Stille_Augustinerkloster|Ort der Stille]]''' unter der ehemaligen Klosterbibliothek erinnert an die 267 Opfer des verheerenden britischen Luftangriffs vom 25. Februar 1945. Sie waren in dem Luftschutzkeller unter dem getroffenen Gebäude verschüttet worden. | |||
Der Wiederaufbau des Klosters zog sich über Jahrzehnte hin, zumal sich Teile im Besitz der Stadt befanden. Die SED-Oberen waren aber keineswegs an einem lebendigen Lutherort in Kirchenhand interessiert. Erst die Vorbereitungen auf das mit großen Aufwand vorbereitete '''[[Luther Ehrung Erfurt 1983|Lutherjahr 1983]]''' zu Ehren des 500. Geburtstages des Reformators brachten einen Sinneswandel. Die DDR wollte sich international als weltoffenes Lutherland darstellen und den Reformator für ihr Geschichtsbild nutzen. Unter persönlicher Einflussnahme von SED-Generalsekretär Erich Honecker konnten so die Grundstücksfragen gelöst und das Kloster dank Unterstützung aus aller Welt von der Kirche saniert werden. | |||
Seither fungiert es als renommierte Tagungs- und Begegnungsstätte. Die internationalen Gäste bekommen eine Dauerausstellung „Bibel – Kloster – Luther“, Luthers rekonstruierte Zelle und eine einzigartige historische Bibliothek zu sehen. Vollendet wurde der beeindruckende Wiederaufbauprozess vor wenigen Jahren mit den modernen Neubauten der ehemaligen Bibliothek und der Waidhäuser, die sich in ihrer Form harmonisch in den gewachsenen Klosterkomplex einpassen. | |||
( | Trotz aller Bemühungen Luthers und der protestantischen Bevölkerungsmehrheit konnte sich die Reformation in Erfurt nie gänzlich durchsetzen. Das führte dazu, dass über Jahrhunderte Protestanten und Katholiken in Erfurt mehr oder weniger friedlich nebeneinander lebten und bis heute leben. Die Stadt ist sowohl Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, als auch Kapitale des katholischen Bistums Erfurt. Das mag wesentlich zum letzten großen Höhepunkt in der Geschichte des Augustinerklosters beigetragen haben. Mit dem Besuch von Papst Benedikt XVI. im September 2011 rückte das Kloster Luthers als ökumenischer Symbolort in den Fokus der Weltöffentlichkeit. (Foto: Alexander Raßloff). | ||
('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''') | |||
'''Lesetipps:''' | |||
Lothar Schmelz/Michael Ludscheidt (Hg.): '''Luthers Erfurter Kloster. Das Augustinerkloster im Spannungsfeld von monastischer Tradition und protestantischem Geist.''' Erfurt 2005. | |||
Steffen Raßloff | Steffen Raßloff/Volker Leppin/Thomas A. Seidel (Hg.): '''[[Orte der Reformation Erfurt|Orte der Reformation. Erfurt.]]''' Leipzig 2012. | ||
Steffen Raßloff: '''Urknall der Reformation. Der Mönch Martin Luther in Erfurt.''' In: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. S. 48 f. | |||
''' | Steffen Raßloff: '''[[Erfurter Unionsparlament 1850 LZT|Das Erfurter Unionsparlament 1850]]'''. Erfurt 2023. | ||
Siehe auch: '''[http://www.augustinerkloster.de Augustinerkloster Erfurt]''', '''[http://www.youtube.com/watch?v=piUDRwZTYZI Kurzfilm zu Luther und Erfurt]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Luther in Thüringen|Luther und Thüringen]]''' |
Aktuelle Version vom 20. November 2023, 13:33 Uhr
Augustinerkloster Erfurt
Die renommierte Tagungs- und Begegnungsstätte ging von 1505 bis 1511 als Kloster Martin Luthers und "Keimzelle der Reformation" in die Weltgeschichte ein und beherbergte 1850 das Erfurter Unionsparlament.
Am 17. Juli 1505 wurde im Kloster der Augustinereremiten zu Erfurt Weltgeschichte geschrieben. Allerdings war das den damals Beteiligten noch nicht bewusst. Ein paar Kommilitonen verabschiedeten den Jura-Studenten der Erfurter Universität Martinus Ludher an der Pforte in der heutigen Comthurgasse. Dieser hatte sich entschlossen, der Welt zu entsagen und sich ganz einem gottgefälligen Leben als Mönch zu widmen. Bis zuletzt hatten ihm seine Freunde dies auszureden versucht, lag doch vor dem angehenden Juristen eine glänzende Karriere im Dienste eines Fürsten oder einer mächtigen Stadt. Am meisten entsetzt war der Vater, der sich vom Studium seines Sohnes einen weiteren sozialen Aufstieg der Familie aus kleinen Verhältnissen erhofft hatte.
Aber wie war es hierzu gekommen? Am 2. Juli 1505 befand sich der Studiosus zu Fuß auf dem Rückweg von seinen Eltern in Mansfeld. Schon in Sichtweite der Stadt, nahe dem heutigen Vorort Stotternheim, überraschte ihn ein schweres Gewitter. Beim Einschlag eines Blitzes tat er in Todesangst den spontanen Schwur „Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!“ Diesen Entschluss setzte Martin Luther als göttliche Fügung konsequent um und trat knapp zwei Wochen später in das Augustinerkloster ein. So jedenfalls will es die ältere Geschichtsschreibung. Heute vermuten Historiker und Theologen eher einen längeren Prozess, der zur Hinwendung ins Religiöse führte. Sicher ist aber, dass mit dem Eintritt in das Augustinerkloster die intensive Auseinandersetzung Luthers mit der Frage begann, wie er einen gnädigen Gott bekommen könne. Hier liegen wesentliche Wurzeln seiner Theologie.
Das Augustinerkloster darf also für sich beanspruchen, am Beginn der Entwicklung des großen Reformators zu stehen, dessen entscheidende biographische Zäsur hier stattfand. Symbolisch hierfür mag die bis heute erhaltene Lutherpforte stehen. Bis 1511 lebte Luther in Erfurt, dem er zeitlebens eng verbunden blieb. Im Rahmen des 500. Reformationsjubiläum 2017 wurde das Kloster deshalb sogar zur Aufnahme auf die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes als Ergänzung zu den Lutherstätten in Eisleben und Wittenberg vorgeschlagen. Die Anfänge des Klosters gehen ins 13. Jahrhundert zurück. Der Orden der Augustinereremiten war nach einem ersten gescheiterten Anlauf 1266 endgültig seit 1277 in Erfurt präsent und baute schrittweise den noch immer erlebbaren Klosterkomplex auf. Herzstück ist die Augustinerkirche, die natürlich auch besonders eng mit Luther verbunden ist. 1507 hielt er hier seine erste Messe und wählte aus den herrlichen Kirchenfenstern ein Motiv für sein persönliches Kennzeichen aus, die berühmte Lutherrose.
Freilich war es auch die von Luther eingeleitete Reformation, die zur endgültigen Aufhebung des Klosters 1559 führte. Wesentlichen Anteil daran hatte der letzte Prior des Klosters. Johannes Lang gilt nicht nur als „Reformator Erfurts“, sondern als wichtiger Mitstreiter Luthers, den er schon in der gemeinsamen Klosterzeit kennengelernt hatte. Angesiedelt waren hier fortan verschiedene Einrichtungen wie das Ratsgymnasium und ein Waisenhaus. Mit dem Erfurter Unionsparlament 1850 rückte das Kloster noch einmal in den Fokus der großen Geschichte. Im Zweiten Weltkrieg ereignete sich hier eine große Tragödie. Der Ort der Stille unter der ehemaligen Klosterbibliothek erinnert an die 267 Opfer des verheerenden britischen Luftangriffs vom 25. Februar 1945. Sie waren in dem Luftschutzkeller unter dem getroffenen Gebäude verschüttet worden.
Der Wiederaufbau des Klosters zog sich über Jahrzehnte hin, zumal sich Teile im Besitz der Stadt befanden. Die SED-Oberen waren aber keineswegs an einem lebendigen Lutherort in Kirchenhand interessiert. Erst die Vorbereitungen auf das mit großen Aufwand vorbereitete Lutherjahr 1983 zu Ehren des 500. Geburtstages des Reformators brachten einen Sinneswandel. Die DDR wollte sich international als weltoffenes Lutherland darstellen und den Reformator für ihr Geschichtsbild nutzen. Unter persönlicher Einflussnahme von SED-Generalsekretär Erich Honecker konnten so die Grundstücksfragen gelöst und das Kloster dank Unterstützung aus aller Welt von der Kirche saniert werden. Seither fungiert es als renommierte Tagungs- und Begegnungsstätte. Die internationalen Gäste bekommen eine Dauerausstellung „Bibel – Kloster – Luther“, Luthers rekonstruierte Zelle und eine einzigartige historische Bibliothek zu sehen. Vollendet wurde der beeindruckende Wiederaufbauprozess vor wenigen Jahren mit den modernen Neubauten der ehemaligen Bibliothek und der Waidhäuser, die sich in ihrer Form harmonisch in den gewachsenen Klosterkomplex einpassen.
Trotz aller Bemühungen Luthers und der protestantischen Bevölkerungsmehrheit konnte sich die Reformation in Erfurt nie gänzlich durchsetzen. Das führte dazu, dass über Jahrhunderte Protestanten und Katholiken in Erfurt mehr oder weniger friedlich nebeneinander lebten und bis heute leben. Die Stadt ist sowohl Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland, als auch Kapitale des katholischen Bistums Erfurt. Das mag wesentlich zum letzten großen Höhepunkt in der Geschichte des Augustinerklosters beigetragen haben. Mit dem Besuch von Papst Benedikt XVI. im September 2011 rückte das Kloster Luthers als ökumenischer Symbolort in den Fokus der Weltöffentlichkeit. (Foto: Alexander Raßloff).
Lesetipps:
Lothar Schmelz/Michael Ludscheidt (Hg.): Luthers Erfurter Kloster. Das Augustinerkloster im Spannungsfeld von monastischer Tradition und protestantischem Geist. Erfurt 2005.
Steffen Raßloff/Volker Leppin/Thomas A. Seidel (Hg.): Orte der Reformation. Erfurt. Leipzig 2012.
Steffen Raßloff: Urknall der Reformation. Der Mönch Martin Luther in Erfurt. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 48 f.
Steffen Raßloff: Das Erfurter Unionsparlament 1850. Erfurt 2023.
Siehe auch: Augustinerkloster Erfurt, Kurzfilm zu Luther und Erfurt, Geschichte der Stadt Erfurt, Luther und Thüringen