Ort der Stille Augustinerkloster
Ort der Stille im Augustinerkloster
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (25.08.2012)
Ein Ort der Stille
DENKMALE IN ERFURT (60): Der neu gestaltete Keller unter dem Neubau der Bibliothek im Augustinerkloster erinnert an eine Tragödie aus dem Zweiten Weltkrieg.
Unter dem Neubau der Bibliothek im Augustinerkloster befindet sich seit vergangenem Jahr ein sogenannter Ort der Stille. Er erinnert an die Opfer des britischen Luftangriffes vom 25. Februar 1945, der die historische Klosterbibliothek zerstört und dabei 267 Menschen im Luftschutzkeller unter sich begraben hatte. Nur ein kleines Mädchen und ein Hund konnten lebend gerettet werden. Betritt man den die ganze Gebäudebreite einnehmenden Kellerraum, so fühlt man sich zunächst in eine unterirdische Kapelle versetzt. In der Tat soll der Raum auch zu Einkehr und Gebet einladen. Natürlich steht dabei jene größte Tragödie im Vordergrund, die sich in Erfurt während des Zweiten Weltkrieges abgespielt hat. Texttafeln erklären das Geschehen und enthalten erschütternde Zeitzeugenberichte. Der damalige junge Offiziersanwärter Ernst Meyer beschreibt, wie der Bergungstrupp die vielen Frauen, Mütter mit Kindern und alten Leute auffand. Über die Verschütteten hatte sich Staub „wie ein weißes Leichentuch“ gelegt.
Der Zweite Weltkrieg hat also auch in Erfurt tiefe Wunden geschlagen. Rund 1600 Bürger starben durch die Luftangriffe. Die ca. 1100 t Bombenlast aus britischen und amerikanischen Flugzeugen zerstörten wichtige Kulturdenkmale, neben dem Augustinerkloster etwa das Collegium maius der Universität und die Barfüßerkirche. Die von Westen vorrückenden amerikanischen Truppen wurden zudem am 11. und 12. April in opferreiche Gefechte um den “Ortsstütztpunkt” Erfurt verwickelt, da sich Kommandant Oberst Otto Merkel weigerte zu kapitulieren. Noch kurz vor dem Ende des NS-Regimes mussten so dutzende Menschen ihr Leben lassen. Erhebliche Zerstörungen, darunter das Büromaschinenwerk im Brühl und die Gebäude am heutigen Angereck, kamen hinzu.
Die Verluste an Menschenleben und Kulturgütern durch den Bombenkrieg waren sehr schmerzhaft. Dennoch muss man betonen, dass Erfurt noch Glück im Unglück hatte. So konnte es sein historisches Stadtbild weitgehend bewahren, da der Zerstörungsgrad „nur“ fünf Prozent betrug – in Jena etwa waren es 15, in Nordhausen 55 Prozent. Zu verdanken hat man dies nicht zuletzt den US-Truppen unter General George S. Patton. Sie waren so schnell auf Erfurt zu marschiert, dass ein bereits angesetzter Luftangriff noch in letzter Minute zurück genommen wurde. 376 Bomber der britischen Royal Airforce standen am 4. April aufgetankt und munitioniert auf dem Rollfeld, um ihre todbringende Last auf Erfurt abzuwerfen. Die dicht bebaute Innenstadt mit ihren vielen Fachwerkhäusern wäre unweigerlich zerstört worden, tausende Menschen in der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt hätten den Tod gefunden. (Fotos: Alexander Raßloff, Dr. Steffen Raßloff)
Lesetipp:
Steffen Raßloff: Urknall der Reformation. Der Mönch Martin Luther in Erfurt. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 48 f.
Steffen Raßloff/Volker Leppin/Thomas A. Seidel (Hg.): Orte der Reformation. Erfurt. Leipzig 2012.
Steffen Raßloff: Verführung und Gewalt. Erfurt im Nationalsozialismus. In: Stadt und Geschichte 24 (2004). S. 3-5.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Augustinerkloster, Barfüßerkirche, 70 Jahre Kriegsende 1945