Presse Weimarer Republik: Unterschied zwischen den Versionen
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'''In Erfurt hatte sich seit dem 19. Jahrhundert eine vielgestaltige Presselandschaft ausgebildet, die nach 1918 Parteien und politisch-gesellschaftliche Lager deutlich widerspiegelte.''' | |||
[[Datei: | [[Datei:THAZ1929.jpg|310px|right]]Die Herausbildung der modernen Industriegesellschaft im späten 19. Jahrhundert hatte auch in '''[[Geschichte der Stadt Erfurt|Erfurt]]''' zur Spaltung in zwei große Bevölkerungsgruppen geführt. In zunehmender auch räumlicher Trennung standen sich die Arbeiterschaft mit Schwerpunkt im Norden und Osten der Stadt und das Bürgertum im Süden und Westen gegenüber. Beide Gesellschaftsgruppen besaßen bei allen Kontakten und Überschneidungen ihre spezifischen Milieus mit eigenen Wertorientierungen, Lebenswelten, Organisationen und politischen Parteien. | ||
Die Herausbildung der modernen Industriegesellschaft im späten 19. Jahrhundert hatte auch in Erfurt zur Spaltung in zwei große Bevölkerungsgruppen geführt. In zunehmender auch räumlicher Trennung standen sich die Arbeiterschaft mit Schwerpunkt im Norden und Osten der Stadt und das Bürgertum im Süden und Westen gegenüber. Beide Gesellschaftsgruppen besaßen bei allen Kontakten und Überschneidungen ihre spezifischen Milieus mit eigenen Wertorientierungen, Lebenswelten, Organisationen und politischen Parteien. | |||
Ein wichtiges Element dieser getrennten Milieustrukturen waren die Tages- und Wochenzeitungen. Sie dienten keineswegs nur der Information und Unterhaltung, sondern ihnen kam als Kampf- und Meinungsbildungsorganen mit breitester und kontinuierlichster Wirkung - zumal in der Zeit vor Rundfunk und Fernsehen - zentrale Bedeutung zu. Die Zeitungen selbst verstanden sich sehr viel deutlicher als heute als Träger und Verteidiger von Werten und Weltdeutungen, die eine tägliche Orientierung für ihre Leserschaft boten. In der kaiserzeitlichen Großstadt Erfurt (seit 1906) gab es ein relativ breites Pressespektrum, je ein beherrschendes Bürger- und Arbeiterblatt sowie einige kleinere Zeitungen, die sich politisch-weltanschaulich zuordnen lassen. Heraus ragten der bürgerlich-nationale "Erfurter Allgemeine Anzeiger" (seit 1849) und die sozialdemokratische "Tribüne" (seit 1889). | Ein wichtiges Element dieser getrennten Milieustrukturen waren die Tages- und Wochenzeitungen. Sie dienten keineswegs nur der Information und Unterhaltung, sondern ihnen kam als Kampf- und Meinungsbildungsorganen mit breitester und kontinuierlichster Wirkung - zumal in der Zeit vor Rundfunk und Fernsehen - zentrale Bedeutung zu. Die Zeitungen selbst verstanden sich sehr viel deutlicher als heute als Träger und Verteidiger von Werten und Weltdeutungen, die eine tägliche Orientierung für ihre Leserschaft boten. In der kaiserzeitlichen Großstadt Erfurt (seit 1906) gab es ein relativ breites Pressespektrum, je ein beherrschendes Bürger- und Arbeiterblatt sowie einige kleinere Zeitungen, die sich politisch-weltanschaulich zuordnen lassen. Heraus ragten der bürgerlich-nationale "Erfurter Allgemeine Anzeiger" (seit 1849) und die sozialdemokratische "Tribüne" (seit 1889). | ||
Die gesellschaftlichen Veränderungen durch | Die gesellschaftlichen Veränderungen durch '''[[Erster Weltkrieg|Ersten Weltkrieg]]''' und '''[[Novemberrevolution Erfurt|Novemberrevolution]]''' 1918 führten in der '''[[Weimarer Republik]]''' 1918-1933 zu einer weiter wachsenden Konfrontation der großen Bevölkerungsgruppen und Parteienlager. Dies reichte von der sehr viel intensiveren politischen Auseinandersetzung bis hin zum blutigen Bürgerkrieg, gipfelnd im Kapp-Putsch 1920. Damit stieg auch die Bedeutung der Zeitungen, etwa in den zahlreichen heftigen Wahlkämpfen. Zugleich kam es zu einer weiteren Ausdifferenzierung des Pressespektrums. | ||
Einen guten Überblick bietet die Auflistung der Erfurter Zeitungen durch den preußischen Regierungspräsidenten im Rahmen der politischen Überwachung vom Januar 1931 (Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Bestand Preußische Regierung zu Erfurt 18751). Auflagenstärkste Tageszeitung (56.000) war nach wie vor die "Thüringer Allgemeine Zeitung" (TAZ), wie sich der altehrwürdige "Anzeiger" seit 1919 nannte. Politisch wurde die TAZ der "Mitte", d.h. den beiden liberalen Parteien DVP und DStP zugeordnet. Auf dem Boden gemäßigt bürgerlich-nationaler Werte stehend, nahm sie allein schon wegen ihrer großen Auflage und dem entsprechend heterogenen Leserkreis die Funktion einer relativ überparteilichen, in vielen Fragen maßgebenden Tageszeitung für Erfurt wahr. Verlegt wurde die TAZ von der traditionsreichen Gebr. Richters Verlagsanstalt Erfurt. | Einen guten Überblick bietet die Auflistung der Erfurter Zeitungen durch den preußischen Regierungspräsidenten im Rahmen der politischen Überwachung vom Januar 1931 (Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Bestand Preußische Regierung zu Erfurt 18751). Auflagenstärkste Tageszeitung (56.000) war nach wie vor die "Thüringer Allgemeine Zeitung" (TAZ), wie sich der altehrwürdige "Anzeiger" seit 1919 nannte. Politisch wurde die TAZ der "Mitte", d.h. den beiden liberalen Parteien DVP und DStP zugeordnet. Auf dem Boden gemäßigt bürgerlich-nationaler Werte stehend, nahm sie allein schon wegen ihrer großen Auflage und dem entsprechend heterogenen Leserkreis die Funktion einer relativ überparteilichen, in vielen Fragen maßgebenden Tageszeitung für Erfurt wahr. Verlegt wurde die TAZ von der traditionsreichen Gebr. Richters Verlagsanstalt Erfurt. | ||
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Seit 1919 besaß das bürgerliche Milieu mit der "Mitteldeutschen Zeitung" (MZ) eine weitere Tageszeitung, die es bis 1931 auf die beachtliche Auflage von 32.000 brachte. Sie wurde von politisch weiter rechts stehenden Lesern bevorzugt und vom Regierungspräsidenten politisch "Hugenberg" zugeordnet, d.h. dem seit 1928 an der Spitze der rechtskonservativen DNVP stehenden Großunternehmer und Medienmogul Alfred Hugenberg. Verlegerisch gehörte die MZ zur Mitteldeutschen Verlags AG in Halle/S. Kleinste der damaligen Erfurter Tageszeitungen war die der katholischen Zentrumspartei zugerechnete "Thüringer Volkswacht" (Auflage 3000). Angesichts der relativ geringen Nachfrage im überwiegend evangelischen Erfurt und Thüringen wurde die Volkswacht nicht in der Region, sondern vom Westfälischen Volksblatt Paderborn herausgegeben. | Seit 1919 besaß das bürgerliche Milieu mit der "Mitteldeutschen Zeitung" (MZ) eine weitere Tageszeitung, die es bis 1931 auf die beachtliche Auflage von 32.000 brachte. Sie wurde von politisch weiter rechts stehenden Lesern bevorzugt und vom Regierungspräsidenten politisch "Hugenberg" zugeordnet, d.h. dem seit 1928 an der Spitze der rechtskonservativen DNVP stehenden Großunternehmer und Medienmogul Alfred Hugenberg. Verlegerisch gehörte die MZ zur Mitteldeutschen Verlags AG in Halle/S. Kleinste der damaligen Erfurter Tageszeitungen war die der katholischen Zentrumspartei zugerechnete "Thüringer Volkswacht" (Auflage 3000). Angesichts der relativ geringen Nachfrage im überwiegend evangelischen Erfurt und Thüringen wurde die Volkswacht nicht in der Region, sondern vom Westfälischen Volksblatt Paderborn herausgegeben. | ||
Traditionelles, politisch der SPD nahe stehendes Milieublatt der gemäßigten Arbeiterschaft war die "Tribüne" mit einer Auflage von 16.000. Deutlich wurde die Anbindung an die Sozialdemokratie allein schon durch die Herausgabe beim Verlag Reißhaus & Co. Erfurt, der von der Vaterfigur der alten SPD Paul Reißhaus (1855-1921) gegründet worden war. Aber auch in der Arbeiterschaft hatte sich eine weitere, politisch radikaler orientierte Zeitung etablieren können, das "Thüringer Volksblatt" (Auflage 10.000). Es ließ sich klar der KPD zuordnen und erschien im Thüringer Volksverlag Erfurt. | Traditionelles, politisch der '''[[SPD Erfurt|SPD]]''' nahe stehendes Milieublatt der gemäßigten Arbeiterschaft war die "Tribüne" mit einer Auflage von 16.000. Deutlich wurde die Anbindung an die Sozialdemokratie allein schon durch die Herausgabe beim Verlag Reißhaus & Co. Erfurt, der von der Vaterfigur der alten SPD '''[[Paul Reißhaus]]''' (1855-1921) gegründet worden war. Aber auch in der Arbeiterschaft hatte sich eine weitere, politisch radikaler orientierte Zeitung etablieren können, das "Thüringer Volksblatt" (Auflage 10.000). Es ließ sich klar der KPD zuordnen und erschien im Thüringer Volksverlag Erfurt. | ||
Zu den Tageszeitungen kamen noch einige Wochen- und Monatsschriften. Als das skurrilste und berüchtigtste Periodikum sei das Wochenblatt "Echo Germania" erwähnt (Auflage 2800). Das vom Vulgärantisemiten '''[[Adolf Schmalix]]''' herausgegebene "Revolverblatt" zielte auf die offenbar nicht geringe Nachfrage nach schlüpfrigem Skandaljournalismus bei den Erfurtern. Zugleich schürte Schmalix die antisemitischen Vorbehalte und Ängste v.a. im bürgerlichen Mittelstand, der seine "Großdeutsche Volkspartei" bei der Kommunalwahl 1929 zur stärksten Kraft im Rathaus machte - ein reichsweit für Schlagzeilen sorgender skandalöser Vorgang. | Zu den Tageszeitungen kamen noch einige Wochen- und Monatsschriften. Als das skurrilste und berüchtigtste Periodikum sei das Wochenblatt "Echo Germania" erwähnt (Auflage 2800). Das vom Vulgärantisemiten '''[[Adolf Schmalix]]''' herausgegebene "Revolverblatt" zielte auf die offenbar nicht geringe Nachfrage nach schlüpfrigem Skandaljournalismus bei den Erfurtern. Zugleich schürte Schmalix die antisemitischen Vorbehalte und Ängste v.a. im bürgerlichen Mittelstand, der seine "Großdeutsche Volkspartei" bei der Kommunalwahl 1929 zur stärksten Kraft im Rathaus machte - ein reichsweit für Schlagzeilen sorgender skandalöser Vorgang. | ||
Mit dem Untergang der Weimarer Republik kam es zu einschneidenden Veränderungen in der Presselandschaft. Nach der '''[[Erfurt im Nationalsozialismus|"Machtergreifung" der Nationalsozialisten]]''' 1933 wurden die linken Zeitungen gezwungen, ihr Erscheinen einzustellen. Ihre Mitarbeiter sahen sich oft Verfolgungen ausgesetzt, der Volksblatt-Redakteur Josef Ries (KPD) gehörte im Juni 1933 zu den ersten Opfern des NS-Terrors gegen politische Gegner. Die wichtigste Tageszeitung, die TAZ, konnte dagegen bis 1944 weiter gedruckt werden, musste freilich rasch auf den von Propagandaminister Josef Goebbels vorgegebenen Kurs einschwenken. Hatten es die Nationalsozialisten vor 1933 in Erfurt nicht zu einer eigenen Tageszeitung gebracht, erschien als Organ der NSDAP im Dritten Reich die "Thüringer Gauzeitung". Sie fungierte als offiziöses Meinungsbildungsorgan der braunen Machthaber förmlich bis zum bitteren Ende. Noch am 10. April 1945, zwei Tage vor Einnahme der Stadt durch die Amerikaner, hatte sie die Erfurter letztmals auf den "Endsieg" eingeschworen. | Mit dem Untergang der Weimarer Republik kam es zu einschneidenden Veränderungen in der Presselandschaft. Nach der '''[[Erfurt im Nationalsozialismus|"Machtergreifung" der Nationalsozialisten]]''' 1933 wurden die linken Zeitungen gezwungen, ihr Erscheinen einzustellen. Ihre Mitarbeiter sahen sich oft Verfolgungen ausgesetzt, der Volksblatt-Redakteur Josef Ries (KPD) gehörte im Juni 1933 zu den ersten Opfern des NS-Terrors gegen politische Gegner. Die wichtigste Tageszeitung, die TAZ, konnte dagegen bis 1944 weiter gedruckt werden, musste freilich rasch auf den von Propagandaminister Josef Goebbels vorgegebenen Kurs einschwenken. Hatten es die Nationalsozialisten vor 1933 in Erfurt nicht zu einer eigenen Tageszeitung gebracht, erschien als Organ der NSDAP im '''[[Das Dritte Reich|Dritten Reich]]''' die "Thüringer Gauzeitung". Sie fungierte als offiziöses Meinungsbildungsorgan der braunen Machthaber förmlich bis zum bitteren Ende. Noch am 10. April 1945, zwei Tage vor Einnahme der Stadt durch die Amerikaner, hatte sie die Erfurter letztmals auf den "Endsieg" eingeschworen. | ||
'''[[Steffen Rassloff|Steffen Raßloff]]: Die Erfurter Presselandschaft in der Weimarer Republik.''' In: Stadt und Geschichte 28 (2005). S. 20. | |||
Lesetipp: | |||
'''Steffen Raßloff: [[Erfurt Weimarer Republik Rassloff|Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik]]''' (Edition Tempus). Erfurt 2008. | |||
'''Steffen Raßloff: [[Flucht in die nationale Volksgemeinschaft|Flucht in die nationale Volksgemeinschaft. Das Erfurter Bürgertum zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur]]'''. Köln/Weimar/Wien 2003. |
Aktuelle Version vom 1. Oktober 2022, 09:03 Uhr
Erfurter Presse in der Weimarer Republik
In Erfurt hatte sich seit dem 19. Jahrhundert eine vielgestaltige Presselandschaft ausgebildet, die nach 1918 Parteien und politisch-gesellschaftliche Lager deutlich widerspiegelte.
Die Herausbildung der modernen Industriegesellschaft im späten 19. Jahrhundert hatte auch in Erfurt zur Spaltung in zwei große Bevölkerungsgruppen geführt. In zunehmender auch räumlicher Trennung standen sich die Arbeiterschaft mit Schwerpunkt im Norden und Osten der Stadt und das Bürgertum im Süden und Westen gegenüber. Beide Gesellschaftsgruppen besaßen bei allen Kontakten und Überschneidungen ihre spezifischen Milieus mit eigenen Wertorientierungen, Lebenswelten, Organisationen und politischen Parteien.
Ein wichtiges Element dieser getrennten Milieustrukturen waren die Tages- und Wochenzeitungen. Sie dienten keineswegs nur der Information und Unterhaltung, sondern ihnen kam als Kampf- und Meinungsbildungsorganen mit breitester und kontinuierlichster Wirkung - zumal in der Zeit vor Rundfunk und Fernsehen - zentrale Bedeutung zu. Die Zeitungen selbst verstanden sich sehr viel deutlicher als heute als Träger und Verteidiger von Werten und Weltdeutungen, die eine tägliche Orientierung für ihre Leserschaft boten. In der kaiserzeitlichen Großstadt Erfurt (seit 1906) gab es ein relativ breites Pressespektrum, je ein beherrschendes Bürger- und Arbeiterblatt sowie einige kleinere Zeitungen, die sich politisch-weltanschaulich zuordnen lassen. Heraus ragten der bürgerlich-nationale "Erfurter Allgemeine Anzeiger" (seit 1849) und die sozialdemokratische "Tribüne" (seit 1889).
Die gesellschaftlichen Veränderungen durch Ersten Weltkrieg und Novemberrevolution 1918 führten in der Weimarer Republik 1918-1933 zu einer weiter wachsenden Konfrontation der großen Bevölkerungsgruppen und Parteienlager. Dies reichte von der sehr viel intensiveren politischen Auseinandersetzung bis hin zum blutigen Bürgerkrieg, gipfelnd im Kapp-Putsch 1920. Damit stieg auch die Bedeutung der Zeitungen, etwa in den zahlreichen heftigen Wahlkämpfen. Zugleich kam es zu einer weiteren Ausdifferenzierung des Pressespektrums.
Einen guten Überblick bietet die Auflistung der Erfurter Zeitungen durch den preußischen Regierungspräsidenten im Rahmen der politischen Überwachung vom Januar 1931 (Thüringisches Staatsarchiv Gotha, Bestand Preußische Regierung zu Erfurt 18751). Auflagenstärkste Tageszeitung (56.000) war nach wie vor die "Thüringer Allgemeine Zeitung" (TAZ), wie sich der altehrwürdige "Anzeiger" seit 1919 nannte. Politisch wurde die TAZ der "Mitte", d.h. den beiden liberalen Parteien DVP und DStP zugeordnet. Auf dem Boden gemäßigt bürgerlich-nationaler Werte stehend, nahm sie allein schon wegen ihrer großen Auflage und dem entsprechend heterogenen Leserkreis die Funktion einer relativ überparteilichen, in vielen Fragen maßgebenden Tageszeitung für Erfurt wahr. Verlegt wurde die TAZ von der traditionsreichen Gebr. Richters Verlagsanstalt Erfurt.
Seit 1919 besaß das bürgerliche Milieu mit der "Mitteldeutschen Zeitung" (MZ) eine weitere Tageszeitung, die es bis 1931 auf die beachtliche Auflage von 32.000 brachte. Sie wurde von politisch weiter rechts stehenden Lesern bevorzugt und vom Regierungspräsidenten politisch "Hugenberg" zugeordnet, d.h. dem seit 1928 an der Spitze der rechtskonservativen DNVP stehenden Großunternehmer und Medienmogul Alfred Hugenberg. Verlegerisch gehörte die MZ zur Mitteldeutschen Verlags AG in Halle/S. Kleinste der damaligen Erfurter Tageszeitungen war die der katholischen Zentrumspartei zugerechnete "Thüringer Volkswacht" (Auflage 3000). Angesichts der relativ geringen Nachfrage im überwiegend evangelischen Erfurt und Thüringen wurde die Volkswacht nicht in der Region, sondern vom Westfälischen Volksblatt Paderborn herausgegeben.
Traditionelles, politisch der SPD nahe stehendes Milieublatt der gemäßigten Arbeiterschaft war die "Tribüne" mit einer Auflage von 16.000. Deutlich wurde die Anbindung an die Sozialdemokratie allein schon durch die Herausgabe beim Verlag Reißhaus & Co. Erfurt, der von der Vaterfigur der alten SPD Paul Reißhaus (1855-1921) gegründet worden war. Aber auch in der Arbeiterschaft hatte sich eine weitere, politisch radikaler orientierte Zeitung etablieren können, das "Thüringer Volksblatt" (Auflage 10.000). Es ließ sich klar der KPD zuordnen und erschien im Thüringer Volksverlag Erfurt.
Zu den Tageszeitungen kamen noch einige Wochen- und Monatsschriften. Als das skurrilste und berüchtigtste Periodikum sei das Wochenblatt "Echo Germania" erwähnt (Auflage 2800). Das vom Vulgärantisemiten Adolf Schmalix herausgegebene "Revolverblatt" zielte auf die offenbar nicht geringe Nachfrage nach schlüpfrigem Skandaljournalismus bei den Erfurtern. Zugleich schürte Schmalix die antisemitischen Vorbehalte und Ängste v.a. im bürgerlichen Mittelstand, der seine "Großdeutsche Volkspartei" bei der Kommunalwahl 1929 zur stärksten Kraft im Rathaus machte - ein reichsweit für Schlagzeilen sorgender skandalöser Vorgang.
Mit dem Untergang der Weimarer Republik kam es zu einschneidenden Veränderungen in der Presselandschaft. Nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten 1933 wurden die linken Zeitungen gezwungen, ihr Erscheinen einzustellen. Ihre Mitarbeiter sahen sich oft Verfolgungen ausgesetzt, der Volksblatt-Redakteur Josef Ries (KPD) gehörte im Juni 1933 zu den ersten Opfern des NS-Terrors gegen politische Gegner. Die wichtigste Tageszeitung, die TAZ, konnte dagegen bis 1944 weiter gedruckt werden, musste freilich rasch auf den von Propagandaminister Josef Goebbels vorgegebenen Kurs einschwenken. Hatten es die Nationalsozialisten vor 1933 in Erfurt nicht zu einer eigenen Tageszeitung gebracht, erschien als Organ der NSDAP im Dritten Reich die "Thüringer Gauzeitung". Sie fungierte als offiziöses Meinungsbildungsorgan der braunen Machthaber förmlich bis zum bitteren Ende. Noch am 10. April 1945, zwei Tage vor Einnahme der Stadt durch die Amerikaner, hatte sie die Erfurter letztmals auf den "Endsieg" eingeschworen.
Steffen Raßloff: Die Erfurter Presselandschaft in der Weimarer Republik. In: Stadt und Geschichte 28 (2005). S. 20.
Lesetipp:
Steffen Raßloff: Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik (Edition Tempus). Erfurt 2008.
Steffen Raßloff: Flucht in die nationale Volksgemeinschaft. Das Erfurter Bürgertum zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur. Köln/Weimar/Wien 2003.