Margaretha Reichardt: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Datei:ReichardthausI.jpg| | [[Datei:ReichardthausI.jpg|400px|right]]Der Erfurter Vorort Bischleben wird wohl von den meisten Zeitgenossen kaum mit avantgardistischer Kunst in Verbindung gebracht. Dennoch findet sich hier ein kulturhistorisches Kleinod, das mehr Beachtung verdient hätte. Von der Geratalstraße zwischen Bischleben und Stedten zweigt die Straße Am Kirchberg ab. Ein Hinweisschild macht auf das in dieser Richtung zu findende Margaretha-Reichardt-Haus aufmerksam. Nach steiler Auffahrt erblickt man als eines der letzten Gebäude linkerhand das relativ unscheinbare Wohnhaus der in Erfurt gebürtigen Bauhäuslerin. Die Gedenktafel neben der Tür klärt auf, dass hier die Bauhaus-Weberin Margaretha Reichardt (1907-1984) gelebt und gewirkt habe. Allerdings wird auf der Tafel der Vorname Margarethe geschrieben, was wohl der üblichen Kurzform Grete geschuldet ist. | ||
Das Haus wurde 1939 nach Vorentwürfen des Bauhäuslers Konrad Püschel errichtet. Reichardt hatte es selbst im Detail gestaltet und ausgestattet. Hier lebte sie bis zu ihrem Tode 1984. Die Gedenktafel markiert aber nicht einfach nur einen Erinnerungsort, sondern ein kleines Museum, das seit 1992 zum Angermuseum gehört. Es wird von einer ehrenamtlichen Arbeitsgruppe tatkräftig unterstützt, die auch eine Reihe von Ausstellungen organisiert hat. Die Werkstatt mit den originalen Handwebstühlen, an denen das Handweben vorgeführt werden kann, erhielt 1987 den Status eines technischen Denkmals. Auch die Wohnräume befinden sich noch im ursprünglichen Zustand. Allerdings ist die Resonanz eher bescheiden. Nur einige hundert Besucher haben laut Erfurter Kulturdirektion in den vergangenen Jahren jeweils die auf Anfrage zugängliche Ausstellung besucht. | Das Haus wurde 1939 nach Vorentwürfen des Bauhäuslers Konrad Püschel errichtet. Reichardt hatte es selbst im Detail gestaltet und ausgestattet. Hier lebte sie bis zu ihrem Tode 1984. Die Gedenktafel markiert aber nicht einfach nur einen Erinnerungsort, sondern ein kleines Museum, das seit 1992 zum Angermuseum gehört. Es wird von einer ehrenamtlichen Arbeitsgruppe tatkräftig unterstützt, die auch eine Reihe von Ausstellungen organisiert hat. Die Werkstatt mit den originalen Handwebstühlen, an denen das Handweben vorgeführt werden kann, erhielt 1987 den Status eines technischen Denkmals. Auch die Wohnräume befinden sich noch im ursprünglichen Zustand. Allerdings ist die Resonanz eher bescheiden. Nur einige hundert Besucher haben laut Erfurter Kulturdirektion in den vergangenen Jahren jeweils die auf Anfrage zugängliche Ausstellung besucht. | ||
Dieses geringe Interesse entspricht nicht der Bedeutung der Bauhaus-Weberin, die mehr als fünf Jahrzehnte in Erfurt eigene Werkstätten betrieb und über 50 Schüler ausbildete. Am 6. März 1907 in Erfurt geboren, begann Reichardt ihre Ausbildung an der Erfurter Kunstgewerbeschule. Anschließend studierte sie von 1926 bis 1931 am Bauhaus Dessau und schloss dort als Textilgestalterin ab. Seit 1933 lebte sie wieder in Erfurt. Ihre Gobelins, Wand- und Bodenteppiche sowie ihr Stoffdesign fanden durchaus Liebhaber, auch wenn die Textilindustrie sie kaum aufgriff. 1937 erhielt Reichardt auf der Weltausstellung in Paris ihre erste Auszeichnung, der zahlreiche folgten. Museen, Theater und öffentliche Einrichtungen kauften ihre Werke an. Der Bauhäusler Prof. Hubert Hoffmann würdigte Margaretha Reichardt 1984 in einem Nachruf: „Sie war eine der letzten Mitarbeiterinnen des Bauhauses und eine der bedeutendsten Weberinnen, die aus dieser Schule hervorgegangen sind.“ Daran sollte man sich in Erfurt spätestens im 100. Jubiläumsjahr des Bauhauses 2019 wieder stärker erinnern. ( | Dieses geringe Interesse entspricht nicht der Bedeutung der Bauhaus-Weberin, die mehr als fünf Jahrzehnte in Erfurt eigene Werkstätten betrieb und über 50 Schüler ausbildete. Am 6. März 1907 in Erfurt geboren, begann Reichardt ihre Ausbildung an der Erfurter Kunstgewerbeschule. Anschließend studierte sie von 1926 bis 1931 am Bauhaus Dessau und schloss dort als Textilgestalterin ab. Seit 1933 lebte sie wieder in Erfurt. Ihre Gobelins, Wand- und Bodenteppiche sowie ihr Stoffdesign fanden durchaus Liebhaber, auch wenn die Textilindustrie sie kaum aufgriff. 1937 erhielt Reichardt auf der Weltausstellung in Paris ihre erste Auszeichnung, der zahlreiche folgten. Museen, Theater und öffentliche Einrichtungen kauften ihre Werke an. Der Bauhäusler Prof. Hubert Hoffmann würdigte Margaretha Reichardt 1984 in einem Nachruf: „Sie war eine der letzten Mitarbeiterinnen des Bauhauses und eine der bedeutendsten Weberinnen, die aus dieser Schule hervorgegangen sind.“ Daran sollte man sich in Erfurt spätestens im 100. Jubiläumsjahr des Bauhauses 2019 wieder stärker erinnern. (Foto: Dr. Steffen Raßloff) | ||
'''Lesetipps:''' | |||
''' | Steffen Raßloff: '''Moderne Großstadtarchitektur. Das Bauhaus in Erfurt.''' In: '''[[Erfurt 55 Highlights aus der Geschichte|Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte]].''' Erfurt 2021. S. 90 f. | ||
Steffen Raßloff: '''[[Erfurt Weimarer Republik Rassloff|Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik]]'''. Erfurt 2008. | |||
Siehe auch: '''[[Erfurt Bauhaus Nationalversammlung 1919|100. Bauhaus-Jubiläum 2019]]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''' | |||
Siehe auch: '''[[Bauhaus Erfurt]]''', '''[[Erfurt Bauhaus Nationalversammlung 1919|100. Bauhaus-Jubiläum 2019]]''', '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''' |
Version vom 4. Februar 2021, 10:20 Uhr
Margaretha Reichardt
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (09.03.2013)
Die Erfurter Bauhäuslerin
DENKMALE IN ERFURT (88): Ein abseits gelegenes Wohnhaus in Bischleben erinnert an die bedeutende Künstlerin Margaretha Reichardt.
Der Erfurter Vorort Bischleben wird wohl von den meisten Zeitgenossen kaum mit avantgardistischer Kunst in Verbindung gebracht. Dennoch findet sich hier ein kulturhistorisches Kleinod, das mehr Beachtung verdient hätte. Von der Geratalstraße zwischen Bischleben und Stedten zweigt die Straße Am Kirchberg ab. Ein Hinweisschild macht auf das in dieser Richtung zu findende Margaretha-Reichardt-Haus aufmerksam. Nach steiler Auffahrt erblickt man als eines der letzten Gebäude linkerhand das relativ unscheinbare Wohnhaus der in Erfurt gebürtigen Bauhäuslerin. Die Gedenktafel neben der Tür klärt auf, dass hier die Bauhaus-Weberin Margaretha Reichardt (1907-1984) gelebt und gewirkt habe. Allerdings wird auf der Tafel der Vorname Margarethe geschrieben, was wohl der üblichen Kurzform Grete geschuldet ist.
Das Haus wurde 1939 nach Vorentwürfen des Bauhäuslers Konrad Püschel errichtet. Reichardt hatte es selbst im Detail gestaltet und ausgestattet. Hier lebte sie bis zu ihrem Tode 1984. Die Gedenktafel markiert aber nicht einfach nur einen Erinnerungsort, sondern ein kleines Museum, das seit 1992 zum Angermuseum gehört. Es wird von einer ehrenamtlichen Arbeitsgruppe tatkräftig unterstützt, die auch eine Reihe von Ausstellungen organisiert hat. Die Werkstatt mit den originalen Handwebstühlen, an denen das Handweben vorgeführt werden kann, erhielt 1987 den Status eines technischen Denkmals. Auch die Wohnräume befinden sich noch im ursprünglichen Zustand. Allerdings ist die Resonanz eher bescheiden. Nur einige hundert Besucher haben laut Erfurter Kulturdirektion in den vergangenen Jahren jeweils die auf Anfrage zugängliche Ausstellung besucht.
Dieses geringe Interesse entspricht nicht der Bedeutung der Bauhaus-Weberin, die mehr als fünf Jahrzehnte in Erfurt eigene Werkstätten betrieb und über 50 Schüler ausbildete. Am 6. März 1907 in Erfurt geboren, begann Reichardt ihre Ausbildung an der Erfurter Kunstgewerbeschule. Anschließend studierte sie von 1926 bis 1931 am Bauhaus Dessau und schloss dort als Textilgestalterin ab. Seit 1933 lebte sie wieder in Erfurt. Ihre Gobelins, Wand- und Bodenteppiche sowie ihr Stoffdesign fanden durchaus Liebhaber, auch wenn die Textilindustrie sie kaum aufgriff. 1937 erhielt Reichardt auf der Weltausstellung in Paris ihre erste Auszeichnung, der zahlreiche folgten. Museen, Theater und öffentliche Einrichtungen kauften ihre Werke an. Der Bauhäusler Prof. Hubert Hoffmann würdigte Margaretha Reichardt 1984 in einem Nachruf: „Sie war eine der letzten Mitarbeiterinnen des Bauhauses und eine der bedeutendsten Weberinnen, die aus dieser Schule hervorgegangen sind.“ Daran sollte man sich in Erfurt spätestens im 100. Jubiläumsjahr des Bauhauses 2019 wieder stärker erinnern. (Foto: Dr. Steffen Raßloff)
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Moderne Großstadtarchitektur. Das Bauhaus in Erfurt. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 90 f.
Steffen Raßloff: Bürgerkrieg und Goldene Zwanziger. Erfurt in der Weimarer Republik. Erfurt 2008.
Siehe auch: Bauhaus Erfurt, 100. Bauhaus-Jubiläum 2019, Geschichte der Stadt Erfurt