Werner Ludwig Fremdarbeiter 1942-44

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Charaktere aus ganz Europa

Der ERMA-Schlosser Werner Ludwig zeichnete 1942-44 ausländische Arbeiter in Erfurt und schuf damit ein besonderes Zeitdokument.


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Erfurt gehörte einst zu den großen Rüstungsschmieden Deutschlands. Im Dritten Reich sorgte der rasante Aufrüstungskurs ab 1935 für einen erneuten Schub. Eines der führenden Unternehmen war die ERMA in der Altonaer Straße, deren Werksgelände heute als Campus der Fachhochschule dient. Die Erfurter Maschinen- und Werkzeugfabrik Berthold Geipel war 1922 gegründet worden und stellte Karabiner und Maschinenpistolen her. Als 1939 der Zweite Weltkrieg ausbrach, entstand eine personelle Notlage, da immer mehr Arbeiter in die Wehrmacht einberufen wurden. Dem sollte seit 1942 der Thüringer NSDAP-Gauleiter Fritz Sauckel als „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“ entgegensteuern. Für die rücksichtslose Rekrutierung von Millionen Zwangsarbeitern aus ganz Europa wurde Sauckel 1946 vom Nürnberger Militärtribunal zum Tode verurteilt. Auch die ERMA bekam hunderte „Fremdarbeiter“ in einem Barackenlager im Hanseviertel zugeordnet. Sie sollten zusammen mit den verbliebenen Facharbeitern die Produktion aufrechterhalten.

Einer der Feinmechaniker der ERMA, der bis zum Kriegsende 1945 im Unternehmen beschäftigt blieb, war Werner Ludwig (1912-1978). Dem offenbar den Nazis wenig Sympathie entgegen bringenden Fachmann verdanken wir ein besonderes Zeitdokument. Im Zeichenbuch „Ausländer in Deutschland“ hat er Kohlezeichnungen von Zivilarbeitern und Kriegsgefangenen 1942-44 in Erfurt festgehalten. Das Straßenbild wurde damals von zahlreichen Arbeiterinnen und Arbeitern von Frankreich bis zur Sowjetunion, von Italien und dem Balkan bis Großbritannien mitbestimmt. Obgleich sich der spätere Karikaturist andeutet, handelt es sich keinesfalls um rassistische Verzerrungen. Mit Blick für Details arbeitet Ludwig Besonderheiten heraus. Oft scheint dabei wohlwollendes Interesse für die ihm teils namentlich bekannten Charaktere durch. Auch ist es keine Schönfärberei, wenn Ludwig Fremdarbeiter beim Spaziergang „Nach Feierabend“ in einem Erfurter Park zeigt. Die Forschung hat ein differenziertes Bild vom Einsatz der Arbeiter entworfen. Je nach Herkunft und Betrieb konnten sie ein relativ geregeltes Leben führen, während andernorts in großen Lagern Elend und Tod herrschten.

Allzu großes Interesse für die Zwangsarbeiter oder gar Unterstützung waren freilich streng verboten. Werner Ludwig tat deshalb gut daran, seine Zeichnungen sicher aufzubewahren. Allein einige der Anmerkungen hätten ihm den Kopf kosten können. So schreibt Ludwig zu einer Bleistiftskizze von drei „Ostarbeitern“: „Bezeichnung für die von Hitler nach Deutschland verschleppten russischen Arbeiter“. Dies stand in gefährlichem Gegensatz zu den Bemühungen des Generalbevollmächtigten Sauckel, der in Hochglanzbroschüren das Bild einer heilen Welt mit freiwilligen und gut versorgten Arbeitern vorgaukelte. Auch nach 1945 ging Ludwig mit den Zeichnungen nie an die Öffentlichkeit. Nunmehr hat sich die Familie aber entschlossen, jenes einmalige Zeitdokument der Stadtgeschichtsforschung zugänglich zu machen. Es erinnert auch an einen begabten Zeichner, der in der DDR-Zeit neben seiner Tätigkeit bei der Volkspolizei über viele Jahre Karikaturen in der Zeitung DAS VOLK veröffentlichte.

(Dr. Steffen Raßloff in Thüringer Allgemeine vom 06.06.2015)


Lesetipp:

Steffen Raßloff: Verführung und Gewalt. Erfurt im Nationalsozialismus. In: Stadt und Geschichte 24 (2004). S. 3-5.


Sie auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt im Nationalsozialismus, Fritz Sauckel, "Mustergau" Thüringen, Rüstung in Erfurt 1935-1945