Hauch von Weimar Wahl 2020 Kemmerich Thueringen

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Ein Hauch von Weimar?

Die aktuelle Situation im Freistaat Thüringen unterscheidet sich deutlich von den 1920er-Jahren, sagt Historiker Dr. Steffen Raßloff.


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Die spektakuläre und kurzlebige Wahl des Freidemokraten Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen mit den Stimmen der AfD hat für teils heftige Reaktionen gesorgt. Von einem „Dammbruch“ war die Rede, mit dem die „Faschisten“ an der Macht beteiligt werden sollten. Das sei in Thüringen besonders dramatisch, weil es hier schon einmal in den 1920er-Jahren eine ähnliche Entwicklung gegeben habe. Damals hätten die Bürgerlichen den Nazis den Weg zur Macht geebnet. Selbst FDP-Parteifreunde wie der ehemalige Bundesminister Gerhart Baum sahen einen „Hauch von Weimar über der Republik“.

Aber kann man die heutige Situation wirklich mit der der Weimarer Republik vergleichen? Der 1920, vor genau 100 Jahren, in der alten Kleinstaatenwelt Thüringen gegründete Freistaat zeichnete sich durch eine starke gesellschaftliche Polarisierung und tiefe Spaltung des Landtags in ein linkes und rechtes Lager aus. Bürgerkrieg und politischer Radikalismus, gipfelnd im blutigen Kapp-Putsch 1920, hatten tiefe Gräben aufgeworfen. Dies machte der NSDAP Adolf Hitlers den rasanten Aufstieg vom Mehrheitsbeschaffer der Bürgerlichen 1924 über deren Regierungskoalitionär 1930 bis hin zur „vorgezogenen Machtergreifung“ in Thüringen mit der Regierung unter Gauleiter Fritz Sauckel 1932 möglich. Sauckel gelang es, Thüringen regelrecht zum „Mustergau“ der NS-Bewegung zu stilisieren.

Die Wahlen zum Landtag 1924 hatten ähnlich wie heute keine klare Mehrheit erbracht. 35 Abgeordneten des bürgerlich-konservativen Thüringer Ordnungsbundes standen 30 Abgeordnete von SPD und KPD bei 72 Mandaten gegenüber. Dies brachte die sieben Nationalsozialisten um den Antisemiten Artur Dinter in eine Schlüsselposition. Da erstmals Rechtsradikale in ein Landesparlament eingezogen waren, wurden die Vorgänge von reichsweiter Aufmerksamkeit begleitet. Die Nationalsozialisten schlugen aus den Stimmen für die Wahl der Regierung unter dem Liberalen Richard Leutheußer massiv Kapital.

Nach der Landtagswahl Ende 1929 waren die 23 bürgerlichen Abgeordneten gegenüber den 24 Vertretern der linken Arbeiterparteien erneut auf die NSDAP angewiesen. Deren sechsköpfige Fraktion gab sich allerdings nicht mehr mit einer Tolerierung zufrieden, sondern strebte jetzt eine Regierungsbeteiligung an. Hitler reiste zu Verhandlungen in die damalige Landeshauptstadt Weimar. Dort setzte er die Berufung des verurteilten Hitler-Putsch-Teilnehmers Wilhelm Frick zum Innen- und Volksbildungsminister durch. In Thüringen gelangte so 1930 erstmals ein Nationalsozialist auf den Ministersessel eines deutschen Landes. Der spätere Reichsinnenminister nutzte die beiden föderalen Schlüsselressorts zum spektakulären „Probelauf für die Machtergreifung“, auf dessen Erfahrungen er 1933 zurückgreifen konnte.

Thüringen hat also in der Weimarer Republik eine besondere Rolle beim Aufstieg des Nationalsozialismus gespielt, was auch zu erhöhter Sensibilität in der Gegenwart verpflichtet. Die Vergleiche zur heutigen Situation hinken aber. Weder wollte der bereits wieder zurückgetretene Ministerpräsident Kemmerich der äußersten Rechten wie 1924 Einfluss auf Personalfragen und Landespolitik einräumen, noch gar eine Regierungsbeteiligung wie 1930. Das sollte man bei aller Kritik an der Wahl mit AfD-Stimmen im Blick behalten. (Abb. Thüringer Landtag 1920-1933 in der heutigen Musikhochschule Weimar, Foto: Dr. Steffen Raßloff)

(Dr. Steffen Raßloff in: Thüringer Allgemeine vom 06.02.2020.)


Siehe auch: Parteien und Landespolitik 1920-1933, Mustergau Thüringen im Nationalsozialismus, Geschichte Thüringens