Erinnerung Unionsparlament Augustinerkloster 2023

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Erinnerung an das Erfurter Unionsparlament 1850

Eine Diskussionsveranstaltung der GEDG ging am 28. Februar 2023 im Luthersaal des Augustinerklosters Erfurt der Frage nach der Erinnerung an das Erfurter Unionsparlament 1850 nach.


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An authentischem Ort wollte die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (GEDG) an eines der bedeutenden, aber weitgehend in Vergessenheit geratenen Ereignisse der Demokratiegeschichte erinnern. Das vom 20. März bis 29. April 1850 tagende Erfurter Unionsparlament beriet nach der gescheiterten Revolution 1848/49 über den Verfassungsentwurf für einen kleindeutschen Nationalstaat unter Führung Preußens. Hierauf hatten sich gemäßigte Liberale und König Friedrich Wilhelm IV. geeinigt. Als Tagungsort diente die Lutherstätte Augustinerkloster. Die Erfurter Union scheiterte jedoch rasch v.a. am Widerspruch Österreichs und Russlands.

Nach der Begrüßung des erfreulich zahlreichen Publikums durch Moderator Stephan Zänker, Vorstand der GEDG, präsentierte zunächst Historiker Dr. Steffen Raßloff die Broschüre „Das Erfurter Unionsparlament 1850“. Der populärwissenschaftliche Überblick der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen soll mithelfen, das Thema mit Blick auf das 175. Jubiläum 2025 präsenter zu machen. Raßloff ist als assoziierter Wissenschaftler der GEDG für die Vorbereitung des Jubiläums mit verantwortlich. Es liegt ihm persönlich am Herzen, das Unionsparlament trotz aller Defizite und Widersprüche aus dem erinnerungskulturellen Dornröschenschlaf zu erwecken.

Stephan Zänker warf unter dieser Perspektive einige Fragen auf, über die sich mit den drei Diskutanten und anschließend mit dem Publikum eine lebendige Debatte entfaltete: Was machte das Unionsparlament aus? Wie wirkte es über Erfurts Grenzen hinaus? Wie erinnern wir es heute? Wie wird es in Erfurt erinnert? Was könnte man im Jubiläumsjahr 2025 machen?

Zunächst ordneten PD Marko Kreutzmann, Leiter der Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, und Steffen Raßloff das Unionsparlament in den Kontext des 19. Jahrhunderts ein. Das weitgehende Vergessen liegt nicht an historischer Bedeutung und zeitgenössischer Brisanz – sollte doch immerhin eine völlig neue Ordnung für Deutschland mit Auswirkungen auf ganz Europa geschaffen werden. Maßgeblich waren das rasche Scheitern und die Haltung der politischen Akteure: Die an der Frankfurter Reichsverfassung festhaltenden Demokraten hatten die Wahlen boykottiert, die Konservativen lehnten die Unionsverfassung als Abkehr von legitimer Herrschaft ab. Für die Liberalen bedeutete ihr Scheitern ebenso eine Niederlage wie für den preußischen König.

Natürlich fällt der heutige Blick anders aus, wobei die Diskutanten durchaus verschiedene Akzente setzten. Für Dr. Tobias J. Knoblich, Beigeordneter für Kultur und Stadtentwicklung der Landeshauptstadt Erfurt, besitzt das Unionsparlament im Vergleich etwa mit der Frankfurter Nationalversammlung „zu viele Kommas“. Es sei in seiner Botschaft unübersichtlich und schwierig zu fassen. Gleichwohl birgt es einiges an Potenzial und sollte angemessen gewürdigt werden. Die Landeshauptstadt möchte sich aktiv einbringen mit Veranstaltungen und einer großen Sonderausstellung im Stadtmuseum „Haus zum Stockfisch“. Darüber hinaus wünscht sich Knoblich weitere künstlerische und pädagogische Formate.

Marko Kreutzmann unterstreicht nochmals die Bedeutung des Parlaments, das trotz des gegenrevolutionären Kontextes durchaus mit der Paulskirche u.a. Ereignissen vergleichbar ist. Geschichte ist niemals schwarz oder weiß, Ambivalenzen gehören dazu. Zugleich ist Demokratiegeschichte keine Einbahnstraße, verschiedene Positionen sollten in verschiedener Weise zu Wort kommen. Gerade die inneren Widersprüche des Unionsparlaments machen die Auseinandersetzung damit aus heutiger Sicht spannend und lehrreich. Auch sieht Kreutzmann den Kompromiss-Charakter keineswegs nur kritisch, da sich so noch einmal eine realistische Chance auf einen nationalen Verfassungsstaat aufgetan habe. Steffen Raßloff sieht gute Möglichkeiten, 2025 das Unionsparlament zum Erwachen zu bringen. Die Parlamentsmitschriften mit den teils brillanten Debatten zwischen Liberalen und Konservativen – darunter auch der junge Bismarck – laden zu Formen des Reenactments ein. Dabei dürfte die Modernität und Aktualität bestimmter Themen von damals überraschen. Die Orte des Geschehens in der Stadt könnten markiert und erinnerungskulturell aufgeladen werden. Herzstück sollte dabei das Stadtmuseum sein, in dem 1850 mit dem preußischen Diplomaten Joseph Maria von Radowitz die treibende Kraft des Unionsprojektes residierte.

Die Fragen aus dem Publikum rückten weitere interessante Themen in den Fokus: Was wurde von Erfurt in die Verfassungen der Weimarer Republik und der Bundesrepublik übernommen? Hier wurden die Grundrechte genannt, aber auch große Unterschiede deutlich gemacht. Gab es Diskussionen um Staatsflagge oder Symbole? Hierzu kam es 1850 nicht. Gab es einen feierlichen Rahmen? Jenseits der Eröffnung in der heutigen Staatskanzlei mit Gottesdiensten und Glockengeläut blieb man weitgehend auf den Parlamentsbetrieb konzentriert. Wie war die Resonanz der „normalen Leute“? Zwar war das Parlament eher ein männliches Elitenphänomen, aber v.a. in Erfurt selbst gab es eine regelrechte „Hauptstadt-Euphorie“. Hinzu kamen eher reflexive Fragen: Wie steht es um die Parallelen zur EU-Verfassung und den Prozesscharakter von Demokratie? Wie funktionierte der Nationalstaat einst, wie funktioniert er heute?

Einig waren sich die Teilnehmer, dass dem Augustinerkloster eine besondere Bedeutung als Erinnerungsort zukommt. So soll es 2025 neben diversen Veranstaltungen auch als Außenstandort in die Sonderausstellung des Stadtmuseums integriert werden. Nur wenige Wochen vor der Diskussionsrunde, am 7. Februar, war dem heutigen Tagungs- und Begegnungszentrum in Person von Kurator Carsten Fromm mit der Übergabe einer Plakette durch Zänker und Raßloff der Status „Ort der Demokratiegeschichte“ verliehen worden. Das Augustinerkloster reiht sich damit ein in die großen Verfassungsorte Frankfurter Paulskirche, Weimarer Nationaltheater und Schloss Herrenchiemsee.

Ziel der Auszeichnungen als „Orte der Demokratiegeschichte“ durch die GEDG ist es, die Wahrnehmung der deutschen Demokratie- und Freiheitsgeschichte lokal, regional und deutschlandweit zu fördern und darüber demokratische Teilhabe und Zivilcourage anzuregen. Ganz in diesem Sinne wies in der Diskussion Augustinerpfarrer Bernd S. Prigge darauf hin, dass das Augustinerkloster auch in der Friedlichen Revolution 1989 als Ort der Entfaltung bürgerlicher Mitbestimmung in der DDR eine wichtige Rolle spielte. Auch dieses jüngere Kapitel deutscher Demokratiegeschichte wird 2025 nicht vergessen werden. (Foto v.l.n.r.: Dr. Tobias J. Knoblich, PD Dr. Marko Kreutzmann, Stephan Zänker, Dr. Steffen Raßloff)

Steffen Raßloff: Wie erinnern wir an das Erfurter Unionsparlament? In: Prospect 23. Bulletin der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (2023). S. 78 f.


Siehe auch: Erfurter Unionsparlament 1850