Erfurt Hochburg Arbeiterbewegung SPD

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Eine Hochburg der Arbeiterbewegung

Beitrag der Artikelserie Industrialisierung und soziale Bewegungen in Thüringen 2018 von Dr. Steffen Raßloff (23.01.2018)

In der Industriegroßstadt Erfurt etablierte sich um 1900 eine starke, lebensweltlich fest verankerte Sozialdemokratie.


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Das historische Jahresthema des Freistaates „Industrialisierung und soziale Bewegung in Thüringen“ beleuchtet ein wichtiges Kapitel unserer Landesgeschichte. Hierzu wird es eine Reihe von Veranstaltungen und Ausstellungen geben. Die vielgestaltige Industrieregion bot der Arbeiterbewegung ein frühes Zentrum, in dem wegweisende Parteitage stattfanden: 1869 Gründung der Sozialdemokratie unter August Bebel und Wilhelm Liebknecht in Eisenach, 1875 Vereinigung mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) in Gotha und 1891 der Erfurter Programmparteitag.

Erfurt gehörte als 1906 erste und lange Zeit einzige Industriegroßstadt Thüringens zu den Hochburgen der SPD. Bereits 1865 bildete sich eine Ortsgruppe des ADAV. Seine Mitglieder traten 1869 den „Eisenachern“ bei. Seit dem Gothaer Vereinigungsparteitag 1875 gehörten sie der Sozialistischen Arbeiterpartei an, die im Erfurter Programm von 1891 den Namen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) festschrieb.

Die Sozialdemokratie fasste v.a. unter der rasant wachsenden Industriearbeiterschaft Fuß. Besonders in den „Blechbüchsenvierteln“ des Nordens und Ostens entstand ein fest verankertes Arbeitermilieu, dem in den „besseren“ Quartieren in West und Süd ein wohlhabendes Bürgertum gegenüberstand. Zeitgenosse Wilhelm Horn hat dies 1904 in einer Abhandlung auf den Punkt gebracht: „Durch die dauernde Zuwanderung proletarischer Volksmassen auf der einen Seite und andererseits durch die schnelle Bereicherung städtischer Grundbesitzer, wohlhabender Kaufleute und Unternehmer ist im Verlaufe der modernen Großstadtentwicklung die Kluft zwischen Arm und Reich immer tiefer geworden.“

SPD und Gewerkschaften gelang es, weite Teile der Arbeiter hinter der roten Fahne zu versammeln. Es gab diverse Vereine, Feste und Traditionen, wie den seit 1890 begangenen 1. Mai. Mit dem 1902 feierlich eingeweihten Volkshaus „Tivoli“ am Beginn der heutigen Magdeburger Allee besaß man ein Kultur- und Veranstaltungszentrum (Fotos: Stadtarchiv Erfurt, Alexander Raßloff), mit der „Thüringer Tribüne“ seit 1889 eine eigene Parteizeitung. Ihr Herausgeber war der Schneidermeister Paul Reißhaus, die große Vaterfigur der Erfurter SPD.

Zum Zeitpunkt des Erfurter Parteitags 1891 im „Kaisersaal“ war die Sozialdemokratie bereits stärkste politische Kraft in der Stadt. Bei der Reichstagswahl 1890 hatte der SPD-Kandidat 52,7 Prozent erzielt. Ähnliche Ergebnisse konnten nur Berlin, Breslau, Hamburg, Elberfeld-Barmen, Königsberg und Magdeburg vorweisen. Im Stadtgebiet errangen die als „Umstürzler“ verfemten „Sozis“ seit dem späten 19. Jahrhundert absolute Mehrheiten. 1912 gelangte erstmals der SPD-Kandidat, Volksschullehrer Heinrich Schulz, im preußischen Wahlkreis Erfurt-Schleusingen-Ziegenrück in den Reichstag.

Von der Erfurter Stadtverordnetenversammlung blieb die SPD wegen des undemokratischen, am Steueraufkommen ausgerichteten Wahlrechtes in Preußen allerdings lange ausgeschlossen. Erst 1911 zogen zwei SPD-Stadtverordnete dank der Eingemeindung des Industrievorortes Ilversgehofen ins Rathaus ein. Mit der Novemberrevolution 1918 kehrte dann vor 100 Jahren demokratische Chancengleichheit ein. Diese gilt es nicht zuletzt mit Blick auf die jüngere Vergangenheit zu bewahren und mit Leben zu erfüllen.


Lesetipp:

Steffen Raßloff: Die soziale Frage. Der Erfurter Parteitag der SPD 1891. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 80 f.


Siehe auch: Erfurt und die SPD, Geschichte der Stadt Erfurt