Der Erfurter Hof

Aus erfurt-web.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Der Erfurter Hof

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2007)


Der Erfurter Hof (1)

Der Erfurter Hof wird in wenigen Wochen als Büro- und Geschäftshaus nach umfassender Sanierung wiedereröffnet. Der Erfurter Geschichtsverein hat dies zum Anlass genommen, die Geschichte des Traditonshotels mit dem Buch Willy Brandt ans Fenster gründlich aufzuarbeiten. Eine TA-Serie wird vorab einige der Höhepunkte präsentieren.


ErfurterHofAlex.jpg

„Willy Brandt ans Fenster!“ – mit diesem Sprechchor rufen am Vormittag des 19. März 1970 tausende DDR-Bürger den Bundeskanzler ans Fenster des Hotels „Erfurter Hof“. Als sich der charismatische Politiker aus dem „Westen“ zeigt, brandet auf dem Bahnhofsvorplatz tosender Jubel auf (Foto: Stadtarchiv Erfurt). Zuvor hat die Menge trotz Polizeiabsperrungen den Platz gestürmt. Für die meisten der Beteiligten bleibt dies ein unvergesslicher Augenblick. Auch Willy Brandt wird sich in seinen Erinnerungen zwei Jahrzehnte später fragen: „Der Tag von Erfurt. Gab es einen in meinem Leben, der emotionsgeladener gewesen wäre?“ An jenem 19. März 1970 war auch im übertragenen Sinne ein Fenster geöffnet worden, hatte der Dialog der beiden deutschen Staaten in einer geteilten Welt begonnen. Brandt war zu Gesprächen mit dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph angereist. Der „Erfurter Hof“ kann also für sich in Anspruch nehmen, als Schauplatz des ersten deutsch-deutschen Spitzentreffens und der beeindruckendsten Demonstration nationalen Einheitswillens in der DDR zwischen dem 17. Juni 1953 und der „Wende“ 1989 zu gelten. Aber der „Erfurter Hof“ ist noch sehr viel mehr. Er war über ein Jahrhundert das „erste Haus am Platze“, das sich vor 1945 mit den großen Hotels Deutschlands messen konnte. Auch in der DDR, zumal ab 1965 als „Interhotel“, zählte es zu den besten Adressen des Landes. Begründet wurde sein Ruf durch den Spitzen-Hotelier Georg Kossenhaschen, den Zeitgenossen voller Anerkennung als einen „Moltke des Gastgewerbes“ bezeichneten. Schon lange vor dem Spitzentreffen 1970 rückte das Gastspiel des „falschen Prinzen“ Harry Domela das Erfurter Hotel 1926 schon einmal in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit. Keine Hochstapelei der jüngeren deutschen Geschichte hat neben dem legendären Hauptmann von Köpenick für so viel Aufsehen gesorgt. Der „Erfurter Hof“ ist für viele Erfurter aber auch mehr als nur die einstige Luxusherberge, die vom Mantel der Geschichte gestreift wurde. Mit diesem Hotel und seiner Gastronomie verbinden sich zahllose bleibende Erinnerungen vom Tanzstundenball bis zur Familienfeier, vom Fasching bis zum Silvesterball. Die von Werner Lusche organisierten „Erfurter-Hof-Treffen“ im „Si Ju“ verweisen auf die besondere Atmosphäre auch unter den einstigen Mitarbeitern. All das mag die heftigen Emotionen erklären, mit denen die Erfurter den Verfallsprozess seit der Schließung 1995 verfolgten. Viele Bürger hatten sich eine Renaissance als Hotel gewünscht. Mittlerweile überwiegt aber die Freude über die Wiedereröffnung als Büro- und Geschäftshaus mit einigen der traditionellen und neuen gastronomischen Anziehungspunkten. Nach umfassender Sanierung durch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) wird der „Erfurter Hof“ u.a. der Sparkasse Mittelthüringen und der Thüringer Tourismus Gesellschaft einen würdigen Hauptsitz bieten.

(TA vom 11.08.2007)


Erfurter Hof (2): „Der falsche Prinz“

1926 beehrte seine Königliche Hoheit Prinz Wilhelm von Preußen den “Erfurter Hof” mit seiner Anwesenheit. Allerdings stellte sich bald heraus, dass es sich tatsächlich um den “falschen Prinzen” Harry Domela handelte.

Es war die spektakulärste Hochstapelei der deutschen Geschichte neben dem Streich des legendären „Hauptmanns von Köpenick“. Über den Fall Harry Domela alias Prinz Wilhelm von Preußen wurde in den 1920er Jahren viel gelacht. Zugleich offenbart er aber auch gesellschaftliche Probleme. Bevor der arbeitslose Baltikumdeutsche im „Erfurter Hof“ als Prinz hofiert wurde, hatte er die Tiefen der untersten Ränge der Gesellschaft erlebt. Als Ausweg erkannte Domela den Standesdünkel des Adels sowie die ungebrochene Ehrfurcht vieler Deutscher vor den blaublütigen Geschlechtern der 1918 untergegangenen Monarchie. Ende 1926 sollte Harry Domela in Erfurt sein hochstaplerisches Meisterstück liefern. Als Baron von Korff logierte er im „Erfurter Hof“. Der Hoteldirektor verbreitete das Gerücht, es handele sich um den Prinzen Wilhelm, den Enkel des letzten Kaisers Wilhelm II. Domela nahm diese Verwechslung zunächst eher mit Belustigung auf. Freilich „schmeichelte es mir, mit solchen Augen angesehen zu werden, zu erleben, wie alles vor mir in Ehrfurcht erstarrte“, so Domela in seinen 1927 erschienenen Erinnerungen “Der falsche Prinz”. Die Schilderung seines Eintrags in das Goldene Buch des Hotels stellt einen der Höhepunkte des Buches dar. Am Abend plaudern der Prinz und der Hoteldirektor in den Klubsesseln der Hotelhalle. Die Unterhaltung führt zu den bekannten Persönlichkeiten, die im Hause übernachtet hatten. Erst jüngst habe Reichskanzler Wilhelm Marx anlässlich des deutschen Katholikentages im „Erfurter Hof“ genächtigt. Schließlich führt der Direktor seinen Prinzen ins Privatkontor des Hotelbesitzers Georg Kossenhaschen, um ihm das Goldene Buch zu zeigen. “Der Direktor konnte jetzt eine gewisse Erregung nicht mehr verbergen. ´Ja, Marx, der höchste Beamte des Deutschen Reiches, auf dieser Seite.´ Er schlug eine neue Seite auf. ´Und hier, hier müßte sich eine der höchsten Persönlichkeiten eintragen, eine Persönlichkeit, die der hohen Stellung eines Reichskanzlers gleichkommt, ein Name, der einen noch volleren Klang hat.´“ Kurzentschlossen signiert Domela als “Wilhelm, Prinz von Preußen“. Damit waren alle Dämme der Verehrung gebrochen. Auch der lebenserfahrene Hotelbesitzer Kossenhaschen ließ sich von seinem hochadeligen Gast bestricken. Domela kann die schöne Zeit in Erfurt, den Luxus, das Umschwärmtsein und die Freundschaft mit dem väterlichen Kossenhaschen freilich nicht lange genießen. Am 8. Januar 1927 erfolgt bei Köln seine Verhaftung, als er sich in die Fremdenlegion retten will. Die Berichterstattung macht Domela schlagartig zum Medienstar. Die Reaktionen im Lande sind allerdings gespalten. Kurt Tucholsky galt die Geschichte von „Harry dem Ersten“ als „Kulturdokument ersten Ranges.“ Für andere ist Domela ein übler Verbrecher. Mitte der 1920er Jahre hofft noch mancher Bürger, dass die Hohenzollern Deutschland aus den Wirren der ungeliebten Republik führen mögen. Aber auch die bürgerliche „Thüringer Allgemeine Zeitung“ kann der Sache etwas Gutes abgewinnen: „Nun soll aber keiner mehr sagen, daß Erfurt unbekannt ist. Allüberall im Vaterlande spricht man von uns: denn durch den ganzen deutschen Blätterwald rauschte in diesen Wochen der Name unserer Stadt.“ 43 Jahre vor dem Gipfeltreffen von 1970 sind Erfurt und sein Nobelhotel schon einmal in aller Munde.

(TA vom 18.08.2007)


Erfurter Hof (3): Das Gipfeltreffen 1970

Das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen vom 19. März 1970 bildet eines der wichtigsten Ereignisse im Zeitalter der Entspannung. Mit diesem Treffen und seinen “Randereignissen” erlangte der “Erfurter Hof” weltweite Bekanntheit.

Die ganze Welt schaute an jenem kalten Märztag 1970 gespannt in die thüringische Bezirksstadt. 350 Journalisten aus 35 Ländern hatten sich akkreditieren lassen, Fernsehteams aus Ost und West lauerten auf spektakuläre Bilder. Sie sollten nicht enttäuscht werden, denn am Rande des politisch noch eher unergiebigen Treffens ereignete sich Unglaubliches. Selbst für den welterfahrenen Kanzler Willy Brandt sollte der “Tag von Erfurt” laut seinen Erinnerungen “einer der emotionalsten meines Lebens” werden. Trotz akribischer Vorbereitungen der DDR-Sicherheitsorgane erstürmen rund 8000 Menschen den Bahnhofsvorplatz, als die Delegationen mit Willi Stoph und Willy Brandt um 9.37 Uhr das Bahnhofsgebäude verlassen. Jetzt spielen sich jene legendären Szenen ab, die um den ganzen Globus gingen. Zunächst skandieren die Menschen „Willy, Willy“, was zweifellos den populären Bundeskanzler meint. Nachdem sich die Staatschefs mit Mühe den Weg ins Hotel gebahnt haben, fordert die Menge unmissverständlich: „Willy Brandt ans Fenster!“ Als sich Brandt nach einigem Zögern am Fenster zeigt, brandet tosender Jubel auf. Ebenso spontan erklären Demonstranten westlichen Journalisten, dass sie für „Reisefreiheit“ und „Freiheit überhaupt“ seien oder sich „Freie Wahlen“ wünschen. Einig war man sich zumindest in den westlichen Medien in der positiven Bewertung der „Randereignisse“ von Erfurt: „Daß die Deutschen weiterhin eine Nation sind – von Frankfurt am Main bis Frankfurt an der Oder –, braucht nach dem Erfurter Treffen nicht mehr postuliert zu werden. Selten hat Volkes Stimme – ´Willy Brandt - ans Fenster!´ – in so wenigen Minuten eine so nachhaltige Klarstellung erwirkt.“ (DIE ZEIT) Aber auch aus der realpolitischen Perspektive bildet der Erfurter Gipfel den symbolischen Startschuss für einen intensiven Dialog der beiden deutschen Staaten. Mit dem Grundlagenvertrag von 1972 wurden die Beziehungen auf eine geregelte Basis gestellt. In der Folge konnten BRD und DDR in die UNO aufgenommen (1973) und zu Unterzeichnern der KSZE-Schlussakte von Helsinki (1975) werden. Dies stellte zweifellos einen außenpolitischen Prestigegewinn für die DDR dar. Es gibt aber auch viele Historiker, die der 1970 in Erfurt von Willy Brandt so symbolträchtig begonnenen Politik des „Wandels durch Annäherung“ (Egon Bahr) einen erheblichen Stellenwert für die friedliche Revolution 1989 einräumen. Wie sehr die Erfurter auf eine solche Annäherung hofften, haben die Vorgänge auf dem Bahnhofsvorplatz eindrucksvoll demonstriert. Mit großer Sorge registrierten die DDR-Sicherheitsorgane Hoffnungen, Erfurt könne sich zukünftig „nicht nur Blumenstadt, sondern auch Stadt der Wiedervereinigung“ nennen. Die „Willy Brandt ans Fenster!“-Rufe waren ein erstes Wetterleuchten jener Spannungen in der DDR, die sich zwei Jahrzehnte später in der “Wende” entladen sollten.

(TA vom 25.08.2007)


Erfurter Hof (4): Das „erste Haus am Platze“

Der “Erfurter Hof” war seit 1905 das erste “Haus am Platze”. Georg Kossenhaschen führte das Hotel zu Weltruf. Als Interhotel konnte es auch in der DDR-Zeit dieses Niveau behaupten. Nach Schließung 1995 öffnet der sanierte “Erfurter Hof” nun als Geschäftshaus seine Pforten.

1905 findet der Bahnhofsvorplatz gut zehn Jahre nach der Eröffnung des neuen Bahnhofsgebäudes 1893 mit dem Hotel “Erfurter Hof” seine Vollendung. Besitzer Georg Kossenhaschen, von den Zeitgenossen als “Moltke im Gastgewerbe” gerühmt, lässt 1916 durch den Architekten Arthur Hügel noch das “Haus Kossenhaschen” anbauen. Das “Tor zur Stadt” kann sich jetzt wahrhaft sehen lassen, Erfurt hat sein “erstes Haus am Platze”, das mit den großen Hotels in Europa konkurrieren kann. Das Hotel Kossenhaschen zeichnete sich, so die Kunsthistoriker Ruth und Eberhard Menzel, durch künstlerisch hochwertige Ausstattung und Modernität aus. Vom Haupteingang in die mit Eichenholz vertäfelte Empfangshalle mit Kamin, von da über eine Haupttreppe aus weißem Marmor zu den vier Obergeschossen mit 100 Fremdenzimmern strahlte es Noblesse aus. Drei große Festräume waren separat von der Bürgermeister-Wagner-Straße erreichbar. So konnten Gäste mit Kutsche oder Auto direkt vor der Tür parken. Die Festsäle boten jahrzehntelang den Rahmen für private wie öffentliche Anlässe. Hinzu kam beliebte Gastronomie wie das 1923 eingerichtete Palastkaffee mit Konzertbetrieb. Nach 1945 wandelte das enteignete Haus sein Gesicht. Auf kurzzeitige Nutzung durch amerikanische und sowjetische Besatzungsorgane wurde der Hotelbetrieb wieder aufgenommen. Seit 1948 geschah dies unter dem Sammelnamen „Erfurter Hof“. Große Eingriffe lassen freilich seit den 1950er Jahren das Gebäude immer nüchterner erscheinen. Dachaufbauten werden beseitigt, Fassadenschmuck dezimiert. Die 1957 fertiggestellten Kolonnaden in der Bahnhofstraße allerdings dürften heute nicht mehr wegzudenken sein. Das 1965 zum Interhotel erhobene Haus wird bis zum Ende der DDR weiter modernisiert. 1966 war der Presse zu entnehmen: „Wer bisher im Interhotel ‚Erfurter Hof‘ kalte Pracht, Stuck und Marmor gewohnt war, wird der Umgestaltung des Hauses sicher aufgeschlossen gegenüberstehen.“ Verlusten an historischer Substanz stehen Investitionen in Technik und Komfort gegenüber. Die Gastronomie mit Winzerkeller, Palastkaffee oder Pilsner Bierbar genießt bei Gästen wie Einheimischen besten Ruf. Zu weltweiter Bekanntheit gelangte der „Erfurter Hof“ durch das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen 1970. Freilich waren Willy Brandt und Willi Stoph nur zwei von zahlreichen prominenten Gästen, die das DDR-Vorzeigehotel beherbergte. Franz Josef Strauß, Nicolae Ceaucescu, Louis Armstrong, Juri Gagarin, die Puhdys, Roy Black u.v.a. ließen es sich hier gut gehen. Erich Honecker pflegte mit viel Politprominenz von hier aus regelmäßig zu “Staatsjagden” aufzubrechen. Schon 1926 hatte der Besuch des “falschen Prinzen” Harry Domela für weitreichende Aufmerksamkeit gesorgt. Das traditionsreiche Hotel, an das viele Erfurter persönliche Erinnerungen knüpfen, sollte jedoch nach der Schließung 1995 in einen traurigen Dornröschenschlaf verfallen. Durch die Errichtung des Fünf-Sterne-Hotels im Brühl 2004 drohte dieser Schlaf unabsehbare Dauer anzunehmen. Der Freistaat Thüringen hat sich daraufhin verpflichtet, das geschichtsträchtige Gebäude wiederzubeleben. Nach umfassender Sanierung durch die Landesentwicklungsgesellschaft Thüringen (LEG) öffnet es nun als Büro- und Geschäftshaus mit vielen alten und neuen gastronomischen Anziehungspunkten.

(TA vom 01.09.2007)


Lesetipps:

Steffen Raßloff: Willy Brandt ans Fenster! Das Erfurter Gipfeltreffen 1970. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 110 f.

Steffen Raßloff (Hg.): "Willy Brandt ans Fenster!" Das Erfurter Gipfeltreffen 1970 und die Geschichte des "Erfurter Hofes". Jena 2007.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurter Hof, Harry Domela, Erfurter Gipfeltreffen, Willy Brandt Denkmal