Oberbürgermeister in Erfurt

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Oberbürgermeister der Stadt Erfurt

Seit 1872 ist Erfurt eine kreisfreie Stadt mit einem Oberbürgermeister an der Spitze, der allerdings keineswegs immer demokratisch ins Amt gelangte.


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Seit der Mitte des 13. Jahrhunderts hatte Erfurt seinem Landesherren, dem Erzbischof von Mainz, wachsende Autonomie bis hin zur faktischen Selbständigkeit des „Landes Erfurt“ abgetrotzt. Die Macht des Rates und seiner Spitzenvertreter sank jedoch seit dem 16. Jahrhundert, gipfelnd in der Unterwerfung unter Mainz 1664. Erst mit dem Übergang an Preußen 1802/15 begann im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung ein allmählicher Wiederaufstieg. 1872 erfolgte die Erhebung Erfurts zur kreisfreien Stadt mit einem Oberbürgermeister an der Spitze.

Wer deren Verwaltung leitete, bestimmte zunächst ein kleiner Zirkel honoriger Bürger. Denn bis 1918 bevorteilte das preußische Dreiklassenwahlrecht bei der Kommunalwahl Bürger mit hohem Steueraufkommen. Zudem besaßen nur wenige Erfurter das notwendige Bürgerrecht, noch 1914 waren es ganze 14,5%. Ins Rathaus gewählt wurden so Honoratioren von „Besitz und Bildung“, Unternehmer, Bankiers, Ärzte, Rechtsanwälte, Professoren, wohlhabende Handwerker. Da sich Erfurt seit der Reichsgründung 1871 bzw. der Entfestigung 1873 rasant zur Industriemetropole entwickelte, beriefen diese Stadtverordneten erfahrene Justiz- und Verwaltungsexperten zum OB.

> Richard Breslau (1872-1889) war der erste Oberbürgermeister der kreisfreien Stadt Erfurt. In der Amtszeit jenes „Vaters des modernen Erfurt“ wandelte sich die beschauliche Festungsstadt zur pulsierenden Industriemetropole. Richard Breslau wurde 1835 im schlesischen Königshütte (Chorzów) geboren. Er stammte damit wie die meisten höheren Beamten in Preußen aus einer anderen Provinz des Landes. 1862 hatte ihn der Berufsweg als Regierungsassitenten bei der Bezirksregierung am Hirschgarten nach Erfurt geführt. Der laut Zeitgenossen für „seine Kraft und Energie“ bekannte Beamte wurde 1871 zum 1. Bürgermeister gewählt und fungierte mit der Erhebung Erfurts zur kreisfreien Stadt 1872 als dessen Oberbürgermeister.

Nunmehr entfaltete er mit den Worten des Stadthistorikers Johannes Biereye „eine großartige Tätigkeit“ bei der Modernisierung der Stadt. Die hygienischen Bedingungen wurden durch den Bau einer Zentralwasserleitung, von Kanalisationsanlagen sowie effektivere Müllentsorgung entscheidend verbessert. 1876 öffnete der neue Städtische Friedhof, der heutige Südpark, 1882 folgte das Städtische Krankenhaus an der Nordhäuser Straße.

Gerühmt wurden die Breslausche Reform der „Polizei-, Kassen- und Schulverhältnisse“, aber auch die Pflasterung von Straßen und Gehwegen. Ein weiterer Meilenstein war die Inbetriebnahme der Pferdestraßenbahn 1883, die 1894 durch die „Elektrische“ ersetzt wurde. Voraussetzung hierfür bildete der Beginn der Elektrifizierung 1887. In diesen Jahren begann auch die rapide Ausdehnung der Stadt mit den Wohngebieten des „Gründerzeitgürtels“ und neuen Industrieanlagen.

Wohl größtes Verdienst Breslaus stellte das Vorhaben Flutgraben/Ringstraße dar. 1878 war es dem OB gelungen, vom preußischen Staat günstig die seit der Entfestigung 1873 nutzlosen Wallanlagen für die Stadt zu kaufen. Deren Beseitigung folgte 1890-99 der Ausbau des äußeren Befestigungsgrabens zum Umflutgraben. Damit wurde die ständige Hochwassergefahr gebannt. Seiner Zeit weit voraus, hatte Breslau auch den Bau einer parallelen Straßenmagistrale auf den Weg gebracht, da er „die eminenten Vorteile dieser Ringstraße für den öffentlichen Verkehr“ erkannte. Der in den 1970er Jahren vierspurig ausgebaute Juri-Gagarin-Ring ist heute, zusammen mit dem kontinuierlich erweiterten Straßenbahnnetz, das Rückgrat des innerstädtischen Verkehrs.

Angesichts dieser Leistungen ehrte die Stadt Erfurt Richard Breslau nach seinem Tode 1897 mit einem repräsentativen Denkmal. 1912 konnte in der Grünanlage der Bismarckstraße, dem heutigen Löberwallgraben, das Werk von Bildhauer Carl Melville enthüllt werden, das die Verdienste des Stadtvaters symbolisch zum Ausdruck brachte.

Der nach Breslau-Nachfolger Gustav Schneider (1890-95) amtierende Oberbürgermeister > Hermann Schmidt (1895-1919) war das letzte Stadtoberhaupt der Kaiserzeit. Unter seiner Leitung vollzog sich die endgültige Wandlung Erfurts zur modernen Industriegroßstadt.

Wie seine Vorgänger stammte auch Hermann Schmidt nicht aus der Region. 1851 in Dedesdorf im Großherzogtum Oldenburg geboren, wirkte er 1882-90 als Stadtsyndikus in Hildesheim und 1890-95 als 2. Bürgermeister von Halle/S. Am 3. Dezember 1895 trat er sein Amt als Oberbürgermeister von Erfurt an. Hatte Breslau die Weichen für den Weg Erfurts zur modernen Großstadt gestellt, so gebührt Hermann Schmidt das Verdienst, auf dem Höhepunkt dieser Entwicklung die Stadt erfolgreich geleitet zu haben.

Besonders hebt Zeitgenosse Biereye die Fähigkeiten des „ausgezeichneten Finanzpolitikers“ hervor. Durch geschickte Bodenpolitik nahm die Entwicklung blühender Vorstädte weiter Fahrt auf. Den Bedürfnissen der Industrie trug man 1909 durch die Ausweisung eines großen Gewerbegebietes im Norden Rechnung. Auch der Durchbruch zur modernen Dienstleistungsstadt geht in die Amtszeit Schmidts zurück. So entstand 1906 das „Kaufhaus Römischer Kaiser“ am Anger, das heutige „Anger 1“, als größte Einrichtung ihrer Art in der Region.

Die Modernisierung der Infrastruktur wurde von Schmidt ebenfalls fortgesetzt, unter dessen Leitung ein Städtisches Elektrizitätswerk (1901) und der Hauptfriedhof (1916) entstanden sowie der Flutgraben 1899 fertiggestellt wurde. Die Umnutzung der ehemaligen Festungswälle ging weiter, 1908 konnte auf der Daberstedter Schanze der Stadtpark übergeben werden. Auch im kulturellen Bereich setzte Schmidt Akzente, indem beispielsweise das Museum mit dem späteren Reichskunstwart Dr. Edwin Redslob 1912 einen hauptamtlichen Direktor bekam und ein zentraler Neubau auf dem Stadtparkgelände in greifbare Nähe rückte (1913 Entwurf Henry van de Velde).

So war es mehr als ein symbolischer Akt, wenn Hermann Schmidt 1906 den Eintritt Erfurts in den Kreis der modernen Großstädte verkünden konnte. Voller Stolz informierte er die Stadtverordneten, dass mit dem Fleischermeistersohn Wilhelm Mund am 22. Mai 1906 der einhunderttausendste Erfurter das Licht der Welt erblickt habe. Die Stadtverordneten antworteten hierauf mit einem „lebhaften Bravo!“. In drei Jahrzehnten hatte sich die Einwohnerzahl von 48.000 (1875) auf 100.000 (1906) verdoppelt. Zuzüglich Eingemeindungen, v.a. des nördlichen Industrievorortes Ilversgehofen (1911), brachte es die Stadt bis 1914 auf 130.000 Einwohner.

Der im August 1914 beginnende Erste Weltkrieg brachte diese dynamische Stadtentwicklung abrupt zum stehen. Die wirtschaftliche und soziale Situation verschlechterte sich zusehends, an die Umsetzung solcher Projekte wie dem Museumsneubau war nicht mehr zu denken. Am Ende des verlorenen Krieges war Erfurt „eine arme Stadt“, wie der kommunale Verwaltungsbericht feststellen musste. Der allseits geachtete Oberbürgermeister übte sein schweres Amt auch noch über die Revolution und Republikausrufung im November 1918 hinaus bis 1919 aus, ehe er schon zwei Jahre später verstarb.

Auch in der Weimarer Republik leitete mit > Bruno Mann (1919-1933) ein Fachmann „alter Schule“ die Geschicke der Stadt. Mann war jedoch der erste, der von einer frei gewählten Stadtverordnetenversammlung ins Amt berufen wurde und steht für die bewegte Zeit der Weimarer Republik.

Bruno Mann wurde 1874 in Frankfurt/O. geboren. Nach verschiedenen Karrierestationen stieg er im Juni 1918 zum 2. Bürgermeister der noch selbständigen Stadt Neukölln bei Berlin auf. Am 11. Oktober 1919 wählte die Erfurter Stadtverordnetenversammlung den studierten Rechts- und Staatswissenschaftler einstimmig zum Oberbürgermeister.

Mann übernahm sein Amt in sehr unruhiger Zeit. Seit der Novemberrevolution 1918 war die Stadt von Streiks und Unruhen erschüttert worden. Der Kapp-Putsch vom Frühjahr 1920 bildete den Höhepunkt der bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen zwischen linker Arbeiterschaft auf der einen, Bürgerwehr, Polizei und Militär auf der anderen Seite. Acht Tote und zahlreiche Verletzte waren zu beklagen. Die Bemühungen von OB Mann und Vertretern der gemäßigten Parteien im Stadtrat, die Situation zu entschärfen, blieben erfolglos.

Erst ab 1924 kam es wieder zu einer Beruhigung, die mit dem relativen wirtschaftlichen Aufschwung der „Goldenen Zwanziger“ verbunden war. Die Stadt verwirklichte kommunale Großprojekte wie das Nordbad (1925) und das Stadion (1929). Das Städtische Museum wurde mit Unterstützung Manns zu einem Zentrum moderner Kunst. 1929 gelang es sogar, Erfurt mit einer Pädagogische Akademie wieder zur Hochschulstadt zu machen. Am 1. Dezember 1929 schrieb die „Mitteldeutsche Zeitung“ über Bruno Mann: „Ihm hat die Bürgerschaft tief zu danken, daß trotz der Nachkriegs- und Inflationsnöte Erfurt einen Aufschwung genommen hat, wie ihn nur wenige deutsche Städte zu verzeichnen haben.“

Um so unerbittlicher schlug die Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929 auch in Erfurt zu. Zahlreiche Unternehmen mussten schließen oder Mitarbeiter entlassen. Das öffentliche Leben brach weitgehend zusammen, sogar die Pädagogische Akademie wurde schon 1932 wieder geschlossen. Im Sommer 1932 war mehr als jeder Dritte Erfurter arbeitslos, der Stadt gelang längst kein ausgeglichener Haushalt mehr.

Die tiefe Krisenstimmung und das Wiederaufleben der Unruhen mit Saal- und Straßenschlachten ließ die Nationalsozialisten v.a. für große Teile des Bürgertums schließlich als letzten Ausweg erscheinen. Mit 42,2 % stieg die NSDAP in der Reichstagswahl vom Juli 1932 in Erfurt zur weitaus stärksten Partei auf. Die „Machtergreifung“ Hitlers vom 30. Januar 1933 stieß so durchaus auf die Zustimmung breiter Bevölkerungskreise.

Bruno Mann ließ sich wohl auch ein Stück weit von der Aufbruchstimmung mitreißen, so sehr er der NSDAP skeptisch gegenüber stand. Am 31. März 1933 sprach er zu den Stadtverordneten, er wolle „in feierlicher Weise den neuen nationalen Geist auch in unser Rathaus Einzug halten lassen“. Am 18. Juni 1933 hielt der „nationale Geist“ tatsächlich im Rathaus Einzug. Nach einer Massenkundgebung vor tausenden begeisterten Erfurtern trug sich Ehrenbürger Adolf Hitler ins Goldene Buch der Stadt ein. Bruno Mann war jetzt freilich kein Oberbürgermeister mehr. Die neuen Machthaber hatten ihn zuvor in den Ruhestand gedrängt und den Nationalsozialisten Theodor Pichier an seine Stelle gesetzt.

Nach der „Machtergreifung“1933 herrschten die NS-Oberbürgermeister uneingeschränkt über die Stadt. Seit der neuen Reichsgemeindeordnung von 1935 amtierte das Stadtoberhaupt „in voller und ausschließlicher Verantwortung“. Die Stadtverordnetenversammlung wurde zugunsten eines nur noch „beratenden“ Ratsherrengremiums aufgelöst. Das neue „Führerprinzip“ setzte freilich geeignete Führungspersönlichkeiten im Sinne der braunen Machthaber voraus. In dieser Hinsicht gestaltete sich die Entwicklung in Erfurt problematisch. So mussten die beiden ersten Stadtoberhäupter Theodor Pichier (1933-35) und Max Zeitler (1935/36) jeweils nach kurzer Frist aufgrund von Skandalen zurücktreten.

Im März 1936 übernahm schließlich > Walter Kießling (1936-1945) die Führung im Rathaus. Der 1892 in Tannroda geborene Jurist war seit 1930 aktives NSDAP-Mitglied. Er galt als „Verwaltungsfachmann und entschlossener Politiker, der sich für seine Ziele und Vorstellungen einsetzte“ (Eckart Schörle). Freilich richteten sich diese Vorstellungen u.a. gegen moderne Kunst und gegen die Juden der Stadt. Beiden sagte er entschieden den Kampf an. Museumsdirektor Herbert Kunze wurde auf sein Drängen hin 1937 entlassen, das Angermuseum verlor in der Aktion „entartete Kunst“ seine heute unschätzbar wertvolle Sammlung moderner Kunst. Für Kießling waren dies nur „übelste bolschewistische Machwerke“.

In der „Judenfrage“ versuchte er, die Stadt Erfurt als Vorreiter zu profilieren. Von den alltäglichen Diskriminierungen bis hin zur Deportation in die Vernichtungslager zeigte sich Kießling sehr aktiv. Selbst der berüchtigte Sicherheitsdienst vermerkte in einem Bericht: „In der Judenfrage wollte K. gegenüber den zentral gelenkten Maßnahmen der Stapo eigene Wege gehen, um Erfurt baldmöglichst judenfrei hinstellen zu können.“ Unter OB Kießling sollte auch die Industriegroßstadt Erfurt weiter ihr Aussehen ändern. Zunächst waren es v.a. Kasernen, Militärkomplexe und Rüstungsbetriebe, die aus dem Boden schossen. Sie bildeten die Vorboten des Zweiten Weltkrieges 1939-45. Dieser Krieg griff ab Sommer 1940 durch immer häufigere Luftangriffe zerstörerisch ins Stadtbild ein, ca. 1600 Menschen verloren dabei ihr Leben. Der Oberbürgermeister konnte als „Leiter der Sofortmaßnahmen“ des Luftschutzes kaum mehr hiergegen tun, als durch Propaganda den Durchhaltewillen der Erfurter zu stärken.

Am Ende des Krieges setzte sich Kießling jedoch für eine kampflose Übergabe der Stadt an die Amerikaner ein. Dies hätte ihm beinahe den Kopf gekostet, da Kampfkommandant Oberst Otto Merkel die Stadt gemäß „Führerbefehl“ zu verteidigen gedachte. So nahmen die US-Truppen am 12. April 1945 Erfurt kämpfend ein, der von Merkel erlassene Erschießungsbefehl gegen Kießling wurde nicht vollstreckt. Diese Episode am Kriegsende hat dem überzeugten Nationalsozialisten den Weg zu einer geachteten Nachkriegsexistenz in der Bundesrepublik geebnet. 1949 wurde sein Entnazifizierungsverfahren mit „entlastet“ abgeschlossen. Als Rechtsanwalt gehörte Kießling bis zu seinem Tode 1966 zur geachteten Göttinger Honoratiorengesellschaft.

Mit der Besetzung durch die US-Armee am 12. April 1945 war der Zweite Weltkrieg für Erfurt beendet. Nunmehr bestimmten den Alltag die Sorgen der Nachkriegszeit und die Herrschaft der am 3. Juli 1945 einmarschierten Sowjetbesatzer. Mit ihrer Hilfe entfaltete sich die Herrschaft der Kommunisten bzw. der im April 1946 gegründeten SED. Ihr Machtanspruch trat auch in Erfurt sehr rasch an die Oberfläche. Zunächst hatten die Oberbürgermeister in kurzer Folge gewechselt.

Auf den von den US-Truppen im April 1945 eingesetzten Geschäftsmann Otto Gerber folgte unter den Sowjets im Juli 1945 der Kommunist und Buchenwald-Häftling Hermann Jahn, nach dessen Tod im Mai 1946 das SED-Mitglied > Georg Boock (1946-1961). Der gebürtige Berliner hatte seit 1911 Erfahrungen als Kommunalpolitiker gesammelt. 1922 war er der SPD beigetreten. Im Dritten Reich noch 1944 zu einer Zuchthausstraße verurteilt, arbeitete er nach Kriegsende bis zu seiner Berufung nach Erfurt als Oberbürgermeister von Wurzen und trat der KPD bzw. SED bei. Die freien Kommunalwahlen in Erfurt vom 6. September 1946 gewannen jedoch die Bürgerparteien LDPD (41 %) und CDU (24 %), während die SED nur ein Drittel der Stimmen erringen konnte.

Der neue Oberbürgermeister Paul Hach (LDPD) wurde daraufhin unter dem Vorwurf der Sabotage verhaftet und erst nach Verzicht auf den OB-Posten wieder freigelassen. So gelangte Georg Boock erneut an die Spitze der Stadtverwaltung. Doch dies war nur ein erster Vorgeschmack auf die SED-Herrschaft im Erfurter Rathaus. Sie fügte sich ein in den „demokratischen Zentralismus“ der 1949 gegründeten DDR. Politisch-gesellschaftliche Umwälzungen und wirtschaftliche Probleme mündeten in den Volksaufstand vom 17. Juni 1953, der sich auch in Erfurt in zahlreichen Streiks und Protestkundgebungen äußerte. Schließlich konnte die DDR nur durch den Bau der Berliner Mauer 1961 vor dem Ausbluten gerettet werden.

Die Stadtverwaltung unter Georg Boock konnte aber auch Erfolge vermelden. Ab 1948 übernahm Erfurt von Weimar die Hauptstadtrolle des Landes Thüringen. Mit der Auflösung der Länder 1952 wurde es Bezirksstadt. Als Hauptstadt des größten der drei thüringischen Bezirke nahm es eine kontinuierliche Weiterentwicklung. Größtes Problem war die Wohnungsfrage, der man durch beschleunigten Wohnungsbau, Arbeiterwohnungsbau-Genossenschaften (AWG) und das freiwillige „Nationale Aufbauwerk“ (NAW) beizukommen suchte. Erfurt baute seine Bedeutung als Industriestadt weiter aus; in Wissenschaft und Kultur brachte die Ära Boock wichtige Neugründungen wie die Pädagogische Hochschule (1953), die Medizinische Akademie (1954), den Thüringer Zoopark (1959) und die iga (1961). Letztlich wird man die Verdienste des ersten SED-Oberbürgermeisters nur unter Berücksichtigung der Bedingungen in der SBZ bzw. DDR angemessen würdigen können.

Ähnliches gilt für seine Nachfolger Rolf-Dietrich Nottrodt (1961-69) und Heinz Scheinpflug (1969-82) sowie die bisher einzige „Stadtmutter“ Rosemarie Seibert (1982-89). Erfurts Weg als sozialistische Industriegroßstadt, die 1972 die 200.000-Einwohner-Grenze überschritt, wurde weiter fortgesetzt. Zugleich aber ließen sich die politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Defizite nicht übersehen, die schließlich im Herbst 1989 zur „Wende“ in der DDR führten.

Im Mai 1990 gelangte auf Wende-Übergangs-OB Siegfried Hirschfeld (SED/PDS) der zur CDU übergetretene Bürgerrechtler Manfred O. Ruge (1990-2006) wieder auf demokratischem Wege ins Amt. Der gebürtige Blumenstädter profilierte sich in den 16 Jahren seiner Amtszeit im wiederaufblühenden Erfurt, aber auch bei tragischen Ereignissen wie dem Amoklauf am Gutenberg-Gymnasium am 26. April 2002 zum anerkannten Stadtvater. Am 1. Juli 2006 schließlich trat mit dem aktuellen OB Andreas Bausewein erstmals ein Sozialdemokrat an die Spitze der Stadt. Er konnte sein Amt 2012 bereits im ersten Wahlgang mit fast 60 % der Wählerstimmen gegen sechs Mitbewerber behaupten.


Steffen Raßloff: Die Oberbürgermeister der Stadt Erfurt seit 1872. In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 35 (2007). S. 25-27. (für die Zeit nach 2007 leicht aktualisiert)


Lesetipps:

Steffen Raßloff: Geschichte der Stadt Erfurt. Erfurt 2012 (5. Auflage 2019).

Steffen Raßloff: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021.


Siehe auch: Presseserie zu den Erfurter Oberbürgermeistern, Geschichte der Stadt Erfurt


Thüringer Allgemeine/Thüringische Landeszeitung vom 11.04.2018

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