Erfurt. Ein historischer Überblick.

Aus erfurt-web.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Erfurt - Ein historischer Überblick

Die Broschüre von Heimatmaler Jürgen Valdeig und Historiker Dr. Steffen Raßloff wirft Schlaglichter auf die reiche Erfurter Stadtgeschichte.


ValdeigSchlaglicher2011.jpg

Die Stadt Erfurt kann auf eine fast 1300-jährige urkundlich belegte Geschichte zurück blicken. 742 erwähnte der Missionar Bonifatius “erphesfurt” in einem Brief an den Papst erstmals als „Stadt heidnischer Bauern“. Sie war in den Jahrhunderten zuvor aus mehreren Siedlungskernen an den Gera-Furten gewachsen, auf die wohl auch der Name der Stadt zurück geht. Das von Bonifatius gegründete Bistum Erfurt, das bald an Mainz angegliedert wurde, verdeutlicht die historische Zentralortstellung. Bis heute ist Erfurt nicht nur das kirchliche Zentrum Thüringens geblieben. Von Beginn an bildete es die “Metropolis Thuringiae”, wie es Hartmann Schedel in seiner “Weltchronik“ 1493 formuliert hat. Das mittelalterliche Handels- und Kulturzentrum mit seinen fast 20.000 Einwohnern gehörte darüber hinaus zu den größten Städten des Deutschen Reiches. Besonders das Blaufärbemittel Waid brachte der Bürgerschaft großen Reichtum. Diesen nutzte man seit dem 13. Jahrhunderts zur Erringung reichsstadtähnlicher Autonomie gegenüber dem Mainzer Erzbischof, seit etwa 1000 auch weltlicher Stadtherr Erfurts. Das „Land Erfurt“ erwarb ein eigenes Territorium und stellte einen wichtigen Machtfaktor in der Region dar.

Ausdruck dieser Blütezeit sind die zahlreichen Bau- und Kulturdenkmale, allen voran das Ensemble aus Dom und Severikirche. Als weitere Stadtkrone strahlte einst das Peterskloster weit ins Land hinaus. Neben den vielen Sakralbauten gehören prächtige Bürgerhäuser und die Krämerbrücke heute zu den touristischen Highlights. Nach wie vor präsent ist auch die mit ihrem Privileg von 1379 älteste und zeitweise führende Universität im heutigen Deutschland. Hier studierte Martin Luther, der in Erfurt seine geistige Prägung erhielt. An den Studenten, Magister und Mönch erinnern insbesondere das Collegium maius, die Georgenburse und das Augustinerkloster. Nach dem „Gewittererlebnis“ von Stotternheim 1505 war aus dem angehenden Juristen ein Mönch geworden. Die theologischen Einsichten Luthers, die zur Reformation führten, wurzeln in seiner Erfurter Zeit. Das reiche jüdische Erbe, repräsentiert von Alter Synagoge, “Erfurter Schatz” und Mikwe, erhebt sogar Anspruch auf den UNESCO-Welterbestatus.

Im späten 15. Jahrhundert war die Blütezeit überschritten, verlor Erfurt politisch und wirtschaftlich an Bedeutung. Der Dreißigjährige Krieg 1618-1648 leitete den endgültigen Niedergang ein. 1664 konnte der Mainzer Erzbischof Johann Philipp von Schönborn die Stadt unterwerfen. Erfurt sank auf das Niveau einer kurmainzischen Provinzstadt herab, regiert von einem Statthalter. Symbole der Mainzer Herrschaft sind die Zitadelle Petersberg und barocke Repräsentationsbauten wie der Waage- und Packhof (Angermuseum) und die Statthalterei am Hirschgarten (Thüringer Staatskanzlei). Der bedeutendste unter den Statthaltern war der spätere Fürstprimas des Rheinbundes, Karl Theodor von Dalberg (1772-1802). Dalberg machte Erfurt im Geiste der Aufklärung zu einem Zentrum der Kultur in Nachbarschaft zum klassischen Weimar, zog Goethe, Schiller, Herder, Wieland und Humboldt in seinen Kreis.

In den vergangenen zwei Jahrhunderten hat sich Erfurt zur modernen Metropole Thüringens aufgeschwungen. 1802 wechselte es nach 800jähriger Zugehörigkeit zu Mainz an das Königreich Preußen. Auf die preußische Niederlage bei Jena und Auerstedt 1806 folgte das Intermezzo als „kaiserliche Domäne“ Napoleons. 1808 fand der glanzvolle Erfurter Fürstenkongress statt, bei dem es zum denkwürdigen Treffen von Napoleon und Goethe kam. Nach der Leipziger Völkerschlacht 1813 belagerten alliierte Truppen die Stadt und zerstörten u.a. das Peterskloster. Der Wiener Kongress 1815 sprach Erfurt erneut Preußen zu, dem es bis 1945 angehören sollte. Der Anschluss an das Eisenbahnnetz 1847 markiert den Beginn der Industrialisierung. Das Bürgertum verlangte liberale Grundrechte und einen deutschen Nationalstaat. Während der Revolution 1848 kam es zu schweren Straßenkämpfen. 1850 folgte das Erfurter Unionsparlament, an dem der junge Otto von Bismarck teilnahm.

Die „Gründerjahre“ nach der Reichseinigung 1871 brachten den Durchbruch zur modernen Industriegroßstadt. Auch der Gartenbau der „Blumenstadt“ erlangte Weltruf. Mit Aufhebung der Festung 1873 erfolgte die rasante Vergrößerung der Stadt. Im Norden und Osten wuchsen Industrie und Arbeitersiedlungen, im Süden und Westen gehobene Wohnquartiere. Als markante Neubauten seien das neue Rathaus, der Hauptbahnhof, das Kaufhaus „Römischer Kaiser“ am Anger oder das Hotel „Erfurter Hof“ genannt. Die Infrastruktur wurde modernisiert, es entstanden der Flutgraben und der heutige Juri-Gagarin-Ring, der Hauptfriedhof, das Städtische Krankenhaus, die Straßenbahn, Wasserleitung und Kanalisation. Seit den 1890er Jahren erfolgte die Umgestaltung von Anger und Bahnhofstraße im Stil der Gründerzeit. Die Einwohnerzahl stieg von 44.000 (1871) auf 100.000 (1906). Nach der Eingemeindung Ilversgehofens 1911 waren es 130.000. Erfurt bot nun das Bild einer spannungsgeladenen Großstadt, gespalten in ein Bürger- und Arbeitermilieu. 1891 fand im Kaisersaal unter Leitung von August Bebel und Wilhelm Liebknecht der wegweisende Erfurter Parteitag der SPD statt.

Erfurt durchlebte das „Zeitalter der Extreme“ zwischen Erstem Weltkrieg 1914/18 und dem Ende des Ost-West-Konfliktes um 1990 besonders intensiv. Die 1918 ausgerufene Weimarer Republik war zunächst von sozialer Not und Bürgerkrieg gekennzeichnet. Die „Goldenen Zwanziger“ brachten dann einen gewissen Aufschwung und städtebauliche Impulse (Wohnquartiere und Bauten im Bauhaus-Stil, Nordbad, Flughafen am Roten Berg, Stadion). Das Angermuseum gehörte zu den Brennpunkten der kulturellen Moderne. Diese kurze Blütezeit wurde jäh beendet von der Weltwirtschaftskrise 1929, was mit zur „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten und zum Dritten Reich 1933-1945 führte. Im Zweiten Weltkrieg 1939/45 verliefen die Luftangriffe und Kampfhandlungen, denen rund 1600 Bürger zum Opfer fielen, vergleichsweise glimpflich. Diesem Umstand verdankt Erfurt sein in weiten Teilen erhaltenes historisches Stadtbild.

1945 begann der Aufbau der SED-Herrschaft in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR. Mit dem Mauerbau 1961 schien die deutsche Teilung endgültig betoniert. Das erste deutsch-deutsche Gipfeltreffen Brandt-Stoph 1970 im “Erfurter Hof” zeigte jedoch die latenten Einheitshoffnungen. Im Land Thüringen 1945/52 hatte Erfurt erstmals die Hauptstadtrolle übernommen. Auch als Bezirksstadt nahm es eine dynamische Entwicklung (Kombinate, Flughafen Bindersleben, Pädagogische Hochschule, Medizinische Akademie, Zoopark, iga). Im Norden und Südosten entstanden große Plattenbaugebiete. In den 1980er Jahren ließ sich jedoch der Niedergang in der DDR nicht mehr übersehen. Folge waren die friedliche Revolution und deutsche Wiedervereinigung 1989/90. Erfurt ist heute als Landeshauptstadt das pulsierende Herz des Freistaates Thüringen. Der Wandel zur Verwaltungs- und Dienstleistungsstadt war dabei mit schmerzhaften Einschnitten verbunden, die Einwohnerzahl sank von 220.000 auf 200.000. Gleichzeitig hat sich das Gesicht der Stadt positiv verändert. Genannt seien die Sanierung der historischen Altstadt, der Ausbau des Verkehrsnetzes, der Sitz des Bundesarbeitsgerichtes, mdr-Landesfunkhauses und Kinderkanals sowie die Wiedergründung der Universität Erfurt.


Steffen Raßloff: Erfurt. Ein historischer Überblick. In: Jürgen Valdeig: Erfurt. Schlaglichter zur Stadtgeschichte. Weimar 2011. S. 5-7.


Lesetipp:

Jürgen Valdeig/Steffen Raßloff: Malerisches Erfurt. Eine Liebeserklärung in Aquarellen. Erfurt 2019.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt