Wandbilder zur Stadtgeschichte im Rathausfestsaal: Unterschied zwischen den Versionen

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Der Rathausfestsaal ist die gute Stube Erfurts. Unsere Vorväter ließen diesen repräsentativen Saal mit einem Wandbildzyklus ausstatten, der zentrale Episoden und Wendepunkte der Stadtgeschichte markiert. Diesen Gemälden widmet sich eine neue Serie der TA.
Der Rathausfestsaal ist die gute Stube Erfurts. Unsere Vorväter ließen diesen repräsentativen Saal mit einem Wandbildzyklus ausstatten, der zentrale Episoden und Wendepunkte der Stadtgeschichte markiert. Diesen Gemälden widmet sich eine neue Serie der TA.


[[Datei:Tollesjahr.jpg|450px|right]]Am 3. Juni 1882 feierte ganz Erfurt die offizielle Einweihung des neuen neogotischen Rathauses. Prunkstück war der von Prof. Peter Janssen aus Düsseldorf in über vierjähriger Arbeit mit Wandgemälden ausgeschmückte Festsaal. Diese Bilder sollen auf ihren historischen Hintergrund, das Geschichtsbild der Entstehungszeit und auch daraufhin betrachtet werden, was uns die gewählten Themen und Persönlichkeiten aus aktueller Sicht noch zu sagen haben.
[[Datei:Rathaussaal.jpg|450px|right]]Am 3. Juni 1882 feierte ganz Erfurt die offizielle Einweihung des neuen neogotischen Rathauses. Prunkstück war der von Prof. Peter Janssen aus Düsseldorf in über vierjähriger Arbeit mit Wandgemälden ausgeschmückte Festsaal. Diese Bilder sollen auf ihren historischen Hintergrund, das Geschichtsbild der Entstehungszeit und auch daraufhin betrachtet werden, was uns die gewählten Themen und Persönlichkeiten aus aktueller Sicht noch zu sagen haben.
Professor Janssens Parforceritt durch die Stadtgeschichte beginnt mit dem Missionar Bonifatius, der “Erphesfurt” in seinem Papstbrief von 742 ans Licht schriftlich überlieferter Geschichte gehoben hat. Er steht ebenso wie die Heiligen Martin und Elisabeth auf dem zweiten Bild für die bis heute vielfältig wirksamen christlich-abendländischen Traditionen, wenngleich eine deutliche Mehrheit der Erfurter nicht mehr konfessionell gebunden ist. Aber auch schon im späten 19. Jahrhundert haftete den Bildern etwas von einer Beschwörung christlicher Wurzeln und Werte im Zeitalter der Moderne an.
Professor Janssens Parforceritt durch die Stadtgeschichte beginnt mit dem Missionar Bonifatius, der “Erphesfurt” in seinem Papstbrief von 742 ans Licht schriftlich überlieferter Geschichte gehoben hat. Er steht ebenso wie die Heiligen Martin und Elisabeth auf dem zweiten Bild für die bis heute vielfältig wirksamen christlich-abendländischen Traditionen, wenngleich eine deutliche Mehrheit der Erfurter nicht mehr konfessionell gebunden ist. Aber auch schon im späten 19. Jahrhundert haftete den Bildern etwas von einer Beschwörung christlicher Wurzeln und Werte im Zeitalter der Moderne an.
Die wichtige Stellung der autonomen Quasi-Reichsstadt Erfurt wird in den Bildern drei und vier unterstrichen. Die Unterwerfung Heinrichs des Löwen unter Kaiser Friedrich Barbarossa 1181 in der Peterskirche zeugt ebenso wie der Raubritterzug Kaiser Rudolfs mit Unterstützung Erfurter Bürger 1289/90 von der Nähe zur kaiserlichen Zentralgewalt. Auf die kulturelle Ausstrahlung des zu den größten und wohlhabendsten Städten des Alten Reiches zählenden Erfurt verweist das Gemälde mit der symbolischen Darstellung der Universität. Die 1379 privilegierte Alma mater Erfordiensis gehörte zu den angesehensten Hochschulen Europas, ihr bekanntester Student und Lehrer war der abgebildete Reformator Martin Luther.
Die wichtige Stellung der autonomen Quasi-Reichsstadt Erfurt wird in den Bildern drei und vier unterstrichen. Die Unterwerfung Heinrichs des Löwen unter Kaiser Friedrich Barbarossa 1181 in der Peterskirche zeugt ebenso wie der Raubritterzug Kaiser Rudolfs mit Unterstützung Erfurter Bürger 1289/90 von der Nähe zur kaiserlichen Zentralgewalt. Auf die kulturelle Ausstrahlung des zu den größten und wohlhabendsten Städten des Alten Reiches zählenden Erfurt verweist das Gemälde mit der symbolischen Darstellung der Universität. Die 1379 privilegierte Alma mater Erfordiensis gehörte zu den angesehensten Hochschulen Europas, ihr bekanntester Student und Lehrer war der abgebildete Reformator Martin Luther.

Version vom 19. Dezember 2011, 12:38 Uhr

Die Wandbilder im Erfurter Rathausfestsaal

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentlicht 2007)


Stadtgeschichte in Bildern

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (1)

Der Rathausfestsaal ist die gute Stube Erfurts. Unsere Vorväter ließen diesen repräsentativen Saal mit einem Wandbildzyklus ausstatten, der zentrale Episoden und Wendepunkte der Stadtgeschichte markiert. Diesen Gemälden widmet sich eine neue Serie der TA.

Rathaussaal.jpg

Am 3. Juni 1882 feierte ganz Erfurt die offizielle Einweihung des neuen neogotischen Rathauses. Prunkstück war der von Prof. Peter Janssen aus Düsseldorf in über vierjähriger Arbeit mit Wandgemälden ausgeschmückte Festsaal. Diese Bilder sollen auf ihren historischen Hintergrund, das Geschichtsbild der Entstehungszeit und auch daraufhin betrachtet werden, was uns die gewählten Themen und Persönlichkeiten aus aktueller Sicht noch zu sagen haben.

Professor Janssens Parforceritt durch die Stadtgeschichte beginnt mit dem Missionar Bonifatius, der “Erphesfurt” in seinem Papstbrief von 742 ans Licht schriftlich überlieferter Geschichte gehoben hat. Er steht ebenso wie die Heiligen Martin und Elisabeth auf dem zweiten Bild für die bis heute vielfältig wirksamen christlich-abendländischen Traditionen, wenngleich eine deutliche Mehrheit der Erfurter nicht mehr konfessionell gebunden ist. Aber auch schon im späten 19. Jahrhundert haftete den Bildern etwas von einer Beschwörung christlicher Wurzeln und Werte im Zeitalter der Moderne an. Die wichtige Stellung der autonomen Quasi-Reichsstadt Erfurt wird in den Bildern drei und vier unterstrichen. Die Unterwerfung Heinrichs des Löwen unter Kaiser Friedrich Barbarossa 1181 in der Peterskirche zeugt ebenso wie der Raubritterzug Kaiser Rudolfs mit Unterstützung Erfurter Bürger 1289/90 von der Nähe zur kaiserlichen Zentralgewalt. Auf die kulturelle Ausstrahlung des zu den größten und wohlhabendsten Städten des Alten Reiches zählenden Erfurt verweist das Gemälde mit der symbolischen Darstellung der Universität. Die 1379 privilegierte Alma mater Erfordiensis gehörte zu den angesehensten Hochschulen Europas, ihr bekanntester Student und Lehrer war der abgebildete Reformator Martin Luther. Mit der Wende zur Neuzeit begann der Abwärtstrend der stolzen Bürgerstadt. Den Beginn markiert das “tolle Jahr” 1509, als der Ruin der Stadtfinanzen zu einem Aufstand der unteren Bürgerschichten führte (siehe Abb.). Am Ende steht die Unterwerfung unter den Mainzer Kurfürsten 1664. Die kurmainzische Epoche galt als “dunkles Zeitalter” bis zur 1802 mit dem Übergang an Preußen beginnenden “Renaissance”. Im Festgedicht zum Preußen-Jubiläum 1902 wird dieses “neue Grünen” emphatisch besungen: “Das brach aus alten Trieben von frischem aus, / Seit dich beschirmt das mächtige Zollernhaus, / Und schöner, als du`s je erfahren, / Hob sich dein Wohlstand seit hundert Jahren.” In der Angliederung an Preußen 1802 bzw. endgültig 1814 sahen viele Erfurter einen historischen Glücksfall. Ihr glaubte man den Aufstieg zur modernen Industriemetropole zu verdanken, deren Selbstbewusstsein sich nicht zuletzt im Rathausneubau manifestierte. Zudem haftete dem Königreich der Hohenzollern der Nimbus des “Reichseinigers” von 1871 an. Überdies sah das im Stadtrat vorherrschende Bürgertum in der preußisch-deutschen Monarchie auch ein Bollwerk gegen die Arbeiterbewegung. Ganz in diesem Geiste stellen die letzten Bilder die Huldigung vor König Friedrich Wilhlem III. 1803 und das Ende der “Franzosenzeit” mit der Zerstörung des Napoleonobelisken 1814 dar.


Erphesfurts Schritt in die Geschichte

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (2): Missionar Bonifatius

Der angelsächsische Missionar Bonifatius hat als “Apostel der Deutschen” im 9. Jahrhundert wesentlich an der Christianisierung Thüringens mitgewirkt. Als Ergebnis langjähriger Tätigkeit gründete er 742 das Bistum Erfurt, das jedoch bald darauf an Mainz angegliedert wurde. Dennoch begründete Bonifatius hiermit die Stellung Erfurts als kirchliches Zentrum in Thüringen, das heute wieder Sitz eines katholischen Bistums und vielleicht zukünftig auch der evangelischen Kirchenverwaltung für Mitteldeutschland ist. Die Bistumsgründung 742, genauer gesagt ein entsprechender Brief an Papst Zacharias II. mit der Bitte um Bestätigung, stellt zugleich die urkundliche Ersterwähnung von “Erphesfurt” dar, das schon lange eine “Stadt heidnischer Bauern” gewesen sei. Auch in diesem Sinne steht Bonifatius am Beginn, legte Erfurt mit ihm seinen ersten Schritt in die schriftlich belegte Geschichte zurück. Daher stellte Historienmaler Prof. Peter Janssen, beraten von einer Kommission geschichtskundiger Erfurter, den Missionar im Rathausfestsaal an den Anfang des 1882 vollendeten Wandbildzyklus`. Dargestellt wird die legendäre Fällung einer Eiche im Steiger, die dem germanischen Gott Donar geweiht war. Im Vordergrund gelingt es Bonifatius offenbar, Bewohner der “Stadt heidnischer Bauern” angesichts der ausbleibenden Strafe durch den Donnergott vom Wort Gottes zu überzeugen. Im Hintergrund wenden sich erzürnte Anhänger des alten Glaubens ab, was für den keineswegs reibungslosen Prozess der Christianisierung steht - Bonifatius selbst wurde 754 von heidnischen Friesen erschlagen. Die Geschichtsschreibung verlegt die Fällung der Donareiche freilich eher ins hessische Geismar nahe der Büraburg, wie es schon in der zeitgenössischen Biographie Willibalds von Mainz zu lesen steht. Spärliche Quellenlage und Reiz der weit verbreiteten Sage mögen es aber verzeihlich machen, wenn die Erfurter dieses Ereignis für sich in Anspruch nahmen und nehmen. Der mutige Missionar und Baumfäller steht im Rathausfestsaal unverkennbar als Symbolfigur für das siegreiche Christentum. Seine unerschütterliche Gestalt täuscht allerdings im späten 19. Jahrhundert über dessen Erosionsprozess hinweg. Zwar bekannten sich noch fast alle Erfurter offiziell zum christlichen Glauben, gut 80 Prozent waren evangelisch. In der Lutherstadt kämpfte aber keineswegs mehr jeder für “Kaiser, Gott und Vaterland”. Die aufstrebende Arbeiterbewegung setzte dem Christentum eine nichtreligiöse Weltsicht entgegen. Auch für manchen Bürger hatte seine Verbindlichkeit nachgelassen. Vielmehr bildete die Nation, das Deutsche Kaiserreich von 1871, jetzt den obersten ideellen Bezugspunkt, wenngleich “Thron und Altar” für viele preußisch-kaisertreue Erfurter noch zusammen gehörten. Insbesondere der Protestantismus ist seither stark ausgehöhlt worden. Das Ende des Kaiserreiches mit seinen privilegierten Landeskirchen 1918, zwei antikirchliche Diktaturen und die Zeit nach der Wende von 1989/90 haben den Anteil der evangelischen Bevölkerung dramatisch zurück gehen lassen. Heute bekennt sich eine deutliche Mehrheit der Erfurter zu keiner Konfession mehr. Gleichwohl sollte sich jeder der christlichen Wurzeln auch unserer Stadtgeschichte bewusst bleiben, wie sie von Bonifatius verkörpert werden.


Geteilter Mantel und Rosenwunder

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (3): Heiliger Martin und Heilige Elisabeth

Das zweite Gemälde des 1882 fertig gestellten Wandbildzyklus im Rathausfestsaal zeigt zwei der wichtigsten Heiligenfiguren der Christenheit. Zwischen Martin von Tours und Elisabeth von Thüringen wird auf den Kinderkreuzzug 1212 angespielt. Dieses aus heutiger Sicht völlig unsinnige Unternehmen endete laut unsicherer Überlieferung mit dem Tod und der Sklaverei von tausenden Kindern, angeblich auch aus Erfurt. Davon ist freilich auf dem romantisierenden Bild nichts zu sehen, so wie auch die Kinder nie bis zum im Hintergrund dargestellten Jerusalem gelangten. Der Heilige Martin war über Jahrhunderte Erfurts Stadtpatron, dargestellt sogar im Stadtsiegel. Der Sage nach soll der römische Krieger seinen Mantel mit einem Bettler geteilt haben, hinter dem sich Jesus verbarg. Aus dem Militärdienst ausscheidend stieg er bis zum Bischof von Tours auf. Die legendäre Gestalt aus dem 4. Jahrhundert wurde zu einem der wichtigsten Heiligen des Frankenreiches und Sinnbild christlicher Opferbereitschaft. Im Martinstag lebt sein Andenken auch in Erfurt bis heute fort. Freilich verschmolz im traditionellen “Martine” am 10. November mit dem beeindruckenden Lampionzug zum Domplatz sein Namenstag mit dem Geburtstag Martin Luthers. Seit 1972 wird dieser Festtag ökumenisch von beiden Konfessionen begangen. Im Jahre ihres 800. Geburtstages versucht man auch die thüringische Landgräfin und einst populäre Heilige Elisabeth mit Landesausstellung auf der Wartburg und großem Medienrummel wieder ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Die Stadt Erfurt hatte sich ebenfalls für ein kulturelles Jahresthema “Rosenwunder - Wege zu Elisabeth von Thüringen” entschieden, obwohl die biographischen Bezüge eher spärlich sind. So kommt denn auch das Wandbild im Rathaus nicht ohne Rückgriff auf das berühmte Rosenwunder aus, das bekanntlich auf der Wartburg statt fand. Elisabeth hatte zum Unwillen des Landgrafenhofes Brot an Arme verteilt, das sich unter den strengen Blicken ihres Gemahls in Rosen verwandelte. Das Bild im Rathaus steht im späten 19. Jahrhundert freilich nicht nur für christliche Nächstenliebe und Opferbereitschaft. Hier schwingen bürgerliche Vorstellungen über die Bewältigung aktueller sozialer Probleme mit, sicher auch als Antwort auf die Herausforderung durch die Sozialdemokratie. Diese wollte in der rasant wachsenden, 55.000 Einwohner zählenden Industriestadt Erfurt - in den nächsten zweieinhalb Jahrzehnten verdoppelte sich diese Zahl - das schwere Los der Arbeiterschaft auf ganz anderem Wege verbessern. Seit 1878, als die Ausgestaltung des Rathausfestsaales begann, wurde die Arbeiterpartei durch Bismarcks Sozialistengesetz als linke “Umsturzpartei” verfolgt. 1890 musste das Gesetz jedoch aufgehoben werden, worauf die SPD 1891 im “Kaisersaal” ihr wegweisendes Erfurter Programm beschloss. In diesem nahmen soziale Forderungen wie Achtstundentag, Verbot von Kinderarbeit, Sicherheit und Hygiene in den Fabriken und bessere Lebensbedingungen breiten Raum ein. Mit christlicher Nächstenliebe im Geiste von Martin und Elisabeth allein waren diese Probleme nicht zu lösen.


Barbarossa und der Kniefall in der Peterskirche

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (4): Kaiser Barbarossa in der Peterskirche 1181

Barbarossa, so stand sicher für Maler Prof. Janssen und die geschichtskundigen Erfurter fest, durfte im Wandbildzyklus des Rathausfestsaals nicht fehlen. Kaiser Friedrich I., der Rotbart, steht als strahlende Lichtgestalt für das Kaiserreich des Mittelalters.

Mit jener Zeit verschmolz zugleich die Vorstellung von der wohlhabenden und mächtigen Quasi-Reichsstadt Erfurt, die der kaiserlichen Zentralgewalt sehr nahe stand. Das Bild verweist auf eine der großen Rivalitäten des Mittelalters, die am 11. November 1181 in Erfurt ihren Abschluss fand. Der Reichsfürst Heinrich der Löwe musste sich Kaiser Barbarossa beugen. Zuvor hatte der Welfe Heinrich seine Gefolgschaft für die Italienzüge des Staufers Barbarossa versagt und offen rebelliert. Sein Kniefall erfolgte in der Kirche des Petersklosters. Der Reichstag von 1181 war nur eine von vielen Reichsversammlungen und Synoden, die das Benediktinerkloster mit seiner 1103 bis 1147 errichteten Kirche erlebte. Rudolf von Habsburg, den das nächste Bild zeigt, diente der Petersberg 1289/90 sogar für mehrere Monate als königliche Residenz. Es waren aber v.a. die Aufenthalte Barbarossas, die in der Erinnerung der Bürger der mittelalterlichen Handels- und Kulturmetropole Erfurt haften blieben. Das spektakuläre Ereignis ist vom deutschen Nationalismus immer wieder aufgegriffen worden. Im Geschichtsverständnis des Kaiserreiches von 1871 spielte es eine wichtige Rolle. Nicht nur die Erfurter haben den Triumph Kaiser Rotbarts auf dem Petersberg 1181 voller Stolz in ihrer Bildergalerie festhalten lassen. Auch in der Ende des 19. Jahrhunderts restaurierten Kaiserpfalz zu Goslar etwa findet sich diese Szene. Leider blieb der Peterskirche eine Renaissance als nationales Kulturdenkmal verwehrt. 1803 hatten die Preußen das Kloster säkularisiert, nach der Bombardierung während der Befreiungskriege 1813 blieb nur die Kirche bestehen. Wenig zimperlich rissen die nach der „Franzosenzeit“ zurückgekehrten Preußen die Türme ab, bauten das Kirchenschiff drastisch zurück und zogen eine hölzerne Zwischendecke ein. Für mehr als anderthalb Jahrhunderte diente das Gotteshaus nun als Lagerraum. Da der Petersberg zudem bis ins 20. Jahrhundert Militärgelände blieb - am Militär scheiterte auch 1911 eine ernsthafte Wiederaufbauinitiative -, geriet die Kirche weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein. Um so erfreulicher ist es, dass seit der „Wende“ 1989/90 wieder Bewegung auf den Petersberg gekommen ist. Mag die imposante romanische Kirche von 1181 sicher so nicht wieder erstehen, bleibt sie doch auch in ihren beachtlichen Resten ein historischer Erinnerungsort von großer Ausstrahlung.


Wie Kaiser und Bürger das Raubrittertreiben beendeten

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (5): Kaiser Rudolf in Erfurt 1289/90

Kleine, wirtschaftlich bedrohte Adlige hatten im 13. Jahrhundert das Raubritterunwesen über Thüringen gebracht. Es war die Aufgabe des Kaisers, dem entgegen zu steuern. 1289/90 tat dies Rudolf von Habsburg erfolgreich von Erfurt aus.

Wie im dritten Wandbild mit Kaiser Barbarossa steht auch auf dem vierten ein Herrscher im Mittelpunkt, König Rudolf von Habsburg. Allerdings lässt ihn der Maler Prof. Peter Janssen in diesem Falle eng mit den Erfurter Bürgern zusammen wirken. Dargestellt ist die gemeinsame Eroberung der Raubritterburg an der Sturmheide bei Ilmenau am 12. Februar 1290. Die abgeführten Raubritter wurden wenig später auf dem Fischmarkt hingerichtet. Rudolf hatte 1289/90 ein Jahr lang Erfurt zum Mittelpunkt des Reiches gemacht. Im Peterskloster hielt er einen Reichstag ab, auf dem die Wiederherstellung des Landfriedens in Thüringen beraten wurde. Kleine Adelige, die im Schatten der großen Fürsten und aufstrebenden Städte zunehmend verarmten, sahen einen Ausweg im Ausrauben von Kaufleuten und Dörfern. Mit diesem Raubrittertum waren der König und Erfurt als wichtigste Handelsstadt der Region herausgefordert. Die Truppen von König und Bürgerschaft zerstörten 1290 über 60 Raubritterburgen. Dies stärkte den Ruf Rudolfs als Kämpfer für einen allgemeinen Landfrieden, den er 1287 verkündet hatte. Für Erfurt war ein Störfaktor des aufblühenden Handels beseitigt. Zugleich war die königsnahe, machtvolle Stellung der Stadt deutlich geworden, die seit der Mitte des 13. Jahrhunderts immer weitgehendere Autonomie von ihrem Stadtherren, dem Mainzer Erzbischof, erlangt hatte. Stolz flattern die Banner mit dem doppelköpfigen Reichsadler und dem Erfurter Rad nebeneinander im Wind. Der Überlieferung nach sollen die Erfurter auf den Resten der zerstörten Burgen als Zeichen ihres Sieges Waidsamen ausgestreut haben. An diesem symbolischen Akt zeigt sich auch, dass Erfurt schon im Mittelalter eine ausgesprochene Blumenstadt war, deren Reichtum und Macht sich nicht unwesentlich der Färberwaid-Pflanze verdankte. Die Heraushebung von zwei mittelalterlichen Kaisern bzw. Königen im Bilderreigen des Rathausfestsaales 1882 hatte auch durchaus aktuelle Bezüge. Das in der Stadt kommunalpolitisch tonangebende Bürgertum stand voll und ganz hinter dem Deutschen Kaiserreich von 1871. Um diesem “zweiten Reich” der preußischen Hohenzollern-Kaiser mehr historische Aura zu verleihen, verknüpfte man es symbolisch mit dem “Alten Reich”. Besonders sinnfällig geriet dies nicht nur im Festsaal, wo alle Hohenzollernherrscher oberhalb der Wandgemälde verewigt sind. Bis 1945 zierten auch zwei große Sandsteinfiguren von Kaiser Barbarossa und Wilhelm I. in mittelalterlicher Tracht die Fassade des Rathauses.


Alma mater Erfordiensis

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (6): Alte Universität Erfurt

In einem Bilderzyklus zur Stadtgeschichte, wie er seit 1882 den Rathausfestsaal ziert, darf die traditionsreiche Universität Erfurt nicht fehlen. Sie ist mit ihrer Privilegierung im Jahre 1379 die älteste im heutigen Deutschland.

Die von der Erfurter Bürgerschaft ins Leben gerufene Hierana, die Universität an der Gera, entwickelte sich rasch zu einem geistigen Zentrum Mitteleuropas. Neben ihr nahmen sich andere Universitäten wie „kleine (ABC-)Schützenschulen“ aus, so der Erfurter Student und Magister Martin Luther. Von Beginn an lehrte man an allen vier mittelalterlichen Fakultäten: Philosophie, Medizin, Recht und Theologie. Maler Prof. Janssen hat dies sinnfällig zum Ausdruck gebracht. Überragt von der Klugheit in Frauengestalt stehen vier große Gelehrte für ihren jeweiligen Fachbereich. Die Philosophie, eine Art Grundstudium für die drei “höheren Fakultäten”, wird repräsentiert vom Humanisten Eobanus Hessus, links auf dem Bild neben Luther stehend. Hessus gehörte zum namhaften Erfurter Humanistenkreis, dem auch Teile der “Dunkelmännerbriefe” zugeschrieben werden. Jene satirische Streitschrift gegen die mittelalterliche Scholastik ist in Form der von zwei Engeln gehaltenen Schriftzüge “Epistolae obscurorum virorum” präsent. Der Staatsrechtler Henning Göde rechts im Bild mit Buch gehörte zu den renommiertesten Vertretern der Juristischen Fakultät. Medizinprofessor Amplonius Ratingk de Berka ist als Rektor, Kolleggründer und Schöpfer der Handschriftensammlungen “Amploniana” eine der herausragenden Gestalten der Erfurter Universität. Für die Theologie schließlich steht Luther. Das ist angesichts des berühmtesten Universitätsangehörigen sicher verständlich. Zur Zeit des Studenten und Magister Luther 1501 bis 1505 war die Fakultät freilich noch katholisch und sollte es auch nach der Reformation mit kurzen Unterbrechungen bzw. ergänzt durch einzelne evangelische Lehrstühle bleiben. Als Prof. Janssen den Festsaal mit seinen Bildern schmückte, gehörte die Universität schon seit Jahrzehnten der Geschichte an. Das Andenken an die 1816 von Preußen geschlossene Hohe Schule war aber nie erloschen. Bürger und Institutionen wie die Akademie gemeinnütziger Wissenschaften (1754) und der Geschichtsverein (1863) pflegten deren Erbe. Die Gründung der Pädagogischen Hochschule (1953) sowie der Medizinischen Akademie (1954) machten Erfurt später wieder zum Hochschulstandort, der sich seiner Wurzeln bewusst war. Mit der “Wende” rückte sogar die seit 1987 von der heutigen Universitätsgesellschaft angestrebte Neubelebung der Universität in realistische Nähe. Wieder war es die Bürgerschaft, die die entscheidenden Impulse gab. 1994 konnte die Wiedergründung feierlich begangen werden. Auf dem Campus an der Nordhäuser Straße studieren mittlerweile 4500 Studenten an wiederum vier Fakultäten: Philosophische, Staatswissenschaftliche, Erziehungswissenschaftliche und Katholisch-Theologische Fakultät.


Das “Tolle Jahr” von Erfurt

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (7): Aufstand der Bürgerschaft 1509/10

Stellten die ersten Wandbilder im Rathausfestsaal historische Anfänge und Glanzzeit Erfurts dar, so deutet sich mit dem “Tollen Jahr” 1509/10 der Niedergang der mittelalterlichen Metropole an. Auslöser war die finanzielle Bankrotterklärung des Rates.

“Wer ist die Gemeinde? - Dies ist die Gemeinde!” Das schleuderte Obervierherr Heinrich Kellner auf sich selbst zeigend am 9. Juni 1509 den erzürnten Bürgern entgegen, die den Ratssaal stürmten. In diesen Worten lag das Selbstbewusstsein einer patrizischen Führungsschicht von reichen Kaufleuten und Waidhändlern, die über die Geschicke der Stadt bestimmten. Allerdings hatten sie Erfurt in den Jahrzehnten zuvor in den Ruin getrieben, was jetzt den Volkszorn erregte. Dieser ging als “Tolles Jahr” in die Geschichte ein. Die weitgehende Autonomie der mittelalterlichen Handels- und Kulturmetropole Erfurt hatte im späten 15. Jahrhundert erste Risse bekommen. In den Verträgen von Amorbach und Weimar 1483 musste die Landeshoheit des Mainzer Erzbischofs und die Schutzherrschaft des sächsischen Kurfürsten anerkannt werden. Besonders schwer wogen die 200.000 Gulden, die man den Herrschern zu entrichten hatte. Weitere Zahlungsverpflichtungen, hohe Kosten für die Söldner und Stadtbefestigungen sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten führten zu einer ausweglosen Verschuldung der Kommune. Wie bis heute üblich versuchte man dies durch höhere Steuern, Lohnkürzungen und zahlreiche Kredite auszugleichen. 1508 verpfändete man sogar das Reichslehen Kapellendorf für 8000 Gulden an den sächsischen Kurfürsten. Als sich der Bankrott der Stadt nicht mehr verheimlichen ließ, kam die angestaute Wut auf den Rat der reichen Patrizier zur Entladung. Getragen vom Zorn der armen Unterschichten forderten die zünftigen Handwerker Rechenschaft und Mitsprache vom Rat. Im Bild ist gut zu sehen, wie die Vertreter der Handwerkerschaft die nobel gekleideten Patrizier im Rathaus zur Rede stellen. Obervierherr Heinrich Kellner, der sich den Eindringlingen entgegen stellt, sollte dies teuer bezahlen. Als Symbolfigur der verhängnisvollen Ratsherrschaft wurde er verhaftete, mehrfach gefoltert und am 28. Januar 1510 am Galgenberg gehängt. Die Turbulenzen taten der geschwächten Kommune nicht gut. Mainz und Sachsen stachelten die erregten Bürgergruppen gegeneinander auf, um ihren Einfluss zu erweitern. Zudem kam es zu Kämpfen zwischen Bürgern und Studenten, in deren Verlauf das Hauptgebäude der Universität in der Michaelisstraße zerstört wurde. Im “Tollen Jahr” offenbarte sich ein schleichender Abstiegsprozess der stolzen Quasi-Reichsstadt, der schließlich in der Unterwerfung unter Kurmainz 1664 seinen Höhepunkt fand.


Kurmainzische Reduktion

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (8): Unterwerfung unter Mainz 1664

Der Dreißigjährige Krieg hatte Erfurts Wirtschaftskraft geschwächt. Die Versuche, doch noch freie Reichsstadt zu werden, scheiterten bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden 1648. So konnte der kurmainzische Landesherr Erfurt 1664 unterwerfen.

Es ist ein einschneidender Moment der Stadtgeschichte, den Prof. Janssen im Wandgemälde des Rathausfestsaales festgehalten hat. Die in roten Samt gehüllten Ratsherren der stolzen Stadt Erfurt knien vor ihrem Landesherren hoch zu Ross, dem Erzbischof und Kurfürsten von Mainz, Johann Philipp von Schönborn. Eine ganze Epoche findet an jenem 12. Oktober 1664 vor dem Brühler Tor ihr symbolisches Ende, die Zeit als autonome, reichsstadtähnliche Handels- und Kulturmetropole seit dem 13. Jahrhundert. Der Dreißigjährige Krieg hatte den Tiefpunkt eines schleichenden Niedergangs gebracht. Die von den Schweden genährten Hoffnungen auf die Erlangung des Reichsstadtstatus verflogen mit dem Westfälischen Frieden 1648. Nach langjährigen Reibereien und Verhängung der Reichsacht konnte der Erzbischof die belagerte Stadt 1664 zur Kapitulation zwingen. Die Reduktion (“Rückführung”) machte die “treue Tochter des Mainzer Stuhls” wieder gefügig. Machtvoller Ausdruck der kurmanzischen Herrschaft wurde die ab 1665 errichtete Zitadelle Petersberg. Allerdings gehört es zu den historischen Legenden, dass sie v.a. als Zwingburg gegen die Bürgerschaft errichtet worden sei. Die Kurmanzische Zeit von 1664 bis zum Übergang an Preußen 1802 galt lange als Phase des politischen und wirtschaftlichen Niedergangs. In der von einem Statthalter regierten Provinzstadt lebten um 1800 ganze 16.000 Einwohner, in der mittelalterlichen Großstadt waren es bis zu 20.000. Sicher haben auch die Ratsherren bei der Einweihung des Festsaales 1882 jenes Bild mit gemischten Gefühlen betrachtet. Die Vertreter der aufstrebenden Industriestadt sahen sich ausdrücklich in der Tradition ihrer stolzen Amtsvorgänger des Mittelalters, an die man jetzt unter der Fürsorge Preußens anzuknüpfen vermeinte. Vor diesem Hintergrund konnte die Mainzer Zeit nur als dunkle Zwischenepoche erscheinen. So ist es konsequent, dass Janssen deren schmachvollen Beginn bildlich verewigte. Dabei hatte besonders die “Dalbergzeit” 1772 bis 1802 durchaus Positives zu bieten. Statthalter Carl Theodor von Dalberg machte Erfurt in enger Verbindung mit den Heroen des klassischen Weimar zum geistigen Zentrum. Auch Statthalter wie Boineburg und Warsberg hinterließen bleibende Spuren. Mit dem Angermuseum und der Staatskanzlei verdanken wir zwei prächtige Barockbauten den Mainzern. Heute geht man denn auch mit dem historischen Erbe, das uns mit der Partnerstadt Mainz verbindet, sehr viel unbefangener um. 2014 soll es sogar, 350 Jahre nach der Reduktion 1664, als kulturelles Jahresthema gewürdigt werden.


Treue Preußen

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (9): Huldigung vor Friedrich Wilhelm III. 1803

1802 endete die jahrhundertelange Zugehörigkeit Erfurts zum Kurfürstentum Mainz. Von nun an verband sich sein Schicksal, kurz unterbrochen von der “Franzosenzeit” 1806-1814, bis 1945 mit Preußen. Viele Erfurter sahen hierin um 1900 einen Glücksfall.

Die große Preußen-Jahrhundertfeier vom 21. August 1902 war eine einzige Huldigung an das Königreich der Hohenzollern. Im Festgedicht wird die mittelalterliche Blütezeit Erfurts ausdrücklich mit der “Preußenzeit” auf eine Stufe gestellt. In der Festzeitschrift erhebt sie Stadtarchivar Alfred Overmann sogar zum Höhepunkt der Stadtgeschichte: “Für Erfurt brach mit der Vereinigung mit dem Königreich Preußen eine neue Geschichte an, segensreicher als alle früheren Zeitläufe, mögen sie noch so glänzend erscheinen.” Die wesentlich durch Preußen herbeigeführte Errichtung des Deutschen Kaiserreiches 1871 hatte dessen Ruhm als “Reichsgründungsmacht” gemehrt. Auch den Aufstieg zur modernen Industriemetropole glaubte man ihm zu verdanken. Overmann: “Gerade Erfurt, mitten in dem klassischen Lande deutscher Kleinstaaterei gelegen, hat erfahren, welch ein Segen es ist, einem großen Staatswesen anzugehören. Wenn es heute mit derselben Berechtigung, wie in den glanzvollen Tagen des Mittelalters, unbestritten als die Hauptstadt Thüringens gilt, so verdankt es das neben der Intelligenz und der Arbeitsamkeit seiner Bewohner der unausgesetzten Fürsorge, die der führende deutsche Staat ihm hat zu Teil werden lassen.” Daher verwundert es nicht, wenn Historienmaler Prof. Peter Janssen in den Festsaalgemälden 1882 die sprichwörtliche Preußentreue der Erfurter aufgreift. Am 8. Mai 1802 war die Stadt durch einen preußisch-französischen Vertrag an die Hohenzollern gelangt, deren Soldaten am 21. August 1802 einmarschierten. Das Bild verweist auf den Huldigungsakt aller neu hinzu gekommenen Provinzen in Hildesheim 1803. Symbolisch verneigen sich Vertreter von Adel, Geistlichkeit, Bürgern und Bauern vor König Friedrich Wilhelm III. und dessen legendärer Gemahlin Luise. Auf die spätere Rolle Preußens als Sieger der Befreiungskriege und Reichseiniger deuten die Jahreszahlen in der rechten Kartusche. Das hinter diesem historistischen Gemälde stehende monarchisch-nationale Geschichtsbild Janssens und großer Teile der Bürgerschaft wurde freilich nicht von allen Erfurtern geteilt. Insbesondere die junge Industriearbeiterschaft, auf dem Bild gar nicht vertreten, sah die Dinge durchaus anders. Ihre Führer prangerten Preußen und das von ihm geprägte Kaiserreich als militaristischen Obrigkeitsstaat an, der seit 1878 die Arbeiterpartei mit dem Sozialistengesetz verfolgte.


Das Ende der “Franzosenzeit”

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (10): Zerstörung des Napoleonobelisken 1814

Im Januar 1814 endete für Erfurt die “Franzosenzeit”, die mit der Besetzung durch napoleonische Truppen nach der Schlacht von Jena und Auerstedt 1806 begonnen hatte. Symbolisch hierfür steht die Zerstörung des Napoleon-Obelisken auf dem Anger.

Den Schlusspunkt der 1882 eingeweihten historistischen Galerie im Rathausfestsaal bildet nicht zufällig das Gemälde „Die Zerstörung des Napoleonobelisken auf dem Anger“. Es greift eine Episode am Rande des Einzugs der Preußen am 6. Januar 1814 auf. Noch in der Stadt befindliche französische Soldaten waren mit erbitterten Bürgern aneinander geraten und wurden von diesen entwaffnet und verprügelt. Auf dem Bild ist ein Offizier zu sehen, der den besonderen Unwillen auf sich gezogen hatte und niedergestochen worden war. Anschließend steckte man den hölzernen Obelisken des bisherigen Herren der „Kaiserlichen Domäne“ Erfurt in Brand. Die ganze Szene stellt sich dar als die spontane Entladung einer lange aufgestauten Spannung. Besonders die späte Besatzungszeit mit Hinrichtungen und Hungersnot nach Napoleons gescheitertem Russlandfeldzug 1812 hatte für Verbitterung gesorgt. Dem Bombardement der alliierten Truppen während der Belagerung ab Herbst 1813 fielen das Peterskloster und nördliche Domplatzviertel zum Opfer. So schlug den Preußen als Befreiern die Begeisterung großer Bevölkerungsteile entgegen. Die Fackel am Napoleonobelisken sollte aber auch im Sinne des Malers Prof. Peter Janssen und seiner Auftraggeber hell in die Gegenwart leuchten. Im Geschichtsbild des nationalgesinnten Bürgertums stand das Ende der Napoleonischen Zeit für den Beginn eines Weges, der in der Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 sein Ziel gefunden hatte. Jener moderne deutsche Nationalstaat war also nur sieben Jahre vor Beginn von Janssens Arbeiten im Rathausfestsaal aus der Taufe gehoben worden. Zu seinen “Geburtsfehlern” gehörte die vielzitierte „Erbfeindschaft“ zu Frankreich. Das Kaiserreich ging aus einem Krieg mit Frankreich hervor, die Proklamation des preußischen Königs zu Kaiser Wilhelm I. musste ausgerechnet im Spiegelsaal von Versailles erfolgen. Mit der Annektion von Elsass-Lothringen konnte sich die Grande Nation ebenfalls nicht abfinden. Im Gefühl des Sieges von 1870/71 übten sich zudem viele Deutsche in Geringschätzung der westlichen Nachbarn. Selbst die honorige Gesellschaft Ressource, der nahezu alle Erfurter von Rang und Namen angehörten, konnte forsche Töne anschlagen. Mit Blick auf den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 reimte man anlässlich einer Festsitzung zur Reichsgründung: „Und kraucht der Franzmann wieder rum, Wir haun ihn nochmals lahm und krumm!“


Das Wandbild im Ratssitzungssaal

Die Ansicht des alten Rathauses prägt den Erfurter Stadtverordnetensitzungssaal

Mit den Wandgemälden im Stadtverordnetensitzungssaal wurde 1906 die bildkünstlerische Ausgestaltung des Rathauses abgeschlossen. Der Maler Otto Hamel war gebürtiger Erfurter und wird demnächst in einer Publikation des Geschichtsvereins gewürdigt.

Das letzte große Wandbild im Rathaus befindet sich im Stadtverordnetensitzungssaal. Dieser ist Teil eines 1905 übergebenen Erweiterungsbaus, der dank seiner harmonischen Anpassung als solcher kaum auffällt. Auch der gediegene, mit dunklem Holz getäfelte Sitzungssaal atmet ganz den stolzen stadtbürgerlichen Geist der Gründerzeit. Die liberal-konservativen Stadtväter sahen sich dabei durchaus in der Tradition ihrer mittelalterlichen Vorfahren. Deren Tagungsstätte, das alte, für den Neubau von 1876 abgerissene Rathaus, prägt denn auch als Wandbild den Saal. Professor Otto Hamel aus Hannover schuf 1905/06 drei große Wandgemälde an der Stirnseite des Sitzungssaales, von denen jedoch nur das mittlere mit dem alten Rathaus erhalten ist. Beim Beschuss Erfurts durch amerikanische Artillerie im April 1945 wurden die beiden Seitengemälde zerstört. Sie hatten Gesamtansichten der alten Stadt gezeigt. An ihre Stelle traten links das große Stadtwappen mit den Besitzungen Kapellendorf, Vieselbach, Vargula und Vippach sowie rechts das thüringische Landeswappen aus der Zeit von 1945 bis 1952. Die Hamelsche „Darstellung der Erfurter Altstadt im Jahre 1720“ dagegen beeindruckt noch immer den Betrachter. Sie mag auch schon so manchen Volksvertreter über weniger spannende Debatten hinweggeholfen haben. Das Bild zeigt lebendiges Treiben auf dem Fischmarkt vor der Kulisse des alten Rathauses. Seit dem 13. Jahrhundert war der immer wieder um- und ausgebaute Gebäudekomplex Herzstück der kommunalen Selbstverwaltung, bis 1664 sogar Machtzentrum des faktisch unabhängigen “Landes Erfurt”. Die Wandgemälde von Hamel fügten sich nahtlos an die Werke seiner namhaften Kollegen im Festsaal und Treppenhaus an. Viel Anerkennung gab es sowohl in der Fachwelt als auch in der Presse. Man mag über Kunstgeschmack und Geschichtsbild des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts geteilter Meinung sein, doch zweifellos hat der neogotische Rathausbau mit den Wandbildern von Janssen, Kämpffer und Hamel viel an Ausstrahlung gewonnen. Bisher war, anders als bei Janssen und Kämpffer, über den Maler Otto Hamel nur wenig bekannt. Dank Dr. Leonhard Tomczyk, Leiter des Spessartmuseums in Lohr am Main, wird sich dies bald ändern. Im Band 69 der Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, der am 19. April präsentiert werden wird, erscheint ein biographischer Aufsatz des Kunsthistorikers über den gebürtigen Erfurter Otto August Maximilian Hammel (1866-1950), der sich später Hamel nannte. Tomczyk liefert damit eine längst fällige Würdigung jenes renommierten Künstlers, vor dessen Wandbild seit über einem Jahrhundert in Erfurt Kommunalpolitik gemacht wird.