Vortrag Engelsburg 2011: Unterschied zwischen den Versionen

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= Geschichte der Engelsburg =


'''Studentenzentrum mit großer Tradition.'''
'''Die Engelsburg zwischen Humanismus und Reformation'''
''Der Vortrag des Historikers '''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''', gehalten am 9. September 2011 in der '''[[Engelsburg Erfurt|Engelsburg]]''', würdigt die große kulturgeschichtliche Bedeutung des heutigen Studentenzentrums in '''[[Geschichte der Stadt Erfurt|Erfurt]]''', das in enger Verbindung mit der Geschichte der ältesten '''[[Universität Erfurt|Universität]]''' Deutschlands steht. Hier war der bedeutende Humanistenkreis um den „Poetenkönig“ Helius Eobanus Hessus aktiv, dem die legendären „Dunkelmännerbriefe“ entsprangen. Aber auch als Lutherstätte kann sich die Engelsburg bezeichnen. Der Vortrag zieht den Bogen bis zur Gegenwart des Studentenzentrums, das zu einem wichtigen Element der Universitäts- und Hochschulstadt geworden ist. Es steht in einer 500-jährigen lebendigen Tradition akademischer Geselligkeit im Geiste des Humanismus.''
Die Engelsburg ist sehr eng mit der Geschichte der Universität Erfurt verbunden und spielt bis auf den heutigen Tag als Studentenzentrum eine wichtige Rolle im akademischen Leben Erfurts. Denn dass sich akademisches Leben nicht allein in Forschung und Lehre erschöpft, sondern auch einer geselligen und bisweilen trinkfreudigen Komponente bedarf, war schon den Professoren, Magistern und Scholaren des 15. Jahrhunderts bewusst. Die Wissenschaftsgemeinde, die res publica literaria oder neudeutsch die scientific community, war immer auch eine ausgesprochene Fest- und Trinkgemeinschaft. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert. Und kein anderer historischer Erinnerungsort an die alte Erfurter Universität steht so für die Verknüpfung von Wissenschaft und Geselligkeit wie die Engelsburg. Man kann diesen Umstand, um dem Motto der Erfurter Denkmalwoche 2011 zu folgen, als das ideelle Fundament des beliebten Studentenzentrums im „lateinischen Viertel“ ansehen. 
Der historische Erinnerungsort Engelsburg bekommt noch dadurch höhere Bedeutung, weil die Universität Erfurt als die älteste im heutigen Deutschland und als eine der führenden Mitteleuropas im 15. Jahrhundert gilt. Die älteste im heutigen Deutschland? Lange Zeit wurde Erfurt als drittälteste Universität eingestuft. Ein erstes päpstliches Privileg von 1379 war 1389 wegen des Großen Schismas erneuert worden, worauf 1392 der Lehrbetrieb nach Heidelberg (1386) und Köln (1389) aufgenommen wurde. Neuere Forschungen des Jenaer Historikers Robert Gramsch belegen jedoch, dass 1379 sehr wohl als Gründungsdatum gelten kann. So beruft sich auch Wien wie viele andere alte Universitäten auf sein Gründungsprivileg von 1365, obwohl der Lehrbetrieb erst zwei Jahrzehnte später begann. Es ist also durchaus gerechtfertigt, das Gründungsprivileg als „Geburtsurkunde“ einer Hochschule anzusehen. Erfurt besitzt aus dieser Perspektive die älteste Universität im heutigen Deutschland vor Heidelberg und Köln. Darüber hinaus verweist Gramsch auch auf das bis ins 13. Jahrhundert zurück reichende universitätsähnliche Generalstudium, mit dem Erfurt in jedem Falle die älteste Hochschultradition aufweist.
Der anerkannte Fachmann für spätmittelalterliche Bildungs- und Universitätsgeschichte hat seine Forschungsergebnisse am 4. Februar 2010 vor dem Erfurter Geschichtsverein und der Universität Erfurt unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit vorgestellt. Man darf davon ausgehen, dass nach ihrem Erscheinen als Monographie in den Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde 2012 die schon jetzt nicht nur in Heidelberg und Köln kontrovers diskutierte Datierungsfrage einige wissenschaftliche und mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird. Für Universität und Stadt Erfurt kann das nur gut sein.
Völlig unstrittig ist, dass Erfurt im 15. Jh. zu den größten und renommiertesten Universitäten Mitteleuropas zählte. Mit Aufnahme des Lehrbetriebes 1392 begannen die Studentenzahlen rasant in die Höhe zu schnellen. Bis 1520 immatrikulierten sich durchschnittlich 138 Studenten pro Semester, weit mehr als etwa in Heidelberg (63) und Köln (121). Die rund 1000 Studenten samt ihrer Dozenten prägten bei 18.000 Einwohnern nachhaltig das Stadtbild.
Zugleich genoss die Universität hohes fachliches Ansehen. Allen voran ihre Juristen wurden zu Konzilien geladen und von Fürsten um Rat gebeten. Hätte es schon den Status der Elite-Universität gegeben – Erfurt wäre er damals mit Sicherheit verliehen worden.
Obwohl als städtische Gründung vom Rat unterstützt, bildete die Universität eine selbstständige Korporation mit eigener Rechtsprechung. An der Spitze stand der Rektor, die Fakultäten wurden von einem Dekan geführt. Symbole ihrer Unabhängigkeit waren die vom Rektor verwahrten Kleinodien, etwa die heute im Stadtmuseum aufbewahrten Zepter. Gelehrt wurde in Erfurt an allen vier mittelalterlichen Fakultäten: Philosophie, Medizin, Rechte, Theologie. Das Studium begann in der Philosophischen Fakultät mit einer Art Grundausbildung in den Sieben Freien Künsten. Nach dem Trivium erlangte man den akademischen Grad Bakkalaureus, auf das Quadrivium folgte nach ca. vier Jahren die Promotion zum Magister Artium, dem Magister der Künste.
Es versteht sich von selbst, dass diese Promotionen, die Erlangung der akademischen Grade, zu den Höhepunkten im Universitätsleben gehörten. Der Erfurter Zeitzeuge Luther hat es so umschrieben: „Wie war es eine so große Majestät und Herrlichkeit, wenn man Magistros promovierte und ihnen Fackeln vortrug und sie verehrte; ich halte, daß keine zeitliche, weltliche Freude dergleichen gewesen sei. Also hielt man auch ein sehr groß Gepräng und Wesen, wenn man Doktores machte: da ritt man in der Stadt umher, dazu man sich besonders kleidete und schmückte.“ Die aufwändigen Feierlichkeiten gipfelten die in großen Ess- und Trinkgelagen.
Das Universitätsleben spielte sich überwiegend in Bursen und Kollegien ab. Diese befanden sich meist im Umkreis der Michaeliskirche, die als Universitätskirche diente. Da als Bildungssprache im Mittelalter Latein fungierte, bürgerte sich der Begriff vom lateinischen Viertel ein, in dem sich auch die Engelsburg befand. Sein Zentrum war das Große Kolleg, das Collegium maius. Mit dem prächtigen Kielbogenportal von 1512 symbolisiert es als einstiges Hauptgebäude die Alte Universität, auch wenn seit Juni d. J. dort das Landeskirchenamt der EKM beheimatet ist. U.a. mit den im November 2011 startenden Collegium Maius Abenden im herrlichen gotischen Festsaal, gemeinsam von EKM und Universitätsgesellschaft Erfurt organisiert, wird sich das Gebäude seinen Platz im Erfurter Geistesleben zurück erobern.
In den Bursen und Kollegien, Wohnheime und Lehrgebäude in einem, war der Tagesablauf von der Morgenandacht um 4.00 Uhr bis zur Bettruhe am frühen Abend streng vorgeschrieben. Die nahezu klösterlichen Regeln und das enge Zusammenleben mit den Hochschullehrern dürften heutige Studenten einigermaßen befremden. In der Realität sah es freilich oft ganz anders aus. Luther urteilte gar, die Erfurter Studenten hätten ihre wichtigsten Lektionen im „hurhauß und bierhauß“ gelernt. Luther selbst wohnte übrigens von 1501 bis 1505 in der Georgenburse in der Augustinerstraße. Seit 2010 ist dort eine Begegnungsstätte mit Pilgerherberge untergebracht. In der Erdgeschosshalle findet sich eine Dauerausstellung zum spätmittelalterlichen Universitätsleben in Erfurt. Dort lassen sich viele Facetten des Studienablaufes, der Lehrinhalte, des studentischen Alltags, aber auch die Spuren Luthers als Erfurter Student und Lehrer nachvollziehen.
Das 15. Jahrhundert bildete also die absolute Blütezeit der Erfurter Universität. Aber die Alma mater Erfordensis ist nicht nur eine der traditionsreichsten Universitäten Deutschlands, sondern sie ist auch aufs engste mit den zwei großen geistesgeschichtlichen Erneuerungsbewegungen an der Schwelle zur Neuzeit verbunden, dem Humanismus und der Reformation. Mit beiden Bewegungen ist auch die Engelsburg nachhaltig in Berührung gekommen. In den wenigen Jahren als Residenz des Poetenkönigs Helius Eobanus Hessus und des um ihn gescharten Humanistenkreises, aus dem u.a. die legendären Dunkelmännerbriefe hervor gegangen sind, liegt ihre große kulturgeschichtliche Bedeutung. Aber auch als Lutherstätte kann sich die Engelsburg mit Fug und Recht bezeichnen. Der spätere Reformator hatte schon seit seinen Erfurter Studententagen enge Kontakte zu den Humanisten und war mit Hessus befreundet. Der Humanistenkreis in der Engelsburg stellte sich demonstrativ in den Dienst der Reformation und feierte Luther hymnisch als Erneuerer des Christentums. 1537 kehrte Luther nach einer Reise mit lebensbedrohlichen Blasenproblemen aufs höchste erleichtert hier bei seinem Freund Georg Sturz ein, der ihn als Arzt gesund pflegte. 
'''Erfurt als Zentrum des Humanismus'''
Humanismus und Reformation sind zwei Epochenbegriffe, die den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit geistesgeschichtlich markieren. Wurzelnd in der im 14. Jahrhundert von Italien ausgehenden Renaissance veränderten sie das Bild vom Menschen und seinem Verhältnis zu Gott grundlegend. Eng verbunden sind Humanismus und Reformation mit der Weiterentwicklung von Wirtschaft, Gesellschaft und Technik, nicht zuletzt dem Buchdruck nach Johannes Gutenberg. Im 15. Jahrhundert griffen ihre Grundgedanken massiv auch auf Deutschland über. Im frühen 16. Jahrhundert sollte das Heilige Römische Reich deutscher Nation sogar zum Kristallisationspunkt der humanistischen und reformatorischen Bewegung werden. Erfurt hat sich dabei einen festen Platz in den Geschichtsbüchern gesichert.
Der Humanismus steht für die insbesondere literarische Variante der „Wiedergeburt“, also der „Renaissance“, des griechisch-römischen Altertums. Man strebte „ad fontes“, zu den Quellen der antiken Dichter, die man selbst als neulateinische Poeten nachahmte. Blieben die meisten Humanisten auch der christlichen Lehre verpflichtet, baute sich doch eine zunehmende Spannung zur scholastischen Dogmatik der spätmittelalterlichen Kirche auf. Eine unabhängige weltliche Bildung sollte den in den Mittelpunkt rückenden Menschen geistig vervollkommnen. Hier wurzeln, bei allen Einschränkungen angesichts der doch meist recht elitär denkenden Humanisten, zentrale Vorstellungen unseres modernen Menschenbildes. Mit dem humanistischen Bildungsideal humboldtscher Prägung, mit dem klassischen Gymnasium fand die Geistesbewegung des späten Mittelalters bis ins 19. und 20. Jahrhundert eine deutlich nachvollziehbare Wirkungsgeschichte. 
Der deutsche Humanismus trug neben der dominierenden Antike einen besonders „nationalen“ Zug, der sich etwa in der begeisterten Wiederentdeckung der „Germania“ des Tacitus spiegelte. Hiermit verbunden waren von Beginn an Angriffe auf das verweltlichte, geldgierige Papsttum in Rom und die in weiten Teilen verkommene Geistlichkeit in Deutschland. Der wohl berühmteste Humanist Erasmus von Rotterdam forderte mit massiver Kritik eine durchgreifende Erneuerung der Kirche. In diesem Sinne kann man den Humanismus durchaus als einen akademischen Wegbereiter und Begleiter der Reformation betrachten. Allerdings waren keineswegs alle Humanisten, allen voran Erasmus, bereit, den konsequenten Weg Luthers bis zum Ende mitzugehen.
Die Humanisten waren in der Regel Angehörige der Universitäten, die beim obligatorischen Studium der Philosophischen Fakultät mit dem antiken Bildungsgut der Sieben Freien Künste vertraut gemacht wurden. Allmählich entwickelten Gelehrte, die sich besonders den antiken Sprachen und Bildungsgütern zugetan fühlten, ein Selbstverständnis, das sich von den herkömmlichen Scholastikern und Klerikern unterschied. Es bürgerte sich der Begriff des Poeten ein, der über die engere Übersetzung hinaus den Humanisten charakterisierte.
Diese Gelehrten gruppierten sich in größeren Städten, insbesondere in Universitätsstädten zu geselligen Humanistenkreisen. Sie waren kommunikative Zentren des neuen Bildungsideals, boten reisenden Kollegen stets gastliche Aufnahme. Ihre ausgesprochene Geselligkeit prägt bis heute unsere Vorstellung vom Humanismus. Und das ist auch keineswegs falsch, spiegelt sich in den überlieferten Treffen und Trinkgelagen doch die weltzugewandte Ader vieler Jünger des klassischen Altertums. Einer dieser Humanistenkreise, und zwar einer der bedeutendsten, befand sich einige Jahrzehnte lang in Erfurt. Sein Haupt, Helius Eobanus Hessus, kann wiederum geradezu als Mustertyp des hoch gelehrten und zugleich lebensfroh-trinkfesten Poeten gelten. Er eignet sich damit hervorragend als der gute Geist des Studentenzentrums Engelsburg.
'''Der Humanistenkreis um Helius Eobanus Hessus'''
Der Humanismus hatte seit dem letzten Drittel des 15. Jh. allmählich in Erfurt Einzug gehalten. 1461 hielt Petrus Luder erstmals Vorlesungen über die Dichter Vergil, Terenz und Ovid, „um die Strahlen der poetischen Kunst“ über der Universität leuchten zu lassen. Der neue Geist breitete sich rasch an der Alma mater Erfordensis aus. Seit 1500 bildete sich um Nikolaus Marschalk ein erster Humanistenkreis, der die antike Literatur und die „Ursprachen“ Latein, Griechisch und Hebräisch in Lehrveranstaltungen und mit einer eigenen Druckerei verbreitete. Später sammelten sich die Erfurter Humanisten um den Gothaer Kanoniker Mutianus Rufus.
Ihren glanzvollen Höhepunkt erlebte die Humanisten-Hochburg Erfurt mit dem Kreis um Helius Eobanus Hessus im „Haus zur Engelsburg“ von 1514 bis 1526. Zunächst dort als Schwiegersohn des Hausbesitzers ansässig, kaufte 1515 der wohlhabende Arzt und Universitätsrektor Georg Sturz das Haus und bot den Humanisten um Eoban ein sicheres Refugium. 1517 erfolgte die Berufung Eobans zum Professor für lateinische Poetik und Rhetorik an der Universität. Der von Johannes Reuchlin geadelte „König der Poeten“ scharte in kindlicher Freude seine zu Herzögen und Fürsten ernannten Freunde um sich. Die Engelsburg wurde so zum Königssitz, Eobans Frau zur Königin, seine Kinder zu Prinzen und Prinzessinnen. Man zechte, las sich seine lateinischen Dichtungen vor, pflegte eine mal mehr, mal weniger tiefsinnige Geselligkeit. Zu den regelmäßigen Gästen gehörte u.a. der bekannte Humanist Ulrich von Hutten. Ist Eobanus Hessus heute über die Gelehrtenwelt hinaus kaum noch ein Begriff, so galt er den Zeitgenossen nicht nur als unbestrittenes Haupt des Erfurter Humanistenkreises, sondern auch als einer der begabtesten und produktivsten Poeten Deutschlands.
Sein Leben lang hatte Hessus allerdings mit Geldnöten zu kämpfen, was seine Feierlaune allerdings kaum trübte. Dies hatte verschiedene Ursachen. Viele Universitätsgelehrte erlegten sich einen gewissermaßen freiwilligen Zölibat auf, weil ihre Einkünfte keine Familie ernähren konnten. Entgegen den eindringlichen Warnungen seines alten Mentors Mutianus Rufus und vieler Freunde heiratete Eoban aber 1514 die Bürgerstochter Catharina Spater und legte sich eine sechsköpfige Kinderschar zu. Die finanziellen Folgen und manche Einschränkung der akademischen Freiheit registrierten die Freunde mit Spott, aber dennoch fand sich immer wieder ein Gläubiger, oft der Freund und Hausherr Georg Sturz. War also ein erfülltes Familienleben eigentlich der humanistischen Geselligkeit abträglich, so sollte die Engelsburg dennoch unter Eoban zu einem ihrer Kristallisationspunkte werden.
'''Die Dunkelmännerbriefe'''
Weltweite Bekanntheit hat der Erfurter Humanistenkreis durch die bissige Satire der „Dunkelmännerbriefe“ erlangt, in denen die Kontroverse zwischen Humanisten auf der einen Seite sowie konservativen Scholastikern und Klerus auf der anderen Seite kulminierte. Die „Epistolae obscurorum virorum“ – erschienen in zwei Teilen 1515 und 1517 – sind eine der treffendsten Satiren gegen die verknöcherte Scholastik und den lasterhaften Klerus. Sie sind während des Streits des Humanisten Johannes Reuchlin mit der Kölner Universität entstanden. Reuchlin hatte als großer Kenner der hebräischen Sprache die von dem konvertierten Kölner Juden Johannes Pfefferkorn geforderte Verbrennung aller jüdischen Schriften abgelehnt. Hieraus versuchte man ihm nun seitens der konservativen Kirchen- und Universitätskreise einen Strick zu drehen, während sich die humanistische Bewegung geschlossen hinter ihre Führungsfigur stellte. Nachdem sogar ein Ketzerprozess drohte, veröffentlichte Reuchlin 1514 „Briefe berühmter Männer“ an seine Person, die ihn entlasten sollten. Unter den Autoren befanden sich neben Melanchthon, Hutten, Spalatin auch die beiden Erfurter Humanisten Crotus Rubeanus und Eobanus Hessus.
Die „Dunkelmännerbriefe“ schienen nun das Gegenstück seines Kontrahenten Ortwin Gratius zu sein, Magister der Theologie zu Köln. Freilich handelt es sich um fingierte Briefe, die Unbildung und lose Moral der Scholastiker und Kleriker ironisch anprangern. Diese haben sprechende Namen wie Federleser, Dollenkopf, Fotzenhut, Gänseprediger und schreiben ein fürchterliches Küchenlatein. Gespickt ist der Text mit Anspielungen auf die Reuchlin-Kontroverse, auf die nationalen Interessen Deutschlands gegenüber dem Papst, aber nicht zuletzt mit derben Schilderungen aus dem Bereich des Geschlechtlichen. Viele Dunkelmänner, allen voran Ortwin Gratius, tun sich mit teils abenteuerlichen Beziehungen zu Mägden, Köchinnen, aber gerne auch zu Ehefrauen und Nonnen hervor.
Ein Kölner Magister schreibt über seinen Begleiter auf dem Weg nach Rom: „Auch müsst Ihr wissen, Magister Ortuin, dass ich in meinem Leben noch keinen so wollüstigen Menschen gesehen habe: jedesmal wenn wir eine Herberge betraten, war sein erstes Wort an den Diener des Wirtes: ´Mein lieber Diener, gibt es nichts zwischen die Kniee? Mein Zipfel steht mir so hart, dass ich ganz gewiss Nüsse damit aufklopfen könnte.´“ Der Magister versäumt es auch nicht, eigene Bordellbesuche zu erwähnen, mit denen er sich die Nieren ausputzen müsse. Bei seinem Adressaten in Köln kann er hierfür offenbar auf volles Verständnis rechnen. Für sich sprechen auch die wissenschaftlichen Anliegen, mit denen sich die Schüler und Verehrer an Ortwin Gratius wenden. Eine knifflige theologische und zugleich naturwissenschaftliche Frage beschäftigte den Erfurter Lizentiaten Lupold Federfuchser, in der auch der besagte konvertierte Jude Johannes Pfefferkorn eine Rolle spielt. Gratius sollte letztlich mit Hilfe von Pfefferkorns Frau klären, ob zum Christentum übergetretenen Juden ihre Vorhaut wieder nachwachse.
Die Dunkelmännerbriefe hatten durchschlagenden Erfolg und wurden als Sieg der Humanisten gefeiert. Die Widersacher des Humanismus waren europaweit dem Gelächter ausgeliefert, alle ihre Versuche, mit gleicher Münze zurück zu zahlen, scheiterten kläglich. Dies hatte auch an einigen Universitäten zur Folge, dass Humanisten in führende Positionen aufstiegen. Crotus Rubeanus aus dem Hessus-Kreis wurde 1520 Rektor in Erfurt, Hessus selbst erlangte wie erwähnt schon 1516 eine neue Professur mit humanistischem Profil.
Es wird sich wegen der strikten Anonymität der Herausgabe die genaue Herkunft und Autorenschaft der „Dunkelmännerbriefe“ wohl nie letztgültig erhellen lassen. Allerdings gibt es gute Gründe, sie als kollektive Leistung dem Erfurter Humanistenkreis um Hessus zuzuschreiben. In seiner kommentierten Ausgabe der Briefe von 1991 schreibt Karl Riha: „Doch geht man sicher nicht fehl, wenn man sich das ganze seiner Entstehung […] nach als eine aus einer beschwingten Laune heraus geborene Gemeinschaftsproduktion vorstellt, die viele Einfälle aus sich heraus und vorangetrieben hat. Gerade satirisches Schreiben verträgt ja, wie man aus zahlreichen Beispielen auch anderer literarischer Epochen weiß, solche geselligen Formen der Hervorbringung und Steigerung von Einfällen!“ Der Literaturwissenschaftler Heinz Otto Burger schreibt die Entstehung der Briefe weniger blumig „Trinkgelagen des Erfurter Kreises“ zu. Eines der wichtigsten Werke des deutschen Humanismus, dessen Titel bis heute als Topos für bissig-niveauvolle Satire steht, verdankt sich also dem eingangs postulierten Charakter der Engelsburg als eines herausragenden Zentrums akademischer Geselligkeit.
Natürlich hat die Autorenfrage die Wissenschaftler nicht ruhen lassen. Nach allgemeiner Übereinstimmung können wohl weite Passagen des ersten Teils Crotus Rubeanus zugerechnet werden, im zweiten Teil glaubt man v.a. Ulrich von Hutten am Werke. Es gibt aber auch Hinweise auf andere Autoren, darunter Eobanus Hessus, der in einigen Briefen sein begeistertes Mittun an der Satire durchblicken ließ. Eoban, Crotus und ihre Freunde werden zudem in den Dunkelmännerbriefen mehrfach als energische Verteidiger von Reuchlin und der humanistischen Sache genannt. All dies bestätigt noch einmal die Theorie der kollektiv verfassten Satire. Beim Lesen glaubt man bisweilen förmlich das Gelächter der bärtigen Gelehrten über ihre mal bissig-groben, mal feinsinnigen Spöttereien durch die Engelsburg hallen zu hören.
'''Luther und die Reformation'''
Wie bereits erwähnt, wurde Martin Luther 1501 an  der Universität Erfurt immatrikuliert und bezog die Georgenburse, wo er bis zum Magister der Künste lebte und studierte. Nach dem legendären „Gewittererlebnis“ bei Stotternheim brach Luther das begonnene Jurastudium ab und trat am 17. Juli 1505 ins Augustinerkloster ein. 1507 erfolgte die Priesterweihe im Dom, zugleich nahm Luther das Theologiestudium auf. Auch nach seinem Wegzug nach Wittenberg 1511 kam es zu bedeutsamen Aufenthalten. Luther selbst charakterisierte sein Verhältnis zu Erfurt so: „Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke.“ Hier erfolgte mit dem Klostereintritt die entscheidende biographische Zäsur. Damit begann Luthers leidenschaftliche Suche nach einem „gnädigen Gott“, die in die reformatorischen Grunderkenntnisse mündete. Zugleich stellt die von großen Spannungen erfasste Metropole einen wesentlichen Erfahrungshorizont für das reformatorische Wirken Luthers dar. Kurz: ohne Erfurt kein Reformator.
Unmittelbar nach dem Wittenberger Thesenanschlag von 1517, der sich bald zum 500. Male jährt, griff das reformatorische Gedankengut auf Erfurt über. Wie angedeutet gab es zahlreiche Parallelen in den Grundanschauungen von Humanisten und Reformatoren, ohne beide in eins setzen zu können. Der Erfurter Humanistenkreis Eobans trat dabei als besonders enthusiastischer Unterstützer Luthers auf, auch wenn die Begeisterung nach den ersten Unruhen, die sich auch auf die Universität negativ auswirkten, etwas abkühlte. Schon zuvor hatte sich Eobanus Hessus als heftiger Kritiker des Papstes und dessen Ansprüchen in Deutschland hervorgetan. Nach dem triumphalen Besuch Luthers in Erfurt auf dem Weg zum Wormser Reichstag 1521 verfasste Eoban eine Elegie auf den „Erneuerer des Christentums“:
„Luther hat als der erste unsrer Zeit das Unkraut auf Christi Acker nicht bloß gesehen, sondern zugleich auch gewagt, mit kräftiger Hacke, mit tüchtiger Hand alles Schädliche zu jäten. Freilich, vor ihm sah es und zeigte es der Welt Erasmus, den an Gelehrsamkeit heute keiner übertrifft. Aber: um soviel wie Zeigen weniger ist als Tun, um soviel hat Luther das größere Verdienst.“
Luther fand also im Erfurter Humanistenkreis große Unterstützer und war zudem auch mit dem eigentlichen Hausherren der Engelsburg, dem wohlhabenden Arzt Georg Sturz, befreundet. So hat er auch hier in der Engelsburg auf Durchreisen übernachtet, etwa auf dem Rückweg vom Marburger Religionsgespräch 1529. Eine weitere Parallele lässt sich ziehen: Luther war sehr gesellig, war für derbe Unterhaltung und Gelage durchaus zu haben. Dies hatte wie bei vielen Klerikern und Gelehrten der Zeit früher oder später negative Folgen für die Gesundheit. Es gab noch keine Ernährungsberater oder Diätprogramme, Alkohol war fester Bestandteil jeglicher Geselligkeit. Das unausweichliche Schicksal blieb auch Luther nicht erspart. Einige Theologen und Historiker gehen sogar soweit, das legendäre Wittenberger Turmerlebnis, gewissermaßen der Urknall der Reformationstheologie, auf die nach deftiger Kost schwierige Verdauung Luthers zurück zu führen. Auf seiner, wie es bei Luther tatsächlich drei Jahrzehnte später heißt, „Cloaca“ habe ihm der Heilige Geist seine Lehre eingegeben. Die theologische Befreiung in Parallele gewissermaßen zur Befreiung nach einem hartnäckigen Verdauungsakt.
Dieser etwas anrüchigen und nach Volker Leppin wohl zu wörtlichen Deutung soll hier nicht weiter nachgegangen werden, zumal die Luther-Forschung heute von einem längeren, schrittweisen Prozess der Ausbildung des reformatorischen Gedankengutes ausgeht. Sicher ist aber, dass Luther zumal mit zunehmendem Lebensalter immer häufiger unter körperlichen Gebrechen litt. Der letzte längere Aufenthalt in der Engelsburg steht mit einem solchen schweren Leiden in Zusammenhang.
Im Februar 1537 hatte sich der Schmalkaldische Bund zu seiner berühmtesten Versammlung in dem Städtchen am Thüringer Wald zusammen gefunden. Luther selbst predigte zu den zahlreich erschienenen evangelischen Fürsten. Während der ganzen Zeit plagte ihn aber ein heftiges Nierensteinleiden, das lebensbedrohliche Ausmaße annahm, als der Stein in die Blase geriet und die Harnröhre verstopfte. Luther sah bereits sein Ende kommen, als er in Schmalkalden abreiste. Am 27. Februar geschah jedoch das „Wunder von Tambach“, als Luther den Stein los wurde und zu seiner großen Freude elf große Kannen Wasser lassen konnte, also ca. 4 Liter. Man kann sicher nachvollziehen, dass das mächtig auf die Blase gedrückt hat. Noch immer geschwächt, legte Luther vom 4. bis 6. März einen Genesungsaufenthalt hier in der Engelsburg bei Georg Sturz ein, ehe er weiter nach Wittenberg reiste.
'''Nachgeschichte und historischer Erinnerungsort'''
Nun noch ein paar Worte zur Geschichte der Engelsburg nach der großen Zeit um 1500 bis hin zu ihrer heutigen Nutzung, die nach wie vor unverkennbar im Banne der Humanisten- und Lutherstätte steht. Nach der großen Zeit als Treffpunkt des Erfurter Humanistenkreises und den Besuchen Luthers senkte sich über Jahrhunderte der Schatten der Geschichte über den Gebäudekomplex. Vom 18. Jahrhundert an befand sich hier eine profane Tabakfabrik. 1936 kaufte die Stadt Erfurt die mittlerweile sehr sanierungsbedürftige Engelsburg, wobei bereits Pläne für eine historische Gaststätte geschmiedet wurden. Nach dem Zweiten Weltkrieg, der alle Vorhaben vereitelte, verschlechterte sich der Bauzustand weiter. Eine tiefe Zäsur bildet das Jahr 1952, als sogar das eigentliche Hauptgebäude „Zur Engelsburg“ in der Allerheiligenstraße abgerissen wurde.
Dann kam die 1954 gegründete Medizinische Akademie Erfurt ins Spiel, die hier gerne ihr Rektorat untergebracht hätte. Ab 1964 machte man endlich ernst mit der Sanierung, wobei ein Vertrag zwischen Stadt und Akademie nun die Nutzung als Studentenclub fest schrieb. Vieles erfolgte dabei in Eigenleistung von Mitarbeitern und Studenten. Am 4. März 1968 schlug die Geburtsstunde des Studentenclubs Engelsburg. Generationen von Studenten und Jugendlichen verlebten fortan in der „Eburg“ unvergessliche Stunden. Wer jenseits der DDR-Wohngebietsdisko Geselligkeit und Unterhaltung mit Flair suchte, der war hier genau richtig. Ob bewusst oder unbewusst, schwebte dabei wohl stets der Geist von Eobanus Hessus und seinen lustigen Gesellen durch das historische Gemäuer.
Friedliche Revolution 1989 und Abwicklung der Medizinischen Akademie 1993 brachten für den Studentenclub eine erneute Herausforderung. Seit 1990 ein eingetragener Verein, stellte man 1996 mit der Nutzungskonzeption für ein studentisches Kultur-, Bildungs- und Servicezentrum erfolgreich die Weichen für die Zukunft. Nach umfassender Sanierung durch die Stadt Erfurt zwischen 1997 und 2001 gehört die Engelsburg mit Veranstaltungskeller, Café „DuckDich“, Gaststätte „Steinhaus“ und malerischem Biergarten zu den beliebtesten Adressen unserer Stadt.
Aber auch in einem weiteren Sinne gehört das Studentenzentrum mit seinem Leiter Markus Hirche zu den wichtigsten Elementen der Hochschulstadt Erfurt, wie bereits eingangs betont.
Über das kulturelle und gastronomische Angebot hinaus steht die „Eburg“ immer wieder für diverse Veranstaltungen als Partner von Universität und Fachhochschule bereit. Gemeinsam mit der Universitätsgesellschaft organisiert man das traditionelle Hochschulstraßenfest und viele andere Ereignisse. Seit 1994 widmet sich der Förderverein Humanistenstätte Engelsburg unter Vorsitz von Ralf Dieter May dem Erhalt des Baudenkmals und der Pflege seiner Geschichte.
Trotz der umfassenden Sanierung finden sich in dem historischen Gebäudekomplex noch immer genügend bauliche und denkmalpflegerische Herausforderungen. Eine von ihnen war die legendäre „Humanistenstube“, deren Sanierung jüngst abgeschlossen werden konnte. Die beheizbare Holzstube aus dem 15. Jahrhundert dürfte für viele Besucher zu den großen Entdeckungen der diesjährigen Denkmalwoche gehören. Sie soll fortan als ein stimmungsvoller Tagungsraum dienen.
Allerdings gilt es hier mit einem bis auf den heutigen Tag zählebigen Irrtum aufzuräumen. Die Holzstube mit ihrem markanten Erker zur Kirchhofsgasse galt lange Zeit als der Treffpunkt des Humanistenkreises um Eobanus Hessus. Stadthistoriker Johannes Biereye nannte sie 1922 „den wichtigsten Raum des gesamten Grundstückes, den geweihtesten für den Erfurter Humanismus“. Der Denkmalpfleger Christian Misch hat jedoch vor einigen Jahren die Legende der „Humanistenstube“ hinterfragt. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass die Treffen des Hessus-Kreises wahrscheinlich in dem 1952 abgerissenen Haus in der Allerheiligenstraße stattfanden, auf dessen Grundmauern heute der moderne Eingangsbereich steht. Dieses Gebäude trug ursprünglich den Namen „Zur Engelsburg“, der im Laufe der Zeit auf den gesamten Komplex überging. Die erhaltene Holzstube, die momentan in den Schlagzeilen steht, befindet sich dagegen im Haus „Zum schwarzen Ross“ an der Kirchhofsgasse. Die Aufenthalte Luthers dürften sich demnach ebenfalls in dem nicht mehr existierenden Haus „Zur Engelsburg“ abgespielt haben, in dem Hessus und sein Gönner Georg Sturz wohnten.
Auch wenn also die Legende vom Humanistenerker widerlegt ist, zählt die Engelsburg nicht nur für Christian Misch weiterhin „zu den historisch bedeutendsten Profanbauten Erfurts“. Der in der Wahrnehmung längst zu einer Einheit verschmolzene Gebäudekomplex verliert keineswegs seine Aura als Humanistenstätte und Lutherort mit enger Bindung an die Universität. Und die in neuem Glanze erstrahlende Holzstube vermittelt einen lebendigen Eindruck, wie der lebensfrohe Kreis um Eobanus Hessus in unmittelbarer Nachbarschaft tafelte und Martin Luther bei seinen Erfurter Freunden gastliche Aufnahme fand. Dieser Geist des Ortes wird weiterhin die Arbeit des Studentenzentrums sowie die ehrenamtlichen Bemühungen der Universitätsgesellschaft, des Fördervereins Humanistenstätte und des Fördervereins „Die Alten“ beflügeln.

Aktuelle Version vom 19. September 2011, 08:18 Uhr