Thüringer Landgrafen

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Landgrafen von Thüringen

1131-1247 gehörten die ludowingischen Landgrafen von Thüringen zu den mächtigsten Fürsten des Reiches.


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Thüringen besitzt so wohlklingende Beinamen wie „Kernland der Reformation“, „Heimat der Bache“, „Land der Klassik“ und „Wiege der Moderne“. Das traditionsreiche Kulturland um die UNESCO-Welterbestätten Wartburg und Weimar, um die Wirkungsorte Luthers, Bachs, Goethes und des Bauhauses, war jedoch bis ins 20. Jahrhundert hinein kein einheitliches Staatsgebilde. Vielmehr ist es oft als Inbegriff deutscher Kleinstaaterei mit bis zu 30 souveränen Herrschaften belächelt worden. Die jüngere Geschichtsschreibung hat diese negative Sicht korrigiert. Aus der Perspektive des zwischen 1920 und 1990 schrittweise vereinten Freistaates Thüringen überwiegt ohnehin das Positive: Fürstliche Repräsentation bescherte dem „Land der Residenzen“ prächtige Schlösser, Parks, Museen, Bibliotheken und Theater in einmaliger Dichte, machte es zum Synonym des Landes der Dichter und Denker.

Zudem gab es einen glanzvollen historischen Bezugspunkt, der die Region neben dem frühmittelalterlichen Königreich der Thoringi als Einheit im kollektiven Bewusstsein fest bewahrte: die Landgrafschaft Thüringen der Ludowinger im 12. und 13. Jahrhundert. Die Ludowinger hatten als eines der mächtigsten Fürstengeschlechter des Reiches große Teile Thüringens unter ihrer Herrschaft vereint. Als vom Kaiser belehnte Landgrafen standen sie über den sonstigen Herrschern der Region und gaben ihr eine feste politische Klammer. Hiervon zeugen bis heute die prachtvoll ausgestatteten Herrschaftssitze, allen voran die Wartburg bei Eisenach, die Neuenburg bei Freyburg, die Runneburg in Weißensee und die Creuzburg, sowie als geistliches Zentrum das einstige Kloster Reinhardsbrunn bei Friedrichroda. Erst nach dem Aussterben der Ludowinger 1247 entwickelte sich Thüringen allmählich zur Kleinstaatenwelt. Maßgeblich hieran beteiligt waren die meißnisch-sächsischen Wettiner, die das landgräfliche Erbe antraten und später mit ihrer ernestinischen Linie in mehrere Herzogtümer aufsplitterten.

An die glanzvolle Landgrafenzeit konnte das jüngere thüringische „Nationalbewusstsein“ anknüpfen, wie es sich seit dem 19. Jahrhundert parallel zum deutschen Nationalismus immer deutlicher ausprägte. Auch der heutige Freistaat Thüringen greift jene historische „Einheit in der Vielfalt“ in seinem 1991 eingeführten Landeswappen symbolisch auf: Es umgibt den rot-silber gestreiften ludowingischen „Thüringer Löwen“ auf blauem Grund, der als Landgrafenwappen bis ins späte 12. Jahrhundert zurückreicht, mit acht silbernen Sternen. Letztere stehen für die ehemaligen Kleinstaaten und preußischen Gebiete. Die Landesverfassung verabschiedete der Landtag 1993 feierlich auf dem berühmtesten Landgrafensitz, der Wartburg bei Eisenach. Auch in der öffentlichen Erinnerungskultur rangieren die Landgrafen weit vorn. Landgräfin Elisabeth von Thüringen etwa wurde 2007 durch die 3. Thüringer Landesausstellung als Heilige von europäischem Format eindrucksvoll ins öffentliche Bewusstsein gerückt.

Die mittelalterliche Glanzzeit der Ludowinger fand auch in der Sagenwelt breiten Niederschlag. Die Sagen von Ludwig dem Springer, vom Bau des Klosters Reinhardsbrunn und der Wartburg, über den Schmied von Ruhla, den Sängerkrieg auf der Wartburg und die Heilige Elisabeth trugen zum historischen Gemeinschaftsbewusstsein der Thüringer wesentlich bei. Einer der wichtigsten deutschen Sagensammler war der Meininger Schriftsteller und Bibliothekar Ludwig Bechstein (1801-1860). Mit seinem mehrfach aufgelegten „Thüringer Sagenbuch“ hat er maßgeblich die Überlieferung befördert. Unter den dort mehr als 400 zusammengetragenen Sagen zählt er die Geschichten der Landgrafen „zum schönsten Poesiekranze, den das Thüringerland aufzuzeigen hat“. Die Sagen sind auch vielfach künstlerisch aufgegriffen worden. Allein der „Sängerkrieg“ findet sich nicht nur auf einem der berühmten Fresken Moritz von Schwindts auf der Wartburg, sondern auch in der Literatur (Novalis, E. T. A. Hoffmann) und Musik, allen voran in Richard Wagners Musikdrama „Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg“ (1843).

Im heutigen Bild des Kulturlandes Thüringen stellt die Landgrafenzeit die erste bedeutende Erinnerungsschicht dar, um die sich später viele weitere anlagern sollten. Ähnliches gilt für die UNESCO-Welterbestätte Wartburg als Landgrafensitz und Sinnbild einer mittelalterlichen Höhenburg. Die Sagen haben hierzu erheblich beigetragen. Deshalb sollen in diesem Büchlein erstmals die Geschichte der ludowingischen Landgrafen und deren Spiegelung im Sagenschatz Thüringens vereint werden. Die Geschichte wird nach bestem Wissen und Gewissen der heutigen Forschung entlehnt, die Sagen geben jeweils eine populäre Kurzfassung der teils weit verzweigten und in verschiedenen Fassungen überlieferten Erzählungen. (Abb. Christer Sundin)


Steffen Raßloff/Lutz Gebhardt: Die Landgrafen von Thüringen. Geschichte und Sagenwelt (Rhino Westentaschen-Bibliothek). Ilmenau 2017. (erscheint Sommer 2017)


Siehe auch: Geschichte Thüringens