Serie Denkmale in Erfurt

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Denkmale in Erfurt I

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2011)


Erfurter Denkmale

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Erfurt besitzt eine vielgestaltige Denkmallandschaft. Vom Standbild à la Luther über diverse Denkmalbrunnen bis hin zum wuchtigen Bismarckturm reicht das Spektrum. Hinzu kommen moderne Installationen wie das Deserteurs-Denkmal sowie viele kleinere Büsten, Schrifttafeln und Gedenksteine.


Denkmale würdigen aber nicht nur historische Personen und Ereignisse. Sie spiegeln auch Selbstverständnis und Kunstgeschmack ihrer Entstehungszeit. Der spätere Umgang mit ihnen verweist auf politische Wandlungsprozesse.


Oft entzündeten sich um sie heftige Kontroversen, wie zuletzt um die Leuchtschrift auf dem Erfurter Hof. Unsere Denkmale sind damit Zeugen der Geschichte und Gegenwart. Sie zum sprechen zu bringen, hat sich die TA-Serie zum Ziel gesetzt.


Aufbauhelfer für die iga

DENKMALE IM ERFURT (1): Der „Aufbauhelfer“ von Fritz Cremer steht für die Beteiligung der Erfurter am Bau der iga. Diese konnte 1961 auch dank 364.000 freiwilliger Aufbaustunden eröffnet werden.

Der Erfurter egapark, 1961 als Internationale Gartenbauausstellung iga gegründet, ist momentan in aller Munde. Das liegt nicht nur am 50. Gründungsjubiläum mit seinen vielen Veranstaltungen und Ausstellungen, sondern v.a. an der Bewerbung Erfurts um die Bundesgartenschau 2021. Diese scheint sogar vergessen zu machen, dass der denkmalgeschützte Park noch vor wenigen Monaten von den Stadtwerken im Rahmen verschiedener Zukunftsmodelle ernsthaft in Frage gestellt wurde. Flächenverkäufe wie der des Irisgartens sollten die Kasse füllen. All dies ist nun vom Tisch, soll der egapark doch das Kernstück der Buga werden. Das freut viele Erfurter, denen ihre iga in fünf Jahrzehnten ans Herz gewachsen ist.

Ein Grund hierfür sind auch die 364.000 freiwilligen Arbeitsstunden, die die Erfurter von 1958 bis 1961 im Rahmen des Nationalen Aufbauwerkes (NAW) auf der iga geleistet haben. Das NAW war 1952 von der SED ins Leben gerufen worden, um zunächst in Berlin und dann in der ganzen DDR den Wiederaufbau nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges voran zu bringen. Um diese freiwilligen Arbeiter zu ehren, schuf der führende DDR-Bildhauer Fritz Cremer, Schöpfer des weltberühmten Buchenwald-Denkmals, 1961 den „Aufbauhelfer“ für den Eingangsbereich zur iga. Der überlebensgroße Arbeiter mit Spitzhacke, der sich symbolhaft die Ärmel hoch krempelt, erinnert besonders an die gewaltigen Erdarbeiten, die zur Gestaltung des Parks notwendig waren. Der Erstguss des Denkmals steht vor dem Roten Rathaus in Berlin.

Natürlich haftet diesem Denkmal viel vom Geist des sozialistischen Realismus an, der nicht immer mit dem realen DDR-Alltag korrespondierte. Nicht alle Bürger gingen mit diesem heroischen Ernst die harten und unentgeltlichen Arbeiten an. Die fest eingeplanten Aufbaustunden waren keineswegs so rückhaltlos freiwillig, auch half man mit Stundennachweisen, Urkunden und Stecknadeln in Gold, Silber und Bronze nach. Dies konnte dann etwa bei der Zuweisung einer Wohnung förderlich sein. So wenig man das NAW also im Rückblick glorifizieren sollte, so hat es doch viele Menschen am bitter nötigen Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt. In Erfurt hat es die zwei heute nicht mehr wegzudenkenden großen Freizeiteinrichtungen Zoopark und iga wesentlich mit ermöglicht. Für all diese Leistungen der Erfurter steht der Aufbauhelfer von Fritz Cremer.


Das Zeitalter der Erleuchtung

DENKMALE IM ERFURT (2): Der Erthal-Obelisk auf dem Domplatz erinnert an die Statthalterschaft Karl Theodor von Dalbergs. Er repräsentiert das Zeitalter der Aufklärung im 18. Jahrhundert.

Die Erfurter Domstufenfestspiele zeigen in diesem Jahr Mozarts letzte Oper „Die Zauberflöte“ von 1791. Sie greift die Freimaurerbewegung auf, die sich im 18. Jahrhundert humanistischen Werten wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Humanität verpflichtet fühlte. Organisiert in Logen und Großlogen, gestalteten sich die geheimnisumwitterten Aktivitäten nach bürgerlich-demokratischen Grundsätzen. In ihrer Tendenz waren sie damit gegen den feudalen Ständestaat des Ancien Régime und die eng mit ihm verbundenen Kirchen gerichtet.

Einer der Vertreter des aufgeklärten Adels, der dem Freimaurerwesen aufgeschlossen gegenüber stand, war Karl Theodor von Dalberg (1744-1817). Der spätere Fürstprimas des Rheinbundes residierte drei Jahrzehnte als Statthalter des Kurfürsten von Mainz in Erfurt (1772-1802). Dalberg war der bedeutendste Bewohner der prächtigen barocken Statthalterei am Hirschgarten, der heutigen Thüringer Staatskanzlei. Er machte Erfurt zu einem Zentrum der Kultur neben dem klassischen Weimar Goethes und versuchte den Idealen der Aufklärung Geltung zu verschaffen. Zeitgenosse und Chronist Constantin Beyer schwärmte von einem „Genius, den der Himmel uns zum Segen sandte“. Manchem erschien er besonders mit Blick auf seine kulturellen und sozialen Bemühungen als „Lichtbringer“, als Aufklärer im besten Wortsinne. Dalberg, Angehöriger des Illuminaten-Geheimbundes (die „Erleuchteten“), stand auch der Freimaurerei offen gegenüber. Unter seiner Statthalterschaft wurde 1787 von einem Kreis aufklärerischer Bildungsbürger die Erfurter Loge „Carl zu den 3 Rädern“ gegründet.

An die Dalberg-Zeit erinnert der Obelisk auf dem Domplatz, der in seiner ägyptischen Formensprache Assoziationen an die Freimaurerei hervorruft. Errichtet wurde er 1777 durch die Bürgerschaft zu Ehren von Kurfürst Friedrich Carl Joseph von Erthal, dem letzten kurmainzischen Landesvater Erfurts (1774-1802). In den Wirren der von Frankreich ausstrahlenden Revolutionsepoche residierte Erthal, aus Mainz vertrieben, mehrfach längere Zeit in Erfurt. Auch er galt vielen Bürgern als milder, aufgeklärter Herrscher, betätigte sich zeitweise als Freimaurer, war aber wohl doch stärker noch als Dalberg dem Ancien Régime verbunden. Kurz nach Erthals Tod am 25. Juli 1802 gelangte Erfurt für die kommenden anderthalb Jahrhunderte an Preußen – eine der tiefen Zäsuren der Stadtgeschichte.


Willy komm ans Fenster

DENKMALE IM ERFURT (3): Die Leuchtschrift des Berliner Künstlers David Mannstein für den Erfurter Hof entzündete 2007 bis 2009 den heftigen „Erfurter Denkmalstreit“. Seither ist es ruhig geworden um die Erinnerung an das Gipfeltreffen von 1970.

Der „Erfurter Denkmalstreit“ von 2007 bis 2009 dürfte als eine der heftigsten Kontroversen in die Stadtgeschichte eingehen und erregte seinerzeit große mediale Aufmerksamkeit. Auslöser war der Entwurf des Berliner Künstlers David Mannstein für ein Denkmal zur Würdigung des ersten deutsch-deutschen Gipfeltreffens mit Willy Brandt und Willi Stoph am 19. März 1970. Tausende Erfurter hatten seinerzeit die Absperrungen vor dem Hotel “Erfurter Hof” überrannt und „Willy Brandt ans Fenster!“ skandiert. Mannstein sah neben der Erleuchtung des „Willy-Brandt-Zimmers“ und einem Informationsterminal die Anbringung der Leuchtschrift „Willy komm ans Fenster“ auf dem Dach des “Erfurter Hofes” vor. Damit ging er am 5. März 2007 als Sieger aus einem Wettbewerb der Stadt Erfurt hervor.

Besonders der veränderte Wortlaut erregte jedoch sofort eine heftige Diskussion. Der Geschichtsverein wies auf den hohen Bedeutungsgehalt des originalen Rufes hin, der nicht verändert werden sollte. Hinzu kam eine Flut von Protesten handfester Art, die das Projekt grundsätzlich verwarfen. Auch Prominente wie Brigitte Seebacher-Brandt machten ihrem Unmut Luft. Zwei Wochen später vermittelte Oberbürgermeister Andreas Bausewein einen Kompromiss mit dem authentischen Ruf. Der Künstler räumte ein, erkannt zu haben, „wie wichtig und emotional wertvoll den Akteuren von damals die Spezifizierung ‚Brandt’ in ihren ‚Willy’-Rufen war“. Bis zur Einweihung sollten dennoch weitere gut zwei Jahre vergehen. Viele Stimmen forderten ein Denkmal in traditioneller Form, die Lokalpolitik schaltete sich ein und es gab langwierige Verhandlungen mit der Landesentwicklungsgesellschaft.

Nach der feierlichen Einweihung am 20. Mai 2009 auf dem Willy-Brandt-Platz, unterbrochen von einem unwetterartigen Regenguss, wurde es bald recht still um das Denkmal. Sicher lässt sich die erhoffte Wirkung, Denkanstöße in Richtung Erfurter Gipfeltreffen und Willy Brandt zu geben, nur schwer messen. Aber zumal am Tage, wenn die Schrift noch keine Strahlkraft im wahrsten Wortsinne entfalten kann, gehen doch recht selten die Blicke der Passanten in Richtung Dach, wo einst die Leuchtreklame „Erfurter Hof“ zu lesen war. Auch vor dem etwas versteckten Informationsterminal in der Tourist-Information bilden sich keine Schlagen. Gar aus einem erleuchteten Zimmer auf historische Ereignisse zu schließen, dürfte nur Eingeweihten gelingen. So wird man wohl niemandem die Frage verdenken können, ob eine Gedenktafel nicht mit deutlich geringerem finanziellem Aufwand die historische Erinnerungskultur mehr befördert hätte.


Symbol der Lutherstadt

DENKMALE IM ERFURT (4): Das 1889 errichtete Lutherdenkmal am Anger war einst Symbol des nationalprotestantischen Geistes der Kaiserzeit. Heute steht es für die wichtigste Lutherstadt neben Wittenberg.

Die Lutherdekade bis zum Reformationsjubiläum 2017 nimmt nach verhaltenem Beginn in Erfurt spürbar Fahrt auf. In der wichtigsten Lutherstadt neben Wittenberg trifft man zudem allenthalben auf Spuren des Studenten, Magisters und jungen Mönches. Das Hauptgebäude seiner Universität, das Collegium maius, wurde gerade rekonstruiert, die Georgenburse, Luthers Studentenwohnheim, kam letztes Jahr in die Kur, das Augustinerkloster, seine letzte Wirkungsstätte in Erfurt, ist ebenfalls vollständig wiederhergestellt. Neben solchen authentischen Erinnerungsorten verfügt Erfurt aber auch über eines der imposantesten Lutherdenkmale in Deutschland. Seit 1889 blickt die massive Bronzegestalt auf die Flaniermeile Erfurts, den Anger.

Nach langer Suche erschien dem Erfurter Lutherdenkmal-Verein der Standort vor der Kaufmannskirche am geeignetsten. Dort hatte Luther 1522 in den Wirren der Reformationszeit zu den Erfurtern gepredigt. 1883 gab der Verein das Denkmal in Auftrag, am 30. Oktober 1889 war feierliche Einweihung. Die überlebensgroße Gestalt von Fritz Schaper aus Berlin zeigt den unerschütterlichen Reformator mit der Bibel in der Hand. An den Sockelreliefs kann man drei Episoden aus Luthers Erfurter Zeit sehen: Luther als Student in der Georgenburse, der Abschied ins Augustinerkloster und der Empfang auf dem Weg nach Worms 1521. Das Denkmal atmet deutlich den Geist des wilhelminischen Kaiserreiches mit seiner nationalprotestantischen Symbolfigur. Hier sammelten sich Erfurter Protestanten, die gut 80 Prozent der Bevölkerung ausmachten, zu feierlichen Anlässen wie dem Reformationstag. Jedes Jahr starteten sie von hier aus am Martinstag mit den traditionellen Lampions Richtung Domplatz. Diese Veranstaltung trug seinerzeit starke konfessionelle Züge und richtete sich zumindest indirekt gegen die auf dem Domberg ansässige katholische Geistlichkeit.

Heute entzünden sich an dem Denkmal in Zeiten der Ökumene, die sogar den Papst bald ins Augustinerkloster führen wird, keine konfessionellen Querelen mehr. Zudem weist die Statistik nur noch 21 Prozent bekennende Christen unter den 200.000 Erfurtern auf, darunter 14 Prozent evangelische. Das Denkmal im Herzen der City steht also in erster Linie für die historische Lutherstadt Erfurt, die sich dieses Image aus touristischen Gründen einiges kosten lässt. Mag auch manch einer befürchten, der Lutherdekade könne angesichts des Erinnerungsmarathons bis 2017 die Luft ausgehen, so ist Erfurt damit sicher auf dem richtigen Weg.


Den Opfern der NS-Militärjustiz

DENKMALE IM ERFURT (5): Das Deserteurs-Denkmal von Thomas Nicolai erinnert an die Geschichte des Petersberges als Ort der NS-Militärjustiz. An diesem Denkmal haben sich heftige Diskussionen entzündet.

Am 11. April 2010 präsentierte das Stadtmuseum eine Wanderausstellung zur Wehrmachtsjustiz. Ausstellungsort war die Peterskirche. Der Petersberg, einst Heimstatt eines bedeutenden Benediktinerklosters, war seit seiner Umformung zur kurmainzischen Zitadelle ein Ort des Militärs. Mainzer, kaiserliche und preußische Truppen, Polizei, Reichswehr und Wehrmacht haben diese Anlage 300 Jahre geprägt. In der Zeit des Dritten Reiches befand sich im Kommandantenhaus seit 1935 ein Militär- bzw. Kriegsgericht. Dieses verurteilte während des Zweiten Weltkrieges bis zu 60 Deserteure zum Tode. Im Keller der Defensionskaserne waren die Arrestzellen untergebracht. Die Zitadelle Petersberg ist damit ein authentischer Erinnerungsort an die „unheilvolle Wehrmachtsjustiz“, wie der Historiker Prof. Wolfgang Benz das Wirken deutscher Militärgerichte charakterisiert hat.

Hieran erinnert seit dem 1. September 1995 das „Denkmal für den unbekannten Wehrmachtsdeserteur“. Es befindet sich im Festungsgraben zwischen den Bastionen Leonhard und Philipp. Der Erfurter Künstler Thomas Nicolai hat ein abstraktes Denkmal geschaffen, an dem sich die Geister durchaus scheiden. Zu sehen sind zwei parallele Reihen von acht Metallstelen. Nur eine der wie Soldaten in disziplinierter Haltung wirkenden Stelen ist individuell geformt und soll den Deserteur darstellen. Eine Bronzetafel im Boden ehrt die rund 20.000 Opfer der Militärgerichte: „Dem unbekannten Wehrmachtsdeserteur B Den Opfern der NS-Militärjustiz B Allen die sich dem Naziregime verweigerten.“

Die teils heftigen Reaktionen verwiesen seinerzeit auf die ungebrochene Brisanz der Thematik. In Tagespresse und Zeitschriften lieferten sich Befürworter und Gegner hitzige Debatten. So erklärte der Direktor des Erfurter Stadtarchivs Dr. Rudolf Benl in einem Leserbrief, dass er den „Trieb“ zur Lebenserhaltung nicht für „ehrenhaft oder gar ehrenswert“ erachte. Er „gedenke lieber derer, die bei ihren Kameraden ausgeharrt haben“ und notfalls ihr Leben opferten. Prof. Siegfried Wolf betonte dagegen, die Deserteure der Wehrmacht seien „von der Art gewesen, wie sie 1945 an den Rückzugsstraßen an den Bäumen hingen. Sie waren es leid, das sinnlose Sterben zu verlängern. Und Angst hatten sie auch. Hätten sie Helden für Hitler sein sollen?“ Es besteht also bis heute kein Konsens, auch wenn die Wehrmachtsdeserteure 2002 offiziell vom Bundestag rehabilitiert wurden. Umso wichtiger ist deshalb nach wie vor die öffentliche Diskussion, die sich auch am Erfurter Deserteurs-Denkmal entzündet hat.


Dem Vater der Blumenstadt Erfurt

DENKMALE IN ERFURT (6): Christian Reichart gilt als Begründer des modernen Gartenbaus. Ihm errichtete man 1867 das erste Denkmal für einen verdienten Bürger der Stadt.

Das vor einigen Monaten erschienene Buch des Erfurter Geschichtsvereins zur „Blumenstadt Erfurt“ schlägt den Bogen vom mittelalterlichen Waidhandelszentrum bis hin zum heutigen egapark. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei der Aufsatz zu Christian Reichart (1685-1775) und den Anfänger des modernen Erwerbsgartenbaus ein. Die Autoren Eberhard Czekalla und Reiner Prass würdigen den „Vater der Blumenstadt Erfurt“ als erfolgreichen Quereinsteiger in die Gärtnerbranche, als Autor international beachteter Fachbücher, als Erfinder von neuen Gartengeräten und Anbaumethoden, als Züchter, aber auch als vielfältig engagierten Bürger seiner Vaterstadt. Er steht am Anfang einer Entwicklung, die Erfurt um 1900 an die Spitze des weltweiten Gartenbaus führen sollte.

So wundert es nicht, wenn aus einem Impuls der großen internationalen Gartenbauausstellung 1865 in Erfurt heraus zwei Jahre später Christan Reichart das erste Denkmal für einen verdienten Bürger der Stadt errichtet wurde. Georg Carl Kölling schuf eine Sandsteinfigur im Habitus des späten 18. Jahrhunderts. Aufgestellt wurde sie auf dem Platz „Am Wasserthor“, der in Reichartplatz umbenannt wurde. Allerdings wandelte sich, gewissermaßen als Spiegel der Geschichte, der Reichartplatz 1900 zum Kaiserplatz mit Kaiser-Wilhelm-Denkmal und 1945 zum Karl-Marx-Platz. Das Denkmal musste 1899 in die idyllische, aber abgelegene Pförtchenanlage weichen. Ein zweites, 1985 eingeweihtes Denkmal befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Ingenieurschule für Gartenbau in der Leipziger Straße, die den Namen Reicharts trug und heute zur Fachhochschule Erfurt gehört. Es handelt sich um eine Bronzebüste von Kerstin Stöckel, die sich an dem bekannten Gemälde von Jacob Samuel Beck orientiert.

Christian Reichart ist bis heute eine der bekannten Persönlichkeiten der Stadtgeschichte. Im letzten Jahr würdigte man seinen 325. Geburtstag mit einem Festakt im Rathaus und einer kleinen Ausstellung. Die Versuche von geschichtsbewussten Bürgern, das Denkmal aus der Pförtchenanlage an seinen alten Platz zurück zu führen oder zumindest den Reichartplatz zurück zu benennen, scheiterten jedoch an Stadtverwaltung und Lokalpolitik. Auch die Anregung, die Reichartbüste aus der Leipziger Straße in die Grünanlage vor der Reglerkirche umzusetzen, wurde nicht aufgriffen. Dort war der engagierte Bürger jahrzehntelang als Organist in seiner Kirchgemeinde tätig und wohnte direkt vis-a-vis. Man wird also weiterhin im Zentrum der Blumenstadt vergeblich nach einem Denkmal für Christian Reichart suchen.


Der erste Mensch im All

DENKMALE IN ERFURT (7): Die Büste Juri Gagarins erinnert an den ersten Weltraumflug vor 50 Jahren. Sie sollte einst die Überlegenheit des Sozialismus symbolisieren.

Am 12. April 1961 hielt die Welt den Atem an. Der sowjetische Kosmonaut Juri Alexejewitsch Gagarin umrundete mit der Wostok 1 als erster Mensch die Erde. In den USA und der westlichen Welt war man entsetzt oder erstaunt, die Sowjetunion und der „Ostblock“ feierten Gagarin als Helden. Haftete solcher Art Heldenverehrung oft etwa steifes an, so war Gagarin wirklich populär. Deutlich wurde dies auch im Oktober 1963 in Erfurt. Tausende Menschen jubelten dem jungen Offizier der Luftwaffe bei seinem Besuch in der Bezirksstadt zu. Prof. Holt Meyer von der Universität Erfurt hat sich mit der Wirkung Gagarins auf seinen Reisen durch die befreundeten Länder am Beispiel des Erfurt-Aufenthaltes beschäftigt. Er sieht in ihm die „visuelle Evidenz“ für die „ethische und politische Überlegenheit des Sozialismus“. Sprich, der volksnahe Kosmonaut verkörperte wie kaum ein anderer die viel gepriesenen Vorzüge der sozialistischen Gesellschaft. Er war einer der wenigen echten Medienstars des Ostens.

Wie viel von dieser Spontanität der 1960er Jahre noch übrig war, als am 12. April 1986 das Erfurter Gagarin-Denkmal eingeweiht wurde, lässt sich schwer sagen. Es fand am 25. Jubiläumstag des ersten bemannten Raumfluges seinen Platz an der sozialistischen Mustermagistrale Juri-Gagarin-Ring, die bereits 1964 so benannt worden war. Statt des 1968 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückten Gagarin repräsentierte nun der erste Deutsche im All die vermeintliche Überlegenheit des Sozialismus. Zum netten, zurückhaltenden Erzgebirgler Sigmund Jähn schien diese Rolle allerdings nicht so recht zu passen. Da mutet es fast symbolisch an, wenn die Büste auf Granitsockel von Lew Kerbel einen Zweitguss des Denkmals in der Moskauer Allee der Kosmonauten darstellt. Euphorische Heldenverehrung war in der späten DDR schwierig geworden.

Befreit vom einstigen Wettstreit der Systeme und Weltanschauungen, steht das Gagarin-Denkmal im 50. Jubiläumsjahr des Raumfluges für einen enormen Fortschritt der Menschheit und einen wirklich populären Weltraum-Pionier. Deshalb war es auch richtig, das Denkmal nach der friedlichen Revolution 1989 nicht als offiziöses Monument der DDR und ihres „großen Bruders“ Sowjetunion einfach zu beseitigen. Die in Aussicht genommene Verschönerung des eher tristen Umfeldes vor den elfgeschossigen „Wohnscheiben“ kann die Wirkung nur verbessern. Als Beispiel sozialistischer Monumentalplastik, geschaffen von einem der führenden Vertreter dieses Genres, hat es selbst bereits Denkmalcharakter gewonnen.


Zu Ehren Ohm Krügers

DENKMALE IN ERFURT (8): Das Eckhaus Bahnhofstraße/Juri-Gagarin-Ring erinnert an den Burenkrieg 1899-1902. Zugleich ist es der einzige öffentliche Hinweis auf Konsul Wilhelm Knappe.

Vor gut hundert Jahren kämpften die Burenrepubliken in Südafrika gegen Großbritannien um ihre Unabhängigkeit. Das mächtigste Kolonialreich der Welt hatte es insbesondere auf die reichen Goldvorkommen im Oranje-Freistaat und Transvaal abgesehen. Nach dem blutigen Burenkrieg 1899-1902 verloren die Nachkommen niederländischer Einwanderer ihre Selbstständigkeit und wurden in das britische Südafrika eingegliedert. Die Öffentlichkeit in Deutschland hatte den Krieg mit großer Anteilnahme verfolgt. Die Sympathien gehörten fast ungeteilt den Buren um den populären Präsidenten Paulus „Ohm“ Krüger. Hieran erinnert in Erfurt das „Burenhaus“ in der Bahnhofstraße, Ecke Juri-Gagarin-Ring. Maurermeister Paul Funk hatte sein 1902 fertiggestelltes Wohn- und Geschäftshaus mit den Portraits der Burenführer versehen sowie den „fluchwürdigen Goldhunger“ des britischen Kolonialministers Chamberlain angeprangert.

Wenige Jahre zuvor hatte ein Erfurter als Nationalbank-Direktor und Freund Krügers in Südafrika gewirkt. Jener Konsul Wilhelm Knappe (1855-1910) gehört zu den schillernden Gestalten unserer jüngeren Stadtgeschichte. Durch einen unglücklichen Kolonialkrieg auf Samoa 1889 gelangte er zu weltweiter Bekanntheit. 1894 kehrte Knappe nach dem Zwischenspiel als Banker in Südafrika in den Dienst des Auswärtigen Amtes zurück. In China wirkte er als Generalkonsul mit viel Aufgeschlossenheit gegenüber der einheimischen Kultur und Bevölkerung für die deutschen Interessen. Knappe war kein Säbelrassler und Rassist, wie man sich noch immer recht stereotyp die Vertreter deutscher Außenpolitik im Zeitalter des Imperialismus vorzustellen pflegt.

Der weitgereiste Konsul sollte in seinem 100. Todesjahr 2010 auch eine eigene öffentliche Würdigung in seiner Vaterstadt erfahren. Geschichtsverein und Universität hatten hierfür die Benennung einer Straße beantragt. Der Kulturausschuss des Stadtrates lehnte dies jedoch ab, weil Knappe keine hinreichenden Verdienste aufweise und als „Kolonialist“ keiner solchen Ehrung würdig sei. Das wird der historischen Persönlichkeit nicht gerecht. Sowohl in der Südsee als auch in China hat er durch seinen offenen Umgang mit den Einheimischen Achtung erlangt. Die Forschung hat bemerkenswerte Leistungen des Völkerkundlers und Kulturpolitikers verzeichnet. Seine Südseesammlung gehört zu den Schätzen der Erfurter Museen im Benaryspeicher. Der Bundespräsident würdigte Knappe 2007 beim 100. Gründungsjubiläum der Tongji-Universität Shanghai als Initiator der deutsch-chinesischen Elitehochschule.


Die verschwundene Gedenktafel

DENKMALE IN ERFURT (9): Am Kaisersaal erinnert nichts an den Erfurter SPD-Parteitag 1891 und an Napoleons Fürstenkongress 1808.

Der Kaisersaal ist ein Haus voller Geschichte. Er diente einst als Theater, Konzertsaal und Universitäts-Ballhaus. Große Namen wie Friedrich Schiller und Franz Liszt sind mit diesem Musentempel verbunden. 1808 ließ Napoleon während seines Erfurter Fürstenkongresses hier die Comédie-Française vor „einem Parkett von Königen“ spielen. Nachhaltig in die Geschichte eingegangen ist der Kaisersaal aber v.a. als Veranstaltungsort des Parteitages der SPD von 1891. Unter der Leitung von August Bebel verabschiedeten die Abgeordneten nach Jahren der Verfolgung durch das Bismarcksche Sozialistengesetz das Erfurter Programm. Neben der marxistischen Theorie setzte man sich dort praktische soziale Ziele, wie die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und den Achtstundentag für Arbeiter. Damit begann der Weg von der Klassenkampfpartei hin zur reformorientierten Volkspartei des kleinen Mannes. Dieser in Erfurt eingeschlagene Weg erreichte mit dem Godesberger Programm von 1959 in der Bundesrepublik sein Ziel.

Man sollte meinen, der Kaisersaal müsse vor diesem Hintergrund für die Stadt Erfurt und zumal für die hiesige SPD ein besonders wichtiger Erinnerungsort sein. Allerdings sucht man an dem markanten klassizistischen Gebäude in der Futterstraße vergeblich nach einem Hinweis. Während zahlreiche oft weit weniger prominente Ereignisse und Persönlichkeiten überall in der Stadt mit Denkmalen oder Gedenktafeln verewigt wurden, weist nichts auf den Erfurter Parteitag 1891 hin.

Das war nicht immer so. Vor der friedlichen Revolution 1989 gab es in dem als Optima-Kulturhaus genutzten Gebäude eine Gedenkstätte. An seiner Fassade prangte eine Marmortafel mit der goldenen Aufschrift „Gedenkstätte Erfurter Parteitag 1891“. Für das 100. Jubiläumsjahr waren von der SED-Leitung große Feierlichkeiten geplant, auch eine Sanierung des zwischenzeitlich geschlossenen Hauses stand im Plan. Mit dem Umbau zum Kultur- und Kongresszentrum Kaisersaal von 1991 bis 1994 verschwanden jedoch Gedenkstätte und -tafel. Letztere landete auf dem Dachboden des Stadtmuseums. Der ideologisch überfrachteten Ausstellung aus DDR-Zeiten mag kaum jemand nachtrauern. Eine neue Gedenktafel, die neben dem SPD-Parteitag auch andere Höhepunkte der Hausgeschichte würdigen könnte, wäre aber mehr als angemessen. Oft wundern sich Touristen und auswärtige Veranstaltungsbesucher über so wenig zur Schau getragenes historisches Selbstbewusstsein.


Willkür und Gewaltexzess

DENKMALE IN ERFURT (10): In einer Hinterhof-Fabrik im Erfurter Norden geschahen im Frühjahr 1933 ungeheuerliche Dinge. Eine Gedenktafel erinnert an das „Schutzhaft-Lager“ der SA in der Feldstraße 18.

Der Historiker Sascha Münzel hat sich im jüngsten Band der Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt mit den „Sondervernehmungen“ der Erfurter SA im Frühjahr 1933 beschäftigt. Sie waren eine der blutigen Begleiterscheinungen der „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus. Gegner Hitlers wurden von der paramilitärischen Truppe der NSDAP in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und brutal misshandelt. Überwiegend handelte es sich dabei um Kommunisten und Sozialdemokraten, von denen drei während der „Vernehmungen“ das Leben verloren. Weitere NS-Gegner fielen anderen Aktionen zum Opfer. Treffend charakterisiert Münzel diese Geschehnisse im Titel seines Aufsatzes als „Willkür und Gewaltexzess“.

Ein Fabrikgelände im Hinterhof der Feldstraße 18 fungierte als zentrales „Schutzhaftlager“ für Erfurt. Von April bis September 1933 waren dort bis zu 100 Menschen eingesperrt. Von hier aus und vom Polizeigefängnis auf dem Petersberg wurden sie zu den „Sondervernehmungen“ etwa auf den Hundesportplatz an der Gaststätte „Zum Blumenthal“ am heutigen Oschatzer Weg und in den Steiger gebracht. Auch in der Feldstraße, wo die Häftlinge unter katastrophalen hygienischen Bedingungen eingesperrt waren, kam es zu schweren Misshandlungen durch die SA. Dies spielte sich inmitten eines Wohnviertels nahe am Ilversgehofener Platz ab. So scheinen die späteren Behauptungen auch vieler Erfurter, sie hätten von den Verbrechen der Nazis nichts gewusst, wenig glaubhaft. Man konnte sehr wohl wissen, mit welcher Brutalität die NS-Diktatur von Beginn an gegen ihre Gegner vorging. Aber viele Bürger ließen sich von der nationalen Aufbruchstimmung nach 1933 anstecken und akzeptierten das „Aufräumen“ mit den „Roten“. Andere hatten wohl einfach Angst, selbst ins Fadenkreuz der braunen Schlägertruppe oder der Gestapo zu geraten.

Die in der DDR-Zeit angebrachte Tafel an der Hofeinfahrt macht auf die dunkle Geschichte des Ortes aufmerksam. Hier „waren etwa 100 Antifaschisten eingekerkert. Unter ihnen befanden sich auch die Erfurter Widerstandskämpfer Heinz Sendhoff, Josef Ries, Waldemar Schapiro, Fritz Büchner, die im Stadtgebiet von Erfurt durch die Faschisten bestialisch ermordet wurden. Ihr Leben ist uns Vorbild und Verpflichtung.“ Mag der Antifaschismus in der DDR auch als Staatsdoktrin instrumentalisiert worden sein, so hat die Erinnerung an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft natürlich weiterhin ihren festen Platz in der Erfurter Denkmallandschaft. Und auch die historische Aufarbeitung wird fortgesetzt. Sascha Münzel und sein Kollege Eckart Schörle planen für 2012 eine ausführliche Publikation zum Lager in der Feldstraße.