Serie Denkmale in Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

Aus erfurt-web.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 49: Zeile 49:




'''Die verschwundene Gedenktafel'''
DENKMALE IN ERFURT (9): Am Kaisersaal erinnert nichts an den Erfurter SPD-Parteitag 1891 und an Napoleons Fürstenkongress 1808.
Der Kaisersaal ist ein Haus voller Geschichte. Er diente einst als Theater, Konzertsaal und Universitäts-Ballhaus. Große Namen wie Friedrich Schiller und Franz Liszt sind mit diesem Musentempel verbunden. 1808 ließ Napoleon während seines Erfurter Fürstenkongresses hier die Comédie-Française vor „einem Parkett von Königen“ spielen. Nachhaltig in die Geschichte eingegangen ist der Kaisersaal aber v.a. als Veranstaltungsort des Parteitages der SPD von 1891. Unter der Leitung von August Bebel verabschiedeten die Abgeordneten nach Jahren der Verfolgung durch das Bismarcksche Sozialistengesetz das Erfurter Programm. Neben der marxistischen Theorie setzte man sich dort praktische soziale Ziele, wie die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und den Achtstundentag für Arbeiter. Damit begann der Weg von der Klassenkampfpartei hin zur reformorientierten Volkspartei des kleinen Mannes. Dieser in Erfurt eingeschlagene Weg erreichte mit dem Godesberger Programm von 1959 in der Bundesrepublik sein Ziel.
Man sollte meinen, der Kaisersaal müsse vor diesem Hintergrund für die Stadt Erfurt und zumal für die hiesige SPD ein besonders wichtiger Erinnerungsort sein. Allerdings sucht man an dem markanten klassizistischen Gebäude in der Futterstraße vergeblich nach einem Hinweis. Während zahlreiche oft weit weniger prominente Ereignisse und Persönlichkeiten überall in der Stadt mit Denkmalen oder Gedenktafeln verewigt wurden, weist nichts auf den Erfurter Parteitag 1891 hin.
Das war nicht immer so. Vor der friedlichen Revolution 1989 gab es in dem als Optima-Kulturhaus genutzten Gebäude eine Gedenkstätte. An seiner Fassade prangte eine Marmortafel mit der goldenen Aufschrift „Gedenkstätte Erfurter Parteitag 1891“. Für das 100. Jubiläumsjahr waren von der SED-Leitung große Feierlichkeiten geplant, auch eine Sanierung des zwischenzeitlich geschlossenen Hauses stand im Plan. Mit dem Umbau zum Kultur- und Kongresszentrum Kaisersaal von 1991 bis 1994 verschwanden jedoch Gedenkstätte und -tafel. Letztere landete auf dem Dachboden des Stadtmuseums. Der ideologisch überfrachteten Ausstellung aus DDR-Zeiten mag kaum jemand nachtrauern. Eine neue Gedenktafel, die neben dem SPD-Parteitag auch andere Höhepunkte der Hausgeschichte würdigen könnte, wäre aber mehr als angemessen. Oft wundern sich Touristen und auswärtige Veranstaltungsbesucher über so wenig zur Schau getragenes historisches Selbstbewusstsein.





Version vom 4. Januar 2012, 12:54 Uhr

Denkmale in Erfurt

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (2011)


Erfurter Denkmale

Lutherdenkmali.jpg

Erfurt besitzt eine vielgestaltige Denkmallandschaft. Vom Standbild à la Luther über diverse Denkmalbrunnen bis hin zum wuchtigen Bismarckturm reicht das Spektrum. Hinzu kommen moderne Installationen wie das Deserteurs-Denkmal sowie viele kleinere Büsten, Schrifttafeln und Gedenksteine.


Denkmale würdigen aber nicht nur historische Personen und Ereignisse. Sie spiegeln auch Selbstverständnis und Kunstgeschmack ihrer Entstehungszeit. Der spätere Umgang mit ihnen verweist auf politische Wandlungsprozesse.


Oft entzündeten sich um sie heftige Kontroversen, wie zuletzt um die Leuchtschrift auf dem Erfurter Hof. Unsere Denkmale sind damit Zeugen der Geschichte und Gegenwart. Sie zum sprechen zu bringen, hat sich die TA-Serie zum Ziel gesetzt.

Aufbauhelfer auf der iga

Beitrag aus der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2011)



Aufbauhelfer auf der iga

Erthal Obelisk auf dem Domplatz

Willy Brandt Leuchtschrift auf dem Erfurter Hof

Lutherdenkmal auf dem Anger

Deserteursdenkmal am Petersberg

Christian Reichart Denkmal

Juri Gagarin Denkmal am Ring

Burenhaus in der Bahnhofstraße

Gedenktafel am Kaisersaal

Gedenktafel Schutzhaftlager in der Feldstraße





Willkür und Gewaltexzess

DENKMALE IN ERFURT (10): In einer Hinterhof-Fabrik im Erfurter Norden geschahen im Frühjahr 1933 ungeheuerliche Dinge. Eine Gedenktafel erinnert an das „Schutzhaft-Lager“ der SA in der Feldstraße 18.

Der Historiker Sascha Münzel hat sich im jüngsten Band der Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt mit den „Sondervernehmungen“ der Erfurter SA im Frühjahr 1933 beschäftigt. Sie waren eine der blutigen Begleiterscheinungen der „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus. Gegner Hitlers wurden von der paramilitärischen Truppe der NSDAP in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und brutal misshandelt. Überwiegend handelte es sich dabei um Kommunisten und Sozialdemokraten, von denen drei während der „Vernehmungen“ das Leben verloren. Weitere NS-Gegner fielen anderen Aktionen zum Opfer. Treffend charakterisiert Münzel diese Geschehnisse im Titel seines Aufsatzes als „Willkür und Gewaltexzess“.

Ein Fabrikgelände im Hinterhof der Feldstraße 18 fungierte als zentrales „Schutzhaftlager“ für Erfurt. Von April bis September 1933 waren dort bis zu 100 Menschen eingesperrt. Von hier aus und vom Polizeigefängnis auf dem Petersberg wurden sie zu den „Sondervernehmungen“ etwa auf den Hundesportplatz an der Gaststätte „Zum Blumenthal“ am heutigen Oschatzer Weg und in den Steiger gebracht. Auch in der Feldstraße, wo die Häftlinge unter katastrophalen hygienischen Bedingungen eingesperrt waren, kam es zu schweren Misshandlungen durch die SA. Dies spielte sich inmitten eines Wohnviertels nahe am Ilversgehofener Platz ab. So scheinen die späteren Behauptungen auch vieler Erfurter, sie hätten von den Verbrechen der Nazis nichts gewusst, wenig glaubhaft. Man konnte sehr wohl wissen, mit welcher Brutalität die NS-Diktatur von Beginn an gegen ihre Gegner vorging. Aber viele Bürger ließen sich von der nationalen Aufbruchstimmung nach 1933 anstecken und akzeptierten das „Aufräumen“ mit den „Roten“. Andere hatten wohl einfach Angst, selbst ins Fadenkreuz der braunen Schlägertruppe oder der Gestapo zu geraten.

Die in der DDR-Zeit angebrachte Tafel an der Hofeinfahrt macht auf die dunkle Geschichte des Ortes aufmerksam. Hier „waren etwa 100 Antifaschisten eingekerkert. Unter ihnen befanden sich auch die Erfurter Widerstandskämpfer Heinz Sendhoff, Josef Ries, Waldemar Schapiro, Fritz Büchner, die im Stadtgebiet von Erfurt durch die Faschisten bestialisch ermordet wurden. Ihr Leben ist uns Vorbild und Verpflichtung.“ Mag der Antifaschismus in der DDR auch als Staatsdoktrin instrumentalisiert worden sein, so hat die Erinnerung an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft natürlich weiterhin ihren festen Platz in der Erfurter Denkmallandschaft. Und auch die historische Aufarbeitung wird fortgesetzt. Sascha Münzel und sein Kollege Eckart Schörle planen für 2012 eine ausführliche Publikation zum Lager in der Feldstraße.