Lutherstadt Erfurt

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Lutherstadt Erfurt

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2010)


Lutherstadt Erfurt

Zahlreiche Orte und Einrichtungen erinnern in Erfurt an den großen Reformator

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Der Ruf Erfurts als wichtiger Luther-Erinnerungsort will gepflegt sein. Die “Lutherdekade” bis zum 500. Reformationsjubiläum 2017 bietet hierfür die ideale Gelegenheit. In einer Serie möchte die TA unter die Lupe nehmen, wie sich Erfurt mit seinen authentischen Orten, Museen und Denkmalen auf dieses Großereignis vorbereitet.

Von Dr. Steffen Raßloff

Der Ruf Erfurts als Lutherstadt scheint manchem unerschütterlich wie der bronzene Luther vor der Kaufmannskirche. So geriet gar das Kulturjahr 2010/11 “Luther - Der Aufbruch” mit Bezug auf dessen Romreise 1510/11 durch die Haushaltsprobleme zeitweise auf die Streichliste. Die Reaktionen hierauf haben gezeigt, dass dies der falsche Weg ist. Erfurt muss sein größtes historisches Gut pflegen. Zudem putzen sich die Lutherorte von Eisenach bis Schmalkalden mit Blick auf 2017 heraus, von der Wartburg und den Lutherstätten in Sachsen-Anhalt mit ihrem UNESCO-Welterbestatus ganz zu schweigen.

Umso mehr gilt es also, das große Potenzial abzurufen, Luther hohe kulturpolitische Beachtung zu schenken. Denn so vielfältig unser Erbe ist, besitzt doch kein anderes Thema diese internationale Zugkraft, nicht zuletzt für den Tourismus. Vielen Verantwortlichen ist das durchaus bewusst. Die unglücklichen Diskussionen um das mittlerweile gesicherte Kulturjahr 2010/11 sollten nämlich nicht darüber hinweg täuschen, dass wichtige Projekte auf den Weg gebracht wurden, um das Profil der Lutherstadt Erfurt weiter zu schärfen. Insbesondere rund um das lateinische Viertel ist viel in Bewegung.

Die Stadt des Studenten und Magisters wird bald wieder sehr viel greifbarere Gestalt annehmen. Mit dem Collegium maius in der Michaelisstraße, ehemaliges Hauptgebäude der Universität Luthers und künftiger Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche, erhält das lateinische Viertel bis 2011 sein Herzstück zurück. Nur einen Steinwurf entfernt wird die Georgenburse in der Augustinerstraße als “Studienort der Lutherzeit” und Pilgerherberge wiederbelebt. Sie diente Luther wahrscheinlich als “Studentenwohnheim”. Einblicke in das Universitätsleben zur Lutherzeit bietet übrigens auch der Erfurter Geschichtsverein auf seiner öffentlichen Fachtagung am Samstag, dem 24. April, was zugleich den Auftakt des Luther-Doppeljahres markiert.

Wiederum in Sichtweite der Georgenburse liegt mit dem Augustinerkloster der wohl wichtigste Erinnerungsort, wo aus dem Jurastudenten ein Mönch wurde. Luthers Kloster gewinnt als renommierte Tagungs- und Begegnungsstätte weiter an baulicher Gestalt. Noch in diesem Jahr kann die komplexe Rekonstruktion mit der ehemaligen Bibliothek abgeschlossen werden. Die neue Dauerausstellung im Stadtmuseum soll ab 2011 Luther in den Kontext der Stadtgeschichte einbinden und als museale “Spinne im Netz” auf die authentischen Orte verweisen (Abb. Stadtmuseum Erfurt, Foto: Dirk Urban). Hier wird die Handels- und Kulturmetropole, in der Luther seine geistige Prägung erhielt, in beeindruckender Form anschaulich gemacht. Wenn auch unbefriedigende Situationen, wie etwa das Umfeld des Luthersteines bei Stotternheim, energisch angegangen werden, muss einem vor dem Reformationsjubiläum 2017 nicht bange werden.


Luthers geistige Mutter

Lutherstadt Erfurt (2): Das Collegium maius war der Hauptsitz von Luthers Universität

Im Collegium maius in der Michaelisstraße residierte einst die Universität Erfurt. In diesem geistigen Zentrum von europäischem Rang legte auch Martin Luther die Basis für sein späteres Wirken als Reformator. Das 1945 zerstörte Gebäude wird bis 2011 als Verwaltungssitz der Evangelischen Kirche rekonstruiert.

Von Dr. Steffen Raßloff

Das Collegium maius war einst Hauptsitz der Universität Erfurt, an der Luther von 1501 bis 1505 studierte und lehrte. 1945 im Bombenkrieg zerstört, wird das Gebäude nun endlich rekonstruiert. Damit erhält das “lateinische Viertel” sein Herzstück zurück. 500 Jahre zuvor war der junge “Martinus Ludher ex Mansfeldt” beeindruckt vom geistigen Leben in der Metropole Erfurt, damals mit fast 20.000 Einwohnern eine der größten Städte des Reiches. Die 1379 privilegierte Alma mater Erfordensis, älteste Uni im heutigen Deutschland, galt als eine der renommiertesten Hochschulen Mitteleuropas. Alle übrigen nähmen sich dagegen wie “kleine (ABC-)Schützenschulen” aus, so der spätere Reformator.

Im Collegium maius, dessen äußere Form im Wesentlichen auf den Wiederaufbau nach dem „Tollen Jahr“ 1509/10 zurück geht, war auch die Philosophische Fakultät untergebracht. Mit ihr begann das Studium, ehe man eine der drei höheren Fakultäten (Recht, Medizin, Theologie) besuchen konnte. Luther schloss jenes Grundstudium der sieben Freien Künste 1505 erfolgreich als Magister ab. Für dieses solide geistige Fundament blieb der er zeitlebens dankbar: “Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke.” Das anschließende Jurastudium brach Luther jedoch nach dem Stotternheimer “Gewittererlebnis” im Juli 1505 ab und trat als Mönch in das Augustinerkloster ein.

Die 1987 als DDR-Bürgerbewegung gegründete Universitätsgesellschaft machte es sich zum Anliegen, das Collegium maius zu rekonstruieren. Bereits 1983 war während der Lutherehrungen anlässlich seines 500. Geburtstages das prächtige Portal von 1511 wiedererrichtet worden, weitergehende Pläne scheiterten jedoch an fehlenden Baukapazitäten. Während der friedlichen Revolution 1989 wurde das Collegium maius zum Symbol für den geistig-kulturellen Aufbruch in Erfurt. Mit der Wiedergründung der Universität 1994 schien das große Ziel erreichbar, 1999 erfolgte der Rohbau. Viel bürgerschaftliches Engagement floss in das geschichtsträchtige Gemäuer und seine historische Aufarbeitung.

Vor diesem Hintergrund mag es nicht erstaunen, dass sich in der Universitätsgesellschaft Enttäuschung breit machte, als die Stadt Erfurt das Collegium maius 2008 an die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) verkaufte. Diese wird das Gebäude bis 2011 zum Sitz ihrer Verwaltung ausbauen. Mittlerweile überwiegt jedoch beim Blick auf die Renaissance jenes Kulturdenkmals von internationalem Rang die Vorfreude auf seine Fertigstellung. Auch das Profil der Lutherstadt wird dadurch nachhaltig geschärft, ist doch neben Luthers Kloster dann auch Luthers Universität als authentischer Erinnerungsort wieder sinnlich erfahrbar.


Studienort der Lutherzeit

Lutherstadt Erfurt (3): Luther lebte wahrscheinlich als Student und Magister in der Georgenburse

Die Georgenburse in der Augustinerstraße diente Luther vermutlich als „Studentenwohnheim“, in dem es allerdings recht klösterlich zu ging. Vor 100 Jahren durch Johannes Biereye in ihrer historischen Bedeutung wieder publik gemacht, wird die Burse nun als „Studienort der Lutherzeit“ und Pilgerherberge rekonstruiert.

Von Dr. Steffen Raßloff

Bursen waren einst die „Studentenwohnheime“ der Universitäten. In ihnen lebten Studierende und Lehrende gemeinsam in einer fast klösterlich anmutenden Ordnung. Frühes Aufstehen und Schlafengehen, klare Regeln für den Tagesablauf und bescheidener Lebenswandel jenseits der akademischen Festlichkeiten waren in den Bursenordnungen festgeschrieben. Der junge Luther entschied sich 1501 für die Georgenburse in der Augustinerstraße, nur einen Steinwurf vom Collegium maius entfernt, wo er sich als Student immatrikuliert hatte.

Das Wissen um Luthers Burse verdanken wir Prof. Johannes Biereye, langjähriger Vorsitzender des Erfurter Geschichtsvereins. Aus Anlass des Reformationsjubiläums 1917 hatte er sich intensiv mit den Lutherstätten in Erfurt beschäftigt. Biereye wusste, dass nur in einem 1902 entdeckten Brief auf die schon im 16. Jahrhundert geschlossene Georgenburse als Luthers Aufenthaltsort hingewiesen wird. Er konnte diese an der heute bekannten Stelle verorten. Allerdings war der Komplex einst sehr viel größer und reichte bis an die Augustinerstraße heran. Erhalten ist nur der Gebäudeteil im Hinterhof. Dieser freilich geht auch nach Ansicht des Bauhistorikers Dr. Thomas Nitz tatsächlich in seinen ältesten Bauteilen bis auf die Lutherzeit zurück.

Trotz der schmalen Quellenbasis kann man also von der Authentizität der Georgenburse als Lutherstätte ausgehen. Biereye bedauerte vor gut 100 Jahren allerdings, dass die modernen Häuserblocks der Augustinerstraße den Blick auf das historische Gebäude verstellten. Die Fliegerbomben des Zweiten Weltkrieges sollten diese Situation völlig verändern. So konnte man schließlich 1983 im Rahmen des 500. Luthergeburtstages die Chance einer Neugestaltung nutzen. Die Georgenburse wurde rekonstruiert und eine Grünfläche davor angelegt. Der Bauboom nach der „Wende“ hat die Burse allerdings wieder in den Schatten noch modernerer Häuserblocks gestellt. Zumindest bleibt sie aber von der Lehmannsbrücke und dem gegenüber liegenden Gera-Ufer aus sichtbar.

Das Haus steht nun unmittelbar vor einer komplexen Sanierung und Umgestaltung als „Studienort der Lutherzeit“. Dort soll bis zum 31. Oktober 2010 eine Begegnungs- und Bildungsstätte mit ökumenischer Pilgerherberge entstehen, die Schlaglichter auf das einstige Universitätsleben wirft. Die Initiative hierfür ging vom „Bonhoeffer-Haus e.V.“ und “Freundeskreis Georgenburse Erfurt e.V.” aus, zu deren treibenden Kräften Augustinerkloster-Kurator Lothar Schmelz und Oberkirchenrat Dr. Thomas A. Seidel zählen. So entsteht auf halbem Wege zwischen Collegium maius und Augustinerkloster ein weiterer hochkarätiger Erinnerungsort in der Lutherstadt Erfurt.


Werdepunkt der Reformation

Lutherstadt Erfurt (4): Der Lutherstein bei Stotternheim markiert den „Werdepunkt der Reformation“

Im Sommer 1505 wurde aus dem angehenden Juristen Martin Luther der Augustinermönch. Ein heftiges Gewitter auf dem Heimweg von Mansfeld hatte ihn dazu bewogen. An der Stelle des folgenreichen Entschlusses bei Stotternheim steht seit 1917 ein Gedenkstein.

Von Dr. Steffen Raßloff

Martin Luther hatte von 1501 bis 1505 sein philosophisches Grundstudium an der Universität Erfurt absolviert. Er sollte nun nach dem Willen des Vaters Jura studieren und Karriere machen, möglichst an einem Fürstenhof. Das sagenumwobene Stotternheimer Gewittererlebnis vom 2. Juli 1505 machte allerdings alle väterlichen Pläne zunichte. Es lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob Luther auf dem Rückweg vom heimischen Mansfeld tatsächlich beim Einschlag eines Blitzes spontan den Schwur tat „Hilf du, heilige Anna, ich will ein Mönch werden!“ Historiker vermuten eher einen längeren Prozess, der zu diesem Schritt führte. Sicher ist aber, dass mit dem Eintritt in das Augustinerkloster am 17. Juli 1505 die intensive Auseinandersetzung mit der Frage begann, wie er einen gnädigen Gott bekommen könne. Hier liegen die Wurzeln der Reformation. Aus dem angehenden Juristen wurde ein Mönch, der nicht nur die religiöse Weltordnung aus den Angeln heben sollte.

Den Ort des folgenreichen Entschlusses mit einem Denkmal zu markieren hatte man sich im Vorfeld des 400. Reformationsjubiläums vorgenommen. Am 4. November 1917, Sonntag nach dem Reformationstag, erfolgte die Einweihung des Luther-Gedenksteines östlich der Ortschaft. Der unbehauene Monolith aus schwedischem Granit nennt den Ort „Werdepunkt der Reformation“, auf der Rückseite wird ihm das Prädikat „Geweihte Erde“ verliehen. Über der Einweihungsfeier lag der nationalprotestantische Geist des Ersten Weltkrieges, in dem man Luther als Hoffnungsträger der Deutschen beschwor. Prof. Johannes Biereye, langjähriger Vorsitzender des Geschichtsvereins und Spezialist für die Lutherstätten in Erfurt, rief in seiner Festrede dazu auf, „mit dem Glaubensmut und der Glaubenskraft Luthers weiter zu leben und zu kämpfen in aller Not und Gefahr, die uns in dieser Welt umdräut“.

Nicht nur das Luthergedenken hat sich seither deutlich verändert, sondern auch das Umfeld des Denkmals. Von Stotternheim aus führt der holprige Luthersteinweg, oft eingehüllt in den Staub vorbei donnernder Kieslaster, zu jenem außergewöhnlichen historischen Ort. Dieser mutete über Jahrzehnte äußerst prosaisch an, überragt von der nahen Müllkippe der Stadt Erfurt. In den letzten Jahren hat sich jedoch einiges getan. Das Umfeld des Denkmals wurde aufgewertet und die Deponie präsentiert sich als begrünter Hügel. Bis 2017 wäre es wünschenswert, auch dem Luthersteinweg im Rahmen des Naherholungsgebietes „Erfurter Seenlandschaft“ ein freundlicheres Gesicht zu verpassen. Dann könnte sich Erfurt guten Gewissens im 500. Jubeljahr des eigentlichen „Werdepunktes der Reformation“ rühmen und Touristen in Scharen dorthin schleusen.