Luther Ehrung Erfurt 1983: Unterschied zwischen den Versionen

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Die DDR hat in den vier Jahrzehnten ihres Bestehens hinsichtlich der selbstdefinierten historischen Traditionen deutliche Wandlungen durchgemacht. Waren es anfangs nur die fortschrittlich-revolutionären und humanistischen Stränge der deutschen Geschichte und Kultur, die in der DDR-Gründung 1949 angeblich ihre Erfüllung gefunden hätten, weitete sich v.a. seit Ende der 70er Jahre das Spektrum deutlich aus. So rückten jetzt beispielsweise auch die progressiven Elemente Preußens in den Traditionsbestand auf, während man sich der gesamten Geschichte als nationales Erbe differenziert zuwenden wollte. Hierdurch wurden selbst Persönlichkeiten wie Friedrich der Große, '''[[Bismarck]]''' und Kaiser Wilhelm II. zu Untersuchungsgegenständen. Böse Zugen stellten Vermutungen an, wie weit der Prozess der Traditionsbildung und Erbeaneignung nach "rechts" hin noch fortgeführt werden würde.
Die DDR hat in den vier Jahrzehnten ihres Bestehens hinsichtlich der selbstdefinierten historischen Traditionen deutliche Wandlungen durchgemacht. Waren es anfangs nur die fortschrittlich-revolutionären und humanistischen Stränge der deutschen Geschichte und Kultur, die in der DDR-Gründung 1949 angeblich ihre Erfüllung gefunden hätten, weitete sich v.a. seit Ende der 70er Jahre das Spektrum deutlich aus. So rückten jetzt beispielsweise auch die progressiven Elemente Preußens in den Traditionsbestand auf, während man sich der gesamten Geschichte als nationales Erbe differenziert zuwenden wollte. Hierdurch wurden selbst Persönlichkeiten wie Friedrich der Große, '''[[Bismarck]]''' und Kaiser Wilhelm II. zu Untersuchungsgegenständen. Böse Zugen stellten Vermutungen an, wie weit der Prozess der Traditionsbildung und Erbeaneignung nach "rechts" hin noch fortgeführt werden würde.



Version vom 12. März 2010, 14:40 Uhr

Die Erfurter Martin-Luther-Ehrung 1983

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Die DDR hat in den vier Jahrzehnten ihres Bestehens hinsichtlich der selbstdefinierten historischen Traditionen deutliche Wandlungen durchgemacht. Waren es anfangs nur die fortschrittlich-revolutionären und humanistischen Stränge der deutschen Geschichte und Kultur, die in der DDR-Gründung 1949 angeblich ihre Erfüllung gefunden hätten, weitete sich v.a. seit Ende der 70er Jahre das Spektrum deutlich aus. So rückten jetzt beispielsweise auch die progressiven Elemente Preußens in den Traditionsbestand auf, während man sich der gesamten Geschichte als nationales Erbe differenziert zuwenden wollte. Hierdurch wurden selbst Persönlichkeiten wie Friedrich der Große, Bismarck und Kaiser Wilhelm II. zu Untersuchungsgegenständen. Böse Zugen stellten Vermutungen an, wie weit der Prozess der Traditionsbildung und Erbeaneignung nach "rechts" hin noch fortgeführt werden würde.

In diesen Zusammenhang gehört, neben der Preußen-Renaissance sicher der bemerkenswerteste Vorgang, auch die schrittweise Umwertung und schließliche Vereinnahmung des Reformators Martin Luther als "einem der größten Söhne des deutschen Volkes" (Erich Honecker) durch den SED-Staat. Das tiefschwarze Bild des "Bauernverräters" und "Fürstenknechtes" aus den 50er und 60er Jahren war schrittweise aufgehellt worden, erstmals klar erkennbar anlässlich der "Nationalen Jubiläen" 1967 (900 Jahre Wartburg, 450 Jahre Reformation, 150 Jahre Wartburgfest). Diese Tendenz erreichte mit der "Martin Luther Ehrung 1983 der Deutschen Demokratischen Republik" ihren Höhepunkt. 1980 hatte man hierzu eigens ein Vorbereitungskomitee unter Führung des Generalsekretärs des ZK der SED und Vorsitzenden des Staatsrates Erich Honecker gebildet und per offiziöser "Thesen" (1981) das neue Lutherbild verbindlich unters Volk gebracht. Spielten hierbei das außenpolitische Prestigestreben der SED-Führung, der von der Erweiterung der Traditionsbasis erhoffte Legitimitätsgewinn in der eigenen Bevölkerung und die demonstrative Annäherung an die evangelische Kirche seit 1978 die Hauptrolle, so soll das Bemühen von Wissenschaftlern und Künstlern um ein ausgewogeneres Luther- und Reformationsbild keineswegs in Abrede gestellt werden.

Bei der langfristigen Vorbereitung der Lutherehrung kam der Lutherstadt Erfurt neben Wittenberg, der Wartburg und Eisleben höchste Priorität zu. Luther hatte an der Erfurter Universität studiert (1501-05), war hier zum Mönch (1505) und Priester (1507) geworden; wesentliche Grundlagen seines späteren reformatorischen Wirkens hatte er sich vor seinem endgültigen Wegzug nach Wittenberg 1508/11 in den Mauern des Erfurter Augustinerklosters erarbeitet. Die Stadt war damit auch ein (zumal in der westlich-evangelischen Welt) zugkräftiger Tourismusstandort, den es breit einzubinden galt.

Einen wesentlichen Bestandteil der Vorarbeiten zum Luthergedenken stellten daher die Sanierung und Rekonstruktion der Erinnerungsstätten dar. Dies war zunächst einmal das (vermutliche) "Studentenwohnheim" Luthers, die Georgenburse in der Augustinerstraße, in der zwei Wohnungen und eine Künstlerwerkstatt Platz fanden. Weiterhin sollte die Rekonstruktion des Portals in der Michaelisstraße (siehe Abb.) den Auftakt zur mittelfristig geplanten Wiedererrichtung des gesamten Collegium maius der Alten Universität darstellen - hierzu bedurfte es freilich der politischen Wende 1989/90, obgleich dieses wohl bemerkenswerteste Profangebäude des ausgehenden Mittelalters noch immer seiner endgültigen Fertigstellung und Nutzung harrt. Ebenfalls im Lutherjahr konnte das Angermuseum den Chorraum der ehemaligen Barfüßerkirche als Ausstellungsort für mittelalterliche Kunst in Besitz nehmen.

Das gewichtigste Bauvorhaben machte aber fraglos die Sanierung des Augustinerklosters durch die evangelische Kirche aus; der Lutherische Weltbund steuerte den Löwenanteil der insgesamt rund 2,5 Millionen Dollar Bausumme bei. Die neue, entgegenkommende SED-Kirchenpolitik spielte im Vorfeld der Arbeiten eine entscheidende Rolle, denn 1978 war nach jahrelangen Querelen von "zentraler Stelle" der hierfür notwendige Verkauf eines Teiles des "volkseigenen" Klostergeländes an die Kirche verfügt worden. Auf das Jahr 1983 lässt sich so auch die bis heute kontinuierlich weiterverfolgte Entwicklung dieser herausragenden Lutherstätte zum modernen Tagungs-, Kultur- und Forschungszentrum in historischem Gewandt zurückdatieren.

Zugleich erlebte Erfurt im Lutherjahr 1983 eine Reihe teils hochkarätiger Veranstaltungen. Genannt seien die Exposition "Erfurt-Luther-Dialoge" in der GAF (Kunsthalle Erfurt), Ausstellungen im Stadtmuseum sowie wissenschaftliche Tagungen. Hinzu kamen als Ausdruck der autonomen kirchlichen Lutherehrung die zentrale Ausstellung "Martin Luther Leben und Werk" im Predigerkloster, der "Sechste Internationale Kongress für Lutherforschung" im Augustinerkloster und einer der großen regionalen Kirchentage.

Das Jahr 1983 mit seinen in Presse und Fernsehen aufgegriffenen Wiedereinweihungen, Ausstellungen und Veranstaltungen schärfte so ungeachtet der eher fraglichen innenpolitischen Rückenstärkung für die SED-Machthaber wieder das Profil der alten Lutherstadt Erfurt, verschaffte ihr weltweite Beachtung und Anerkennung - eine Basis, auf der man nach 1989 erfolgreich aufbauen konnte.


Text: Steffen Raßloff: "Einer der größten Söhne des deutschen Volkes". Martin-Luther-Ehrung 1983. In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 21 (2003). S. 26.

Literatur

Steffen Raßloff: Luther im Fadenkreuz der SED-Politik. Der Erinnerungsort Erfurt und das Lutherjahr 1983. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 65 (2004). S. 97-123.