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Die Geschichte der Erfurter Museen mit ihren Anfängen im späten 19. Jahrhundert gewährt typische Einblicke in die gesellschaftlich-politischen Bedingtheiten der Bereiche Kunst und Kultur in unserer jüngeren Vergangenheit. Zunächst Domäne einer bürgerlichen Oberschicht des Kaiserreiches, wurde das Museum durch seine Öffnung für moderne Kunst zum Streitobjekt der 1920er Jahre, geriet in die Mühlen der beiden deutschen Diktaturen um heute in seiner im Laufe der Jahrzehnte entstandenen Ausdifferenzierung eine wichtige Facette im Kulturleben der Landeshauptstadt zu bilden.
Die Geschichte der Erfurter Museen mit ihren Anfängen im späten 19. Jahrhundert gewährt typische Einblicke in die gesellschaftlich-politischen Bedingtheiten der Bereiche Kunst und Kultur in unserer jüngeren Vergangenheit. Zunächst Domäne einer bürgerlichen Oberschicht des Kaiserreiches, wurde das Museum durch seine Öffnung für moderne Kunst zum Streitobjekt der 1920er Jahre, geriet in die Mühlen der beiden deutschen Diktaturen um heute in seiner im Laufe der Jahrzehnte entstandenen Ausdifferenzierung eine wichtige Facette im Kulturleben der Landeshauptstadt zu bilden.



Version vom 11. November 2009, 11:34 Uhr

Geschichte der Erfurter Museen

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Die Geschichte der Erfurter Museen mit ihren Anfängen im späten 19. Jahrhundert gewährt typische Einblicke in die gesellschaftlich-politischen Bedingtheiten der Bereiche Kunst und Kultur in unserer jüngeren Vergangenheit. Zunächst Domäne einer bürgerlichen Oberschicht des Kaiserreiches, wurde das Museum durch seine Öffnung für moderne Kunst zum Streitobjekt der 1920er Jahre, geriet in die Mühlen der beiden deutschen Diktaturen um heute in seiner im Laufe der Jahrzehnte entstandenen Ausdifferenzierung eine wichtige Facette im Kulturleben der Landeshauptstadt zu bilden.

Die Gründung des "Städtischen Museums" erfolgte 1886 auf Initiative des Malers Eduard von Hagen; den Grundstock stellte hierbei die Nachlass-Schenkung des in Erfurt gebürtigen romantischen Landschaftsmalers Friedrich Nerly. Von Hagen hatte diese Schenkung 1883 vermittelt und damit die anfangs widerstrebenden Stadtväter zu einer kleinen Ausstellung im ehemaligen kurmainzischen Waage- und Packhof (dem späteren Angermuseum, siehe Abb. um 1920) bewegt. In der Folgezeit wurde die im ersten Obergeschoss angesiedelte Galerie mit Schwerpunkt auf Landschaftsmalerei, Porträt und Stilleben des 18. bis 20. Jahrhunderts (J. S. Beck, Joseph Anton Koch, Caspar David Friedrich, Paul Baum, Christian Rohlfs u.v.a.) gezielt ausgebaut. Parallel hierzu sammelten u.a. der Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt (1863) stadtgeschichtliche und der "Thüringerwald-Verein" (1881) natur- und volkskundliche Gegenstände. Sie flossen zusammen mit Relikten des für den neogotischen Neubau (1870/75) abgerissenen alten Rathauses (Setzschilde, Waffen, Bilder), mit der Waisenhaus-Sammlung (seit 1734), der Südsee-Sammlung des Konsuls Dr. Wilhelm Knappe, prähistorischen Zeugnissen (Schenkung Dr. Axmann) u.a.m. in die 1890 eröffnete historische Ausstellung im Großen Hospital am heutigen Juri-Gagarin-Ring ein, dem zweiten Kern der Erfurter Museenlandschaft.

Nachdem Oberbürgermeister Dr. Hermann Schmidt (1895-1919) die organisatorischen und finanziellen Grundlagen einer planvollen Entwicklung gelegt hatte, verlieh Stadtarchivar Dr. Alfred Overmann der Einrichtung als Leiter im Nebenamt (1901-1911) erstmals ein festeres Profil als regional orientiertes Kunst- und Kunstgewerbemuseum, wobei er der mittelalterlichen Kunst besondere Priorität einräumte. 1912 entschloss man sich, einen hauptamtlichen Direktor einzustellen, wobei die Wahl auf den Kunsthistoriker (und späteren Reichskunstwart der Weimarer Republik) Dr. Edwin Redslob (1912-1919) fiel. Er belebte das Museum mit seinem kulturellen Umfeld spürbar und rückte v.a. das seit 1902 verfolgte Projekt eines alle Sammlungen vereinenden Neubaus auf dem heutigen Stadtparkgelände in greifbare Nähe (1913 Entwurf des Architekten Henry van de Velde).

Hauptträger dieses Aufschwungs war eine Honoratiorenschicht aus Besitz- und Bildungsbürgern, welche das kulturelle, wirtschaftliche und politische Geschehen der Stadt beherrschte. Es waren ihre Schenkungen, Stiftungen (die größten Beträge kamen von den Familien Lucius und Stürcke) und nicht zuletzt auch ihr ehrenamtliches Wirken, z.B. in der Museumskommission (1899) oder der Vereinigung der Museumsfreunde (1914), die die Einrichtung voranbrachten. Zugleich bestimmte das bürgerliche Establishment durch seine unangefochtene Stellung in Magistrat und Stadtverordnetenversammlung, welche es u.a. dem Dreiklassenwahlrecht verdankte, sowie in den Vereinen die Grundlinien der lokalen Kulturpolitik. Dementsprechend spiegelte das Museum, ungeachtet der aufgeschlossenen Haltung Redslobs - er hatte sogar den Ankauf zweier Werke von "Brücke"-Malern durchgesetzt -, weitgehend den im Bürgertum der Kaiserzeit vorherrschenden konservativen, historistisch-repräsentaiven Kunstgeschmack wider.

Als nach Errichtung der Weimarer Republik 1918 expressionistische Kunst ausgestellt wurde, geriet das Museum schlagartig zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Die teilweise Radikalität jenes "Kulturkampfes" - in der "Mitteldeutschen Zeitung" sah man Ende 1919 das Museum zur "Hochburg semitisch-moskowitischer Unkultur und Kunstverneinung" abgleiten - beruhte nicht zuletzt auf dem Umstand, dass es sich mittlerweile um eine der wichtigsten Kultureinrichtungen handelte, um "die einzige von der Stadtverwaltung geschaffene und erhaltene Institution, die eine würdige Repräsentation nach außen hin bedeutet", wie Redslobs Nachfolger Dr. Walter Kaesbach (1920-1924) in einer Denkschrift 1920 formulierte. Ein in Konfrontation mit der Arbeiterschaft polarisiertes und sich in seiner kulturellen Hegemonie gefährdet fühlendes Bürgertum sah sich hierbei im Kampf gegen die "linke", "entartete" Kunst in Übereinstimmung mit der äußersten Rechten, mit Männern wie Oberstleutnant a.D. Walter Corsep, Antisemit Adolf Schmalix sowie schließlich mit der NSDAP, deren Wahlsiege 1930-1933 nicht unwesentlich durch derartige kulturell-ideologische Gemeinsamkeiten befördert wurden.

Das modern-vorurteilslose Wirken der Direktoren Redslob, Kaesbach und Dr. Herbert Kunze (1925-1937 sowie 1945-1963), die jedoch in keinster Weise traditionelle Schwerpunkte vernachlässigten, provozierte also neben der Zustimmung durch einen kleinen bürgerlich-liberalen Kreis v.a. breite Skepsis. Gerade der einzigartige mäzenatische Glücksfall jener Zeit, die Unterstützung des Museums durch den jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess, macht dies deutlich. Er ermöglichte den Ankauf zahlreicher Bilder und Skulpturen (Lyonel Feininger, Emil Nolde, Ernst Barlach, Gerhard Marcks, Max Pechstein u.a.) und beherbergte in seiner Villa in der heute nach ihm benannten ehemaligen Hohenzollernstraße viele moderne Künstler. Bleibendes Andenken jener fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Kaesbach, der viele Freundschaften in Künstlerkreisen pflegte, und Hess ist der "Heckelraum", der von Erich Heckel geschaffene Wandmalerei-Zyklus "Lebensstufen" im Angermuseum (1922/24). Zugleich offenbart der "Fall Hess", seine Verdammung zum "jüdischen Kulturbolschewisten", aber eben auch die virulenten politischen und völkisch-antisemitischen Züge der Kulturdebatten jener Zeit. So standen sich in den spannungsgeladenen 20er Jahren ein kultureller Aufschwung von nationaler Bedeutung sowie eine breite, politisierte Ablehnung aller modernisierenden Strömungen gegenüber.

Gleichzeitig fielen nach dem Scheitern des Neubauprojektes durch den I. Weltkrieg Entscheidungen, die z.T. bis heute für die Museumsstrukturen der Stadt prägend geblieben sind. Das Angermuseum als Hauptgebäude wurde 1922 mit der Wiederherstellung der (bis dahin von preußischen Behörden genutzten und in kleinere Räume zerteilten) großen Erdgeschoss-Halle, dem einstigen Stapel- und Zollraum, als idealem Rahmen für die mittelalterliche Kunstsammlung aufgewertet. Im gleichen Jahr erfolgte die Gründung des Naturkundemuseums im seit 1907 museal genutzten Renaissancebürgerhaus "Zum Stockfisch".

Das Dritte Reich brachte zunächst keine einschneidenden Veränderungen, selbst Herbert Kunze behielt vorerst seine Position. Noch unter seiner Ägide erfolgte 1935 der Auszug der ehemaligen Universitätsbibliothek aus dem zweiten Geschoss des Angermuseums, in dem seither Kunstgewerbe gezeigt wird. Die Aktion "Entartete Kunst" von 1937 freilich, einer der Höhepunkte nationalsozialistischer Kulturbarbarei, beraubte die Stadt um ihre Sammlung moderner Kunst, die heute einen unschätzbaren Wert darstellen würde. Und schließlich kamen auch die Museen in der Schlußphase des II. Weltkrieges nicht ungeschoren davon, erhielt v.a. das Angermuseum schwere Bombentreffer.

Nach 1945 schlug sich die für die SBZ bzw. DDR kennzeichnende Einbeziehung der kulturellen Sphäre in den schrittweisen politisch-gesellschaftlichen Transformationsprozess deutlich nieder. Zugleich erfuhr die Erfurter Museumslandschaft aber auch eine kontinuierliche Weiterentwicklung. So wurde das Hospital zum "Museum für Thüringer Volkskunde" ausgebaut (1955), ein Gartenbaumuseum in der Cyriaksburg auf der iga eingerichtet (1961), das Schlossmuseum Molsdorf eröffnet (1966), erhielt das Angermuseum den rekonstruierten Chorraum der Barfüßerkirche als Außenstelle (1983). Daneben kam es zu partiellen Schwerpunktverlagerungen, etwa auf realsozialistische DDR-Kunst (Fritz Cremer, Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer u.a.) im Angermuseum. 1968 fasste man alle Einrichtungen unter dem Dach der zentral geleiteten "Museen der Stadt Erfurt" (Direktoren 1968-77 Karl Römpler, 1977-1990 Dr. Rüdiger Helmbold) zusammen.

Was zunächst noch fehlte, war ein rein historisches Museum. 1969 fiel die Entscheidung zugunsten eines Museums für Stadtgeschichte, das nach langwierigem Umbau des "Hauses zum Stockfisch" pünktlich zu den 15. Arbeiterfestspielen sowie zu Ehren des 25. Republikgeburtstages im Mai 1974 eröffnet wurde. Die bis 1976 komplettierte Exposition - sie umfasste freilich nur die Zeit von 1500 bis zur Gegenwart - mag beispielhaft für die Bevormundung des kulturell-wissenschaftlichen Bereiches stehen. Der von Prof. Dr. Willibald Gutsche, Mitglied der Akademie der Wissenschaften der DDR und langjähriger Nestor der Lokalhistoriographie, geleitete Aufbau der Dauerausstellung unterlag zahlreichen Beeinflussungen diverser Instanzen, so dass das Ergebnis, unbeschadet seiner durchaus anschaulichen Konzeption, weitgehend dem verbindlichen Geschichtsbild entsprach. Noch plakativer war die Ausrichtung auf die Partei-Ideologie in der bereits 1964 eröffneten "Gedenkstätte Erfurter Parteitag 1891" im Kaisersaal, die man auch für offiziöse feierliche Anlässe, etwa im Rahmen der DDR-Massenorganisationen, nutzte.

Nach der Wende von 1989/90 wurden die Einseitigkeiten und politisch-ideologischen Verzerrungen in den Museen beseitigt sowie die äußeren Rahmenbedingungen erheblich verbessert; zugleich erhielten die einzelnen Einrichtungen 1991 ihre Eigenständigkeit zurück. Das Museum für Stadtgeschichte, nunmehr "Stadtmuseum - Haus zum Stockfisch", konnte nach komplexer Sanierung unter dem Direktor Hardy Eidam (seit 1992) zwischen 1994 und 2001 abschnittsweise die neu konzipierte Ausstellung zur gesamten Stadtgeschichte einschließlich der Prähistorie eröffnen, bekam mit dem Museum Neue Mühle (1992) sowie dem Druckereimuseum im Benaryspeicher (2001) interessante Außenobjekte hinzu und sorgte mit einer Reihe von bemerkenswerten Sonderausstellungen für Furore.

Das Naturkundemuseum erhielt 1995, 27 Jahre nach seiner "Vertreibung" aus der Johannes- bzw. damaligen Leninstraße, im aufwendig rekonstruierten Gebäudekomplex in der Großen Arche eine neue Heimstatt. Weniger spektakulär verlief die Entwicklung von Anger- und Volkskundemuseum - ersteres unter mehrfach wechselnden Direktoren, letzteres seit 1993 unter der Leitung von Dr. Marina Moritz -, die sich jedoch im Rahmen ihrer traditionellen Ausrichtung innovativ weiterentwickeln konnten. Den vorläufigen Schlusspunkt bildete die Wiedereröffnung des Gartenbaumuseums im Jahre 2000, das in der grundhaft sanierten Cyriaksburg eine ebenfalls gänzlich neue Ausstellung präsentiert.

Es bietet sich mithin das Bild einer vielseitigen städtischen Museumslandschaft mit ansprechenden Sammlungen in repräsentativer historischer Bausubstanz. Dieser Umstand ist um so höher zu veranschlagen, als angesichts der zunehmend prekären Finanzsituation die großen Neukonzeptions-, Bau- und Sanierungsprojekte der 90er Jahre heute kaum mehr umzusetzen wären. Vielmehr wird wohl zukünftig in erster Linie um den Erhalt des erreichten Niveaus und der in den vergangenen 120 Jahren gewachsenen Strukturen gerungen werden müssen.


Text: Steffen Raßloff: Die Erfurter Museen. Kulturgeschichte im Spannungsfeld von Gesellschaft und Politik. In: Stadt und Geschichte. Zeitschrift für Erfurt 18 (2003). S. 24 f.