Erfurter Unionsparlament 1850: Unterschied zwischen den Versionen

Aus erfurt-web.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 6: Zeile 6:
[[Datei:AugustinerklosterA.jpg|360px|right]]Das Erfurter Unionsparlament vom 20. März bis 29. April 1850 sollte nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die konstitutionell-monarchische Verfassung für einen deutschen Nationalstaat "von oben" unter Führung Preußens und ohne Österreich ausarbeiten. Gemäßigte Liberale und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Fürsten von Klein- und Mittelstaaten hatten sich seit Frühjahr 1849 auf diesen "kleindeutschen" Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort richtete man das Augustinerkloster (Foto: Alexander Raßloff) her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte. Die Versammlungen fanden in der Augustinerkirche statt. Die "erbkaiserlichen" Liberalen hatten sich zuvor in Gotha versammelt und firmierten auch als "Gothaer".
[[Datei:AugustinerklosterA.jpg|360px|right]]Das Erfurter Unionsparlament vom 20. März bis 29. April 1850 sollte nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die konstitutionell-monarchische Verfassung für einen deutschen Nationalstaat "von oben" unter Führung Preußens und ohne Österreich ausarbeiten. Gemäßigte Liberale und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Fürsten von Klein- und Mittelstaaten hatten sich seit Frühjahr 1849 auf diesen "kleindeutschen" Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort richtete man das Augustinerkloster (Foto: Alexander Raßloff) her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte. Die Versammlungen fanden in der Augustinerkirche statt. Die "erbkaiserlichen" Liberalen hatten sich zuvor in Gotha versammelt und firmierten auch als "Gothaer".


Ein „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt“, getragen von angesehenen bürgerlichen Honoratioren um den Kaufmann, Stadtrat und Historiker Karl Herrmann, hatte zuvor landesweit in Parlaments- und Regierungskreisen für die alte thüringische Metropole im Herzen Deutschlands geworben. Einige Monate herrschte eine regelrechte Hauptstadt-Euphorie. Die seit 1802/15 dem Königreich Preußen angehörende Stadt mit ihren 33.000 Einwohnern schien, wie später noch einmal bei der Bewerbung um die Nationalversammlung 1919, auf dem Weg zum politischen Zentrum Deutschlands. Die Erfurter Union, wesentlich vorangetrieben vom in Erfurt ansässigen preußischen Spitzendiplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch rasch in der Olmützer Punktation vom 29. November 1850 ("Schmach von Olmütz") am Widerspruch Österreichs und Russlands gegen eine kleindeutsche Nationalstaatsgründung unter preußischer Führung. Diese sollte aber zwei Jahrzehnte später unter Regie Otto von Bismarcks, der als junger Abgeordneter der Konservativen am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, dennoch in Form der Reichsgründung von 1871 zustande kommen.  
Ein „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt“, getragen von bürgerlichen Honoratioren um den Stadtrat und Historiker Karl Herrmann, hatte zuvor landesweit in Parlaments- und Regierungskreisen für die alte thüringische Metropole im Herzen Deutschlands geworben. Einige Monate herrschte eine regelrechte Hauptstadt-Euphorie. Die seit 1802/15 dem Königreich Preußen angehörende Stadt mit ihren 33.000 Einwohnern schien, wie später noch einmal bei der Bewerbung um die Nationalversammlung 1919, auf dem Weg zum politischen Zentrum Deutschlands. Die Erfurter Union, wesentlich vorangetrieben vom in Erfurt ansässigen preußischen Spitzendiplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch rasch in der Olmützer Punktation vom 29. November 1850 ("Schmach von Olmütz") am Widerspruch Österreichs und Russlands gegen eine kleindeutsche Nationalstaatsgründung unter preußischer Führung. Diese sollte aber zwei Jahrzehnte später unter Regie Otto von Bismarcks, der als junger Abgeordneter der Konservativen am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, dennoch in Form der Reichsgründung von 1871 zustande kommen.  


Unter den Zeitgenossen hatten die an der Frankfurter Paulskirchenverfassung von 1849 festhaltenden Demokraten die Wahlen zum Unionsparlament unter heftiger Kritik an dem Kompromissversuch boykottiert. Die Konservativen lehnten die Verfassung der "Erfurter Union", eine monarchisch-föderal überarbeitete Variante der Frankfurter Verfassung, als revolutionäre Abkehr von der legitimen gottgegebenen Herrschaftsordnung ab. Für die zwischen alle Stühle geratenen Liberalen bedeutete es eine politische Niederlage. In der historischen Erinnerung trat so das kurzlebige Übergangsprojekt zwischen Revolution und Reaktionsära rasch in den Hintergrund. Das Erfurter Unionsparlament gilt trotz des Scheiterns mit seinen lebendigen Debatten und dem kleindeutschen Verfassungsentwurf als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. In den Auseinandersetzungen vor und während des Parlamentes konstituierten sich jetzt über die Revolution 1848/49 hinaus die Demokraten, Liberalen und Konservativen klar als die politischen Hauptströmungen, die wenig später in die Form von Parteien gegossen wurden. Hierauf soll im 175. Jubiläumsjahr 2025 in Erfurt öffentlichkeitswirksam aufmerksam gemacht werden.  
Unter den Zeitgenossen hatten die an der Frankfurter Paulskirchenverfassung von 1849 festhaltenden Demokraten die Wahlen zum Unionsparlament unter heftiger Kritik an dem Kompromissversuch boykottiert. Die Konservativen lehnten die Verfassung der "Erfurter Union", eine monarchisch-föderal überarbeitete Variante der Frankfurter Verfassung, als revolutionäre Abkehr von der legitimen gottgegebenen Herrschaftsordnung ab. Für die zwischen alle Stühle geratenen Liberalen bedeutete es eine politische Niederlage. In der historischen Erinnerung trat so das kurzlebige Übergangsprojekt zwischen Revolution und Reaktionsära rasch in den Hintergrund. Das Erfurter Unionsparlament gilt jedoch heute mit seinen lebendigen Debatten und dem kleindeutschen Verfassungsentwurf als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. In den Auseinandersetzungen vor und während des Parlamentes konstituierten sich jetzt über die Revolution 1848/49 hinaus die Demokraten, Liberalen und Konservativen als die politischen Hauptströmungen, die wenig später als Parteien verfestigten. Hierauf soll im 175. Jubiläumsjahr 2025 in Erfurt öffentlichkeitswirksam aufmerksam gemacht werden.  


('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')
('''[[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')

Version vom 28. März 2022, 11:24 Uhr

Erfurter Unionsparlament 1850

Das Erfurter Unionsparlament 1850 gilt als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses.


AugustinerklosterA.jpg

Das Erfurter Unionsparlament vom 20. März bis 29. April 1850 sollte nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die konstitutionell-monarchische Verfassung für einen deutschen Nationalstaat "von oben" unter Führung Preußens und ohne Österreich ausarbeiten. Gemäßigte Liberale und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Fürsten von Klein- und Mittelstaaten hatten sich seit Frühjahr 1849 auf diesen "kleindeutschen" Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort richtete man das Augustinerkloster (Foto: Alexander Raßloff) her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte. Die Versammlungen fanden in der Augustinerkirche statt. Die "erbkaiserlichen" Liberalen hatten sich zuvor in Gotha versammelt und firmierten auch als "Gothaer".

Ein „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt“, getragen von bürgerlichen Honoratioren um den Stadtrat und Historiker Karl Herrmann, hatte zuvor landesweit in Parlaments- und Regierungskreisen für die alte thüringische Metropole im Herzen Deutschlands geworben. Einige Monate herrschte eine regelrechte Hauptstadt-Euphorie. Die seit 1802/15 dem Königreich Preußen angehörende Stadt mit ihren 33.000 Einwohnern schien, wie später noch einmal bei der Bewerbung um die Nationalversammlung 1919, auf dem Weg zum politischen Zentrum Deutschlands. Die Erfurter Union, wesentlich vorangetrieben vom in Erfurt ansässigen preußischen Spitzendiplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch rasch in der Olmützer Punktation vom 29. November 1850 ("Schmach von Olmütz") am Widerspruch Österreichs und Russlands gegen eine kleindeutsche Nationalstaatsgründung unter preußischer Führung. Diese sollte aber zwei Jahrzehnte später unter Regie Otto von Bismarcks, der als junger Abgeordneter der Konservativen am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, dennoch in Form der Reichsgründung von 1871 zustande kommen.

Unter den Zeitgenossen hatten die an der Frankfurter Paulskirchenverfassung von 1849 festhaltenden Demokraten die Wahlen zum Unionsparlament unter heftiger Kritik an dem Kompromissversuch boykottiert. Die Konservativen lehnten die Verfassung der "Erfurter Union", eine monarchisch-föderal überarbeitete Variante der Frankfurter Verfassung, als revolutionäre Abkehr von der legitimen gottgegebenen Herrschaftsordnung ab. Für die zwischen alle Stühle geratenen Liberalen bedeutete es eine politische Niederlage. In der historischen Erinnerung trat so das kurzlebige Übergangsprojekt zwischen Revolution und Reaktionsära rasch in den Hintergrund. Das Erfurter Unionsparlament gilt jedoch heute mit seinen lebendigen Debatten und dem kleindeutschen Verfassungsentwurf als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. In den Auseinandersetzungen vor und während des Parlamentes konstituierten sich jetzt über die Revolution 1848/49 hinaus die Demokraten, Liberalen und Konservativen als die politischen Hauptströmungen, die wenig später als Parteien verfestigten. Hierauf soll im 175. Jubiläumsjahr 2025 in Erfurt öffentlichkeitswirksam aufmerksam gemacht werden.

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Gunther Mai (Hg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850. Köln/Weimar/Wien 2000.

150 Jahre Erfurter Unionsparlament (1850–2000). Hg. vom Thüringer Landtag. Weimar 2000.

Jochen Lengemann: Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850. Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen. München/Jena 2000.

Steffen Raßloff: Bismarck und Erfurt. Vom konservativen Unionsparlamentarier zur nationalen Symbolfigur. In: Werner Greiling/Hans-Werner Hahn: Bismarck in Thüringen. Politik und Erinnerungskultur in kleinstaatlicher Perspektive. Weimar/Jena 2003. S. 115-133.

Steffen Raßloff: Bismarcks diplomatische Sporen. Das Erfurter Unionsparlament 1850. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 72 f.


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Bismarck und die Union, Augustinerkloster, Revolution 1848, Karl Herrmann, Erfurter Bewerbung Nationalversammlung 1919