Außen Quadrat - Innen Biedermeier

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Außen Quadrat - Innen Biedermeier: Erfurt 1918-1933

Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2009)

Begleitend zur Ausstellung im Stadtmuseum Erfurt Außen Quadrat - Innen Biedermeier (2009/10)


Mann der Moderne

Außen Quadrat - Innen Biedermeier: Edwin Redslob führte das Stadtmuseum zur Moderne

Edwin Redslob war eine der schillernden Figuren des kulturellen Aufbruchs der “Goldenen Zwanziger”, bei dem Erfurt eine wichtige Rolle spielte. Dies ist momentan in der Sonderausstellung des Stadtmuseums “Außen Quadrat - Innen Biedermeier” zu sehen. Eine TA-Serie wird an Hand interessanter Exponate Schlaglichter auf Kultur und Geschichte der Weimarer Republik werfen.

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Vor einigen Wochen präsentierte der Erfurter Kunstverein im Angermuseum die Biographie des Reichskunstwarts der Weimarer Republik und Gründers der Freien Universität Berlin, Edwin Redslob. Der Ort war gut gewählt, hatte doch Redslob als erster hauptamtlicher Direktor des Städtischen Museums von 1912 bis 1919 in Erfurt Pionierarbeit geleistet und die Entwicklung des späteren Angermuseums zu einem Brennpunkt der Moderne in den “Goldenen Zwanzigern” angebahnt.

Die aktuelle Sonderausstellung im Stadtmuseum verfolgt jenen Prozess, der von Redslob angestoßen und von seinen Nachfolgern Walter Kaesbach und Herbert Kunze fortgesetzt wurde. Das Angermuseum konnte dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine der bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus in Deutschland aufbauen. Obwohl die NS-Diktatur 1937 die Sammlung weitgehend zerstört hat, erinnern der Heckelraum und einige Kunstwerke noch heute an diesen kulturellen Höhenflug. Hierzu gehört auch das in der Ausstellung des Stadtmuseums zu sehende Portrait Redslobs vom renommierten Maler Heinrich Nauen aus dem Jahre 1919. All dies klingt auch in der neuen Biographie von Christian Welzbacher an. Er spricht von den Verdiensten Redslobs, der die verstreuten Sammlungen der Stadt überhaupt erst zu einem Museums gemacht habe. Er spricht von den engen Verbindungen zur modernen Kunstszene der Stadt und seinen geschickten Versuchen, die Moderne salonfähig zu machen. Bei aller Freude über diese längst fällige Würdigung einer historischen Persönlichkeit wie Redslob, die eng mit der Erfurter Kulturgeschichte verbunden ist, sollte man aber doch auch vor den Defiziten des Buches warnen. Offenbar hat es der Autor bei seinen Recherchen vor Ort nicht immer ganz so genau genommen. So lässt er 1808 Napoleon “in der Erfurter Statthalterei unterkommen, dem barocken Gebäude des späteren Angermuseums”. Die Verlegung des legendären Napoelon-Goethe-Treffens aus der heutigen Staatskanzlei am Hirschgarten in Redslobs spätere Wirkungsstätte am Anger wertet das Museum zwar auf, wurzelt aber natürlich in der Verwechslung beider Gebäude. Mancher Leser mag dies vielleicht auch als Symptom für die geschwundene Bekanntheit des Angermuseums deuten, das trotz beendeter Sanierung im Bauhausjahr 2009 noch nicht zum Sprung zurück ins Rampenlicht der Öffentlichkeit angesetzt hat. So ist denn auch der berühmte Heckelraum mit seinen expressionistischen Wandbildern momentan nur als Reproduktion im Stadtmuseum zu bewundern.

(TA vom 29.08.2009)


Symbol einer Metropole

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (1): Das Stadion entstand 1931 als Symbol der mitteldeutschen Metropole Erfurt

Die Erneuerung des Erfurter Steigerwaldstadions nimmt Gestalt an. Stadt und Land haben Unterstützung zugesagt. Dabei dürfte auch eine Rolle gespielt haben, dass zu einer Metropole und Landeshauptstadt ein modernes Stadion gehört. Jene Gedankengänge hatten schon die Errichtung vor acht Jahrzehnten begleitet, wie die aktuelle Ausstellung im Stadtmuseum “Außen Quadrat - Innen Biedermeier” belegt. Eine TA-Serie wird an Hand interessanter Exponate Schlaglichter auf Kultur und Geschichte der Weimarer Republik werfen.

Der Name des 1931 im Löberfeld eingeweihten Stadions war Programm: Mitteldeutsche Kampfbahn. In den 1920er Jahren gab es heftige Diskussionen um eine Neuordnung der Länderstruktur. In Thüringen wurde um die Zusammenlegung des preußischen Regierungsbezirkes Erfurt und des Freistaates Thüringen mit der Hauptstadt Weimar zu einem “Großthüringen” gestritten. Aber auch ein größeres Mitteldeutschland, das in etwa das heutige Sachen-Anhalt und Thüringen umfasste, war ernsthaft im Gespräch. Natürlich reklamierte Erfurt in allen Fällen für sich selbstbewusst die zukünftige Hauptstadtrolle. Der Städtebau spielte vor diesem Hintergrund eine wichtige Rolle. Er gehört untrennbar zur Aufbruchstimmung der “Goldenen Zwanziger” in der Großstadt Erfurt. Weitere Großprojekte wie der Nordpark mit Nordbad (1925/29), der Flughafen am Roten Berg (1925) und eine Reihe von öffentlichen Bauten im Bauhausstil prägen ebenso das Stadtbild wie die modernen Wohnungsbaukomplexe etwa im Hanse-Viertel. Keine andere Stadt in Thüringen ist so vom “neuen Bauen” der Weimarer Republik geprägt worden. Insbesondere mit den Plänen rund um das heutige Steigerwaldstadion, das u.a. durch eine moderne Stadthalle ergänzt werden sollte, wollte Erfurt seine Stellung als mitteldeutsche Metropole untermauern. All dies wird in der aktuellen Sonderausstellung des Stadtmuseum u.a. mit den erstmals öffentlich gezeigten Plänen und Modellen für das Stadion plastisch vor Augen geführt. Freilich regten sich auch Gegenkräfte. Das Motto der Ausstellung “Außen Quadrat - Innen Biedermeier” gewinnt in diesem Bereich besonders plastische Anschaulichkeit. So mancher Bewohner fühlte sich in den neuen nüchtern-praktischen Wohnkomplexen der 1920er Jahre unwohl und schmückte sein trautes Heim im herkömmlichen Geschmack mit Plüschsofa und röhrendem Hirsch aus. Generell traf das “neue Bauen” auf den Widerspruch traditioneller Anschauungen. Zugleich verstärkte das abrupte Ende besonders der Pläne rund um das Stadion während der Weltwirtschaftskrise ab Ende 1929 die förmliche Weltuntergangsstimmung, die schließlich der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 mit den Weg ebnete. Die Geschichte der Mitteldeutschen Kampfbahn deutet also darauf hin, dass man schon vor acht Jahrzehnten die weit über den Sport hinaus reichende Bedeutung einer modernen Arena erkannt hatte. Auch heute kann ein grundlegend modernisiertes Steigerwaldstadion der thüringischen Metropole im Wettstreit der großen Städte Mitteldeutschlands wichtige Impulse verleihen. Ein Scheitern dagegen würde Erfurt und Thüringen weiter zurück werfen, da Leipzig, Dresden und Magdeburg bereits über neue Stadien verfügen.

(TA vom 04.09.2009)


Vielfältige Presselandschaft

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (2): In den 1920er Jahre gab es in Erfurt zahlreiche Zeitungen und Zeitschriften

In der Zeit der Weimarer Republik differenzierte sich das Pressespektrum deutlich aus. Die großen Bevölkerungsgruppen und politischen Lager besaßen in Erfurt ihre eigenen Zeitungen und Zeitschriften. Sie ermöglichen heute interessante Einblicke in die beherrschenden Debatten, aber auch in das Alltagsleben der Menschen vor acht Jahrzehnten, wie die aktuelle Ausstellung im Stadtmuseum zeigt.

Die Herausbildung der modernen Industriegesellschaft hatte auch in Erfurt zur Spaltung in zwei große Bevölkerungsgruppen geführt. In zunehmender auch räumlicher Trennung standen sich Arbeiterschaft und Bürgertum gegenüber. Beide Milieus besaßen ihre Wertorientierungen, Organisationen und politischen Parteien. Ein wesentliches Element hierbei waren die Zeitungen. Sie dienten keineswegs nur der Information und Unterhaltung, sondern ihnen kam bei der Meinungsbildung, zumal in der Zeit vor Rundfunk und Fernsehen, zentrale Bedeutung zu. Die Zeitungen selbst verstanden sich als Träger und Verteidiger von Werten und Weltdeutungen, die eine tägliche Orientierung für ihre Leserschaft boten. In der kaiserzeitlichen Großstadt Erfurt gab es ein breites Pressespektrum, je ein beherrschendes Bürger- und Arbeiterblatt sowie einige kleinere Zeitungen. Heraus ragten der bürgerliche Erfurter Allgemeine Anzeiger (seit 1849) und die sozialdemokratische Tribüne (seit 1889). Die Veränderungen durch Ersten Weltkrieg und Novemberrevolution 1918 führten in der Weimarer Republik zu einer weiter wachsenden Konfrontation der großen Bevölkerungsgruppen und Parteienlager. Dies reichte von der politischen Auseinandersetzung bis hin zum blutigen Bürgerkrieg. Damit stieg auch die Bedeutung der Zeitungen, etwa in den zahlreichen heftigen Wahlkämpfen. Zugleich kam es zu einer weiteren Ausdifferenzierung des Pressespektrums. Auflagenstärkste Tageszeitung (56.000) war nach wie vor die Thüringer Allgemeine Zeitung (TAZ), wie sich der Anzeiger seit 1919 nannte. Politisch wurde die TAZ der Mitte, d.h. den liberalen Parteien zugeordnet. Seit 1919 besaß das bürgerliche Milieu mit der Mitteldeutschen Zeitung (MZ) eine weitere Tageszeitung, die es auf eine Auflage von 32.000 brachte. Sie wurde von politisch weiter rechts stehenden Lesern bevorzugt. Der SPD nahe stehendes Milieublatt der Arbeiterschaft blieb die Tribüne mit einer Auflage von 16.000. Aber auch in der Arbeiterschaft hatte sich eine weitere, politisch radikaler orientierte Zeitung etablieren können, das Thüringer Volksblatt der KPD (Auflage 10.000). Zu den Tageszeitungen kamen noch einige Wochen- und Monatsschriften. Als das berüchtigteste Periodikum sei das Echo Germania erwähnt (Auflage 2800). Das vom Rechtsextremisten Adolf Schmalix herausgegebene Blatt bot schlüpfrigen Skandaljournalismus und schürte die antisemitischen Vorbehalte v.a. im bürgerlichen Mittelstand. Dies brachte der Großdeutschen Volkspartei von Schmalix bei der Kommunalwahl 1929 den Sieg – ein reichsweit für Schlagzeilen sorgender Vorgang. In einer Leseecke in der Ausstellung des Stadtmuseums können die Reaktionen aller Zeitungen auf die “Erfurter Skandal-Wahl” nachvollzogen werden. Zugleich lässt sich dort mit Alltagsberichten, Sport, Anzeigen, Kinoprogrammen u.v.a. in die Welt der 1920er Jahre abtauchen.

(TA vom 12.09.2009)


Ein Mittelpunkt im deutschen Luftverkehr

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (3): Der Flughafen läutete 1925 ein neues Verkehrszeitalter ein

Die Einweihung des Flughafens am Roten Berg 1925 stellt einen Meilenstein in der Erfurter Verkehrsgeschichte dar. Sofort konnte sich die Stadt als wichtiger Knotenpunkt des noch jungen Verkehrsmittles etablieren. Ein Flugplan aus dem Jahre 1927 in der Sonderausstellung des Stadtmuseums wirft interessante Schlaglichter auf den stolzen “Mittelpunkt im deutschen Luftverkehr”.

Der Flughafen Erfurt in Bindersleben gehört zu den kleineren seiner Art in Deutschland. Neben Urlaubsfliegern gibt es nur zwei direkte Linienverbindungen nach Hamburg und München. Im mitteldeutschen Raum besitzt der Flughafen Leipzig/Halle ganz klar die Lufthoheit. Vor acht Jahrzehnten dagegen präsentierte sich Erfurt noch als ein “Mittelpunkt im deutschen Luftverkehr”. So steht es zu lesen im Flugplan von 1927. Er ermöglicht in der aktuellen Sonderausstellung des Stadtmuseums zur Zeit der Weimarer Republik interessante Einblicke in die Welt des Luftverkehrs. Für damalige Verhältnisse “sicher, bequem und preiswert” konnte man auf elf direkten Linien Ziele in Mitteleuropa von Amsterdam bis Berlin, von Hannover bis Genf anfliegen. Freilich dauerte ein Ausflug in die holländische Hauptstadt noch stolze fünf Stunden und 15 Minuten, nach Berlin waren es zwei Stunden zwanzig Minuten. Die Preise klingen dafür mit 75,00 und 35,00 Mark nach Billigflieger, wobei natürlich die Einkommensverhältnisse vor 80 Jahren beachtet werden müssen. Mit täglich elf Starts und elf Landungen zwischen 8.00 und 17.00 Uhr herrschte im Norden der Stadt reger Luftverkehr. Neben den großen Städten konnte man u.a. auch für 17,00 Mark zur Kur nach Bad Kissingen fliegen. Die Flugzeuge etwa der legendären Marke Junkers starteten aber noch nicht von Bindersleben, sondern vom Roten Berg. Dort, wo sich heute die Rote-Berg-Siedlung zwischen Stotternheimer Straße und Nördlicher Querverbindung erstreckt, befanden sich die Anlagen mit Empfangsgebäude, Hangar und Rollfeld. All dies kann in Text und Bild im Stadtmuseum nachvollzogen werden. Am 10. Mai 1925, und damit zwei Jahre vor Leipzig-Schkeuditz, war mit einer riesigen Menschenmenge Einweihung gefeiert worden. Oberbürgermeister Bruno Mann begrüßte die Piloten und Passagiere der beiden Eindecker-Ganzmetallmaschinen, die mit großem Jubel begrüßt wurden. Die Thüringer Allgemeine Zeitung sprach zu Recht von dem “seit Jahrzehnten wichtigsten Tag” für die Erfurter Verkehrsgeschichte. 1927 war die Anlage komplett fertig gestellt und technisch auf dem neuesten Stand. Im Dritten Reich erhielt sie 1936 nach dem gewichtigen Reichsmarschall und einstigen Kampfflieger den Namen Hermann Göring Flughafen Erfurt. Während des Zweiten Weltkrieges entstanden im Umfeld große Hangars und ein Reparaturwerk für Militärflugzeuge. Diese Anlagen wurden mehrfach durch Luftangriffe stark zerstört. Nach dem Krieg verlagerte sich schließlich die zivile Luftfahrt vom Roten Berg an den heutigen Standort nach Bindersleben, wo im Dritten Reich ein wichtiger Militärflughafen entstanden war.

(TA vom 19.09.2009)


“Kommune” gegen “Nazis”

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (4): Zwischen Links und Rechts herrschte in den Zwanzigern blutiger Bürgerkrieg

Die 1920er Jahre waren eine Zeit der extremen Widersprüche. Dem Bild der “Goldenen Zwanziger” mit ihrem kulturellen Aufbruch stehen soziales Elend, Extremismus und Bürgerkrieg gegenüber. Die Radikalisierung der politischen Kultur äußerte sich besonders in den uniformierten Bürgerkriegsarmeen, auf die in der Sonderausstellung im Stadtmuseum aufmerksam gemacht wird.

Die industrielle Massengesellschaft Deutschlands befand sich am Ende des Ersten Weltkrieges 1914/18 in einer schweren Krise. Soziale Not und gesellschaftliche Spannungen belasteten von Beginn an die Weimarer Republik. Am deutlichsten zeigte sich dies in Großstädten wie Erfurt. Die Bevölkerung war in zwei Milieus gespalten, in Arbeiterschaft und Bürgertum. Der erste große Ausstellungsraum im Stadtmuseum bringt jene gesellschaftliche Polarisierung zum Ausdruck. Die verfeindeten Milieus werden mit ihren wichtigsten Vertretern, gesellschaftlichen Verankerungen, Werthaltungen und Presseorganen dargestellt. Lebensgroße Figurinen zeigen symbolisch die Lebenswelt des Arbeiters und des Bürgers. Deutlichster Ausdruck jener spannungsgeladenen Zeit waren die paramilitärischen Bürgerwehren, deren Uniformen ebenfalls zu sehen sind. Seit der Novemberrevolution 1918 kam es mehrfach zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen, gipfelnd im blutigen Kapp-Putsch 1920. Zwischen Reichswehr, Polizei und Bürgerwehren auf der einen Seite und bewaffneten Arbeitermilizen auf der anderen Seite entspann sich in jenen Märztagen 1920 ein regelrechter Krieg, der in Erfurt acht Menschen das Leben kostete und hunderte teils schwer Verletzte forderte. Für den Kapp-Putsch steht u.a. die Uniform des Freiwilligen-Regimentes Thüringen, in dem sich zahlreiche Bürger engagierten, darunter Prominente wie Gymnasialdirektor Johannes Biereye. In den späteren Zwanzigern prägten die handfesten Auseinandersetzungen zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten den Alltag. Gewalttätige Demonstrationen, Straßenschlachten und Kneipenschlägereien waren der Tagesordnung. Die linksradikale KPD hatte sich im Roten Frontkämpferbund eine schlagkräftige Bürgerkriegstruppe geschaffen, die rechtsradikale NSDAP mit der SA, der Sturmabteilung. Die Uniformen von “Kommune” und “Nazis” stehen sich in der Ausstellung symbolisch gegenüber. Zwischen diesen Extremen wurde die Republik förmlich zerrieben, obwohl sich auch demokratische Parteien wie die SPD mit dem “Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold” eigene Wehrverbände geschaffen hatten. Mit Einbruch der Weltwirtschaftskrise Ende 1929 explodierte die Gewalt förmlich. Die gemäßigten Kräfte beider Lager verloren rapide an Einfluss, die Radikalen erhielten immer mehr Zulauf. Viele Menschen flüchteten sich oft aus purer Not und Orientierungslosigkeit in deren totalitäre Heilsversprechen, denen Kommunisten und Nazis mit ihren Bürgerkriegstruppen spürbaren Nachdruck verliehen. Insbesondere das durch Inflation und Wirtschaftskrise sozial deklassierte Kleinbürgertum unterstützte schließlich die “Machtergreifung” der NSDAP Adolf Hitlers mit ihrer Vision einer nationalen Volksgemeinschaft.

(TA vom 03.10.2009)


Kaufhaus Römischer Kaiser

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (5): Das “KRK” steht für die “Goldenen Zwanziger” in Erfurt

Die großen Kaufhäuser mit ihren modernen Werbeaktionen und preiswertem Warenangebot gehören zum Mythos der “Goldenen Zwanziger”. Zugleich fokussierte sich aber auf jene Einkaufstempel auch der Argwohn des bürgerlichen Mittelstandes, was sich der politische Rechtsextremismus zu Nutze machte, wie die Sonderausstellung im Stadtmuseum zeigt.

Das “Kaufhaus Römischer Kaiser” (KRK), die heutige Anger 1-Galerie, steht als größtes Kaufhaus in Thüringen symbolisch für die “Goldenen Zwanziger” in der pulsierenden Großstadt Erfurt. Mit modernen Werbemethoden wie beeindruckender Leuchtreklame, großzügiger Schaufenstergestaltung, großangelegten Anzeigen- und Plakataktionen und Angebotswochen lockte man die Kunden erfolgreich an. Der an manch ähnlichen Werbefeldzug unserer Tage erinnernde “Triumpf der Billigkeit!” bei hoher Qualität in einem wahren Einkaufstempel traf genau den Nerv der Zeit. Am 23. März 1908 war das KRK, an dessen Stelle sich zuvor ein gleichnamiges Hotel befunden hatte, als eines der größten und modernsten Kaufhäuser in Deutschland eröffnet worden. Die jüdische Unternehmerfamilie Tietz stand hinter dem Vorhaben, das ganz auf die neue Warenhaus-Philosophie ausgerichtet war. Breiten Volksschichten sollte ein preiswertes Warenangebot in einem ansprechenden Umfeld nahe gebracht werden. Der heute wieder hergestellte Lichthof mit seiner Glaskuppel oder die Weltkugel auf dem Dach als Wahrzeichen des gründerzeitlichen Prachtbaues setzten architektonische Akzente. Der Ansatz erwies sich auch bzw. gerade in den Krisenzeiten nach dem Ersten Weltkrieg als richtig. Mit Einsetzen der Erholungsphase der mittleren Zwanziger ging es wieder steil bergauf. 1926 musste sogar ein Erweiterungsbau in Richtung damaliger Krämpferring in Angriff genommen werden. Geheimnis des Erfolges war nicht zuletzt ein gut ausgebildetes Personal, das u.a. in einer eigenen Berufsschule rekrutiert wurde und manchen Vorzug wie Kantine, Bibliothek oder Kindergarten genießen konnte. Freilich wandte man zum Drücken der Preise auch Methoden an, die uns heute ebenfalls nicht fremd sind. So bekamen neue Verkäuferinnen in der Zeit des großen Ansturms nur zeitlich begrenzte Arbeitsverträge, um Krankenkassen- und Urlaubsansprüche zu vermeiden. Die glitzernde Fassade kann aber nicht über die Probleme der Zeit hinwegtäuschen. Das KRK verdeutlicht vielmehr die Zwiespältigkeit der “Goldenen Zwanziger” in der Wahrnehmung der Zeitgenossen. Es wurde besonders vom krisengeschüttelten Mittelstand als elementare Bedrohung angesehen. Der Rechtsextremist Adolf Schmalix nutzte dies zu einer üblen Hetzkampagne gegen den “semitischen Einkaufstempel”, der sich im Besitz der jüdischer Kaufleute Siegfried Pinthus und Arthur Arndtheim befand. In seinem Wochenblatt “Echo Germania” malte er als Folge der Warenhäuser “die restlose Versklavung, Verknechtung, Entwurzelung unseres Volkes” an die Wand. So verband er ebenso wie die NSDAP Adolf Hitlers alltägliche Probleme der Menschen mit antisemitischen Vorbehalten, die das Feindbild vom “schmarotzenden Juden” untermauerten.

(TA vom 10.10.2009)


Tradition gegen Moderne

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (6): Erfurt war ein Zentrum der klassischen Moderne der “Goldenen Zwanziger”

Die Dom-Gemälde von Christian Rohlfs und Walter Corsep symbolisieren die kulturellen Spannungen in den 1920er Jahren, wie sie in den heftigen Diskussionen der “Erfurter Museumsfrage” zur Entladung kamen (siehe Abb., Dirk Urban). Das Stadtmuseum war zu einem Zentrum der klassischen Moderne aufgestiegen, was die Hüter der Tradition auf den Plan rief.

Das Ensemble von Dom und Severikirche ist das wohl beliebteste Bildmotiv unserer Stadt. Es bildet auch in der aktuellen Sonderausstellung des Stadtmuseums einen Dreh- und Angelpunkt zum Verständnis der kulturellen Diskussionen der 1920er Jahre. Zwei Bilder von Künstlern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, laden den Besucher zum unmittelbaren Vergleich ein. Der bekannte Expressionist Christian Rohlfs bildete Dom und Severiekirche ganz im Stile der klassischen Moderne ab, während Heimatmaler Walter Corsep eine traditionelle Ansicht mit romantischer Szenerie des alten Erfurt bietet. So friedlich, wie die beiden Dom-Ansichten nebeneinander stehen, verhielten sich die Kunstrichtungen keineswegs. Vielmehr entspann sich ein heftiger Disput, der Erfurt in die Schlagzeilen brachte. Denn die Stadt entwickelte sich in der Weimarer Republik zu einem nationalen Brennpunkt moderner Kultur. Das Statdmuseum konnte unter den Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine der bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus in Deutschland aufbauen. Obwohl die NS-Diktatur 1937 die Sammlung weitgehend zerstört hat, erinnern der Heckelraum im Angermuseum (1922/24) und einige hochkarätige Kunstwerke noch heute an diesen kulturellen Höhenflug. Allerdings geriet das Museum rasch in die Schusslinien der Politik. Von den gemäßigten Kräften in Bürgertum und Arbeiterschaft unterstützt, lehnte das konservative Bürgertum die moderne Kunst der 1920er Jahre, insbesondere den Expressionismus mit seiner Abkehr von traditionellen Kunstkonventionen entschieden ab. Diese Konfrontation zwischen “Quadrat” und “Biedermeier”, zwischen künstlerischem Aufbruch und Beharrung symbolisiert sich schlaglichtartig in den Gemälden von Rohlfs und Corsep. Darüber hinaus verweist die üble Hetze Corseps gegen die Museumsleitung und den „jüdischen Kulturbolschewisten“ Hess auf das politische Spannungsfeld, in dem sich moderne Kultur in jener Zeit bewegte. Illustriert wird dies durch eine Auswahl antisemitischer Karikaturen desselben Walter Corsep, der den Domplatz so romantisch in Szene gesetzt hat. Auch der Rechtsextremist Adolf Schmalix und die NSDAP verschrieben sich diesem aggressiven “Kulturkampf”. So verhängnisvoll die Entwicklung auch war, sollte man aber versuchen, sich in die Perspektive der Zeitgenossen hinein zu versetzen. Ein unbefangener Vergleich beider Dom-Bilder hat manchen Museumsbesucher eher zu Corsep tendieren lassen. Um so mehr bot diese Ablehnung der Moderne “aus dem Bauch” heraus vor acht Jahrzehnten den Ansatzpunkt für Hetze gegen die “entartete Kunst” der Weimarer Republik.

(TA vom 17.10.2009)


Beliebtes Notgeld

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (7): Das Notgeld der Nachkriegszeit wurde rasch beliebtes Sammlerobjekt

Die Notgeldscheine der frühen 1920er Jahre reagierten ursprünglich auf den Münzmangel der Kriegszeit. Künstlerisch ansprechend gestaltet wurden sie aber rasch zu begehrten Sammlerobjekten. Erfurter Notgeldserien von 1920/21 erregten sogar große Diskussionen, die im Zusammenhang der “Erfurter Museumsfrage” zu sehen sind.

Viele Erfurter haben sie noch in ihrem Familienschatz, die kleinen bunten Notgeldscheine mit Motiven aus der Erfurter Altstadt, zur Kunstgeschichte und zum Leben Luthers. 1920/21 waren sie gedruckt worden, um den Mangel an Münzen auszugleichen. Dieser Mangel hatte verschiedene Ursachen, die in die Zeit des Ersten Weltkrieges 1914/18 zurück gehen. Die größeren Silbermünzen waren wegen ihres hohen Materialwertes und der beginnenden Inflation in den Sparstrümpfen vieler Bürger verschwunden. Kleinere Münzen aus Kupfer, Nickel, Zink und Eisen überstiegen auch bald ihren aufgeprägten Nominalwert und wurden für Kriegszwecke eingezogen. Aus dem Notgeld im Sinne von Mangel an Münzen wurde nach Kriegsende bald ein begehrtes Objekt für Sammler. Das blieb den Kommunen und Notgeldfabrikanten nicht verborgen, so dass sich eine regelrechte Notgeld-Kultur entwickelte. Viele Städte und Gemeinden legten großen Wert auf originelle, anspruchsvolle Motive, für die angesehene Künstler engagiert wurden. Meist präsentierten die Kommunen historische Bau- und Kunstwerke, wichtige Persönlichkeiten, markante Besonderheiten in Natur, Brauchtum oder Sagenwelt. Die beiden Erfurter Notgeldserien von 1920/21, die in der aktuellen Ausstellung des Stadtmuseums zu sehen sind, fielen bereits in die Zeit der Notgeld-Konjuktur, die fast nur noch Sammlerzwecken diente und die gebeutelten Kassen der Kommune aufbessern sollte. Die große Beliebtheit der kleinen Scheine und ihr Repräsentationscharakter für die Stadt erklären auch, warum die beiden Serien zu einem echten Politikum im Zusammenhang der “Erfurter Museumsfrage” der 1920er Jahre werden konnten. Museumsdirektor Walter Kaesbach hatte das heutige Angermuseum nicht zuletzt dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess zu einem Zentrum der kulturellen Moderne, besonders des Expressionismus gemacht. Unterstützung fand er bei Oberbürgermeister Bruno Mann. Allerdings sahen das große Teile der Bürgerschaft gänzlich anders, so dass sich die Anhänger von Moderne und Tradition um das Museum heftige Auseinandersetzungen lieferten. Daher waren die Reaktionen auf die Notgeldscheine auch sehr gespalten, hatte sie doch auf Kaesbachs Empfehlung hin der Erfurter Expressionist Alfred Hanf gestaltet. Heute freilich sind die Kleinkunstwerke mehr denn je beliebte Sammlerobjekte, die an Erfurts Zeit als Brennpunkt der klassischen Moderne erinnern.

(TA vom 31.10.2009)


Der Untergang

Außen Quadrat - Innen Biedermeier (Schluss): 1933 ging die Weimarer Republik in der NS-Diktatur unter

1933 ging die Weimarer Republik mit der “Machtergreifung” der Nationalsozialisten unter. Weltwirtschaftskrise, Bürgerkrieg und politische Radikalisierung hatten ihr Fundament unterhöhlt. Die drohende rechte Diktatur kündigte sich in Erfurt aber schon 1929 in spektakulärer Art und Weise mit dem Kommunalwahlsieg des Rechtspopulisten Adolf Schmalix an.

Vor fast genau 80 Jahren, am Montag, dem 18. November 1929, titelte die Thüringer Allgemeine Zeitung: “Erfurt begeht moralischen Selbstmord”. Was war geschehen? Den Grund des deutschlandweiten Medienechos bildete der Rechtspopulist und Wochenblattherausgeber Adolf Schmalix. Der Skandaljournalist hatte mit seiner “Großdeutschen Volkspartei” bei der sonntäglichen Kommunalwahl in Erfurt über 10.000 Stimmen erhalten und zog als Führer der größten Stadtratsfraktion ins Rathaus ein. Die Münchener Zeitung kommentierte dies in Reimform treffend: “Erfurt, Erfurt, mit diesem Manne ist auch deine Ehr furt.” Der Wahlsieg des Adolf Schmalix deutet in ungewöhnlich drastischer Form auf die politische Orientierungslosigkeit v.a. des bürgerlichen Mittelstandes hin. Die zehn Jahre zuvor ausgerufene Weimarer Republik hatte nur wenige begeisterte Anhänger gefunden. Zu schwer lasteten Kriegsniederlage, Massenelend und Bürgerkrieg auf ihr. Das Kleinbürgertum fühlte sich durch sozialen Abstieg besonders gestraft. Nach den mittleren “Goldenen Zwanzigern” brach zudem die Wirtschafts- und Sozialkrise 1929 wieder voll aus. Bis 1932 sollte jeder dritte Erfurter von mageren Sozialhilfen abhängig sein, viele weitere fristeten ein kaum weniger elendes Dasein. Dieser Hintergrund mag mit erklären, warum ein vorbestrafter Betrüger und Verbreiter von Geschlechtskrankheiten so viele Erfurter für seine “Partei” gewinnen konnte. Es war zweifellos eine “Denkzettelwahl” für die Bürgerparteien, die offenbar keinen Weg aus der Krise fanden. Schmalix feindete in seinem “Echo Germania” zahlreiche Vertreter der politischen Führungsschicht an, allein Oberbürgermeister Bruno Mann führte zeitweise vier Beleidigungsprozesse. Mit den Juden präsentierte er zudem einen damals weit verbreiteten Sündenbock, was er etwa durch die Hetze gegen das jüdisch geführte Kaufhaus Römischer Kaiser seinem mittelständischen Anhang plausibel zu machen suchte. Für den Aufstieg von Phänomenen wie Adolf Schmalix und schließlich den Siegeszug der NSDAP Adolf Hitlers spielte aber auch die Kultur eine nicht zu unterschätzende Rolle. Erfurt hatte sich zu einem Brennpunkt der modernen Kultur entwickelt, den die Ausstellung im Stadtmuseum eindrucksvoll präsentiert. Aber die Diskussionen der “Erfurter Museumsfrage” zeigen dort auch, wie die Moderne, insbesondere der Expressionismus, von konservativer bzw. rechter Seite angegriffen wurde. Auch Schmalix hatte sich die verbreiteten Vorbehalte zu eigen gemacht und überzog das Museum mit übler Polemik. Nach ihm taten dies die Nationalsozialisten mit ihrem Feldzug gegen die “entartete Kunst”, der Erfurt schließlich nach deren “Machtergreifung” 1933 großen kulturellen Schaden zufügte.

(TA vom 07.11.2009)


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurt in der Weimarer Republik