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Kulturgut und Heimat

Bratwurst und Klöße gehört zu Thüringen ebenso wie Wartburg, Goethe und Bauhaus - und sollten nicht als rechte Heimattümelei diffamiert werden.


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Der Begriff Heimat ist in Verruf geraten. Die Rechte habe ihn politisch kontaminiert und damit unbrauchbar gemacht. Weltoffene Geister lehnen daher seine Symptome auch im Bratwurst- und Kloßland Thüringen rundheraus ab. So gab die Spitzenköchin Maria Groß aus der Erfurter „Bachstelze“ mit Blick auf ihre Speisekarte bekannt: „Wir machen keine AfD-Küche!“ (TA berichtete). Aber schüttet man damit nicht das Kind mit dem Bade aus? Gehören nicht vielmehr Bratwurst und Klöße zur Heimat Thüringen, die vielen Menschen in bewegten Zeiten ein großes Bedürfnis ist? Und sind sie nicht auch kulinarische Markenzeichen des Kulturlandes, die beim Bekanntheitsgrad einen Vergleich mit Wartburg, Goethe und Bauhaus nicht scheuen müssen?

Das Bratwurstbraten ist zudem keine künstliche Erfindung von Heimattümlern, sondern eine lebendige Tradition. Jene beliebte Freizeitbeschäftigung der Thüringer ist im öffentlichen Raum allgegenwärtig. In den Innenstädten ist die Bratwurstbude fester Bestandteil der Imbisskultur und ein Muss für jeden Touristen. Und unsere Nationalgerichte blicken auf eine lange Geschichte zurück. 1404 findet sich in einer Rechnung des Arnstädter Benediktinerinnen-Klosters die erste urkundliche Erwähnung der „brotwurstin“ in Thüringen, die freilich noch viel weiter zurückdatieren dürfte.

Die Klöße dagegen sind deutlich jünger. Ihre Hauptzutat ist erst in der Neuzeit in Europa heimisch geworden – die Kartoffel. Die ältesten Rezepte sind aus dem frühen 19. Jahrhundert überliefert, wobei es sich um ein Essen der kleinen Leute handelte. Klöße waren keineswegs nur Beilage zum Sonntagsbraten, sondern wurden in verschiedenster Form verspeist. Echte Thüringer Klöße unterscheiden sich von Klößen bzw. Knödeln anderer Regionen. Die Bandbreite innerhalb Thüringens ist groß, wobei der Thüringer Wald als Sprachbarriere wirkt – und damit die kulturelle Vielfalt unseres Landes zum Ausdruck bringt. Während nördlich und östlich von Klößen die Rede ist, verzehrt man im südthüringisch-fränkischen Raum Hütes.

An die legendäre Herkunft dieses Namens wird jedes Jahr in Meiningen mit dem Stadt- und Hütesfest erinnert. Dann übergibt die Sagengestalt Frau Holle dem Bürgermeister das wertvolle Hütes-Rezept mit der Aufforderung „Hüt es!“. Laut Sage sollen die Klöße erstmals im 16. Jahrhundert in der Meininger Gastwirtschaft Schlundhaus angeboten worden sein. Tatsächlich aber breitete sich die Kartoffel erst 200 Jahre später flächendeckend in Thüringen aus. Einige Einrichtungen bemühen sich heute, das sagenumwobene Erbe von Bratwurst und Klößen zu pflegen, wie das 1. Deutsche Bratwurstmuseum in Holzhausen (seit 2023 in Mühlhausen) und die Thüringer Kloß-Welt Heichelheim nahe Weimar. In Meiningen hat man den Hütes sogar ein Denkmal gesetzt. All dies zeigt die feste Verwurzelung des Kulturgutes Bratwurst und Klöße in der Bevölkerung und als kulturell-touristisches Markenzeichen. Das sollte man nicht als rechte Heimattümelei in Verruf bringen. Im Übrigen käme man in Bayern und Schwaben wohl kaum auf die Idee, Weißwurst und Spätzle als AfD-Küche zu bezeichnen …


(Dr. Steffen Raßloff in: Thüringer Allgemeine vom 30.07.2019)


Siehe auch: Klößen und Rostbratwurst, Geschichte Thüringens