Deutscher Historikertag Erfurt 1937

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Deutscher Historikertag 1937

Der 19. Deutsche Historikertag 1937 in Erfurt, der einzige während des Dritten Reiches, bewegte sich im Spannungsfeld von traditionellem Gelehrtentreffen und neuer NS-Geschichtswissenschaft.


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Der Deutsche Historikertag ist neben der Historischen Zeitschrift (1859) die älteste Institution der deutschen Geschichtswissenschaft. Seit 1893 treffen sich ihre Fachvertreter, seit 1970 im Zweijahrestakt. Meist geht es in Universitätsstädte, zumal sich der Historikertag von einem beschaulichen Gelehrtentreffen zu einer Massenveranstaltung entwickelt hat. Er war Forum des nationalen Geschichtsbildes der Kaiserzeit, das auch in der Weimarer Republik vorherrschend blieb. Seit 1949 dient der DHT in der Bundesrepublik als Treffen der „deutschen Historiker und Historikerinnen“, ein Anspruch, der seit der Wiedervereinigung 1990 Realität ist.

37 Städten widerfuhr bisher die Ehre, einen Historikertag beherbergen zu dürfen. Auch Erfurt hat vor 70 Jahren dem nationalen Treffen der Geschichtsforscher als Veranstaltungsort gedient. Der 19. Deutsche Historikertag 1937 nimmt sogar eine besondere Stellung ein, war er doch der einzige während der Zeit des Dritten Reiches und wirft so interessante Schlaglichter auf die ambivalente Stellung der Zunft während der NS-Diktatur.

Peter Schumann sieht im Erfurter Treffen vier Jahre nach der „Machtergreifung“ „eine Art Kompromiß zwischen ´alter´ und ´neuer´ Geschichtswissenschaft“. Der Versuch des Historikers Walter Frank, den Historikertag zu einer Demonstration im Sinne des NS-Regimes zu nutzen, sei bestenfalls teilweise gelungen. Letztlich spricht Schumann vom „eigentümlichen Charakter der Erfurter Tagung, die weder zur reinen nationalsozialistischen Schaustellung degradiert werden konnte, noch eine in den traditionellen Rahmen historischer Gelehrtentreffen verfahrende ´zünftige´ Veranstaltung geblieben ist“.

Helmut Heiber hat den Erfurter Historikertag sogar als „Pleite“ der regimenahen Historiker bezeichnet. Freilich zählt er auch auf, was ihn deutlich aus der bisherigen Reihe heraushebt. Frank war es gelungen, eine programmatische Eröffnungsrede zu halten, acht von 15 Referenten mit Mitarbeitern seines „Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands“ zu stellen, sich vor bis zu 400 Teilnehmern zum Anwalt der „jungen Generation“ der Historiker zu machen. NS-Funktionäre und Offiziere prägten vom 5. bis 7. Juli 1937 mit das Bild in der Aula des Collegium maius, des ehemaligen Hauptgebäudes der Universität Erfurt. Der Auftritt des zwei Meter großen Jenaer Historikers Günther Franz („Bauern-Franz“) in SS-Uniform sorgte für Furore. Auch ließ es sich Hitlers "Muster-Gauleiter" Fritz Sauckel nicht nehmen, die Historikerschaft zu einem Empfang ins Weimarer Schloss einzuladen. Die Auswertung der deutschen und internationalen Presse blieb freilich gespalten.

So galt der Erfurter Historikertag in der Forschung bis in die 1980er Jahre als Sinnbild einer weitgehend resistenten Geschichtswissenschaft. Neuere Forschungen beleuchten ihre Rolle im Dritten Reich, etwa im Rahmen der Legitimation des autoritären Regimes oder der „Ostforschung“, oft kritischer. Freilich steht scharfen Verurteilungen nach wie vor auch die Ansicht gegenüber, dass sich Teile einer überwiegend national-konservativen Historikerschaft durchaus treu geblieben seien und man generell stärker differenzieren müsse.

Ein Blick auf den Gastgeber mag dies bestätigen. In einer Festschrift wenden sich Oberbürgermeister Walter Kießling und der Erfurter Geschichtsverein an die Historikerschaft. Zunächst wird die Wahl als Veranstaltungsort begrüßt: „Wenn der Verband Deutscher Historiker von seiner Gepflogenheit, Universitätsstädte für seine Tagungen zu wählen, abgewichen ist, so hofft die Stadt Erfurt das in sie gesetzte Vertrauen nicht zu enttäuschen. Von 1392 bis 1816 barg auch Erfurt in seinen Mauern eine Universität, die als eine rein städtische Hochschule der alten Handelsstadt errichtet war und als erste deutsche Universität sämtliche Fakultäten hatte.“

Es ist davon auszugehen, dass der Geschichtsverein mit seinem Vorsitzenden Johannes Biereye die Widmung wesentlich mit entworfen hat. Sie ist kaum als Hohelied auf die „neue“, „kämpferische“ Geschichtswissenschaft zu lesen, die dem bildungsbürgerlichen Honoratiorenkreis bei aller Anpassungsbereitschaft eher fern lag. Das spiegelt sich auch in den beiden Beiträgen der Festschrift.

Der Erfurter Volkskundler Martin Wähler widmet den Bewohnern seiner Wahlheimatstadt eine „Charakterstudie“, in der zunächst die geläufige Großstadtkritik der Zeit aufgegriffen wird: „Großstadt ist uns der Schauplatz des unorganischen Wachstums, der ungegliederten Masse, des atemlosen Betriebes, der Technisierung und Rationalisierung, des schrankenlosen Erwerbs, der gewollten Sensation.“ Diesem Schreckbild stellt er jedoch den bodenständigen Erfurter mit eigenem Dialekt, Habitus und Wesenszügen als großstädtische „Spielart des thüringischen Stammes“ entgegen. Dabei überlagern traditionelle Werte zentrale Topoi der „Blut und Boden“-Ideologie.

Der zweite Aufsatz von Erich Wiemann „Beiträge zur Erfurter Ratsverwaltung des Mittelalters“ stellt fundierte Stadtgeschichtsschreibung dar. Er behandelt nach Bürgern, Beisassen und Geistlichkeit die Judengemeinde. Dabei wird im wesentlichen der sozioökonomische und rechtliche Hintergrund der „Judenfrage“ aufgedeckt. Zwar spricht Wiemann auch die „rassische Andersgeartetheit“ der Juden an, mit denen jede „blutsmäßige Vermischung“ bei Todesstrafe verboten gewesen sei, denen politische Rechte vorenthalten worden seinen und die sich durch einen gelben Ring an ihren Gewändern auszuweisen hatten – aber ohne jede affirmative Anspielung auf die aktuelle Diskriminierung der Juden.


Steffen Raßloff: Der 19. Deutsche Historikertag in Erfurt 1937. In: Campus. Die Zeitung der Universität Erfurt 2/2007. S. 36.


Lesetipps:

Steffen Raßloff: Zwischen "alter" und "neuer" Geschichtswissenschaft. Der 19. Deutsche Historikertag 1937 in Erfurt. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 68 (2007). S. 107-114.

Steffen Raßloff: Verführung und Gewalt. Erfurt im Nationalsozialismus. In: Stadt und Geschichte 24 (2004). S. 3-5.


Siehe auch: "Mustergau" Thüringen im Nationalsozialismus, Erfurt im Nationalsozialismus, Universität Erfurt