Reisen ins Paradies

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Reisen ins Paradies

Eine Ausstellung in der Kunsthalle Erfurt präsentierte 2005 die Erfurter Südseesammlung eindrucksvoll im Spiegel der Kunst.


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Ende des 19. Jahrhunderts trug der aus Erfurt stammende Konsul Dr. Wilhelm Knappe (1855-1910) in Neuguinea, den Marshall- und Samoainseln und anderen ozeanischen Gefilden eine einzigartige Sammlung von Ethnographica zusammen. Bürgerschaftliches Engagement ermöglichte 1889 den Ankauf der etwa 900 Objekte – Gebrauchs- und Kultgegenstände, Musikinstrumente, Schmuck und Waffen – durch die Stadt Erfurt. Zu den herausragenden Stücken gehört ein „walap“-Auslegerboot von den Marshallinseln. Es ist das weltweit einzig vollständig erhaltene Exemplar. Dazu bestimmt, das 1886 gegründete Städtische Museum um eine Attraktion zu bereichern, wurde die Sammlung 1888 erstmals in der Realschule Zur Himmelspforte gezeigt. Von 1890 bis 1935 war sie im Großen Hospital (heute: Museum für Thüringer Volkskunde) ausgestellt. Es kamen neue Exponate hinzu, andere wurden abgegeben. Erhalten geblieben sind gut 600 Objekte.

Nach 1945 in Vergessenheit geraten, konnte die restaurierte und erstmals wissenschaftlich bearbeitete Sammlung 2005 in der Kunsthalle wiederentdeckt werden. Das schloss eine Beschäftigung mit dem Sammler, den Zeitumständen und eine Reflexion des Paradies-Themas ein. Galten doch die Inseln der Südsee seit ihrer Entdeckung in Europa als das Paradies auf Erden. Die Inseln und ihre Bewohner erschienen den Seefahrern in einem Zustand der Glückseligkeit, einer ursprünglichen Unverdorbenheit und zugleich größtmöglichen (sexuellen) Freizügigkeit, einer intakten Mensch-Natur-Beziehung. Dabei erlebten die Europäer die Inseln der Südsee zwangsläufig gebrochen durch die Brille ihrer eigenen, teils kritisch hinterfragten Kultur. Das Exotische wurde dabei nicht selten fehlgedeutet, soziale Spannungen übersehen, weil das der Stilisierung der „Edlen Wilden“ widersprochen hätte. Diese Sicht dominierte rund zwei Jahrhunderte in weitgehender Kontinuität.

Um diese spezielle Sicht auf die außereuropäische fremde Welt als Teil unserer kulturellen Tradition zu verdeutlichen, werden die Objekte der Knappeschen Südsee-Sammlung im Spiegel der Kunst präsentiert. Beginnend mit Motiven aus der Holzschnitt-Serie für „Noa-Noa“ von Paul Gauguin, die er nach seiner ersten Tahiti-Reise um 1893/94 schuf, über Emil Noldes Südsee-Bilder, Frucht seiner Teilnahme an der Expedition nach Neuguinea 1913/14, bis hin zu Werken, in denen Max Pechstein seine Reise zu den Palauinseln 1914 verarbeitete, folgen die künstlerischen Beschäftigungen mehr oder weniger dem historisch vorgegebenen Muster von der gesuchten Begegnung mit der ursprünglichen Natur und den „Edlen Wilden“ im vermeintlichen Südsee-Paradies. Heutige künstlerische Reflexionen gehen oft deutlich skeptischer und reflektierter mit den klassischen Ursprungs- und Paradiesvorstellungen um, wie Lisi Ponger, Felix M. Furtwängler, Rémy Markowitsch und Miguel Rothschild eindrucksvoll demonstrieren.

Mit Beiträgen von Marion Melk-Koch, Steffen Raßloff, Iris Höfer, Antje Hirschberger und Kai-Uwe Schierz.


Marina Moritz/Kai Uwe Schierz (Hg.): Reisen ins Paradies. Die Erfurter Südseesammlung im Spiegel der Kunst. Erfurt 2005.


Siehe auch: Erfurter Südseesammlung, Wilhelm Knappe, Geschichte der Stadt Erfurt, Erfurter Museen, Kolonialismus-Kontroverse