Villa Festge
Villa Festge
Beitrag der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (22.11.2014)
Das gutbürgerliche Erfurt
DENKMALE IN ERFURT (173): Die Villa Festge in der Cyriakstraße ragt unter den zahlreichen Villen im Südwesten heraus.
Sie erinnert eher an ein Schloss, als an ein Wohnhaus, die einstige Villa des Unternehmers und Hofphotographen Karl Festge in der Cyriakstraße 39. Der wuchtige Baukörper liegt in einem großzügigen, zur Straße hin abfallenden Park unterhalb der Cyriaksburg. Er ist versehen mit reichem architektonischem Schmuck, mit Treppenläufen, Balkonen, Verzierungen und gekrönt von einem kuppelartigen Turm. Die einen mögen die historistische Villa aus dem Jahre 1899 beeindruckend und repräsentativ finden, die anderen protzig und überzogen. In jedem Falle spiegelt sie als herausragendes Baudenkmal das Selbstverständnis der bürgerlichen Oberschicht in der Zeit des Wilhelminischen Kaiserreiches wieder. Man war zu Wohlstand gekommen und wollte das auch deutlich zeigen.
Eine wesentliche Voraussetzung hierfür war der wirtschaftliche Aufschwung Deutschlands nach der Reichsgründung 1871. Diese hatte nur zwei Jahre später auch zur Aufhebung des Festungscharakters von Erfurt geführt, das nun inmitten des neuen Nationalstaates lag. Die Stadt dehnte sich in alle Richtungen rasant aus, während die Bevölkerungszahl zwischen 1871 und 1906 von 45.000 auf 100.000 stieg. Allerdings geschah die Ausdehnung sehr unterschiedlich. Im Norden und Osten entstanden Wohngebiete für die weniger betuchten Einwohner und große Industrieansiedlungen. Der landschaftlich reizvollere Südwesten blieb dagegen den gehobenen Vierteln und Villen des Bürgertums vorbehalten. Bis heute hat sich diese auch für andere gründerzeitliche Großstädte charakteristische Stadtstruktur weitgehend erhalten.
Die Cyriakstraße gehörte zu den mondänsten Adressen im Südwesten. Die Festge-Villa, einer der teuersten Neubauten der Jahrhundertwende, war gewissermaßen ihr Flaggschiff. Karl Festge gehörte zur absoluten Spitze der bürgerlichen Honoratiorenschaft. Er war nicht nur ein talentierter Fotograf, sondern hatte sich als Unternehmer, Grundstücksmakler und Ziegeleibesitzer in den stürmischen Jahren der „Gründerzeit“ ein erhebliches Vermögen erworben. Dieses fand in seiner Villa dauerhaften Ausdruck. Die Kunsthistoriker Ruth und Eberhard Menzel haben die reiche, ja prunkvolle Ausstattung innen wie außen detailliert beschrieben. Das Bildprogramm an der Fassade weist Bezüge zu Festges Biographie auf, so etwa eine Kamera. 1909 starb Karl Festge und 1912 ging die Villa in den Besitz der Lampenfabrikanten Stübgen über. 1946 wurde sie von den Sowjets enteignet und diente unter anderem als Gästehaus. (Foto: Alexander Raßloff)
Lesetipp:
Steffen Raßloff: Flucht in die nationale Volksgemeinschaft. Das Erfurter Bürgertum zwischen Kaiserreich und NS-Diktatur (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen. Kleine Reihe. Bd. 8). Köln/Weimar/Wien 2003.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Bauwerke