Erfurter Unionsparlament 1850
Erfurter Unionsparlament 1850
Das Erfurter Unionsparlament 1850 gilt als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses.
Das Erfurter Unionsparlament vom 20. März bis 29. April 1850 sollte nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die Verfassung für einen deutschen Nationalstaat "von oben" unter Führung Preußens und ohne Österreich ausarbeiten. Gemäßigte Liberale und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Fürsten von Klein- und Mittelstaaten hatten sich auf diesen "kleindeutschen" Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort für das nach einem steuerlich differenzierten Dreiklassenwahlrecht Anfang 1850 gewählte Parlament richtete man das Augustinerkloster (Foto: Alexander Raßloff) her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte. Die Versammlungen fanden in der Augustinerkirche statt. Die Liberalen hatten sich zuvor in Gotha beraten und firmierten auch als Gothaer Liberale.
Ein „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt“, getragen von bürgerlichen Honoratioren um Stadtrat Karl Herrmann, hatte zuvor landesweit in Parlaments- und Regierungskreisen für die alte thüringische Metropole im Herzen Deutschlands geworben. Einige Monate herrschte eine regelrechte Hauptstadt-Euphorie. Die seit 1802/15 dem Königreich Preußen angehörende Stadt mit ihren 33.000 Einwohnern schien, wie noch einmal bei der Bewerbung um die Nationalversammlung 1919, auf dem Weg zum politischen Zentrum Deutschlands. Die Union, wesentlich vorangetrieben vom in Erfurt ansässigen preußischen Spitzendiplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch rasch in der Olmützer Punktation vom 29. November 1850 ("Schmach von Olmütz") am Widerspruch Österreichs und Russlands gegen einen kleindeutschen Nationalstaat unter preußischer Führung. Dieser sollte aber zwei Jahrzehnte später unter Regie Otto von Bismarcks, der als junger Abgeordneter der Konservativen am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, dennoch in Form der Reichsgründung von 1871 zustande kommen.
Die an der Reichsverfassung der Frankfurter Nationalversammlung von 1849 festhaltenden Demokraten hatten die Wahlen zum Unionsparlament unter heftiger Kritik an dem Kompromissversuch boykottiert. Die teilnehmenden Konservativen lehnten die Verfassung der "Erfurter Union", eine stärker monarchisch-föderale Variante der Paulskirchenverfassung, als revolutionäre Abkehr von der legitimen Herrschaftsordnung ab. Für die zwischen alle Stühle geratenen Liberalen bedeutete ihr Scheitern eine politische Niederlage. In der historischen Erinnerung trat so das kurzlebige Übergangsprojekt zwischen Revolution und Reaktionsära rasch in den Hintergrund. Das Erfurter Unionsparlament gilt jedoch heute mit seinen lebendigen Debatten, geleitetet vom einstigen Präsidenten der Nationalversammlung Eduard von Simson, und dem kleindeutschen Verfassungsentwurf als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. In den Auseinandersetzungen vor und während des Parlaments konstituierten sich die Demokraten, Liberalen und Konservativen als die politischen Hauptströmungen, die sich wenig später als Parteien verfestigten. Hierauf soll im 175. Jubiläumsjahr 2025 in Erfurt öffentlichkeitswirksam aufmerksam gemacht werden.
Lesetipps:
Gunther Mai (Hg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850. Köln/Weimar/Wien 2000.
150 Jahre Erfurter Unionsparlament (1850–2000). Hg. vom Thüringer Landtag. Weimar 2000.
Jochen Lengemann: Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850. Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen. München/Jena 2000.
Steffen Raßloff: Bismarck und Erfurt. Vom konservativen Unionsparlamentarier zur nationalen Symbolfigur. In: Werner Greiling/Hans-Werner Hahn: Bismarck in Thüringen. Politik und Erinnerungskultur in kleinstaatlicher Perspektive. Weimar/Jena 2003. S. 115-133.
Steffen Raßloff: Bismarcks diplomatische Sporen. Das Erfurter Unionsparlament 1850. In: Erfurt. 55 Highlights aus der Geschichte. Erfurt 2021. S. 72 f.
Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Bismarck und die Union, Augustinerkloster, Revolution 1848, Karl Herrmann, Erfurter Bewerbung Nationalversammlung 1919