Tradition gegen Moderne
Tradition und Moderne in der Kunst der 1920er Jahre
Beitrag der Serie Außen Quadrat - Innen Biedermeier von Dr. Steffen Raßloff (17.10.2009)
Tradition gegen Moderne
Außen Quadrat - Innen Biedermeier (6): Erfurt war ein Zentrum der klassischen Moderne der “Goldenen Zwanziger”
Die Dom-Gemälde von Christian Rohlfs und Walter Corsep symbolisieren die kulturellen Spannungen in den 1920er Jahren, wie sie in den heftigen Diskussionen der “Erfurter Museumsfrage” zur Entladung kamen (siehe Abb., Dirk Urban). Das Stadtmuseum war zu einem Zentrum der klassischen Moderne aufgestiegen, was die Hüter der Tradition auf den Plan rief.
Das Ensemble von Dom und Severikirche ist das wohl beliebteste Bildmotiv unserer Stadt. Es bildet auch in der aktuellen Sonderausstellung des Stadtmuseums einen Dreh- und Angelpunkt zum Verständnis der kulturellen Diskussionen der 1920er Jahre. Zwei Bilder von Künstlern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, laden den Besucher zum unmittelbaren Vergleich ein. Der bekannte Expressionist Christian Rohlfs bildete Dom und Severiekirche ganz im Stile der klassischen Moderne ab, während Heimatmaler Walter Corsep eine traditionelle Ansicht mit romantischer Szenerie des alten Erfurt bietet.
So friedlich, wie die beiden Dom-Ansichten nebeneinander stehen, verhielten sich die Kunstrichtungen keineswegs. Vielmehr entspann sich ein heftiger Disput, der Erfurt in die Schlagzeilen brachte. Denn die Stadt entwickelte sich in der Weimarer Republik zu einem nationalen Brennpunkt moderner Kultur. Das Statdmuseum konnte unter den Direktoren Edwin Redslob, Walter Kaesbach und Herbert Kunze dank der Unterstützung des jüdischen Schuhfabrikanten Alfred Hess eine der bedeutendsten Sammlungen des Expressionismus in Deutschland aufbauen. Obwohl die NS-Diktatur 1937 die Sammlung weitgehend zerstört hat, erinnern der Heckelraum im Angermuseum (1922/24) und einige hochkarätige Kunstwerke noch heute an diesen kulturellen Höhenflug.
Allerdings geriet das Museum rasch in die Schusslinien der Politik. Von den gemäßigten Kräften in Bürgertum und Arbeiterschaft unterstützt, lehnte das konservative Bürgertum die moderne Kunst der 1920er Jahre, insbesondere den Expressionismus mit seiner Abkehr von traditionellen Kunstkonventionen entschieden ab. Diese Konfrontation zwischen “Quadrat” und “Biedermeier”, zwischen künstlerischem Aufbruch und Beharrung symbolisiert sich schlaglichtartig in den Gemälden von Rohlfs und Corsep.
Darüber hinaus verweist die üble Hetze Corseps gegen die Museumsleitung und den „jüdischen Kulturbolschewisten“ Hess auf das politische Spannungsfeld, in dem sich moderne Kultur in jener Zeit bewegte. Illustriert wird dies durch eine Auswahl antisemitischer Karikaturen desselben Walter Corsep, der den Domplatz so romantisch in Szene gesetzt hat. Auch der Rechtsextremist Adolf Schmalix und die NSDAP verschrieben sich diesem aggressiven “Kulturkampf”. So verhängnisvoll die Entwicklung auch war, sollte man aber versuchen, sich in die Perspektive der Zeitgenossen hinein zu versetzen. Ein unbefangener Vergleich beider Dom-Bilder hat manchen Museumsbesucher eher zu Corsep tendieren lassen. Um so mehr bot diese Ablehnung der Moderne “aus dem Bauch” heraus vor acht Jahrzehnten den Ansatzpunkt für Hetze gegen die “entartete Kunst” der Weimarer Republik.
Siehe auch: Erfurt in der Weimarer Republik, Walter Corsep