Thueringen Schluesselmomente: Unterschied zwischen den Versionen
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Version vom 25. April 2025, 09:43 Uhr
Schlüsselmomente der Thüringer Geschichte
Das Kulturland Thüringen blickt auf anderthalb Jahrtausende einer bedeutenden und wechselvollen Landesgeschichte vom Königreich des Frühmittelalters bis zum heutigen Freistaat zurück.
Der Freistaat Thüringen mit seinen zwei Millionen Einwohnern und gut 16.000 Quadratkilometern Fläche zählt zu den kleineren und politisch weniger bedeutsamen Ländern der Bundesrepublik Deutschland mit ihren 83 Millionen Einwohnern und 358.000 Quadratkilometern Fläche. Thüringen kann allerdings auf eine mehr als 1500-jährige Geschichte voller kultureller Höhepunkte zurückblicken, die es wiederum aus der föderalen Familie Deutschlands deutlich heraushebt. Dafür stehen Beinamen wie „Lutherland“, „Heimat der Bach-Familie“, „Land der Klassik“, „Wiege des Bauhauses“. In dieser einzigartigen Kulturlandschaft um UNESCO-Welterbe Wartburg, Weimar und Erfurt ist einer der ältesten Volksstämme beheimatet, aus denen sich das fränkisch-deutsche Reich entwickelte. Thüringen war jedoch lange kein einheitliches Staatsgebilde, sondern vielmehr Inbegriff der Kleinstaaterei. Dieses Spannungsverhältnis prägt den schrittweise im 20. Jahrhundert entstandenen Freistaat bis heute.
Der Kaiser und die Regionalmächte hatten bis zum Dreißigjährigen Krieg 1618/48 ein stark föderales Gefüge für das Deutsche Reich ausgeprägt. Einigen Gebieten bescherte dies zahlreiche kleine „Duodezfürsten“, spöttisch benannt nach dem kleinsten der historischen Buchformate „Duodez“, bei dem der Bogen zwölf Blätter zählt. In Thüringen nahm dies extreme Formen mit bis zu 30 Herrschaften auf engstem Raum an. Das veranlasste die preußisch-nationale Geschichtsschreibung, zwar die kulturellen Impulse für die Nation zu würdigen, zugleich aber die Zersplitterung zu geißeln: „Fast alle anderen Stämme nahmen doch irgend einmal einen Anlauf nach dem Ziele politischer Macht, die Thüringer niemals. Unsere Kultur verdankt ihnen unsäglich viel, unser Staat gar nichts“, so der Berliner Historiker Heinrich von Treitschke in seinem Klassiker „Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert“ (1882).
Thüringens Kleinstaatenwelt überstand sogar als einzige die Flurbereinigungen der Napoleonischen Zeit und der Reichsgründungszeit von 1864 bis 1871. Jene politisch-administrative Kleinteiligkeit korrespondierte jedoch mit einem fest verankerten landsmannschaftlichen Eigenbewusstsein der Thüringer. Bezugspunkte für diese historische „Einheit in der Vielfalt“ waren das Königreich der Thüringer im 6. Jahrhundert und vor allem die Landgrafschaft Thüringen im 12./13. Jahrhundert, mit denen sich durchaus – wenn auch letztlich gescheiterte – Ansätze für eine machtvolle Herrschaftsbildung finden. Im 19. Jahrhundert wurden ernsthafte Stimmen nach einer Einigung laut. Diese waren erstmals während der Revolution 1848 mit ihren demokratischen „Thüringer Volkstagen“ deutlich zu vernehmen. Der zunehmende Anachronismus der Miniaturmonarchien führte schließlich zu heftiger Kritik am „Thüringer Kleinstaatenjammer“, so der Titel einer viel gelesenen Publikation des Meininger SPD-Politikers Arthur Hofmann 1906.
Im 20. Jahrhundert wurde die Forderung nach staatlicher Einheit im Rahmen einer föderalen Nation nach dem Ende der Monarchien in der Novemberrevolution 1918 schrittweise verwirklicht. 1920 bildete sich zunächst aus sieben ehemaligen Herzog- und Fürstentümern der Freistaat Thüringen mit der Hauptstadt Weimar. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 kamen die preußischen Gebiete mit der „heimlichen Hauptstadt“ Erfurt hinzu, das nun auch die tatsächliche Hauptstadtrolle übernahm. Im Zuge der Einführung des „demokratischen Zentralismus“ in der DDR wurde das Land Thüringen jedoch schon 1952 wieder aufgelöst und in die Bezirke Erfurt, Gera und Suhl geteilt. Mit der deutschen Wiedervereinigung trat schließlich am 3. Oktober 1990 das Bundesland Thüringen mit der Hauptstadt Erfurt ins Leben, das sich 1993 in seiner Verfassung den Namen Freistaat Thüringen gab.
Heute fällt der Blick auf die kleinstaatliche Vergangenheit weniger kritisch aus als bei Machtstaats-Verfechter Treitschke. Vielmehr verkörpert Thüringen die kulturgeschichtlichen Vorzüge des Föderalismus. Fürstliche Repräsentation bescherte ihm prächtige Schlösser, Parks, Museen, Bibliotheken und Theater in einmaliger Dichte, machte es zum Synonym des Landes der Dichter, Denker und Musiker. Zwischen Gotha, Weimar, Altenburg und Meiningen, zwischen Sondershausen, Rudolstadt, Gera und Greiz entfaltet das „Land der Residenzen“ eine ganz besondere Atmosphäre. Die mittelalterliche Handels- und Kulturmetropole Erfurt, die einstigen Reichsstädte Mühlhausen und Nordhausen sowie das katholisch geprägte Eichsfeld runden dieses Bild ab. Die jüngere Geschichtsschreibung hat zudem bedeutende politische, soziale und ökonomische Innovationskräfte herausgearbeitet. Thüringen entwickelte sich zu einer Hochburg von Nationalbewegung, Liberalismus und Sozialdemokratie. Im Zeitalter von Industrialisierung und wissenschaftlichem Fortschritt gingen von hier wichtige Impulse aus.
Im Rückblick ist die Versuchung groß, die Geschichte jener reichen Kulturlandschaft als kontinuierlichen Prozess zu erzählen. Das ausgeprägte Regionalbewusstsein scheint bis zu den germanischen „Toringi“ der Völkerwanderungszeit zurückzureichen, die das mächtige Königreich der Thüringer hervorbrachten. Ohne von dort eine zwangsläufige Entwicklung zum heutigen Freistaat zu unterstellen, hat sich doch der Begriff Thüringen seither trotz aller inneren Kleinteiligkeit fest mit der Region zwischen Harz und Thüringer Wald, zwischen Werratal und Pleißenland verbunden. Die folgenden neun „Schlüsselmomente“ sollen dabei verdeutlichen, wie der über anderthalb Jahrtausende reichende Prozess vom Königreich zum Freistaat ablief, aber auch welche alternativen Entwicklungen durchaus möglich gewesen wären. Thüringen hätte unter den Königen und Landgrafen ebenso zum Kern eines ausgreifenden mächtigen Staatsgebildes werden können, wie unter den Wettinern Teil eines solchen mit Schwerpunkt außerhalb der Region. Und auch die schrittweise Herausbildung des modernen föderalen Thüringens im 20. Jahrhundert war weder alternativlos noch von vornherein auf den heutigen Gebietsstand festgelegt.
Steffen Raßloff: Vom Königreich zum Freistaat. Schlüsselmomente der Thüringer Geschichte (Schriften der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen). Erfurt 2022 (2. Auflage 2025).
(Die Publikation ist bei der Landeszentrale für politische Bildung Thüringen erhältlich.)
Siehe auch: Geschichte Thüringens