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Version vom 4. Januar 2012, 12:42 Uhr
Denkmale in Erfurt I
Ausgewählte Beiträge aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2011)
Erfurter Denkmale
Erfurt besitzt eine vielgestaltige Denkmallandschaft. Vom Standbild à la Luther über diverse Denkmalbrunnen bis hin zum wuchtigen Bismarckturm reicht das Spektrum. Hinzu kommen moderne Installationen wie das Deserteurs-Denkmal sowie viele kleinere Büsten, Schrifttafeln und Gedenksteine.
Denkmale würdigen aber nicht nur historische Personen und Ereignisse. Sie spiegeln auch Selbstverständnis und Kunstgeschmack ihrer Entstehungszeit. Der spätere Umgang mit ihnen verweist auf politische Wandlungsprozesse.
Oft entzündeten sich um sie heftige Kontroversen, wie zuletzt um die Leuchtschrift auf dem Erfurter Hof. Unsere Denkmale sind damit Zeugen der Geschichte und Gegenwart. Sie zum sprechen zu bringen, hat sich die TA-Serie zum Ziel gesetzt.
Aufbauhelfer auf der iga
Beitrag aus der Serie Denkmale in Erfurt aus der Thüringer Allgemeine von Dr. Steffen Raßloff (veröffentl. 2011)
Erthal Obelisk auf dem Domplatz
Willy Brandt Leuchtschrift auf dem Erfurter Hof
Deserteursdenkmal am Petersberg
Burenhaus in der Bahnhofstraße
Gedenktafel Schutzhaftlager in der Feldstraße
Dem Vater der Blumenstadt Erfurt
DENKMALE IN ERFURT (6): Christian Reichart gilt als Begründer des modernen Gartenbaus. Ihm errichtete man 1867 das erste Denkmal für einen verdienten Bürger der Stadt.
Das vor einigen Monaten erschienene Buch des Erfurter Geschichtsvereins zur „Blumenstadt Erfurt“ schlägt den Bogen vom mittelalterlichen Waidhandelszentrum bis hin zum heutigen egapark. Eine Schlüsselstellung nimmt dabei der Aufsatz zu Christian Reichart (1685-1775) und den Anfänger des modernen Erwerbsgartenbaus ein. Die Autoren Eberhard Czekalla und Reiner Prass würdigen den „Vater der Blumenstadt Erfurt“ als erfolgreichen Quereinsteiger in die Gärtnerbranche, als Autor international beachteter Fachbücher, als Erfinder von neuen Gartengeräten und Anbaumethoden, als Züchter, aber auch als vielfältig engagierten Bürger seiner Vaterstadt. Er steht am Anfang einer Entwicklung, die Erfurt um 1900 an die Spitze des weltweiten Gartenbaus führen sollte.
So wundert es nicht, wenn aus einem Impuls der großen internationalen Gartenbauausstellung 1865 in Erfurt heraus zwei Jahre später Christan Reichart das erste Denkmal für einen verdienten Bürger der Stadt errichtet wurde. Georg Carl Kölling schuf eine Sandsteinfigur im Habitus des späten 18. Jahrhunderts. Aufgestellt wurde sie auf dem Platz „Am Wasserthor“, der in Reichartplatz umbenannt wurde. Allerdings wandelte sich, gewissermaßen als Spiegel der Geschichte, der Reichartplatz 1900 zum Kaiserplatz mit Kaiser-Wilhelm-Denkmal und 1945 zum Karl-Marx-Platz. Das Denkmal musste 1899 in die idyllische, aber abgelegene Pförtchenanlage weichen. Ein zweites, 1985 eingeweihtes Denkmal befindet sich auf dem Gelände der ehemaligen Ingenieurschule für Gartenbau in der Leipziger Straße, die den Namen Reicharts trug und heute zur Fachhochschule Erfurt gehört. Es handelt sich um eine Bronzebüste von Kerstin Stöckel, die sich an dem bekannten Gemälde von Jacob Samuel Beck orientiert.
Christian Reichart ist bis heute eine der bekannten Persönlichkeiten der Stadtgeschichte. Im letzten Jahr würdigte man seinen 325. Geburtstag mit einem Festakt im Rathaus und einer kleinen Ausstellung. Die Versuche von geschichtsbewussten Bürgern, das Denkmal aus der Pförtchenanlage an seinen alten Platz zurück zu führen oder zumindest den Reichartplatz zurück zu benennen, scheiterten jedoch an Stadtverwaltung und Lokalpolitik. Auch die Anregung, die Reichartbüste aus der Leipziger Straße in die Grünanlage vor der Reglerkirche umzusetzen, wurde nicht aufgriffen. Dort war der engagierte Bürger jahrzehntelang als Organist in seiner Kirchgemeinde tätig und wohnte direkt vis-a-vis. Man wird also weiterhin im Zentrum der Blumenstadt vergeblich nach einem Denkmal für Christian Reichart suchen.
Der erste Mensch im All
DENKMALE IN ERFURT (7): Die Büste Juri Gagarins erinnert an den ersten Weltraumflug vor 50 Jahren. Sie sollte einst die Überlegenheit des Sozialismus symbolisieren.
Am 12. April 1961 hielt die Welt den Atem an. Der sowjetische Kosmonaut Juri Alexejewitsch Gagarin umrundete mit der Wostok 1 als erster Mensch die Erde. In den USA und der westlichen Welt war man entsetzt oder erstaunt, die Sowjetunion und der „Ostblock“ feierten Gagarin als Helden. Haftete solcher Art Heldenverehrung oft etwa steifes an, so war Gagarin wirklich populär. Deutlich wurde dies auch im Oktober 1963 in Erfurt. Tausende Menschen jubelten dem jungen Offizier der Luftwaffe bei seinem Besuch in der Bezirksstadt zu. Prof. Holt Meyer von der Universität Erfurt hat sich mit der Wirkung Gagarins auf seinen Reisen durch die befreundeten Länder am Beispiel des Erfurt-Aufenthaltes beschäftigt. Er sieht in ihm die „visuelle Evidenz“ für die „ethische und politische Überlegenheit des Sozialismus“. Sprich, der volksnahe Kosmonaut verkörperte wie kaum ein anderer die viel gepriesenen Vorzüge der sozialistischen Gesellschaft. Er war einer der wenigen echten Medienstars des Ostens.
Wie viel von dieser Spontanität der 1960er Jahre noch übrig war, als am 12. April 1986 das Erfurter Gagarin-Denkmal eingeweiht wurde, lässt sich schwer sagen. Es fand am 25. Jubiläumstag des ersten bemannten Raumfluges seinen Platz an der sozialistischen Mustermagistrale Juri-Gagarin-Ring, die bereits 1964 so benannt worden war. Statt des 1968 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückten Gagarin repräsentierte nun der erste Deutsche im All die vermeintliche Überlegenheit des Sozialismus. Zum netten, zurückhaltenden Erzgebirgler Sigmund Jähn schien diese Rolle allerdings nicht so recht zu passen. Da mutet es fast symbolisch an, wenn die Büste auf Granitsockel von Lew Kerbel einen Zweitguss des Denkmals in der Moskauer Allee der Kosmonauten darstellt. Euphorische Heldenverehrung war in der späten DDR schwierig geworden.
Befreit vom einstigen Wettstreit der Systeme und Weltanschauungen, steht das Gagarin-Denkmal im 50. Jubiläumsjahr des Raumfluges für einen enormen Fortschritt der Menschheit und einen wirklich populären Weltraum-Pionier. Deshalb war es auch richtig, das Denkmal nach der friedlichen Revolution 1989 nicht als offiziöses Monument der DDR und ihres „großen Bruders“ Sowjetunion einfach zu beseitigen. Die in Aussicht genommene Verschönerung des eher tristen Umfeldes vor den elfgeschossigen „Wohnscheiben“ kann die Wirkung nur verbessern. Als Beispiel sozialistischer Monumentalplastik, geschaffen von einem der führenden Vertreter dieses Genres, hat es selbst bereits Denkmalcharakter gewonnen.
Zu Ehren Ohm Krügers
DENKMALE IN ERFURT (8): Das Eckhaus Bahnhofstraße/Juri-Gagarin-Ring erinnert an den Burenkrieg 1899-1902. Zugleich ist es der einzige öffentliche Hinweis auf Konsul Wilhelm Knappe.
Vor gut hundert Jahren kämpften die Burenrepubliken in Südafrika gegen Großbritannien um ihre Unabhängigkeit. Das mächtigste Kolonialreich der Welt hatte es insbesondere auf die reichen Goldvorkommen im Oranje-Freistaat und Transvaal abgesehen. Nach dem blutigen Burenkrieg 1899-1902 verloren die Nachkommen niederländischer Einwanderer ihre Selbstständigkeit und wurden in das britische Südafrika eingegliedert. Die Öffentlichkeit in Deutschland hatte den Krieg mit großer Anteilnahme verfolgt. Die Sympathien gehörten fast ungeteilt den Buren um den populären Präsidenten Paulus „Ohm“ Krüger. Hieran erinnert in Erfurt das „Burenhaus“ in der Bahnhofstraße, Ecke Juri-Gagarin-Ring. Maurermeister Paul Funk hatte sein 1902 fertiggestelltes Wohn- und Geschäftshaus mit den Portraits der Burenführer versehen sowie den „fluchwürdigen Goldhunger“ des britischen Kolonialministers Chamberlain angeprangert.
Wenige Jahre zuvor hatte ein Erfurter als Nationalbank-Direktor und Freund Krügers in Südafrika gewirkt. Jener Konsul Wilhelm Knappe (1855-1910) gehört zu den schillernden Gestalten unserer jüngeren Stadtgeschichte. Durch einen unglücklichen Kolonialkrieg auf Samoa 1889 gelangte er zu weltweiter Bekanntheit. 1894 kehrte Knappe nach dem Zwischenspiel als Banker in Südafrika in den Dienst des Auswärtigen Amtes zurück. In China wirkte er als Generalkonsul mit viel Aufgeschlossenheit gegenüber der einheimischen Kultur und Bevölkerung für die deutschen Interessen. Knappe war kein Säbelrassler und Rassist, wie man sich noch immer recht stereotyp die Vertreter deutscher Außenpolitik im Zeitalter des Imperialismus vorzustellen pflegt.
Der weitgereiste Konsul sollte in seinem 100. Todesjahr 2010 auch eine eigene öffentliche Würdigung in seiner Vaterstadt erfahren. Geschichtsverein und Universität hatten hierfür die Benennung einer Straße beantragt. Der Kulturausschuss des Stadtrates lehnte dies jedoch ab, weil Knappe keine hinreichenden Verdienste aufweise und als „Kolonialist“ keiner solchen Ehrung würdig sei. Das wird der historischen Persönlichkeit nicht gerecht. Sowohl in der Südsee als auch in China hat er durch seinen offenen Umgang mit den Einheimischen Achtung erlangt. Die Forschung hat bemerkenswerte Leistungen des Völkerkundlers und Kulturpolitikers verzeichnet. Seine Südseesammlung gehört zu den Schätzen der Erfurter Museen im Benaryspeicher. Der Bundespräsident würdigte Knappe 2007 beim 100. Gründungsjubiläum der Tongji-Universität Shanghai als Initiator der deutsch-chinesischen Elitehochschule.
Die verschwundene Gedenktafel
DENKMALE IN ERFURT (9): Am Kaisersaal erinnert nichts an den Erfurter SPD-Parteitag 1891 und an Napoleons Fürstenkongress 1808.
Der Kaisersaal ist ein Haus voller Geschichte. Er diente einst als Theater, Konzertsaal und Universitäts-Ballhaus. Große Namen wie Friedrich Schiller und Franz Liszt sind mit diesem Musentempel verbunden. 1808 ließ Napoleon während seines Erfurter Fürstenkongresses hier die Comédie-Française vor „einem Parkett von Königen“ spielen. Nachhaltig in die Geschichte eingegangen ist der Kaisersaal aber v.a. als Veranstaltungsort des Parteitages der SPD von 1891. Unter der Leitung von August Bebel verabschiedeten die Abgeordneten nach Jahren der Verfolgung durch das Bismarcksche Sozialistengesetz das Erfurter Programm. Neben der marxistischen Theorie setzte man sich dort praktische soziale Ziele, wie die Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen und den Achtstundentag für Arbeiter. Damit begann der Weg von der Klassenkampfpartei hin zur reformorientierten Volkspartei des kleinen Mannes. Dieser in Erfurt eingeschlagene Weg erreichte mit dem Godesberger Programm von 1959 in der Bundesrepublik sein Ziel.
Man sollte meinen, der Kaisersaal müsse vor diesem Hintergrund für die Stadt Erfurt und zumal für die hiesige SPD ein besonders wichtiger Erinnerungsort sein. Allerdings sucht man an dem markanten klassizistischen Gebäude in der Futterstraße vergeblich nach einem Hinweis. Während zahlreiche oft weit weniger prominente Ereignisse und Persönlichkeiten überall in der Stadt mit Denkmalen oder Gedenktafeln verewigt wurden, weist nichts auf den Erfurter Parteitag 1891 hin.
Das war nicht immer so. Vor der friedlichen Revolution 1989 gab es in dem als Optima-Kulturhaus genutzten Gebäude eine Gedenkstätte. An seiner Fassade prangte eine Marmortafel mit der goldenen Aufschrift „Gedenkstätte Erfurter Parteitag 1891“. Für das 100. Jubiläumsjahr waren von der SED-Leitung große Feierlichkeiten geplant, auch eine Sanierung des zwischenzeitlich geschlossenen Hauses stand im Plan. Mit dem Umbau zum Kultur- und Kongresszentrum Kaisersaal von 1991 bis 1994 verschwanden jedoch Gedenkstätte und -tafel. Letztere landete auf dem Dachboden des Stadtmuseums. Der ideologisch überfrachteten Ausstellung aus DDR-Zeiten mag kaum jemand nachtrauern. Eine neue Gedenktafel, die neben dem SPD-Parteitag auch andere Höhepunkte der Hausgeschichte würdigen könnte, wäre aber mehr als angemessen. Oft wundern sich Touristen und auswärtige Veranstaltungsbesucher über so wenig zur Schau getragenes historisches Selbstbewusstsein.
Willkür und Gewaltexzess
DENKMALE IN ERFURT (10): In einer Hinterhof-Fabrik im Erfurter Norden geschahen im Frühjahr 1933 ungeheuerliche Dinge. Eine Gedenktafel erinnert an das „Schutzhaft-Lager“ der SA in der Feldstraße 18.
Der Historiker Sascha Münzel hat sich im jüngsten Band der Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt mit den „Sondervernehmungen“ der Erfurter SA im Frühjahr 1933 beschäftigt. Sie waren eine der blutigen Begleiterscheinungen der „Machtergreifung“ des Nationalsozialismus. Gegner Hitlers wurden von der paramilitärischen Truppe der NSDAP in sogenannte „Schutzhaft“ genommen und brutal misshandelt. Überwiegend handelte es sich dabei um Kommunisten und Sozialdemokraten, von denen drei während der „Vernehmungen“ das Leben verloren. Weitere NS-Gegner fielen anderen Aktionen zum Opfer. Treffend charakterisiert Münzel diese Geschehnisse im Titel seines Aufsatzes als „Willkür und Gewaltexzess“.
Ein Fabrikgelände im Hinterhof der Feldstraße 18 fungierte als zentrales „Schutzhaftlager“ für Erfurt. Von April bis September 1933 waren dort bis zu 100 Menschen eingesperrt. Von hier aus und vom Polizeigefängnis auf dem Petersberg wurden sie zu den „Sondervernehmungen“ etwa auf den Hundesportplatz an der Gaststätte „Zum Blumenthal“ am heutigen Oschatzer Weg und in den Steiger gebracht. Auch in der Feldstraße, wo die Häftlinge unter katastrophalen hygienischen Bedingungen eingesperrt waren, kam es zu schweren Misshandlungen durch die SA. Dies spielte sich inmitten eines Wohnviertels nahe am Ilversgehofener Platz ab. So scheinen die späteren Behauptungen auch vieler Erfurter, sie hätten von den Verbrechen der Nazis nichts gewusst, wenig glaubhaft. Man konnte sehr wohl wissen, mit welcher Brutalität die NS-Diktatur von Beginn an gegen ihre Gegner vorging. Aber viele Bürger ließen sich von der nationalen Aufbruchstimmung nach 1933 anstecken und akzeptierten das „Aufräumen“ mit den „Roten“. Andere hatten wohl einfach Angst, selbst ins Fadenkreuz der braunen Schlägertruppe oder der Gestapo zu geraten.
Die in der DDR-Zeit angebrachte Tafel an der Hofeinfahrt macht auf die dunkle Geschichte des Ortes aufmerksam. Hier „waren etwa 100 Antifaschisten eingekerkert. Unter ihnen befanden sich auch die Erfurter Widerstandskämpfer Heinz Sendhoff, Josef Ries, Waldemar Schapiro, Fritz Büchner, die im Stadtgebiet von Erfurt durch die Faschisten bestialisch ermordet wurden. Ihr Leben ist uns Vorbild und Verpflichtung.“ Mag der Antifaschismus in der DDR auch als Staatsdoktrin instrumentalisiert worden sein, so hat die Erinnerung an die Opfer der NS-Gewaltherrschaft natürlich weiterhin ihren festen Platz in der Erfurter Denkmallandschaft. Und auch die historische Aufarbeitung wird fortgesetzt. Sascha Münzel und sein Kollege Eckart Schörle planen für 2012 eine ausführliche Publikation zum Lager in der Feldstraße.