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In Thüringen erinnern viele imposante Türme, Denkmale und authentische Orte an Reichskanzler Otto von Bismarck, der am 1. April 1815 geboren wurde. | |||
Version vom 26. Januar 2019, 10:48 Uhr
Bismarck und Thüringen
Vom Nachwuchspolitiker zum "Eisernen Kanzler": In Thüringen erinnern viele imposante Türme, Denkmale und authentische Orte an Reichskanzler Otto von Bismarck, der am 1. April 1815 geboren wurde.
Der Frühling animiert die Erfurter wieder häufiger zu einem Spaziergang im beliebten Steigerwald. Wie vielen ist dabei wohl bewusst, dass Sie auf den Spuren Bismarcks wandeln, dessen Geburtstag sich bald zum 200. Male jährt? Gedacht sei dabei nicht nur an den 1901 errichteten Bismarckturm (Abb. 1, privat). Gut ein halbes Jahrhundert zuvor spazierte der 35-jährige erzkonservative Nachwuchspolitiker durch den Erfurter Stadtwald. Er schwärmte in den Briefen an seine Frau Johanna von jenem „allerliebsten kleinen Gebirge 1/4 Meile von der Stadt“. Auch von Felsenkellerbier und Thüringer Würsten ist wie bei vielen Touristen unserer Tage voller Anerkennung die Rede.
Was aber hatte Bismarck nach Erfurt verschlagen? Am 20. März 1850 war hier das „Parlament der Deutschen Union“ zusammengetreten, um auf Initiative des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. die Verfassung für ein „Deutsches Reich“ zu beschließen. Nach der Revolution 1848/49 versuchte der König, die nationale Einheit im Kompromiss mit den Liberalen zu erreichen. Als Tagungsort diente das Augustinerkloster, wo einst Martin Luther zu Hause war. Hier verdiente sich Bismarck die „diplomatischen Sporen“. Freilich hielt der Monarchist wenig vom „Unsinn wie in Frankfurt“, sprich der Nationalversammlung 1848. Tatsächlich sollte das Unionsprojekt rasch scheitern.
In Erfurt erinnerte man sich später gerne an diesen Aufenthalt. Viele Bürger hingen dem Nationalismus des Kaiserreiches von 1871 an, in dem der Mythos des „Reichsgründers“ und „Eisernen Kanzlers“ eine zentrale Rolle spielte. Nach seinem Tode am 30. Juli 1898 brach sich eine beispiellose Monumentalisierung Bahn. Es gab auch in Erfurt regelmäßige Festlichkeiten für den Ehrenbürger, eine Bismarckstraße und den Bismarckturm nebst Ausflugslokal. Der Neubau des einstigen Wohnhauses von 1850 am Anger 33 wurde 1904 mit einer Bismarckstatue verziert (Abb. 2, neue Bismarckstatue von 2004, Steffen Raßloff).
All dies war beispielhaft für die Entwicklung in Deutschland. Die Bismarcktürme sind hierbei die monumentalste Erinnerungsform. Sie sollten deutsche Kraft und Unerschütterlichkeit verkörpern und in so großer Zahl errichtet werden, dass man etwa zu Bismarcks Geburtstag am 1. April die nächtlichen Feuer auf den Turmkronen überall im Lande sehen konnte. Allein in Thüringen entstanden zwischen 1895 und 1915 24 Turmbauten, von denen 17 erhalten sind. Es ist damit nach Nordrhein-Westfalen das Bundesland mit den meisten Bismarcktürmen. Dem weit verbreiteten Modell „Götterdämmerung“ von Wilhelm Kreis entsprachen die Bauwerke in Erfurt, Eisenach, Gera und Ronneburg. Andere Formen entwickelte man in Altenburg, Apolda, Auleben, Bad Sulza, Heilsberg, Hildburghausen, Jena, Keilhau, Kyffhäuser, Lehesten, Meiningen, Mühlhausen, Neustadt/Orla, Remda, Rudolstadt, Sitzendorf, Sondershausen, Suhl, Vacha und Weimar.
Neben diesen Türmen errichtete man zahlreiche Denkmale, die wie in Erfurt teils an direkte historische Verbindungen erinnern. Der Bismarckbrunnen auf dem Markt in Jena von 1894 etwa nimmt Bezug auf einen umjubelten Besuch Bismarcks in der Universitätsstadt zwei Jahre zuvor (Abb. 3, C. Löser). Dieser gehörte zu den Höhepunkten der Verehrung des Altkanzlers in Thüringen.
Nach dem Ersten Weltkrieg 1914/18 wurde Bismarck mehr denn je zum mythischen Hoffnungsträger, den sich auch die Nationalsozialisten zu Nutze machten. Viele Thüringer begrüßten 1933 den „neuen Bismarck“ Adolf Hitler. Jener sollte freilich den deutschen Nationalstaat zerstören, den Bismarck mit „Eisen und Blut“ begründet hatte. Die politische Umgestaltung in der SBZ und DDR nach 1945 ließ Bismarck weitgehend aus der Erinnerung verschwinden. Einige Türme (Eisenach, Gera, Weimar, Lehesten, Vacha) und so gut wie alle Denkmale wurden beseitigt. Der symbolträchtigste Fall war sicher der des 1949 gesprengten Bismarckturms am Ettersberg bei Weimar, an dessen Stelle 1958 der Glockenturm der Gedenkstätte Buchenwald trat.
Heute erinnert man wieder umfangreich an den großen Staatsmann und dessen Verbindungen zu Thüringen, das dieser seit seiner Kindheit häufig besucht hat. Vereine haben sich nach 1989 der verwahrlosten Türme angenommen, zahlreiche Denkmale, Gedenktafeln und Straßennamen sind zurückgekehrt. Geschichtsschreibung und Medien bieten gerade jetzt anlässlich des 200. Geburtstages genügend Möglichkeiten, sich in differenzierter Weise mit Bismarck jenseits einstiger nationalistischer Verherrlichung oder Verdammung als „reaktionärer Junker“ zu beschäftigen.
(Dr. Steffen Raßloff in Thüringer Allgemeine vom 28.03.2015)
Literaturtipp:
Werner Greiling/Hans-Werner Hahn: Bismarck in Thüringen. Politik und Erinnerungskultur in kleinstaatlicher Perspektive. Weimar/Jena 2003.
Siehe auch: Geschichte Thüringens, Bismarck und Erfurt