Bauhaus Erfurt: Unterschied zwischen den Versionen

Aus erfurt-web.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Keine Bearbeitungszusammenfassung
Zeile 1: Zeile 1:
= Bauhaus-Architektur in Erfurt =
'''100 Jahre Bauhaus und Nationalversammlung 2019''' 


Im kommenden Jahr kann neben Weimar auch Erfurt aus gutem Grund auf das Doppeljubiläum zurückblicken.


'''Beitrag der Serie [[Bauhausjubiläum 2009]] der Thüringer Allgemeine von [[Steffen Raßloff|Dr. Steffen Raßloff]] (06.12.2008)'''


[[Datei:ValdeigSparkasseAnger.jpg|320px|right]]Vor 99 Jahren, am 12. April 1919, entstand in Weimar aus der Hochschule für bildende Kunst und der Kunstgewerbeschule das „Staatliche Bauhaus in Weimar“. Sein erster Direktor Walter Gropius machte es zur „Wiege der Moderne“, zu einem der wichtigsten Impulsgeber in Architektur, Kunst und Design. Zu den Grundideen zählte die Harmonisierung von Kunst und Handwerk im Geiste der mittelalterlichen Bauhütten sowie eine klare, funktionale Formensprache.
Weimar, Dessau und Berlin bilden die Wirkungsstätten des Bauhauses, das mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 schon wieder schließen musste. Sie markieren Gründungsort, Höhepunkt und letzte Zuflucht. An allen drei Orten soll im kommenden Jahr das 100. Jubiläum der Einrichtung groß gefeiert werden. In Weimar entsteht sogar ein modernes Bauhaus-Museum, das momentan allerdings wegen der umstrittenen Fassadengestaltung und des knappen Zeitplans eher negative Schlagzeilen macht.


'''Mehr Bauhaus als in Weimar'''
Wer nun meinen sollte, dieses bedeutende Jubiläum gehe das benachbarte Erfurt nichts an, der hat weit gefehlt! Zwar bietet Weimar mit dem „Haus am Horn“ und dem Van-de-Velde-Bau zwei internationale Pilgerstätten, aber ansonsten konnte sich das Bauhaus kaum in der beschaulichen Kulturstadt durchsetzen. Die pulsierende Industriegroßstadt Erfurt dagegen erhielt zahlreiche Bauten im neuen Stil. Den Blick hierfür hat besonders der Architekt und Denkmalpfleger Dr. Mark Escherich geschärft. Auch das Stadtmuseum Erfurt widmete sich 2009 in einer großen Sonderausstellung „Außen Quadrat – Innen Biedermeier“ dem Erfurt der Bauhaus-Zeit mit ihren großen Spannungen und Widersprüchen.


Bauhausjubiläum 2009 (3): Das “neue Bauen” der 1920er Jahre hat das Erfurter Stadtbild mit geprägt
Im kommenden Jahr sollte die beachtliche Reformarchitektur in unserer Stadt selbstbewusst herausgestellt werden. Sie sticht besonders bei den ambitionierten Geschäftshäusern und den Wohnungsbauprojekten der Vorstädte aus den „Goldenen Zwanzigern“ hervor. Das Hanseviertel wuchs als herausragendes Beispiel für den sozialen Wohnungsbau im Bauhaus-Stil. Im Innenstadtbereich ragt u.a. die Mitteldeutsche Landesbank am Anger (1929, heute Sparkasse) heraus. Diese Bauwerke heben sich gerade am Anger deutlich von den reich geschmückten Fassaden der Gründerzeit ab.


Entscheidende Voraussetzung für den kulturellen Neuanfang, für den das Bauhaus steht, war die aus der Novemberrevolution 1918 hervorgegangene Weimarer Republik. Sie entfaltete ein freies und kreatives Kulturleben. Ihren Namen erhielt die erste deutsche Demokratie nach dem Versammlungsort der Deutschen Nationalversammlung. Während in Berlin der Bürgerkrieg tobte, trafen sich ihre Abgeordneten im beschaulichen „Ilm-Athen“ und verabschiedeten am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung.


[[Datei:MDLB.jpg|320px|right]]In Weimar schlug 1919 die Geburtsstunde des Bauhauses, erblickte die klassische Moderne der Architektur das Licht der Welt. In der benachbarten Großstadt Erfurt hat sie in den Goldenen Zwanzigern aber sehr viel intensiver das Stadtbild geprägt.
Kaum jemand weiß noch, dass es stattdessen auch eine Erfurter Republik hätte geben können. Die Stadt bewarb sich wie einige andere als Austragungsort und brachte die Predigerkirche als Versammlungsstätte ins Spiel. Zeitweise in der überregionalen Presse durchaus als ernsthafter Konkurrent Weimars gehandelt, entschied sich die Reichsregierung doch für die ruhigere Goethestadt. Auch an dieses weitgehend vergessene Kapitel unserer Stadtgeschichte sollte man im kommenden Jahr neben den beachtlichen Spuren des Bauhauses und der Erfurter Künstlerin Margaretha Reichardt mit einer Ausstellung erinnern.
 
Das Wirken des Staatlichen Bauhauses von 1919 bis 1924 hat Weimar den Ruf als Keimzelle der klassischen Moderne eingetragen. Hier wurden unter der Marke Bauhaus neue Maßstäbe für Architektur und Design gesetzt. Das legendäre Haus am Horn und der Van-de-Velde-Bau der Bauhausuniversität mit dem Gropius-Zimmer gelten als Pilgerstätten. Sieht man sich aber darüber hinaus im beschaulichen Ilm-Athen um, so findet man kaum markante Bauwerke im Bauhaus-Stil. In Erfurt dagegen konnte sich die moderne Architektur der Weimarer Republik mit ihrer klaren, schmucklosen Formensprache nachdrücklich im Stadtbild verewigen.
 
Der Architekt und Denkmalpfleger Dr. Mark Escherich hat sich intensiv mit dem “neuen Bauen” in Erfurt beschäftigt und alte Vorurteile widerlegt. Nicht zuletzt ihm ist es zu verdanken, dass der Blick für die durchaus beachtliche moderne Großstadtarchitektur in Erfurt geschärft wurde. Die Reformarchitektur im Bauhaus-Stil sticht besonders bei den ambitionierten Geschäftshäusern und den Wohnungsbauprojekten der Vorstädte hervor. Sie spiegeln zugleich die kurze Phase positiver wirtschaftlicher und städtebaulicher Entwicklung in den mittleren 1920er Jahren, den “Goldenen Zwanzigern”.
 
Das Hanseviertel wuchs als herausragendes Beispiel für den sozialen Wohnungsbau im Bauhaus-Stil. Im Innenstadtbereich ragen u.a. das DHV-Haus (1929, heute Anger Entree), die Mitteldeutsche Landesbank am Anger (1929, heute Sparkasse, siehe Abb. Stadtarchiv Erfurt), das Geschäftshaus Schellhorn in der Neuwerkstraße (1930) und der AOK-Neubau in der Augustinerstraße (1930) heraus. Diese Bauwerke heben sich gerade am Anger deutlich von den reich geschmückten Fassaden der Gründerzeit ab, die der Erfurter Einkaufsmeile seit den Jahrzehnten um 1900 das Gepräge geben. So verwundert es auch nicht, dass dieser extreme Traditionsbruch bei den Zeitgenossen keineswegs unumstritten war. Die Kritik reichte bis in den politischen Bereich, verfemte man doch seitens der Rechten den Bauhaus-Stil als “seelenlos” und “undeutsch”, sprach von “semitischen Flachdächern” usw.
 
Freilich ist dies längst Geschichte. Mark Escherich betont die “positive Bewertung der klassischen Moderne” für unser heutiges architektonisch-städtebauliches Selbstverständnis. Damit gehört dieser Bereich selbstverständlich als ein Herzstück in die Würdigungen des Bauhausjubiläums 2009. Doch trotz Verehrung der Moderne und städtischem Kulturthema wird ein markantes Geschäftshaus jener Ära, das “Phönix-Haus” mit dem UFA-Palast-Kino in der Bahnhofstraße von 1931, just im kommenden Jahr abgerissen. Leider ist dies nicht der einzige Verlust an Kulturdenkmalen des “neuen Bauens”, fressen sich doch gerade die Abriss-Bagger durch das denkmalgeschützte Eingangsgebäude im Nordbad von 1929.
 
 
Siehe auch: '''[[Weimarer Republik|Erfurt in der Weimarer Republik]]''', '''[[Bauhaus_Denkmal_Sparkasse_Anger|Sparkasse Anger]]''', '''[[AOK_Geschäftshaus_Augustinerstraße|AOK-Geschäftshaus]]''', '''[[Margaretha Reichardt]]'''

Version vom 8. April 2018, 14:15 Uhr

100 Jahre Bauhaus und Nationalversammlung 2019

Im kommenden Jahr kann neben Weimar auch Erfurt aus gutem Grund auf das Doppeljubiläum zurückblicken.


ValdeigSparkasseAnger.jpg

Vor 99 Jahren, am 12. April 1919, entstand in Weimar aus der Hochschule für bildende Kunst und der Kunstgewerbeschule das „Staatliche Bauhaus in Weimar“. Sein erster Direktor Walter Gropius machte es zur „Wiege der Moderne“, zu einem der wichtigsten Impulsgeber in Architektur, Kunst und Design. Zu den Grundideen zählte die Harmonisierung von Kunst und Handwerk im Geiste der mittelalterlichen Bauhütten sowie eine klare, funktionale Formensprache.

Weimar, Dessau und Berlin bilden die Wirkungsstätten des Bauhauses, das mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 schon wieder schließen musste. Sie markieren Gründungsort, Höhepunkt und letzte Zuflucht. An allen drei Orten soll im kommenden Jahr das 100. Jubiläum der Einrichtung groß gefeiert werden. In Weimar entsteht sogar ein modernes Bauhaus-Museum, das momentan allerdings wegen der umstrittenen Fassadengestaltung und des knappen Zeitplans eher negative Schlagzeilen macht.

Wer nun meinen sollte, dieses bedeutende Jubiläum gehe das benachbarte Erfurt nichts an, der hat weit gefehlt! Zwar bietet Weimar mit dem „Haus am Horn“ und dem Van-de-Velde-Bau zwei internationale Pilgerstätten, aber ansonsten konnte sich das Bauhaus kaum in der beschaulichen Kulturstadt durchsetzen. Die pulsierende Industriegroßstadt Erfurt dagegen erhielt zahlreiche Bauten im neuen Stil. Den Blick hierfür hat besonders der Architekt und Denkmalpfleger Dr. Mark Escherich geschärft. Auch das Stadtmuseum Erfurt widmete sich 2009 in einer großen Sonderausstellung „Außen Quadrat – Innen Biedermeier“ dem Erfurt der Bauhaus-Zeit mit ihren großen Spannungen und Widersprüchen.

Im kommenden Jahr sollte die beachtliche Reformarchitektur in unserer Stadt selbstbewusst herausgestellt werden. Sie sticht besonders bei den ambitionierten Geschäftshäusern und den Wohnungsbauprojekten der Vorstädte aus den „Goldenen Zwanzigern“ hervor. Das Hanseviertel wuchs als herausragendes Beispiel für den sozialen Wohnungsbau im Bauhaus-Stil. Im Innenstadtbereich ragt u.a. die Mitteldeutsche Landesbank am Anger (1929, heute Sparkasse) heraus. Diese Bauwerke heben sich gerade am Anger deutlich von den reich geschmückten Fassaden der Gründerzeit ab.

Entscheidende Voraussetzung für den kulturellen Neuanfang, für den das Bauhaus steht, war die aus der Novemberrevolution 1918 hervorgegangene Weimarer Republik. Sie entfaltete ein freies und kreatives Kulturleben. Ihren Namen erhielt die erste deutsche Demokratie nach dem Versammlungsort der Deutschen Nationalversammlung. Während in Berlin der Bürgerkrieg tobte, trafen sich ihre Abgeordneten im beschaulichen „Ilm-Athen“ und verabschiedeten am 31. Juli 1919 die Weimarer Reichsverfassung.

Kaum jemand weiß noch, dass es stattdessen auch eine Erfurter Republik hätte geben können. Die Stadt bewarb sich wie einige andere als Austragungsort und brachte die Predigerkirche als Versammlungsstätte ins Spiel. Zeitweise in der überregionalen Presse durchaus als ernsthafter Konkurrent Weimars gehandelt, entschied sich die Reichsregierung doch für die ruhigere Goethestadt. Auch an dieses weitgehend vergessene Kapitel unserer Stadtgeschichte sollte man im kommenden Jahr neben den beachtlichen Spuren des Bauhauses und der Erfurter Künstlerin Margaretha Reichardt mit einer Ausstellung erinnern.