Tolles Jahr von Erfurt 1509/10: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Datei:TollesJahrRathaus.jpg|400px|right]]“Wer ist die Gemeinde? - Dies ist die Gemeinde!” Das schleuderte Obervierherr Heinrich Kellner auf sich selbst zeigend am 9. Juni 1509 den erzürnten Bürgern entgegen, die den Ratssaal stürmten. In diesen Worten lag das Selbstbewusstsein einer patrizischen Führungsschicht von reichen Kaufleuten und Waidhändlern, die über die Geschicke der Stadt bestimmten. Allerdings hatten sie Erfurt in den Jahrzehnten zuvor in den Ruin getrieben, was jetzt den Volkszorn erregte. Dieser ging als “Tolles Jahr” in die Geschichte ein.
[[Datei:TollesJahrRathaus.jpg|430px|right]]“Wer ist die Gemeinde? - Dies ist die Gemeinde!” Das schleuderte Obervierherr Heinrich Kellner auf sich selbst zeigend am 9. Juni 1509 den erzürnten Bürgern entgegen, die den Ratssaal stürmten. In diesen Worten lag das Selbstbewusstsein einer patrizischen Führungsschicht von reichen Kaufleuten und Waidhändlern, die über die Geschicke der Stadt bestimmten. Allerdings hatten sie Erfurt in den Jahrzehnten zuvor in den Ruin getrieben, was jetzt den Volkszorn erregte. Dieser ging als “Tolles Jahr” in die Geschichte ein.


Die weitgehende Autonomie der mittelalterlichen Handels- und Kulturmetropole Erfurt hatte im späten 15. Jahrhundert erste Risse bekommen. In den Verträgen von Amorbach und Weimar 1483 musste die Landeshoheit des Mainzer Erzbischofs und die Schutzherrschaft des sächsischen Kurfürsten anerkannt werden. Besonders schwer wogen die 200.000 Gulden, die man den Herrschern zu entrichten hatte. Weitere Zahlungsverpflichtungen, hohe Kosten für die Söldner und Stadtbefestigungen sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten führten zu einer ausweglosen Verschuldung der Kommune.
Die weitgehende Autonomie der mittelalterlichen Handels- und Kulturmetropole Erfurt hatte im späten 15. Jahrhundert erste Risse bekommen. In den Verträgen von Amorbach und Weimar 1483 musste die Landeshoheit des Mainzer Erzbischofs und die Schutzherrschaft des sächsischen Kurfürsten anerkannt werden. Besonders schwer wogen die 200.000 Gulden, die man den Herrschern zu entrichten hatte. Weitere Zahlungsverpflichtungen, hohe Kosten für die Söldner und Stadtbefestigungen sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten führten zu einer ausweglosen Verschuldung der Kommune.

Version vom 11. Juli 2012, 07:34 Uhr

Das Tolle Jahr von Erfurt 1509/10

Beitrag der Serie Wandbilder im Rathausfestsaal von Dr. Steffen Raßloff (2007)


Das “Tolle Jahr” von Erfurt

Die Wandbilder im Rathausfestsaal (7): Aufstand der Bürgerschaft 1509/10

Stellten die ersten Wandbilder im Rathausfestsaal historische Anfänge und Glanzzeit Erfurts dar, so deutet sich mit dem “Tollen Jahr” 1509/10 der Niedergang der mittelalterlichen Metropole an. Auslöser war die finanzielle Bankrotterklärung des Rates.


TollesJahrRathaus.jpg

“Wer ist die Gemeinde? - Dies ist die Gemeinde!” Das schleuderte Obervierherr Heinrich Kellner auf sich selbst zeigend am 9. Juni 1509 den erzürnten Bürgern entgegen, die den Ratssaal stürmten. In diesen Worten lag das Selbstbewusstsein einer patrizischen Führungsschicht von reichen Kaufleuten und Waidhändlern, die über die Geschicke der Stadt bestimmten. Allerdings hatten sie Erfurt in den Jahrzehnten zuvor in den Ruin getrieben, was jetzt den Volkszorn erregte. Dieser ging als “Tolles Jahr” in die Geschichte ein.

Die weitgehende Autonomie der mittelalterlichen Handels- und Kulturmetropole Erfurt hatte im späten 15. Jahrhundert erste Risse bekommen. In den Verträgen von Amorbach und Weimar 1483 musste die Landeshoheit des Mainzer Erzbischofs und die Schutzherrschaft des sächsischen Kurfürsten anerkannt werden. Besonders schwer wogen die 200.000 Gulden, die man den Herrschern zu entrichten hatte. Weitere Zahlungsverpflichtungen, hohe Kosten für die Söldner und Stadtbefestigungen sowie wirtschaftliche Schwierigkeiten führten zu einer ausweglosen Verschuldung der Kommune.

Wie bis heute üblich versuchte man dies durch höhere Steuern, Lohnkürzungen und zahlreiche Kredite auszugleichen. 1508 verpfändete man sogar das Reichslehen Kapellendorf für 8000 Gulden an den sächsischen Kurfürsten. Als sich der Bankrott der Stadt nicht mehr verheimlichen ließ, kam die angestaute Wut auf den Rat der reichen Patrizier zur Entladung. Getragen vom Zorn der armen Unterschichten forderten die zünftigen Handwerker Rechenschaft und Mitsprache vom Rat. Im Bild ist gut zu sehen, wie die Vertreter der Handwerkerschaft die nobel gekleideten Patrizier im Rathaus zur Rede stellen.

Obervierherr Heinrich Kellner, der sich den Eindringlingen entgegen stellt, sollte dies teuer bezahlen. Als Symbolfigur der verhängnisvollen Ratsherrschaft wurde er verhaftete, mehrfach gefoltert und am 28. Januar 1510 am Galgenberg gehängt. Die Turbulenzen taten der geschwächten Kommune nicht gut. Mainz und Sachsen stachelten die erregten Bürgergruppen gegeneinander auf, um ihren Einfluss zu erweitern. Zudem kam es zu Kämpfen zwischen Bürgern und Studenten, in deren Verlauf das Hauptgebäude der Universität in der Michaelisstraße zerstört wurde. Im “Tollen Jahr” offenbarte sich ein schleichender Abstiegsprozess der stolzen Quasi-Reichsstadt, der schließlich in der Unterwerfung unter Kurmainz 1664 seinen Höhepunkt fand.