Domstufen Blumenstadt: Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
||
Zeile 1: | Zeile 1: | ||
= Erfurt – Der „Gärtner des Reiches“ = | = Erfurt – Der „Gärtner des Reiches“ = | ||
[[Datei: | [[Datei:Reichartdenkmalerfurtwebde.jpg|330px|right]]Schon zur Zeit der Uraufführung von Mozarts „Zauberflöte“ in Wien 1791 galt die Stadt Erfurt als ein Zentrum des Gartenbaus in Deutschlands. Der Erfurter Student, Magister und Augustinermönch Martin Luther hatte es bereits drei Jahrhunderte zuvor als „Gärtner des Reiches“ bezeichnet. Im Mittelalter war es insbesondere der europaweite Handel mit dem begehrten Blaufärbemittel Waid, der für Macht und Wohlstand der mitteldeutschen Metropole verantwortlich zeichnete. Im 17. Jahrhundert machte die Einfuhr der indischen Indigopflanze den Waidhandel jedoch zum frühen „Globalisierungsopfer“. Zum Glück für die Stadt gab es aber den heute als Vater des modernen Erwerbsgartenbaus verehrten Christian Reichart (1685-1775). Er begründete eine Entwicklung, auf deren Gipfel die „Blumenstadt Erfurt“ eine weltweite Führungsstellung im Gartenbau einnahm. | ||
Als Autor zahlreicher Fachpublikationen wie auch als unermüdlicher und selbstlos-aufklärerischer Praktiker erwarb sich Reichart große Verdienste. Sein Unternehmen florierte besonders im fruchtbaren Südwesten der Stadt. Im Brühl zwischen innerem und äußerem Stadtmauerring, wo sich heute die Neue Oper befindet, lagen seit jeher die meisten Gärten der Erfurter. Im anschließenden Dreienbrunnengebiet kultivierte Reichart die für Erfurt so charakteristische Brunnenkresse. Ihr würziger Geschmack begeisterte später auch Napoleon, der sich eigens von Erfurter Gärtnern in Versailles Brunnenkresseklingen anlegen ließ. Ein weiterer Exportschlager der Erfurter Gärtnerzunft, der Blumenkohl, wurde aus Zypern kommend von Reichart an der Gera heimisch gemacht. Zugleich galt der Musikliebhaber und Organist der Reglerkirche mit seinen vielen Funktionen in Gesellschaft und Kommunalpolitik als leuchtendes Vorbild, dem man 1867 das erste Denkmal für einen Bürger der Stadt setzte (siehe Abb.). Den Autor des mehrbändigen „Land- und Gartenschatzes“ wusste auch der Dichterfürst und Gartenfreund Goethe im nahen Weimar zu schätzen, der nicht nur seinen Wein aus Erfurt bezog. | Als Autor zahlreicher Fachpublikationen wie auch als unermüdlicher und selbstlos-aufklärerischer Praktiker erwarb sich Reichart große Verdienste. Sein Unternehmen florierte besonders im fruchtbaren Südwesten der Stadt. Im Brühl zwischen innerem und äußerem Stadtmauerring, wo sich heute die Neue Oper befindet, lagen seit jeher die meisten Gärten der Erfurter. Im anschließenden Dreienbrunnengebiet kultivierte Reichart die für Erfurt so charakteristische Brunnenkresse. Ihr würziger Geschmack begeisterte später auch Napoleon, der sich eigens von Erfurter Gärtnern in Versailles Brunnenkresseklingen anlegen ließ. Ein weiterer Exportschlager der Erfurter Gärtnerzunft, der Blumenkohl, wurde aus Zypern kommend von Reichart an der Gera heimisch gemacht. Zugleich galt der Musikliebhaber und Organist der Reglerkirche mit seinen vielen Funktionen in Gesellschaft und Kommunalpolitik als leuchtendes Vorbild, dem man 1867 das erste Denkmal für einen Bürger der Stadt setzte (siehe Abb.). Den Autor des mehrbändigen „Land- und Gartenschatzes“ wusste auch der Dichterfürst und Gartenfreund Goethe im nahen Weimar zu schätzen, der nicht nur seinen Wein aus Erfurt bezog. |
Version vom 20. April 2012, 16:25 Uhr
Erfurt – Der „Gärtner des Reiches“
Schon zur Zeit der Uraufführung von Mozarts „Zauberflöte“ in Wien 1791 galt die Stadt Erfurt als ein Zentrum des Gartenbaus in Deutschlands. Der Erfurter Student, Magister und Augustinermönch Martin Luther hatte es bereits drei Jahrhunderte zuvor als „Gärtner des Reiches“ bezeichnet. Im Mittelalter war es insbesondere der europaweite Handel mit dem begehrten Blaufärbemittel Waid, der für Macht und Wohlstand der mitteldeutschen Metropole verantwortlich zeichnete. Im 17. Jahrhundert machte die Einfuhr der indischen Indigopflanze den Waidhandel jedoch zum frühen „Globalisierungsopfer“. Zum Glück für die Stadt gab es aber den heute als Vater des modernen Erwerbsgartenbaus verehrten Christian Reichart (1685-1775). Er begründete eine Entwicklung, auf deren Gipfel die „Blumenstadt Erfurt“ eine weltweite Führungsstellung im Gartenbau einnahm.
Als Autor zahlreicher Fachpublikationen wie auch als unermüdlicher und selbstlos-aufklärerischer Praktiker erwarb sich Reichart große Verdienste. Sein Unternehmen florierte besonders im fruchtbaren Südwesten der Stadt. Im Brühl zwischen innerem und äußerem Stadtmauerring, wo sich heute die Neue Oper befindet, lagen seit jeher die meisten Gärten der Erfurter. Im anschließenden Dreienbrunnengebiet kultivierte Reichart die für Erfurt so charakteristische Brunnenkresse. Ihr würziger Geschmack begeisterte später auch Napoleon, der sich eigens von Erfurter Gärtnern in Versailles Brunnenkresseklingen anlegen ließ. Ein weiterer Exportschlager der Erfurter Gärtnerzunft, der Blumenkohl, wurde aus Zypern kommend von Reichart an der Gera heimisch gemacht. Zugleich galt der Musikliebhaber und Organist der Reglerkirche mit seinen vielen Funktionen in Gesellschaft und Kommunalpolitik als leuchtendes Vorbild, dem man 1867 das erste Denkmal für einen Bürger der Stadt setzte (siehe Abb.). Den Autor des mehrbändigen „Land- und Gartenschatzes“ wusste auch der Dichterfürst und Gartenfreund Goethe im nahen Weimar zu schätzen, der nicht nur seinen Wein aus Erfurt bezog.
Der Erfurter Gartenbau erreichte, parallel zum allgemeinen Aufschwung dieser Branche, im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Die großen Gartenbaudynastien der Haage, Schmidt, Benary, Heinemann, Chrestensen u.v.a. erlangten um 1900 Weltgeltung. Mit ihren innovativen Produkten waren sie rund um den Globus präsent und errangen in einzelnen Bereichen, wie etwa dem Samenhandel, eine Führungsstellung. Auf den großen Gartenbau- und Weltausstellungen wurden Erfurter Unternehmen mit zahlreichen Auszeichnungen gewürdigt. Obwohl zahlenmäßig in der pulsierenden Großstadt längst deutlich hinter Metall-, Textil- und Lebensmittelindustrie zurück liegend, war der Gartenbau dennoch weiterhin ein profilprägender Wirtschaftszweig, der Erfurt zudem den weltweit verbreiteten Namen „Blumenstadt“ eintrug. Symbolträchtig brachte dies die Stadt 1890 im Monumentalbrunnen am Anger zum Ausdruck, der die Stützen des Gemeinwesens allegorisch darstellt. Neben einer männlichen Figur, die für Industrie und Handwerk steht, erinnert die „Flora“ als Sinnbild des Gartenbaus an die Blütezeit der Blumenstadt Erfurt.
Die repräsentativen Geschäftshäuser der Gartenbauunternehmen, ihre ausgedehnten Betriebsgelände, Gewächshäuser und Blumenfelder prägten zudem das Stadtbild. Man muss sich Erfurt in dieser Zeit als Insel in einem „Meer von berauschend duftenden, in allen Farben leuchtenden Blüten: Rosen und Feilchen, Reseden, Levkojen und Tulpen, Balsamienen“ vorstellen, wie es der Reiseschriftsteller Karl Emil Franzos 1901 beschrieben hat. Der Gartenbau der Blumenstadt wurde zunehmend auch zum Imagefaktor im aufstrebenden Fremdenverkehr. Große Gartenbauausstellungen seit Mitte des 19. Jahrhunderts untermauerten Erfurts Ruf. Die Entwicklung des Stadtgrüns trug ebenfalls nachhaltig zur modernen Urbanität und zum spezifischen Image Erfurts bei. Insbesondere auf dem Areal der ab 1873 beseitigten Stadtbefestigungen und im Erweiterungsgebiet der Industriegroßstadt entstanden anspruchsvolle Grünanlagen und Parks. Zur Blumenstadt Erfurt gehört schließlich auch die Tradition der Gartenbaubildung bis hin zur Fakultät Landschaftsarchitektur, Gartenbau und Forst der Fachhochschule Erfurt.
Heute wird die große Erfurter Gartenbautradition insbesondere vom egapark und dem dort angesiedelten Deutschen Gartenbaumuseum repräsentiert. Eben jener Tradition verdankte die Blumenstadt Erfurt die Entscheidung des östlichen Wirtschaftsbündnisses RGW, hier 1961 die „1. Internationale Gartenbauausstellung der sozialistischen Länder“, kurz iga, zu veranstalten. Nach erfolgreichem Start 1961 wurde die iga als größte Veranstaltung ihrer Art verstetigt. Bis zu einem gewissen Grad konnte damit der in Folge der beiden Weltkriege beeinträchtigte Ruf als Weltmetropole des Gartenbaus wieder gestärkt werden. Zugleich war die iga von Beginn an eine der beliebtesten Freizeiteinrichtungen der Erfurter mit großer überregionaler Ausstrahlung. In ihrer ersten Saison lockte sie bereits 3,5 Mio. Besucher an.
Der egapark – die iga wurde nach 1990 in ega (= Erfurter Garten- und Ausstellungs GmbH) umbenannt – hat sich auch im 50. Jubiläumsjahr seinen Charakter und seine Anziehungskraft bewahrt. Die beeindruckende Anlage am südwestlichen Stadtrand zählt laut Denkmalausweisung von 1992 zu den „wenigen künstlerisch unumstrittenen und anspruchsvoll gestalteten Gartenanlagen, die nach 1945 auf dem Gebiet der ehemaligen DDR entstanden sind“. Das einzigartige Gartendenkmal der 1960er Jahre gehört zugleich zu den Hauptwerken des bedeutenden Gartenarchitekten Reinhold Lingner. Einmalig ist auch die Symbiose aus Park und Deutschem Gartenbaumuseum in der Cyriaksburg, das harmonisch in die Gesamtanlage eingepasst wurde. Ideen für ein solches Museum gehen bis in die 1930er Jahre zurück und konnten 1961 verwirklicht werden. Zwischen 1995 und 2000 wurde das Museum saniert und konzeptionell grundlegend weiterentwickelt.
Steffen Raßloff: Erfurt - Der "Gärtner des Reiches. In: Domstufenfestspiele 2011 in Erfurt. Wolfgang Amadeus Mozart: Die Zauberflöte. Erfurt 2011. S. 34 f.
Siehe auch: Blumenstadt Erfurt, Christian Reichart Denkmal