Erfurter Unionsparlament 1850: Unterschied zwischen den Versionen

Aus erfurt-web.de
Zur Navigation springen Zur Suche springen
 
(92 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 1: Zeile 1:
= Erfurter Unionsparlament 1850 =
= Erfurter Unionsparlament 1850 =
[[Datei:UnionsparlamentAugustinerkirche2.png|310px|right]]
'''Das Erfurter Unionsparlament 1850 gilt als Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. Hieran soll zum 175. Jubiläum 2025 vielfältig erinnert werden.'''


'''Erfurt gilt mit dem Unionsparlament 1850 als wichtiger Ort der Demokratie-Geschichte und des deutschen Einigungsprozesses. Hieran möchten zum 175. Jubiläum 2025 die Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte, die Landeshauptstadt Erfurt und die Historische Kommission für Thüringen erinnern.'''


Das Erfurter Unionsparlament 1850 sollte nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die Verfassung für einen deutschen Nationalstaat unter Führung Preußens ohne Österreich ausarbeiten. Liberale und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Klein- und Mittelstaaten hatten sich auf diesen "kleindeutschen" Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort richtete man das '''[[Augustinerkloster Erfurt|Augustinerkloster]]''' mit seiner Kirche (Abb. Stadtarchiv Erfurt) her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte. Die Liberalen hatten sich zuvor beim "Gothaer Nachparlament" 1849 beraten und besaßen in Erfurt die Parlamentsmehrheit. Ein „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt" um Stadtrat '''[[Karl Herrmann Denkmal|Karl Herrmann]]''' hatte landesweit geworben. Die preußische Stadt schien, wie noch einmal bei der Bewerbung um die '''[[Erfurter Republik|Nationalversammlung 1919]]''', auf dem Weg zum politischen Zentrum Deutschlands.


[[Datei:UnionsparlamentAugustinerkirche2.png|280px|right]]Das Erfurter Unionsparlament 1850 sollte nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die Verfassung für einen deutschen Nationalstaat unter Führung Preußens ohne Österreich ausarbeiten. Liberale und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Klein- und Mittelstaaten hatten sich auf diesen "kleindeutschen" Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort richtete man das '''[[Augustinerkloster Erfurt|Augustinerkloster]]''' mit seiner Kirche (Abb. Stadtarchiv Erfurt) her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte. Die Liberalen hatten sich zuvor beim "Gothaer Nachparlament" 1849 beraten und besaßen in Erfurt die Parlamentsmehrheit. Ein „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt" um Stadtrat '''[[Karl Herrmann Denkmal|Karl Herrmann]]''' hatte zuvor landesweit geworben. Die preußische Stadt schien, wie noch einmal bei der Bewerbung um die '''[[Erfurter Republik|Nationalversammlung 1919]]''', auf dem Weg zum politischen Zentrum Deutschlands. Die Erfurter Union, vorangetrieben vom preußischen Diplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch in der Olmützer Punktation 1850 am Widerspruch Österreichs und Russlands. Der Nationalstaat sollte unter '''[[Bismarckdenkmal_Anger_Erfurt|Otto von Bismarck]]''', der als junger Konservativer am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, dennoch mit der Reichsgründung 1871 zustande kommen.  
Die Erfurter Union, vorangetrieben vom preußischen Diplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch in der Olmützer Punktation 1850 am Widerspruch Österreichs und Russlands. Der Nationalstaat sollte unter '''[[Bismarckdenkmal_Anger_Erfurt|Otto von Bismarck]]''', der als junger Konservativer am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, dennoch mit der Reichsgründung 1871 zustande kommen. Die an der Frankfurter Reichsverfassung festhaltenden Demokraten hatten die Wahlen boykottiert, die Konservativen lehnten die Unionsverfassung als Abkehr von legitimer Herrschaft ab. Für die Liberalen bedeutete ihr Scheitern eine erneute politische Niederlage. In der Erinnerung trat so das Erfurter Unionsparlament in den Hintergrund. Heute gilt es jedoch als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. Das Parlament verabschiedete nach teils brillanten Debatten in kurzer Frist das Verfassungswerk; Demokraten, Liberale und Konservative konstituierten sich vor und während des Parlaments endgültig als die politischen Hauptströmungen.  


Die an der Frankfurter Reichsverfassung festhaltenden Demokraten hatten die Wahlen boykottiert, die Konservativen lehnten die Unionsverfassung als Abkehr von legitimer Herrschaft ab. Für die Liberalen bedeutete ihr Scheitern eine erneute politische Niederlage. In der Erinnerung trat so das Erfurter Unionsparlament in den Hintergrund. Heute gilt es jedoch als wichtiger Meilenstein der Demokratie-Geschichte und des deutschen Einigungsprozesses. Das Parlament verabschiedete nach teils brillanten Debatten in kurzer Frist das Verfassungswerk; Demokraten, Liberale und Konservative konstituierten sich vor und während des Parlaments endgültig als die politischen Hauptströmungen. Hieran möchten die '''[[Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte]]''' (GEDG) und die Landeshauptstadt Erfurt anlässlich des 175. Jubiläums 2025 erinnern. Es sind unter anderem eine Sonderausstellung im '''[[Stadtmuseum Erfurt]]''', eine Fachtagung mit der '''[[Historische Kommission für Thüringen|Historischen Kommission für Thüringen]]''', Vorträge, Stadtführungen, Erinnerungstafeln und künstlerische Aktivitäten geplant. Bereits 2023 wurde das Augustinerkloster als bedeutender "Ort der Demokratie-Geschichte" gewürdigt (s.u.).
Hieran soll anlässlich des 175. Jubiläums 2025 vielfältig erinnert werden. Bereits im Vorfeld wurde 2023 das Augustinerkloster als "Ort der Demokratie-Geschichte" gewürdigt und eine '''[[Erfurter Unionsparlament 1850 Roll Up Ausstellung|Tafelausstellung]]''' zum Unionsparlament im Stadtmuseum gezeigt, das als informelle "Regierungszentrale" von Radowitz selbst ein authentischer Erinnerungsort ist. 2025 sind unter anderem ein Festakt im Augustinerkloster, eine von der Historischen Kommission für Thüringen, der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte, der Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens in Kooperation mit dem '''[[ErfurterGeschichtsverein|Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt]]''' veranstaltete Tagung im Augustinerkloster "Das Erfurter Unionsparlament 1850. Zwischen demokratischem Aufbruch und Reaktionspolitik" vom 20. bis 22. März 2025 mit zwei öffentlichen Abendvorträgen geplant. Zugleich will eine Ausstellung im '''[[Stadtmuseum Erfurt]]''' "Das vergessene Parlament. 175 Jahre Erfurter Unionsparlament 1850" das bedeutende Ereignis stärker in den Fokus rücken.  


('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''', Beauftragter der GEDG für das Jubiläum 175 Jahre Erfurter Unionsparlament 2025)
('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''')




'''Lesetipps:'''
'''Lesetipps:'''


Steffen Raßloff: '''[[Erfurter Unionsparlament 1850 LZT|Das Erfurter Unionsparlament 1850]]'''. Erfurt 2023.
Jochen Lengemann: '''Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850. Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen.''' München/Jena 2000.


Steffen Raßloff: '''[[Erfurter Unionsparlament 1850 GEDG|Das Erfurter Unionsparlament 1850]]'''. In: Prospect 22. Bulletin der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (2022). S. 92-95.
Jochen Lengemann: '''Das Deutsche Parlament von 1850. Orte, Männer, Entscheidungen'''. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 61 (2000), S. 85-122.
 
Jochen Lengemann: '''Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850. Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen.''' München/Jena 2000.


Gunther Mai (Hg.): '''Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850.''' Köln/Weimar/Wien 2000.
Gunther Mai (Hg.): '''Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850.''' Köln/Weimar/Wien 2000.
Zeile 23: Zeile 23:
Harald Mittelsdorf (Red.): '''150 Jahre Erfurter Unionsparlament (1850–2000).''' Weimar 2000.
Harald Mittelsdorf (Red.): '''150 Jahre Erfurter Unionsparlament (1850–2000).''' Weimar 2000.


Steffen Raßloff: '''[[Erfurter Unionsparlament 1850 LZT|Das Erfurter Unionsparlament 1850]]'''. Erfurt 2023.


Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Revolution 1848 Erfurt|Revolution 1848 in Erfurt]]'''
Steffen Raßloff: '''[[Erfurter Unionsparlament 1850 GEDG|Das Erfurter Unionsparlament 1850]]'''. In: Prospect 22. Bulletin der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (2022). S. 92-95.


Steffen Raßloff: '''Das vergessene Parlament. 175 Jahre Erfurter Unionsparlament 1850'''. Erfurt 2025. ''(erscheint Januar 2025)''


'''Thüringer Allgemeine''' vom 25.02.23/09.02.23 (zum Lesen anklicken)


[[Datei:TA.TA.Unionsparlament-25-2-23.png|350px|left]]
Siehe auch: '''[[Geschichte der Stadt Erfurt]]''', '''[[Revolution 1848 Erfurt|Revolution 1848 in Erfurt]]'''
[[Datei:TA.Augustinerkloster-Ort-Demokratie-Geschichte-9-2-23.png|300px|left]]

Aktuelle Version vom 20. November 2024, 11:54 Uhr

Erfurter Unionsparlament 1850

UnionsparlamentAugustinerkirche2.png

Das Erfurter Unionsparlament 1850 gilt als Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. Hieran soll zum 175. Jubiläum 2025 vielfältig erinnert werden.


Das Erfurter Unionsparlament 1850 sollte nach der gescheiterten Revolution 1848/49 die Verfassung für einen deutschen Nationalstaat unter Führung Preußens ohne Österreich ausarbeiten. Liberale und der preußische König Friedrich Wilhelm IV. sowie einige Klein- und Mittelstaaten hatten sich auf diesen "kleindeutschen" Kompromiss geeinigt. Als Tagungsort richtete man das Augustinerkloster mit seiner Kirche (Abb. Stadtarchiv Erfurt) her, das als Lutherstätte für historische Aura sorgte. Die Liberalen hatten sich zuvor beim "Gothaer Nachparlament" 1849 beraten und besaßen in Erfurt die Parlamentsmehrheit. Ein „Verein für die Verlegung des deutschen Parlaments nach Erfurt" um Stadtrat Karl Herrmann hatte landesweit geworben. Die preußische Stadt schien, wie noch einmal bei der Bewerbung um die Nationalversammlung 1919, auf dem Weg zum politischen Zentrum Deutschlands.

Die Erfurter Union, vorangetrieben vom preußischen Diplomaten Joseph Maria von Radowitz, scheiterte jedoch in der Olmützer Punktation 1850 am Widerspruch Österreichs und Russlands. Der Nationalstaat sollte unter Otto von Bismarck, der als junger Konservativer am Erfurter Parlament teilgenommen hatte, dennoch mit der Reichsgründung 1871 zustande kommen. Die an der Frankfurter Reichsverfassung festhaltenden Demokraten hatten die Wahlen boykottiert, die Konservativen lehnten die Unionsverfassung als Abkehr von legitimer Herrschaft ab. Für die Liberalen bedeutete ihr Scheitern eine erneute politische Niederlage. In der Erinnerung trat so das Erfurter Unionsparlament in den Hintergrund. Heute gilt es jedoch als wichtiger Meilenstein der Demokratiegeschichte und des deutschen Einigungsprozesses. Das Parlament verabschiedete nach teils brillanten Debatten in kurzer Frist das Verfassungswerk; Demokraten, Liberale und Konservative konstituierten sich vor und während des Parlaments endgültig als die politischen Hauptströmungen.

Hieran soll anlässlich des 175. Jubiläums 2025 vielfältig erinnert werden. Bereits im Vorfeld wurde 2023 das Augustinerkloster als "Ort der Demokratie-Geschichte" gewürdigt und eine Tafelausstellung zum Unionsparlament im Stadtmuseum gezeigt, das als informelle "Regierungszentrale" von Radowitz selbst ein authentischer Erinnerungsort ist. 2025 sind unter anderem ein Festakt im Augustinerkloster, eine von der Historischen Kommission für Thüringen, der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte, der Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte Thüringens in Kooperation mit dem Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt veranstaltete Tagung im Augustinerkloster "Das Erfurter Unionsparlament 1850. Zwischen demokratischem Aufbruch und Reaktionspolitik" vom 20. bis 22. März 2025 mit zwei öffentlichen Abendvorträgen geplant. Zugleich will eine Ausstellung im Stadtmuseum Erfurt "Das vergessene Parlament. 175 Jahre Erfurter Unionsparlament 1850" das bedeutende Ereignis stärker in den Fokus rücken.

(Dr. Steffen Raßloff)


Lesetipps:

Jochen Lengemann: Das Deutsche Parlament (Erfurter Unionsparlament) von 1850. Ein Handbuch: Mitglieder, Amtsträger, Lebensdaten, Fraktionen. München/Jena 2000.

Jochen Lengemann: Das Deutsche Parlament von 1850. Orte, Männer, Entscheidungen. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 61 (2000), S. 85-122.

Gunther Mai (Hg.): Die Erfurter Union und das Erfurter Unionsparlament 1850. Köln/Weimar/Wien 2000.

Harald Mittelsdorf (Red.): 150 Jahre Erfurter Unionsparlament (1850–2000). Weimar 2000.

Steffen Raßloff: Das Erfurter Unionsparlament 1850. Erfurt 2023.

Steffen Raßloff: Das Erfurter Unionsparlament 1850. In: Prospect 22. Bulletin der Gesellschaft zur Erforschung der Demokratie-Geschichte (2022). S. 92-95.

Steffen Raßloff: Das vergessene Parlament. 175 Jahre Erfurter Unionsparlament 1850. Erfurt 2025. (erscheint Januar 2025)


Siehe auch: Geschichte der Stadt Erfurt, Revolution 1848 in Erfurt