Bundesland Mitteldeutschland Diskussionen Thueringen: Unterschied zwischen den Versionen
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[[Datei:TAZ- | [[Datei:TAZ-09-06-1928.jpg|420px|right]]Es ist soweit. Die zyklisch wiederkehrenden Vorschläge für ein Mitteldeutschland sind wieder in den Schlagzeilen. Ins Spiel gebracht hat sie Thüringens Rechnungshof-Präsident Sebastian Dette. Er plädiert für ein Bundesland aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, weil man sich perspektivisch keine „Doppelstrukturen“ mehr leisten könne. Einhergehen müsse dies mit einer Kreisgebietsreform, wie sie gerade erst zu Grabe getragen wurde. Solche sonst vorzugsweise aus Sachsen-Anhalt kommenden Vorstöße stehen in der Tradition der 1920er-Jahre. Schon damals gab es Pläne, das Territorium Deutschlands einschneidend zu reformieren. Das Ende des Kaiserreiches und seiner 22 Herrscherhäuser in der Novemberrevolution 1918 hatte hierfür den Weg frei gemacht. Zu den Schwerpunkten dieser Reichsreformdebatten gehörte die Region Thüringen und Mitteldeutschland. | ||
Nach einer ersten Flurbereinigung bestand die jahrhundertelange thüringische Kleinstaatenwelt seit 1920 im wesentlichen nur noch aus dem Freistaat Thüringen mit der Hauptstadt Weimar und dem preußischen Regierungsbezirk Erfurt. Darauf aufbauend gab es Bestrebungen zu deren Zusammenschluss zu einem „Großthüringen“, wie es seit 1945 bzw. endgültig seit 1990 existiert. Darüber hinaus war auch in den Zwanzigern schon ein Mitteldeutschland aus dem Freistaat Thüringen, der preußischen Provinz Sachsen und dem Land Anhalt im Gespräch. Es hätte weitgehend den heutigen Ländern Thüringen und Sachsen-Anhalt entsprochen. Damit hätte man sich etwa in der potenziellen Hauptstadt Erfurt noch anfreunden können, wie die Denkschrift „Erfurt und Thüringen“ aus dem Jahre 1930 zeigt. Ein Mitteldeutschland unter Einschluss Sachsens lehnte man jedoch in ganz Thüringen strikt ab. Thüringen drohe sonst ein bedeutungsloses „Anhängsel Sachsens“ zu werden, wie die Thüringer Allgemeine Zeitung im Juni 1928 schrieb (Abb. Sammlung Raßloff). Als Hauptstadt käme dann zudem wohl nur Leipzig in Frage. | |||
Diese Einschätzungen haben kaum an Aktualität verloren. Das Pro und Kontra zum Thema Mitteldeutschland ist heute auffallend ähnlich. Die Befürworter eines Großlandes kamen besonders aus den Kreisen der Wirtschaft und Bürokratie. An der Spitze stand seinerzeit der Landeshauptmann der Provinz Sachsen in Magdeburg, Ehrhard Hübener, später erster Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. In Thüringen wie auch in Sachsen sah und sieht man dagegen solche Pläne sehr viel skeptischer. Die Bevölkerung unseres Landes besitzt eine tief verwurzelte historische Identität, die weit ins Mittelalter zum Königsreich der Thüringer und den Thüringer Landgrafen auf der Wartburg zurückreicht. Wieder Thüringer sein zu dürfen, gehörte nach vier Jahrzehnten DDR-Bezirken mit zu den Kernforderungen der friedlichen Revolution 1989. Heimat in Form des Freistaates Thüringen wurde für viele Menschen in Zeiten rasanten Wandels zum wichtigen emotionalen Halt. | |||
Und nicht zuletzt hat man seit 1990 Milliarden für eine sicher hier und da reformbedürftige, aber doch funktionierende Landesstruktur ausgegeben, während das Einsparpotenzial bei einem erst mit viel Aufwand zu schaffenden Mitteldeutschland mit einer mutmaßlichen neuen Hauptstadt Leipzig laut wissenschaftlicher Studien (s.u.) zumindest fraglich ist. Die aktuellen Diskussionen um die Kreisgebietsreform in Sachsen 2008, die ihre Sparziele offenbar klar verfehlt, dafür aber viel an Lebensqualität und Bürgernähe in der Fläche zerstört hat, stimmt eher skeptisch. So stellt sich die berechtigte Frage, ob man insbesondere die historisch gewachsenen Freistaaten Thüringen und Sachsen für den unsicheren fiskalischen Erfolg eines traditionslosen Großlandes Mitteldeutschland aufgeben sollte, mit dem sich kaum jemand identifizieren könnte. Stattdessen könnte man den Weg der Zusammenarbeit der drei Länder in unserer historisch vielfach verknüpften Geschichtslandschaft weitergehen, für den etwa der 1924 erstmals gegründete Mitteldeutsche Rundfunk steht. | |||
''' | ''('''[[Steffen Rassloff|Dr. Steffen Raßloff]]''' in Thüringer Allgemeine vom 21.02.2019)'' | ||
'''Lesetipps:''' | |||
Steffen Raßloff: '''[[Geschichte Mitteldeutschlands|Mitteldeutsche Geschichte. Sachsen - Sachsen-Anhalt - Thüringen.]]''' Leipzig 2016 (2. Auflage 2019). | |||
'' | Steffen Raßloff: '''"Thüringen - ein Anhängsel Sachsens?" Zur historischen und aktuellen Mitteldeutschland-Debatte'''. In: '''[[Publikationen_des_Erfurter_Geschichtsvereins|Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt]]''' 83 (2022), S. 131-144. | ||
Steffen Raßloff: '''[https://erfurt-web.de/images/MitteldeutscheGeschichte-MM-2-22.pdf Gibt es eine mitteldeutsche Geschichte?]''' In: Mitteldeutsches Magazin 2/2022. S. 6-10. | |||
Jonathan Old/Felix Rösel: '''[https://www.ifo.de/DocDL/ifoDD_18-02_12-17_Old.pdf Sparprojekt oder Milchmädchenrechnung? Die finanziellen Effekte eines Bundeslandes "Mitteldeutschland"]'''. In: ifo Dresden berichtet, 2/2018. | |||
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Siehe auch: '''[[Geschichte Thüringens]]''' | Siehe auch: '''[[Geschichte Thüringens]]''' |
Aktuelle Version vom 29. Oktober 2024, 08:30 Uhr
Bundesland Mitteldeutschland?
Schon in den 1920er-Jahren wurde heftig über ein Land Mitteldeutschland diskutiert. In Thüringen hielt sich damals wie heute die Begeisterung für ein solches traditionsloses Großland sehr in Grenzen.
Es ist soweit. Die zyklisch wiederkehrenden Vorschläge für ein Mitteldeutschland sind wieder in den Schlagzeilen. Ins Spiel gebracht hat sie Thüringens Rechnungshof-Präsident Sebastian Dette. Er plädiert für ein Bundesland aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, weil man sich perspektivisch keine „Doppelstrukturen“ mehr leisten könne. Einhergehen müsse dies mit einer Kreisgebietsreform, wie sie gerade erst zu Grabe getragen wurde. Solche sonst vorzugsweise aus Sachsen-Anhalt kommenden Vorstöße stehen in der Tradition der 1920er-Jahre. Schon damals gab es Pläne, das Territorium Deutschlands einschneidend zu reformieren. Das Ende des Kaiserreiches und seiner 22 Herrscherhäuser in der Novemberrevolution 1918 hatte hierfür den Weg frei gemacht. Zu den Schwerpunkten dieser Reichsreformdebatten gehörte die Region Thüringen und Mitteldeutschland.
Nach einer ersten Flurbereinigung bestand die jahrhundertelange thüringische Kleinstaatenwelt seit 1920 im wesentlichen nur noch aus dem Freistaat Thüringen mit der Hauptstadt Weimar und dem preußischen Regierungsbezirk Erfurt. Darauf aufbauend gab es Bestrebungen zu deren Zusammenschluss zu einem „Großthüringen“, wie es seit 1945 bzw. endgültig seit 1990 existiert. Darüber hinaus war auch in den Zwanzigern schon ein Mitteldeutschland aus dem Freistaat Thüringen, der preußischen Provinz Sachsen und dem Land Anhalt im Gespräch. Es hätte weitgehend den heutigen Ländern Thüringen und Sachsen-Anhalt entsprochen. Damit hätte man sich etwa in der potenziellen Hauptstadt Erfurt noch anfreunden können, wie die Denkschrift „Erfurt und Thüringen“ aus dem Jahre 1930 zeigt. Ein Mitteldeutschland unter Einschluss Sachsens lehnte man jedoch in ganz Thüringen strikt ab. Thüringen drohe sonst ein bedeutungsloses „Anhängsel Sachsens“ zu werden, wie die Thüringer Allgemeine Zeitung im Juni 1928 schrieb (Abb. Sammlung Raßloff). Als Hauptstadt käme dann zudem wohl nur Leipzig in Frage.
Diese Einschätzungen haben kaum an Aktualität verloren. Das Pro und Kontra zum Thema Mitteldeutschland ist heute auffallend ähnlich. Die Befürworter eines Großlandes kamen besonders aus den Kreisen der Wirtschaft und Bürokratie. An der Spitze stand seinerzeit der Landeshauptmann der Provinz Sachsen in Magdeburg, Ehrhard Hübener, später erster Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. In Thüringen wie auch in Sachsen sah und sieht man dagegen solche Pläne sehr viel skeptischer. Die Bevölkerung unseres Landes besitzt eine tief verwurzelte historische Identität, die weit ins Mittelalter zum Königsreich der Thüringer und den Thüringer Landgrafen auf der Wartburg zurückreicht. Wieder Thüringer sein zu dürfen, gehörte nach vier Jahrzehnten DDR-Bezirken mit zu den Kernforderungen der friedlichen Revolution 1989. Heimat in Form des Freistaates Thüringen wurde für viele Menschen in Zeiten rasanten Wandels zum wichtigen emotionalen Halt.
Und nicht zuletzt hat man seit 1990 Milliarden für eine sicher hier und da reformbedürftige, aber doch funktionierende Landesstruktur ausgegeben, während das Einsparpotenzial bei einem erst mit viel Aufwand zu schaffenden Mitteldeutschland mit einer mutmaßlichen neuen Hauptstadt Leipzig laut wissenschaftlicher Studien (s.u.) zumindest fraglich ist. Die aktuellen Diskussionen um die Kreisgebietsreform in Sachsen 2008, die ihre Sparziele offenbar klar verfehlt, dafür aber viel an Lebensqualität und Bürgernähe in der Fläche zerstört hat, stimmt eher skeptisch. So stellt sich die berechtigte Frage, ob man insbesondere die historisch gewachsenen Freistaaten Thüringen und Sachsen für den unsicheren fiskalischen Erfolg eines traditionslosen Großlandes Mitteldeutschland aufgeben sollte, mit dem sich kaum jemand identifizieren könnte. Stattdessen könnte man den Weg der Zusammenarbeit der drei Länder in unserer historisch vielfach verknüpften Geschichtslandschaft weitergehen, für den etwa der 1924 erstmals gegründete Mitteldeutsche Rundfunk steht.
(Dr. Steffen Raßloff in Thüringer Allgemeine vom 21.02.2019)
Lesetipps:
Steffen Raßloff: Mitteldeutsche Geschichte. Sachsen - Sachsen-Anhalt - Thüringen. Leipzig 2016 (2. Auflage 2019).
Steffen Raßloff: "Thüringen - ein Anhängsel Sachsens?" Zur historischen und aktuellen Mitteldeutschland-Debatte. In: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 83 (2022), S. 131-144.
Steffen Raßloff: Gibt es eine mitteldeutsche Geschichte? In: Mitteldeutsches Magazin 2/2022. S. 6-10.
Jonathan Old/Felix Rösel: Sparprojekt oder Milchmädchenrechnung? Die finanziellen Effekte eines Bundeslandes "Mitteldeutschland". In: ifo Dresden berichtet, 2/2018.
Siehe auch: Geschichte Thüringens